Ein Gotteshaus

Predigt über Jesaja 66,1‑2 zum Kirchweihfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Viele schöne Er­innerun­gen verbinde ich mit diesem Kirch­grundstück und mit diesem Gotteshaus. Im Gemeinde­haus nebenan habe ich meinen Kon­firmanden­unterricht erhalten, in der alten Kapelle bin ich konfirmiert worden, und an diesem Altar hier bin ich zum Hirtenamt ordiniert worden. Ja, es sind schöne Er­innerun­gen, die mich mit diesem Gotteshaus verbinden, und so freue ich mich heute ganz besonders mit euch, dass ihr so eine schöne Kirche habt. Es ist gut, ein solches Gotteshaus zu bauen, wie es hier vor l6 Jahren geschah, und es ist gut, dieses Gotteshaus mit Sorgfalt und Liebe zu pflegen und zu schmücken.

Aber – und jetzt erschreckt bitte nicht! – es ist nicht nur etwas Gutes, sondern es ist auch etwas Gefähr­liches. Es ist gefährlich, wenn Menschen ein Gotteshaus bauen. Ich denke dabei nicht in erster Linie an die äußeren Risiken, etwa an die Gefahren einer Baustelle. Die gibt es ja auch: Ich erinnere mich noch, wie beim Bau dieser Kirche ein Baukran zusammen­brach; der Ausleger krachte auf die Grundmauern und knickte ab wie ein Stück Draht. Gott hatte damals seine Hand schützend über die Bauarbeiter gehalten, sodass niemand verletzt wurde. Aber solche äußeren Gefahren meine ich jetzt nicht, wenn ich sage: Es ist gefährlich, wenn Menschen ein Gotteshaus bauen, pflegen und aus­schmücken. Ich meine vielmehr eine geistliche Gefahr – nämlich dass man dabei sagt oder denkt: Gott, wir bauen jetzt ein schönes Haus für dich, eine würdige Unterkunft; wir machen es dir hier recht schön, damit du dich bei uns niederlässt und uns mit Wohlergehen segnest. Es ist gefährlich zu meinen, man könne Gott mit einer schönen Kirche gnädig stimmen, man habe ihn dann sozusagen im Kasten, und der Segen sei dann garantiert.

Wisst ihr, was Gott darauf antwortet? Es sind die Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja, die wir eben gehört haben: „Der Himmel ist mein Thron, und die Erde der Schemel meiner Füße! Was ist denn das für ein Haus, das ihr mir bauen könntet, oder welches ist die Stätte, da ich ruhen sollte?“ Ja, das ist schon eine lächerliche Vor­stellung, dass wir Menschen für Gott ein Haus bauen könnten! Ist doch die ganze Erde nur sozusagen sein Fußschemel (wie ich es früher hier oft im Kirchenchor mitgesungen habe: „Freuet euch der schönen Erde“ – „und doch ist sie seiner Füße reich ge­schmückter Schemel nur“). Ja, die ganze Erde ist nur Gottes Fußschemel, und so ein Kirchlein ist dann nur ein winziges Molekül in diesem Schemel. Wie könnten wir Menschen Gott ein Haus bauen? Das ist unmöglich!

Und dennoch schleicht sich bei uns ganz schnell dieser gefährliche Gedanke ein: Gott, wir bauen dir etwas Schönes, und dann wirst du uns ja wohl auch segnen zur Belohnung. Dieser Gedanke ist falsche Religion und Heidentum. Der Apostel Paulus hat diese falsche Haltung den Heiden in Athen einst vorgehalten in der bekannten Areopag-Rede. Er hat ihnen gesagt: „Gott wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selbst jedermann Leben und Odem und alles gibt“ (Apostelgesch. 17,24‑25). Nein, dieser gefährliche Gedanke, wir könnten für Gott etwas tun, ist ganz abwegig.

Darum wollen wir dieses Gotteshaus jetzt einmal ganz anders betrachten. Wir wollen mal so tun, als wäre diese Kirche gar nicht von Menschen gebaut worden. Wir wollen mal so tun, als würde sie nicht von Menschen gepflegt und geschmückt werden. Wir wollen mal so tun, als würden nicht Menschen das alles finanziert haben. Wir wollen dieses Gotteshaus einmal so ansehen, dass Gott selbst es gebaut hat, dass er selbst es pflegt und schmückt. Die Heilige Schrift gibt uns ein gutes Recht, die Sache so zu sehen. In dem Jesajawort sagt Gott: „Meine Hand hat alles gemacht, was da ist“ – alles, also auch diese Kirche! Dass Gott sich dazu der Menschen­hände bedient hat, ist gar nicht wichtig; er selbst hat ja den Menschen Kraft, Geschick, Gesundheit und die finanziel­len Mittel dazu gegeben, dass sie dieses Werk ausführen konnten. Also: Gott selbst hat diese Kirche gebaut, er ganz allein! Der himmlische Vater ist hier Bauherr und Hausherr.

Aber nun die Frage: Warum hat Gott dieses Haus gebaut? Die Antwort darauf findet sich ebenfalls in dem Jesajawort: „Ich sehe auf den Elenden und auf den, der zer­brochenen Geistes ist und der erzittert vor meinem Wort.“ Gott sieht uns Menschen an. Er sieht gnädig auf uns herab. Gott beugt sich herab zum Schemel seiner Füße, zur Erde, und erbarmt sich über uns Menschen. Gott beugt sich auch an diesem Ort herab zu den Elenden – zu denen mit zer­brochenem Geist und zu denen, die vor dem Wort seiner Gebote erzittern. Genau darum hat er diese Kirche gebaut. Gott hat am Schemel seiner Füße hier an diesem Ort eine Zweig­stelle, eine Außenstelle ein­gerichtet, wo die Elenden Zuflucht und Gnade finden sollen. Ja, denn auch hier gibt es viele Elende, selbst wenn die Häuser und Gärten in der Nachbar­schaft der Kirche nicht unbedingt diesen Anschein erwecken. Es gibt in jedem Haus ent­täuschte, zweifelnde, ver­zweifelte, sorgen‑ und schuld­beladene Menschen. Und wer seinem Herzen nicht die Maske der Heiterkeit aufsetzt oder die Maske der Selbst­diziplin, der wird da in sich selbst ebenfalls so einen Elenden finden – einen mit zer­brochenem Geist, einen, der sich in den Stürmen der Welt nach Gottes Nähe sehnt und nach Geborgen­heit. Gerade das will Gott dir schenken – gerade hier in diesem Gotteshaus. Es ist sein Haus, das er für dich gebaut hat.

Es sind seine Glocken, die dich zum Gottes­dienst rufen. Zwar klingen sie nicht so volltönend wie das Geläut des Kölner Doms, sie machen eher „bim – bim“. Aber mit diesem Bimbim ruft Gott selbst, lockt und lädt ein in seine Kirche, zu seinem Gottes­dienst. Er ruft uns aus unserem Alltag mit all seinen Sorgen und Ent­täuschun­gen. Er ruft die Mühseligen und Beladenen: Bimbim, kommt her, kommt her, hört das schöne Evangelium von Jesus Christus! Ich nehme euch so an, wie ihr seid. Ich gebe euch hier neue Freude und neuen Mut für euer Leben. Ich schenke euch hier das ewige Leben und stärke euch den Glauben. Kommt nur!

Es ist Gottes Taufstein, an dem schon viele Menschen zu Gottes­kindern geworden sind. Aber egal ob wir hier oder anderswo getauft worden sind, mit diesem Taufstein bezeugt uns Gott jedesmal, wenn wir ihn sehen: Du bist getauft. Gottes Bund und Zusage stehen ganz fest: Du hast das ewige Leben. Denn nicht wir sind es ja, die wir uns das ewige Leben erarbeiten oder erglauben müssen, sondern am Taufstein kam uns Gottes Gnade zuvor. Und wenn dir im Blick auf deinen Lebensweg fraglich wird, ob Gott denn wirklich gnädig ist und hilft, dann sieh auf Gottes Taufstein und suche da Gewissheit für deinen Glauben. Denn dass du getauft bist, das steht fest, und ebenso fest steht Gottes Verheißung: „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden“ (Markus 16,16).

Es ist Gottes Lesepult und es ist Gottes Kanzel, von denen sein heiliges Wort verkündigt wird. Hier redet er zu dir und tröstet dich mit seinem Evangelium – mit der frohen Botschaft, dass dir um Jesu willen alle Schuld vergeben ist. Aber es ist nicht ein Trost im land­läufigen Sinne, sodass du dich einfach nur ein wenig besser fühlst, wenn du das Wort gehört hast. Nein, Gottes Wort kann ja viel mehr: Gottes Wort hat die ganze Welt ins Leben gerufen, und Gottes Wort macht Tote lebendig. Dieses göttliche Wort, das du hier Sonntag für Sonntag hören kannst, macht, dass du ewig lebst! Mit so einem gewaltigen Wort, mit so gewaltigen Gaben neigt sich Gott herab zum Schemel seiner Füße und begegnet dir hier in seinem Haus.

Es ist Gottes Altar, an den du treten darfst. Der Herr ist der Gastgeber im Heiligen Abendmahl, und er reicht sich dabei selbst zur Speise; es ist der Leib und das Blut des Gottes­lammes Jesus Christus, was du hier empfängst. Weißt du eigentlich, was für eine große Gabe das ist? Vielleicht machst du dir Sorgen um das tägliche Brot wie viele andere auch, vielleicht fragst du dich manchmal, wieviele Umweltgifte oder schädliche Strahlung du mit deiner Nahrung zu dir nimmst. Hier, an Gottes Altar und bei Gottes Speise, darfst du gewiss sein: Das ist nicht schädlich oder tödlich für dich, sondern eine Nahrung, die dich zum ewigen Leben kräftig macht.

Es ist schließlich Gottes Orgel, die hier erklingt, und es sind seine Lieder, die hier gesungen und musiziert werden. Auch durch sie will der Herr dir mit seinem Wort begegnen, will dir das Evangelium von Jesus Christus ins Herz singen.

Ja, nun haben wir uns ein wenig in diesem Gotteshaus umgesehen und alles mit der Anschauung betrachtet, dass es von Gott kommt. Damit haben wir uns zugleich bewusst gemacht, was das Wichtigste beim Gottes­dienst ist. Im Kon­firmanden­unterricht fragte damals mein Pastor: Wer dient wem im Gottes­dienst? Dann machte er uns klar: In erster Linie dient Gott uns Menschen mit seinem Wort und Sakrament.

Heißt das nun, dass wir Gott gar keinen Gefallen tun können? Ist es denn wirklich nur gefährlich, etwas für ihn tun zu wollen? Müssen wir denn wirklich ganz passiv sein? Nein, wir können Gott einen Gefallen tun, einen ganz großen sogar. Gott freut sich über nichts mehr, als wenn wir uns von ihm hier bedienen lassen im Gotteshaus. Gott freut sich, wenn jedes Gemeinde­glied sich Sonntag für Sonntag von Gott einladen lässt und mit andächtigem Herzen hierher kommt. Gott freut sich, wenn Menschen sich hier von ihren Sünden lossagen und den Zuspruch der Vergebung empfangen. Gott freut sich, wenn an diesem Taufstein viele Menschen getauft werden und wenn sich um diesen Altär stets viele Gäste scharen, um den Leib und das Blut Christi zu empfangen. Gott freut sich, wenn die Gemeinde­glieder dann, so gestärkt, in ihrem Alltag aus dieser Kraft heilig leben. Ja, dann freut sich Gott auch über jedes Dankopfer, über jedes Loblied, über jeden Dienst in seinem und an seinem Haus: Wenn es eine Frucht des Glaubens ist, wenn es aus der empfangenen Gnade fließt, wenn es unsere Antwort auf sein Wort ist.

Darum lasst uns dieses Gotteshaus so ansehen: In erster Linie ist es ein Haus, wo Gott uns Menschen dient. In zweiter Linie ist es ein Haus, wo diejenigen, die sich von Gott hier dienen lassen, ein klein wenig ihren Dank und ihre Liebe abstatten können – nicht zuletzt auch dadurch, dass sie dieses Haus in Ehren halten, dass sie es mit Sorgfalt pflegen und mit Liebe schmücken. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1989.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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