Was der Heilige Geist bei uns tut

Predigt über 4. Mose 11,4‑25 zum Pfingstsonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Feuer­flammen und die Viel­sprachig­keit waren am ersten Pfingstfest die kleineren Wunder des Heiligen Geistes. Größer war das Wunder, dass der Heilige Geist an jenem Tag etwa dreitausend Menschen zur Buße geführt hat. Größer war das Wunder, dass er ihnen Gottes Gnade bezeugt hat. Größer war das Wunder, dass er sie zu einer christ­lichen Gemeinde zusammen­geschweißt hat, wo einer des anderen Last trug. Und größer ist das Wunder, dass der Heilige Geist dieses Werk bis zum heutigen Tag an unzähligen Menschen rund um den Erdball fortgeführt hat. Auch heute will der Heilige Geist bei uns dieses Wunder tun. Durch das Wort Gottes aus dem Alten Testament, das wir eben gehört haben, will er uns erstens zur Buße rufen, zweitens Gottes Gnade bezeugen und uns drittens zum Tragen von Lasten zurüsten.

Dieser Abschnitt aus dem 4. Buch Mose berichtet von einem Ereignis während der Wüsten­wanderung des Volkes Israel. Es begann damit, dass die mit­ziehenden Fremdlinge, also die Nicht-Israeliten, mit der Verpflegung unzufrieden wurden. Sie steckten damit die Israeliten an; die begannen ebenfalls zu jammern und zu klagen: „Wer wird uns Fleisch zu essen geben?“ Satt waren sie freilich immer geworden, und das Himmels­brot, das Manna, das Gott während all dieser Jahre vom Himmel fallen ließ, schmeckte nicht übel. Aber die Israeliten hatten das Manna mittler­weile satt, sehnten sich mal wieder nach einem anständigen Braten und dachten wehmütig an die Zeit in Ägypten zurück. Diese Zeit wird wohl nur in der Rückschau so golden gewesen sein, denn ich bezweifle, dass man ihnen in der Sklaverei lauter Lecker­bissen vorgesetzt hatte. Die Un­zufrieden­heit und das Geweine um praktisch neben­sächliche Dinge erregte Gottes Zorn, und die Strafe folgte auf dem Fuß: Zwar bekamen sie ihr Fleisch, nämlich Wachteln, die vom Himmel fielen (Gott zeigte da mal eben, was er so alles kann), aber sie bekamen so viel, dass ihnen bald davor ekelte. Außerdem schlug Gott das Volk mit einer großen Plage (vermutlich mit einer Seuche), an der viele starben.

Wenn uns der Heilige Geist heute diese Geschichte vor Augen führt, so will er uns damit erstens zur Buße rufen. Der Apostel Paulus schrieb ja im 1. Ko­rinther­brief mit Blick auf die Wüsten­wanderung Israels und diese Geschichte, dass Gottes altes Bundesvolk uns Christen hier als warnendes Beispiel vor Augen geführt wird. Der Heilige Geist fragt uns also mit dieser Geschichte: Wo lassen wir uns anstecken von der Un­zufrieden­heit der Fremdlinge, also der Nicht­christen um uns herum? Wir erleben ja viele, die nach dem Lustprinzip leben und die immer noch mehr haben wollen. Auch wir selbst haben so viele Wünsche, fordern viel Lebens­qualität, und jammern, wenn wir Abstriche machen müssen.

Und werden wir nicht auch leicht überdrüssig der guten Gaben Gottes, die er uns sozusagen vom Himmel fallen lässt? Blicken wir mal auf unser geistliches Leben: Da ernähren wir uns doch von dem Manna, das Gott uns über­reichlich schenkt – sein heiliges Wort und Sakrament. Ich selbst ertappe mich auch immer wieder dabei, dass ich überdrüssig werde: Der Gottes­dienst erscheint langweilig, man freut sich auf das Ende. Zu den täglichen Andachten muss man sich überwinden. Wir stehen in der Gefahr zu denken oder gar zu sagen: Immer wieder dasselbe! Dieselbe Liturgie, dieselben Themen in der Predigt, dasselbe Gesetz, dasselbe Evangelium, dasselbe Abendmahl – was für ein Einerlei! Wir haben schnell genug von Gottes geistlichem Manna, weil der Gottes­dienst in puncto Unter­haltungs­wert nicht mit einer Fernsehshow kon­kurrieren kann.

Auch jammern und klagen wir schnell wie die Israeliten damals, sehen keinen Ausweg und keine Besserung, resignieren und ver­zweifeln. Wir fühlen uns in der Wüste unseres Lebens von Gott sitzen gelassen. Die Älteren sehnen sich dann nach einer ver­meintlich guten alten Zeit zurück, so wie die Israeliten an Ägypten zurück­dachten. Mit dieser Einstellung machen wir Gott traurig und zornig. Es geschähe uns recht, wenn er unsere hohen Ansprüche, unsere Un­zufrieden­heit und unser Gejammere hart bestrafen würde.

Vielleicht ärgerst du dich jetzt darüber, dass dir an einem fröhlichen Pfingst­sonntag-Vormittag zunächst einmal deine Sünden vorgehalten werden. Vielleicht empfindest du dich gar nicht so stark als Sünder. Dann hast du es um so nötiger, dich vom Heiligen Geist zur Buße rufen zu lassen. Du stehst dann nämlich in der Gefahr, der die Israeliten damals erlegen sind – in der Gefahr eines verstockten Herzens, das die Sünde nicht erkennt. Das Ende davon ist die ewige Verdammnis. Oder vielleicht freust du dich darüber, dass es jetzt gewissen Mitchristen mal ordentlich gegeben wurde, dass ihnen mal ganz un­geschminkt die Sünden vorgehalten werden. Dann bedenke: Wenn du den Splitter im Auge des Bruders wahrnimmst und den Balken im eigenen Auge übersiehst, dann hast du es um so nötiger, dich vom Heiligen Geist zur Buße rufen zu lassen. Dann stehst du in der Gefahr, der die Pharisäer zu Jesu Zeiten erlegen sind, in der Gefahr der Selbst­gerechtig­keit nämlich. Das Ende davon ist ebenso die ewige Verdammnis. Vielleicht aber lässt du dich vom Heiligen Geist willig zur Buße rufen, bist erschrocken und betroffen über deine Sünden. Dann lass dich jetzt durch den Heiligen Geist auch trösten, der dir Gottes Gnade bezeugt.

Das ist das Zweite: Der Heilige Geist bezeugt Gottes Gnade. Zwar können wir das so direkt in diesem biblischen Bericht nicht finden. Aber wir haben davon gehört, dass Gottes Geist auf Mose ruhte. Dieser Geist hat ihn nicht nur zur geistlichen Führung der Israeliten befähigt, sondern er hat ihm zuerst Gottes Gnade bezeugt. Gott hat diesem Mann von Anfang an deutlich gesagt, dass er ihn nicht im Stich lassen wird. Er hat diese Gnaden­zusage danach immer wieder bestätigt – gerade auch dann, wenn Mose es schwer hatte in seinem Amt. „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich“, hatte er einmal zu ihm gesagt (2. Mose 33,19). Von demselben Geist gab Gott im Verlauf dieser Geschichte hier den siebzig Ältesten etwas ab, die er Mose zur Entlastung zugesellt hatte – übrigens auch ein Erweis seiner Gnade, nämlich dass er Moses Hilferuf erhört hatte. So muss derselbe Geist auch den siebzig Ältesten Gottes Gnade bezeugt haben.

Zu Pfingsten erfüllte sich dann die Verheißung, die im Alten Testament bereits für die Zeit des Neuen Bundes vorausgesagt worden war: Der Geist ergoss sich nicht nur über einen geistlichen Führer, etwa Petrus, und auch nicht nur auf einige auserwählte Helfer, etwa die Apostel, sondern der Geist ergoss sich auf das gesamte Gottesvolk – auf alle, die Buße taten, der Predigt des Evangeliums glaubten und sich taufen ließen. So ist es bis heute in der christ­lichen Kirche geblieben: Der Heilige Geist ist nicht für einige wenige Führungs­persönlich­keiten reserviert, sondern er ergießt sich auf alle, die da glauben und getauft sind. Und allen bezeugt der Heilige Geist Gottes Gnade.

Das ist nun das aller­schönste und aller­köstlichste Zeugnis, das wir auf dieser Welt finden können. Der Heilige Geist bezeugt uns: Alle deine Sünden sind getilgt, all deine Schuld ist weggewischt durch das Blut Jesu Christi. All deine Begierde, all deine Un­zufrieden­heit, all deine Trägheit und Resignation sind ausgelöscht vor Gott. Du brauchst Gottes Zorn und Strafe nicht mehr zu fürchten; Gott sieht dich wie einen Gerechten und Heiligen an. Der Geist gibt Zeugnis: Du brauchst nicht nach dem Lustprinzip den Dingen dieser Welt hinterher­zurennen, denn mit Jesus zu leben ist jetzt schon die größte Lust. Der Geist gibt Zeugnis: Du hast keinen Grund, über mangelnde Versorgung zu klagen, denn der gute Hirte gibt dir alles, was du brauchst; das hat er ver­sprochen. Du kannst sagen: Mir wird nichts mangeln!

Vor allem aber über Gottes geistliche Himmels­speise, über Gottes Manna in Wort und Sakrament, kannst du vollkommen glücklich sein. Auch wenn wir diesen Schatz in „irdenen Gefäßen“ haben, auch wenn der Gottes­dienst äußerlich wenig attraktiv sein mag, auch wenn der Pastor nur mit un­beholfenen und schwachen Worten predigen kann: Gottes heiliges Wort und sein heiliges Sakrament sind wertvoller als die englischen Kronjuwelen im Tower; sie sind das Wert­vollste, was es auf Erden gibt. Auch wenn man ein Filetsteak vom Pappteller isst, bleibt es ein Filetsteak. Auch wenn Gottes Wort und Sakrament in armseligen Gottes­diensten zu dir kommt, bleibt es das geistliche Manna – nämlich die Speise, die dir den Glauben stärkt und dich zum ewigen Leben zurüstet. Trotzdem wollen wir uns Mühe geben, schöne und würdige und fröhliche Gottes­dienste zu feiern.

Der Geist gibt dir auch Zeugnis: Du brauchst nicht an deinem Leben zu verzweifeln wie die Israeliten, die weinend in ihren Zelten saßen und sich nach Ägypten zurück­sehnten. Du darfst mit allen Bitten getrost zu Gott kommen im Gebet, und du darfst von ihm alles Gute erwarten. Auch wenn dir alles zum Hals heraushängt und keine Besserung in Sicht ist: Gott hört dein Rufen und wird dich auch erhören, das hat er in seiner Gnade zugesagt.

Der Geist gibt dir schließlich Zeugnis: Du hast ein Ziel vor Augen, das Land Kanaan jenseits des Jordan, wo das Elend der Wüsten­wanderung ein Ende haben wird. Gottes Himmel wartet auf dich, und du darfst gewiss sein, dass du dorthin kommst, weil Jesus dich zu einem Himmels­erben gemacht hat. Wenn du nur treu an Jesus bleibst, kommst du dorthin.

Der Geist gibt also, fasst man alles zusammen, dieses Zeugnis: Du stehst nicht mehr unter Gottes Zorn, sondern um Jesu willen unter Gottes Gnade.

Schließlich rüstet uns der Heilige Geist drittens zum Lasten-Tragen zu. Wie er die eigenen Lasten tragen hilft, das ist ja eben schon deutlich geworden aus seinem Zeugnis der göttlichen Gnade. Aber er rüstet uns auch zu, die Lasten anderer zu tragen. Dazu hatte er ja auch Mose zugerüstet. In der Ver­kündigung, im machtvollen Predigen des heiligen Gottes­willens, und in der Fürbitte, im inständigen Flehen für das Heil des Volkes, trug Mose die schwere Last seines Amtes. Und als er sie nicht mehr tragen konnte, als er lieber sterben wollte, anstatt sie allein weiter­zutragen, da setzte Gott die siebzig Ältesten ein, die ihm tragen halfen.

Wie schön ist es, dass in der christ­lichen Kirche alle diesen Geist empfangen haben, der zum Lasten-Tragen zurüstet. Sicher sind da Menschen, die aufgrund ihres Amtes besonders die Last anderer tragen müssen, die Pastoren und Kirchen­vorsteher zum Beispiel. Aber grund­sätzlich ist es so, dass alle Glieder am Leib Christi gegenseitig ihre Lasten tragen, so wie es im Galater­brief heißt: „Einer trage des andern Last!“ (Gal. 6,2). Damit sind gar nicht so sehr allgemein menschliche Kümmernisse und Lasten gemeint, sondern geistliche Lasten. Der Galater­brief nennt in diesem Zusammen­hang aus­drücklich die Last, dass ein Bruder in Sünde fällt und nicht allein zur Buße findet: Da soll dann einer des andern Last tragen. Da soll dann einer den andern mit Gottes Wort mahnen, wie Mose die Israeliten gemahnt hat, und da soll einer für den andern im Gebet flehen, wie Mose für die Israeliten im Gebet gefleht hat.

Liebe Brüder und Schwestern, lasst auch ihr euch immer wieder zurüsten zu solchem Lasten-Tragen! Helft mir in meinem Amt, die Sünder zur Buße zu rufen – die Gemeinde­glieder, die Gottes Einladung zu Wort und Sakrament aus­schlagen, und die Gemeinde­glieder, die in Streit und Lieb­losigkeit verstrickt sind, und die Gemeinde­glieder, die sich in Un­zufrieden­heit und Klagen verrannt haben. Lasst uns ihre Last abnehmen! Lasst uns Fürbitte tun für Patenkinder und Verwandte, für Nachbarn und Mit­konfirman­den! Lasst uns zu ihnen hingehen, in Liebe und Ernst mit ihnen reden, im Gebet um ihre Seele ringen!

Heute wollen wir dafür vor allem um den Heiligen Geist bitten. Komm, Heiliger Geist!, wollen wir rufen. Und wir wollen fest darauf vertrauen: Er wird kommen, wird uns zur Buße rufen, wird uns Gottes Gnade bezeugen und wird uns zum Lasten-Tragen zurüsten. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1989.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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