Siehe, dein König kommt zu dir

Predigt über Sacharja 9,9 zum 1. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Bibel ist kein Buch, das man wie einen Roman von Anfang bis Ende durchliest, und dann weiß man über den Inhalt Bescheid. Die Bibel ist auch kein Nach­schlage­werk, in das man eben mal hinein­schaut, um auf diese oder jene Frage Antwort zu erhalten. Nein, die Bibel ist Gottes Wort. Und mit Gottes Wort muss man leben, sonst wird es einem ver­schlossen bleiben. Gottes Wort will unser geistliches „täglich Brot“ sein. An der Heiligen Schrift sollen wir Wort für Wort herum­buchsta­bieren wie ABC-Schützen an ihrer Fibel, dann wird sie sich wie eine Schatztruhe öffnen. Lasst uns darum heute Wort für Wort am Wochen­spruch der ersten Advents­woche herum­buchsta­bieren: „Siehe, dein König kommt zu dir.“

Achtung! Aufgepasst! Schaut her! Hört her! Das ungefähr bedeutet das Wort „siehe“. Etwa 200-mal taucht es in der Bibel auf. Auch dieses Wörtchen ist ein Wort aus Gottes Mund, mit Bedacht geredet. Es heißt eben nicht nur einfach: „Dein König kommt!“, sondern: „Siehe! Achtung! Schau her! Pass auf ! Dein König kommt zu dir!“Die ganze Adventszeit ist so ein Siehe, denn sie will unsere Aufmerksam­keit auf den kommenden König lenken. Jeder Gottes­dienst ist so ein Siehe, denn da wird der kommende König verkündigt, und er kommt auch wirklich zu uns in Wort und Sakrament. Ja, täglich sollte es in unserem Leben so ein Siehe geben: Achtung! Aufgepasst! Leg deine Arbeit beiseite! Stell das Radio oder den Fernseher ab! Sammle deine Gedanken! Lies in der Bibel, bedenke die Worte! Siehe, dein König kommt zu dir und will jetzt mit dir reden. Da solltest du schon mit ganzer Aufmerksam­keit dabei sein.

Mit „dein“ geht es weiter. Es kommt nicht irgendein König. Es kommt nicht ein König, mit dem du nichts zu tun hast. Nein, es kommt dein König. Du brauchst nicht zu befürchten, dass er nicht ganz für dich da ist, weil er sich noch um andere kümmern muss. Er ist allezeit für dich da, jederzeit für dich zu sprechen. In der Taufe hat er zu dir gesagt: „Du bist mein“, und dazu steht er – heute und in Ewigkeit. Ist das nicht wunderbar? Der Herrscher des Himmels, der König aller Könige, ist keine unnahbare Majestät, sondern er neigt sich liebevoll zu dir herab und sagt zu dir „mein Bruder“ und „meine Schwester“. Du aber darfst zu ihm sagen: „mein König, mein Herr, mein Gott“. Dieses kleine Wörtchen „dein“ gibt dir die Berechti­gung dazu: „Dein König kommt zu dir.“

Sehen wir nun auf das Wort „König“. Heute sind Könige oft nur noch Visiten­karten ihrer Nationen, zur Zeit Sacharjas aber und auch zur Zeit Jesu hatten sie nahezu unbegrenzte Macht in ihrem Reich. Wenn Christus hier „König“ genannt wird und weiter unten ein „König über alle Völker“, dann zeigt sich daran: Er hat alle Macht im Himmel und auf Erden, er ist allmächtig. Seine Gesetze haben oberste Autorität; sein Gericht steht über den höchsten Gerichts­höfen dieser Welt; seine Feinde müssen ihm alle unterliegen – auch der ärgste Feind, der Satan. Über­raschend ist nun, wie dieser König – dein König – seine Herrschaft darstellt und ausübt. Er macht es nämlich ganz anders als die Mächtigen dieser Welt: Er kommt in Armut und Niedrig­keit. Er stellt sich auf dieselbe Stufe wie die Ärmsten und Ver­achtetsten seiner Zeit. Er kommt nicht mit prächtigen Pferden und Kriegswagen daher wie andere Könige, sondern mit einem schäbigen Esel, mit dem Lasttier des einfachen Mannes. Käme er heute, so käme er nicht im schwarzen Mercedes mit getönten Scheiben, sondern in einem halb verrosteten Kleinwagen. Was für ein König! Und das ist noch nicht einmal der Gipfel. Er ist ein richtiger Anti-König: Er lässt sich verspotten, eine Dornkrone aufsetzen, ohne Widerrede ver­urteilen, foltern, ans Kreuz schlagen und sich töten. Er lässt sich das alles gefallen, ohne sich zu wehren. Über dem allen steht: Jesus Christus, der Juden König. Ja, das ist dein König, ein rechter Anti-König. Das ist der Sieg des Kreuzes und das ist die Herrschaft des Dienens, die aller mensch­lichen Herrschaft bis zum heutigen Tag Hohn spricht. Hier steht die Weltordnung Kopf; hier siegt nicht der Starke, sondern der, der freiwillig schwach geworden ist. Diese sonderbare Herrschaft musst du begreifen, sonst wird dir dein König ein Rätsel bleiben. Nur so kommt wirklich Friede, durch diese sonderbare Herrschaft des Kreuzes. Alle Könige und alle Herrscher versprechen ja Frieden, aber wie zer­brechlich ist ihr Friede! Kennen wir das nicht zur Genüge, auch im kleinen zwischen­mensch­lichen Bereich? Wir denken, es wird Friede, wenn mal ordentlich durch­gegriffen wird und der Richtige eins auf den Deckel bekommt. Aber damit wird die Kette des Unfriedens meist nur verlängert, denn Druck erzeugt Gegendruck. Jesus schaffte Frieden, indem er nachgab, indem er litt, indem er ohnmächtig wurde. Er tat das Gute und litt willig das Böse, das man ihm antat.

Dieser König kommt also. „Kommt“ ist das nächste Wort, das wir betrachten. Pastoren und Lehrer haben es wohl oft genug wiederholt, sodass es inzwischen auch der Letzte weiß: Advent heißt „Ankunft“. Was bedeutet das aber nun: Der König „kommt“? Wieso kommt er denn immer in der Advents­zeit? Kommt er alle Jahre wieder vorbei? Oder ist das Wort „Ankunft“ nur eine verlegene Beteuerung, dass er ja doch wohl irgendwann mal kommt, aber eben immer noch nicht da ist? Nein, in dem Wort „kommt“ steckt vielmehr eine Bewegung drin – eine groß angelegte, Weltzeit-über­greifende Bewegung. Im alten Bundesvolk Israel wurde das Kommen des Königs bereits an­gekündigt, wie hier zum Beispiel durch den Propheten Sacharja. In mehr oder weniger dunklen Bildern deutete sich die wunderbare Herrschaft des Königs bereits an. Dann kam er als Kind zur Welt, klein und un­scheinbar. Die Bewegung ging weiter, Gott neigte sich in seinem Sohn Jesus Christus herab zu uns Menschen, brennend von Liebe. Dieses erste Kommen Christi in die Welt gipfelte am Kreuz; der Vorhang im Tempel riss entzwei und verkündete dadurch aller Welt, dass jedermann durch das Opfer des Gotteslamms freien Zugang zu Gott hat. Dann, nach Auf­erstehung und Himmel­fahrt, kommt der König in seine Kirche und Gemeinde, wo zwei oder drei oder mehr in seinem Namen versammelt sind. Er kam durch den Geist zu Pfingsten. Er kommt durch den Geist noch heute, durch sein Wort und sein Sakrament. Die Bewegung setzt sich fort. Die wunderbare Herrschaft des Königs wird für uns greifbar in Taufe, Beichte, Predigt und Abendmahl. Und die Bewegung zielt auf den Tag, wo der König mit großer Pracht wieder­kommen wird, mit den Wolken des Himmels, mit seinen Engel und mit Posaunen­schall, wenn alle Toten auferstehen werden, wenn alle Menschen vor den Welten­richter treten müssen. Ja, so kommt der König – er kam, er kommt heute, er wird wieder­kommen, er ist ein Kommender bis zum Ende der Welt.

Das Wunderbare ist nun: Er kommt zu dir. Die Bewegung gilt dir. Das alles tut Gott für dich, weil er dich so sehr liebt. Der König will dir dienen, will dich froh und glücklich sehen, will deinem Leben Sinn geben. Er kommt zu dir, wird in deinem Leben spürbar. Lass ihn kommen, verschließ nicht deine Tür vor dem König! Lass ihn kommen, höre auf das, was er dir zu sagen hat! Lass ihn kommen; durch deinen Mund kommt er mit seinem Leib und Blut, geht in dich ein. So wirst du mitgerissen in die Bewegung seines Kommens. Auch in deinem armen Leben bewegt sich dann etwas: Du wirst im Glauben gefestigt. Du wirst zum Tun des Guten zugerüstet. Dein Leben bekommt Sinn und Per­spektive. Du lebst mit der großartigen Hoffnung, mitzukommen in das Reich, in das er dir voran­gegangen ist. Dein König kommt zu dir!

Freilich musst du bedenken, dass dein König zwei Gesichter hat. Diese beiden Gesichter finden sich in den letzten beiden Wörtern unseres Satzes: „ein Gerechter und ein Helfer“. In der Kirchen­sprache nennen wir diese beiden Gesichter Gesetz und Evangelium. Ja, der König Jesus Christus ist ein Gerechter. Er selbst war ohne Sünde, hat alles richtig gemacht. Und er wird am Jüngsten Tag als gerechter Welten­richter auftreten und alle Menschen nach dem Maßstab von Gottes Gerechtig­keit richten – alle Menschen, gleich ob sie sich zu Lebzeiten darum gekümmert haben oder nicht. Wir müssen diesen König und seine Gerechtig­keit ernst nehmen. Wehe uns, wenn wir ihn Köning nennen, es aber mit seinen Geboten und mit seiner Gerechtig­keit nicht so genau nehmen. Wehe uns, wenn wir leicht­fertig mit Gottes Gesetz umgehen. Dann lügen wir nämlich, wenn wir uns Christen nennen, also Jünger Jesu, Anhänger des ewigen Königs. Wir sollten nicht zu schnell unsere Sünde mit seiner Liebe zudecken, sonst nehmen wir seine Gerechtig­keit nicht ernst. Dem reichen Jüngling zum Beispiel sagte der König: Wenn du selig werden willst, musst du dein ganzes Hab und Gut verkaufen und mir nachfolgen. Der Jüngling hing mit seinem Herzen mehr an seinem Gut als an Gott. Woran hängt dein Herz? Die Jünger mussten Boote und Netze, ihren Lebens­unterhalt, liegen lassen und mit Jesus mitziehen. Ist dir auch der Gehorsam dem König gegenüber wichtiger als dein Lebens­unterhalt und deine gesicherte Existenz? Der Ehe­brecherin sagte der König: „Sündige hinfort nicht mehr!“ (Joh. 8,11) Nimmst du es ganz ernst, wenn du in der Beichte Besserung ver­sprichst? Der König fordert von seinen Jüngern Selbst­verleugnung und Feindes­liebe. Mühst du dich darum, so zu leben, und bist du ganz fröhlich und getrost dabei, weil du weißt: Das ist der beste Weg? Der König ist ein Gerechter. Er duldet keine Konkurrenz, er duldet keine halbherzige Nachfolge, er will dich ganz in seinen Dienst nehmen. Er möchte nicht, dass diejenigen, die er so teuer erworben hat, in der Kirche ein Mindestmaß an religiöser Pflicht­übung absol­vieren, ohne dass ihr Herz vor Liebe brennt. Er möchte keine lauen Leute, sondern heiße Leute. Er ist ein Gerechter. Gibst du ihm die Ehre, die du ihm schuldig bist? Zugleich ist der Gerechte aber auch ein Helfer. Da klingt das süße Evangelium an. Er ist ein „Heiland“, können wir auch sagen. Und wenn wir das hebräische Wort verstünden, dann würden wir staunend fest­stellen: Das Wort „Helfer“ hat denselben Wortstamm wie der Name „Jesus“. Der Name „Jesus“ sagt nichts anderes als Retter, Helfer oder Heiland. Er hilft denen aus der Ver­urteilung am Jüngsten Tag heraus, die sich nach seiner Hilfe sehnen. Er hilft den schwachen, an­gefochtenen Seelen. Er hilft denen, die erkennen: Mein König, du bist gerecht, aber ich bin nicht so, wie ich sein sollte. Ich möchte, dass es besser wird. Sei mir Sünder gnädig. Ja, denen, die so bitten, hilft der König. Er hat ihnen schon geholfen, als er ohmächtig am Kreuz hing. Und denen ist dieser Satz aus dem Propheten­buch Sacharja die aller­köstlichste Musik – denen, die da glauben und getauft sind und ihren König Jesus Christus liebhaben: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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