Nicht mehr unter König Sünde

Predigt über Römer 6,12‑14 zum Sonntag Invokavit

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

In den letzten Jahren sind viele Menschen in unser Land gekommen, um hier sesshaft zu werden. Die meisten von ihnen kamen aus Staaten, in denen nicht die politische Freiheit herrscht, die wir kennen, und auch nicht der Wohlstand. Spät­aussiedler, Asyl­bewerber und andere brauchen Zeit, um sich an unsere gesell­schaft­lichen und wirtschaft­lichen Verhält­nisse zu gewöhnen; einige müssen sich radikal umgewöhnen von dem System, unter dem sie bisher lebten, zu unserem System. Vielleicht wissen einige von euch aus eigener Erfahrung, was das bedeutet. Wer zum Beispiel früher vor Spitzeln und Geheim­diensten auf der Hut sein musste, der bringt es nicht plötzlich fertig, nun einfach frech und frei seine Meinung zu äußern. Oder nehmen wir das Thema Einkaufen: Wer aus einem armen Land stammt, kaufte früher immer, was er kriegen konnte, und war froh, dass es überhaupt etwas gab. Hamster­käufe waren da etwas völlig Normales. Hier bei uns muss er sich nun zusammen­nehmen, damit er nicht hoffnungs­los über seine Verhält­nisse lebt bei all den sogenannten „einmaligen Gelegen­heiten“, die die Werbung ihm ständig anbietet. Wenn ich das bei jemandem erleben würde, mit dem ich befreundet bin, dann würde ich ihm vielleicht den Rat geben: Benimm dich doch nicht so, als ob du noch in deiner alten Heimat lebst!

Benimm dich doch nicht so, als ob du noch in deiner alten Heimat lebst – diesen Ratschlag gibt auch der Apostel Paulus uns Christen, denn auch wir sind sozusagen Umsiedler. Wir kommen aus dem Herrschafts­bereich der Unfreiheit und wohnen nun in einem freien Land. Der tyrannische König im alten Herrschafts­bereich heißt Sünde, und sein Regierungs­programm heißt Verführung und Tod. Der König, dem wir jetzt unter­stehen, heißt Jesus Christus; sein Land ist das Reich Gottes. Christi Parole lautet: Liebe und Leben – ewiges Leben! Benimm dich doch nicht so, als ob du noch in deiner alten Heimat lebst, rät Paulus, als ob du noch unter dem König Sünde lebst! Wörtlich schrieb er an die Römer: „Lasst nun die Sünde nicht herrschen (genau übersetzt: nicht König sein) in eurem sterblichen Leibe, und leistet seinen Begierden keinen Gehorsam. Auch gebt nicht der Sünde eure Glieder hin als Waffen der Un­gerechtig­keit.“ Er meint damit: Leistet doch nicht mehr eurem alten König Wehr- und Waffen­dienst – diesem Tyrannen, dem ihr entkommen seid – , sondern dient vielmehr dem neuen König in dem Reich, wo ihr jetzt seid und hingehört! Paulus schreibt: „Gebt euch selbst Gott hin, als solche, die tot waren (nämlich geistlich tot, also ohne Christus) und nun lebendig sind, und gebt eure Glieder Gott als Waffen der Gerechtig­keit. Denn die Sünde wird nicht herrschen können über euch.“ Jawohl, Recht hast du, Paulus: König Sünde ist nicht mehr unser König, er hat keine Macht mehr über uns, denn wir unterstehen jetzt Gott dem Herrn und dem König Jesus Christus. Und dann begründet Paulus noch weiter: „… weil ihr nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade.“ Gottes Gesetz zeigt uns zwar, wie wir leben sollen, aber es zeigt uns dabei zugleich, wie wir nicht leben können. Gottes Gesetz verurteilt den Sünder schließlich zum Tode; es ist das Todesurteil für alle Untertanen des Königs Sünde. Wir aber sind aus­gesiedelt aus diesem Reich und stehen nicht mehr unter dem Todesurteil des Gesetzes, weil wir nun Untertanen des Königs Jesus Christus sind. Bei Christus herrscht vielmehr Gnade, die Vergebung der Sünden. Bei Christus sind die Sünden einfach weg, getilgt vom König selbst, aus lauter Liebe und Gnade. Wo aber die Sünde vergeben ist, da kann das Gesetz nicht mehr sein Todesurteil sprechen. Wo aber das Gesetz sein Todesurteil nicht mehr spricht, da ist ewiges Leben.

Benimm dich doch nicht so, als ob du noch in deiner alten Heimat lebst, ruft uns der Apostel Paulus zu. Wir sollen uns nicht so verhalten, als lebten wir noch unter König Sünde. Wir sollen uns daran gewöhnen, dass Christus unser König ist. Und dazu gehört eben auch, dass wir unsern Leib und dessen Glieder nicht in den Dienst des Königs Sünde stellen, sondern in den Dienst des Königs Jesus Christus. Was bedeutet das im praktischen Leben? Es ist unmöglich, das mit allen Kon­sequenzen in einer einzigen Predigt aus­zuführen. Darum möchte ich jetzt nur Beispiele aus drei Bereichen nennen, was es bedeutet. Erster Bereich: Essen und Trinken; zweiter Bereich: Sexualität, dritter Bereich: unsere Selbst­darstellung vor anderen Menschen.

Bereich eins: Essen und Trinken. „Lasst die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, und leistet seinen Begierden keinen Gehorsam“, schreibt Paulus. Diese Begierde kennen wir: Dass wir nicht aufhören können, wenn es gut schmeckt. Dass wir Dinge essen, von denen wir genau wissen, dass sie der Gesundheit schaden. Dass wir Genussmitteln im Übermaß zusprechen, dem Alkohol zum Beispiel oder dem Kaffee. Wohl­bemerkt: Ich meine durchaus, dass man sich an Gottes guten Gaben auf dem Tisch von Herzen freuen kann. Aber das Übermaß oder eine einseitige ungesunde Ernährung sind schlecht, das lehrt uns ja schon der gesunde Menschen­verstand, und das wird uns ja auch von Fachleuten deutlich gesagt. Desto mehr sollten wir geistlichen Umsiedler uns nicht von einer un­gezügelten Ess- und Trinklust beherrschen lassen, denn wir leben ja nicht mehr unter König Sünde. Bei dem gilt die Devise: Genuss sofort!, und die Reue kommt dann hinterher. Wir leben jetzt unter dem König Jesus Christus. Da wird uns nichts mangeln. Da verzichten wir gern auf Genüsse, die uns schlecht bekommen. König Christus hat es am eigenen Leibe gezeigt, dass Verzichten Gewinn sein kann: Er hat vierzig Tage lang in der Wüste gefastet. Da kam der Teufel und wollte ihn überreden, aus Steinen Brot zu machen. Jesus widerstand der Versuchung – und zeigte uns damit: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sonden von Gottes Wort“ (Matth. 4,4). Jesus, das Fleisch gewordene Wort, ist das Brot des Lebens und die rechte Seelen­speise, die uns fit macht zum ewigen Leben. Wenn wir dieses Lebensbrot haben, dann haben wir den zweifel­haften Genuss des Fressens und Saufens nicht nötig, wie Paulus ein paar Kapitel später schreibt: „Lasst uns nicht in Fressen und Saufen leben“ (Römer 13,13). Wir können mit einer maßvollen Ernährung zufrieden sein, im Notfall auch mal ohne Sorge Mangel leiden, weil unser König uns zuruft: „Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet“ (Matth. 6,25). Wir nehmen das, was er uns beschert und was für uns gut ist, mit fröhlichem Tischgebet und Danksagung aus seiner Hand.

Bereich zwei: die Sexualität. „Lasst die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, und leistet seinen Begierden keinen Gehorsam“, schreibt Paulus. Diese Begierde erfahren vor allem junge Leute besonders stark – die Begierde des Geschlechts­triebs. Die Sexualität ist eine gute Gabe Gottes – da, wo sie hingehört: in der Ehe. Wird sie aber außerhalb der Ehe miss­braucht, sind Ent­täuschun­gen, Zerrütungen und kaputte Seelen vor­program­miert. Sex außerhalb der Ehe ist lebens­feindlich, ist Sünde. Wir geistlichen Umsiedler sollten uns nicht von unserm Geschlechts­trieb beherrschen lassen, wir leben ja nicht mehr unter König Sünde. Bei dem gilt die Devise: Genuss sofort!, und die Reue kommt dann hinterher. Wir leben jetzt unter dem König Jesus Christus. Da wird uns nichts mangeln. Da können junge Leute warten, bis Gott ihnen die Richtige oder den Richtigen schickt. König Christus hat am eigenen Leibe gezeigt, dass Verzichten Gewinn sein kann. Er hat sich sogar ganz der Sexualität enthalten, wiewohl auch er einen Geschlechts­trieb hatte – er ist ja wahrer Mensch, ganz und gar. So dürfen auch ledige Menschen wissen: Unter dem König Jesus Christus kann auch ein eheloses Leben ohne Sexualität ein erfülltes Leben sein. Und die Freude, in seinem Reich zu leben, übersteigt sowieso jede irdische Lust. Tun wir doch nicht so, als würden wir noch drüben leben, unter König Sünde, wie Paulus ein paar Kapitel später schreibt: „Lasst uns nicht leben in Unzucht und Aus­schweifung“ (Römer 13,13). Wir können getrost so leben, wie es der König Christus einem jeden von uns bescheidet: Geduldig im Warten und in der Vorfreude auf die Ehe, oder dankbar unter dem wunderbaren Geschenk der Zweisam­keit, solange sie einem geschenkt ist, oder getrost im Verzicht auf Ehe und Sexualität in der un­aussprech­lich viel größeren Freude seines Reiches.

Bereich drei: unsere Selbst­darstellung vor anderen Menschen. „Lasst die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, und leistet seinen Begierden keinen Gehorsam“, schreibt Paulus. Diese Begierde kennen alle Menschen: Dass man von anderen gern anerkannt und bewundert wird. Dass man ein bisschen besser dastehen möchte als der Durch­schnitt. Wir verstehen es vor­trefflich, uns in ganz normalen Unter­haltungen in Szene zu setzen. Wir reden gern über uns selbst und machen uns dabei zu kleinen Helden. Wir sprechen abfällig von anderen, um zu zeigen: Seht her, so bin ich nicht. Wir kämpfen um Sieg, Ruhm und Ehre – im Sportverein oder bei anderen Hobbys. Und wir merken nicht, dass wir uns damit eigentlich nur schaden. Denn in dem Maß, wie wir uns selbst erhöhen, bleiben die andern Menschen zurück, und wir werden einsam. Das muss nicht so sein, denn wir leben doch nicht mehr unter König Sünde. Bei dem gilt die Devise: Sei doch nicht so bescheiden, sondern behaupte dich! Doch die Reue kommt dann hinterher. Wir leben unter dem König Jesus Christus. Da wird uns nichts mangeln. Auch dann nicht, wenn wir geringer scheinen als andere, ärmer, ein­fältiger, schwächer, hilfloser. König Christus hat mit seinem ganzen Leben gezeigt, dass auch hier verzichten Gewinn sein kann. Er hat in den Erdentagen seine Gottheit an den Nagel gehängt und ist ein Knecht geworden – einer, der dient, statt zu herrschen. Er hat sich selbst entäußert. Er hat es sich gefallen lassen, dass er zum Ärgernis und zum Gespött der Mehrheit wurde. Er hat sich nicht lautstark gerecht­fertigt, als man ihn be­schuldigte. Er hat ge­schwiegen, wiewohl er im Recht war. Jesus, der Herr und König, wurde ein Knecht, und gerade so errang er den Sieg und das Leben – für uns alle, die wir nun unter seinem Königtum leben dürfen. Ja, durch seine Niedrigkeit und sein Opfer sind wir frei geworden von der Tyrannei der Sünde. Unter König Christus sind wir nun selbst Könige und Priester. Ja, als solche sind wir aus der Taufe gekommen, so bezeugt es die Bibel. Was könnten wir denn Größeres darstellen? Was könnten wir denn für eine höhere Position errreichen als die, Gottes geliebte Kinder zu sein? Wir haben es doch überhaupt nicht nötig, uns vor anderen Menschen krampfhaft als groß dar­zustellen. Tun wir doch nicht so, als lebten wir noch unter König Sünde, wo nur der Angeber etwas gilt. Im Reich des Königs Christus gilt: Demut ist Stärke, Sanftmut ist Mut, Liebe ist Macht, Bescheiden­heit ist Reichtum.

Wir haben uns an drei Beispielen vor Augen geführt, was es heißt, das Verhalten unter König Sünde abzulegen und ernst damit zu machen, dass wir unter König Christus leben. Diese Sichtweise, die Gott uns durch den Apostel Paulus schenkt, beantwortet eine wichtige Frage. Es ist die Frage: Heißt Christsein nach den Geboten leben und die Sünde meiden, oder heißt Christsein von Gott angenommen sein, wie man ist, trotz seiner Sünde? Die Antwort überwindet die Frage. Sie lautet: Jesus Christus nimmt uns an, wie wir sind, aber er lässt uns nicht so. Er führt uns aus dem Reich des Königs Sünde in sein ewiges Reich, wo Gnade und Vergebung und Heil und Leben herrschen. Hier hilft er uns, nach und nach die falschen Verhaltens­weisen aus dem Reich des Königs Sünde abzulegen und unsern Leib in seinen Dienst zu stellen. Hier hilft er uns, nach und nach den guten Rat zu befolgen: Benimm dich doch nicht so, als ob du noch in deiner alten Heimat lebst! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1989.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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