Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Wie kann man in unserer Zeit das Reformationsfest feiern? Kann man einfach den Geburtstag des Luthertums mit Pauken und Trompeten begehen, wie man es früher tat? Muss man heute ein ökumenisches Fest daraus machen und herausstreichen, dass sich Lutheraner, Katholiken und andere Konfessionen offensichtlich wieder angenähert haben? Sollte man mit Rücksicht auf die Ökumene das Reformationsfest vielleicht lieber gar nicht mehr feiern?
Mit der Einheit der Kirche hat das Reformationsfest in der Tat viel zu tun. Dem Reformator Martin Luther ging es um nichts anderes, als die Kirche zur wahren Einheit zurückzuführen – zur Einheit mit den Aposteln und mit allen, die durch die Apostelpredigt zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben. Das ist ja der Herzenswunsch unseres Herrn Jesus Christus; so betete er zu seinem himmlischen Vater im Blick auf die Apostel und die ganze Christenheit: „Vater, ich bitte nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.“ Diese Worte unseres Heilands wollen wir uns zu Herzen nehmen und nach der wahren Einheit der Kirche fragen.
Es ist wunderbar, wie diese Worte das Wesen der Christenheit beschreiben. Da ist zuerst gesagt, wie Menschen zum Glauben kommen: durch das Wort der Apostel nämlich. Jesus betete: „Ich bitte für die, die durch ihr Wort (das Wort der Apostel) an mich glauben werden.“ Die Apostel gaben als Augenzeugen und als bevollmächtigte Boten Gottes gute Nachricht zuverlässig weiter. Darum heißt es im Epheserbrief von der Kirche, sie sei „erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist“ (Eph. 2,20). Im Neuen Testament wurden die Worte der Apostel aufgeschrieben, und so ist denn für uns heute die Bibel die Quelle des Glaubens. Wo das Wort der Bibel unverkürzt und unverfälscht verkündigt wird, da dürfen wir nach Jesu Worten hoffen, dass Menschen zum rechten Glauben an ihn kommen. Diejenigen, die durch das Apostelwort zum Glauben gekommen sind, bilden eine Einheit. Christus hat nicht vergeblich darum gebeten, „dass sie alle eins seien“, denn alle Christen, die den rechten Glauben haben, die glauben ja nicht an irgend etwas. Vielmehr glauben wir an Jesus, wie er uns durch die Heilige Schrift offenbart ist, und wir bekennen es mit denselben Worten im Glaubensbekenntnis. Von Anfang an hat die Kirche so geglaubt und bekannt, seit der Zeit der Apostel. Dieser Glaubensinhalt eint alle Christen. Er eint sie untereinander, aber er eint sie in erster Linie mit Gott. Denn wir glauben ja, dass wir durch Christus mit Gott versöhnt sind. Ja, wirklich: versöhnt. Wir sind nun Söhne Gottes, Kinder Gottes – seit der Taufe. Wir gehören so zu Gott wie sein eingeborener Sohn. Und auch das machen diese Worte unsers Herrn klar: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein.“
Liebe Gemeinde, diese Einheit besteht wirklich. Es ist die wahre Einheit der Kirche. Es ist eine geglaubte Einheit, denn sehen kann man sie nicht. Wir bekennen es jeden Sonntag, wenn wir sprechen: „Ich glaube an die eine heilige christliche Kirche.“ Im Urtext heißt es: „… an die eine heilige, katholische und apostolische Kirche.“ Ja, wir sind katholisch im eigentlichen Sinne des Wortes, denn katholisch heißt allumfassend. Wir bekennen uns mit diesen Worten zur Einheit aller Christusgläubigen in der ganzen Welt zu allen Zeiten. Wir bekennen uns dazu, dass sie die eine Kirche bilden, gegründet auf dem Wort der Apostel. Wir bekennen uns dazu, dass diese Kirche ein Leib ist, ein Organismus, mit dem Haupt Christus. Noch einmal: Das ist eine geglaubte Einheit, keine sichtbare, denn ich kann niemandem ins Herz sehen und feststellen, ob er den rechten Christusglauben hat, der ihn zu einem Glied dieser einen Kirche macht. Ich darf annehmen, dass ich die Glieder der einen Kirche auf allen Erdteilen finde ‚ in allen Ländern und Sprachgruppen, unter allen Rassen und in allen Kirchen und Konfessionen – überall dort also, wo das apostolische Wort gepredigt wird, das den Glauben schafft. Andererseits muss ich nach den Worten meines Heilands annehmen, dass nicht alle dazugehören, die „Herr, Herr!“ zu ihm sagen, auch nicht alle evangelischen Christen, auch nicht alle Lutheraner, auch nicht alle Glieder unserer Gemeinde, vielleicht auch nicht einmal alle, die hier in diesem Gottesdienst zusammensitzen. Die Einheit der Kirche ist unsichtbar, denn Gott allein kann den Menschen ins Herz sehen und erkennen, wer den rechten seligmachenden Glauben hat. Dennoch dürfen wir um diese Einheit wissen, dürfen sie glauben, sie bekennen und uns an ihr freuen.
Weil es eine Einheit ist, die Gott geschaffen hat, wissen wir auch, dass unsere menschlichen Grenzen sie nicht zerstören können, weder Ländergrenzen noch Sprachgrenzen noch Klassengrenzen noch Konfessionsgrenzen. Die Einheit ist einfach da. Freilich ist sie auch bedroht. Dabei meine ich nicht so sehr die Bedrohung von außen, etwa durch Verfolgung oder Atheismus. Nein, schlimmer ist die Bedrohung von innen. Diese Bedrohung besteht darin, dass das Wort der Apostel verfälscht wird. Wir haben ja eben an Jesu Wort gesehen, dass der Glaube durch das Apostelwort kommt und erhalten wird. Wenn nun dieses Apostelwort angetastet wird, dann besteht die Gefahr, dass kein rechter Glaube mehr geweckt wird. Und es besteht die Gefahr, dass Christen nicht mehr einheitlich bekennen und verkündigen, denn dann bestehen neben der einen Apostellehre abweichende Lehren. Diese Doppel- und Mehrzüngigkeit lähmt die Ausstrahlungskraft der Christen nach außen: Die Welt sieht, dass die Christen untereinander offenbar nicht eins sind, und fühlt sich desto weniger eingeladen. Dabei war es doch Jesu Herzenswunsch gewesen, dass die Einheit unter der Apostellehre bewahrt bliebe, damit, wie er betete, „die Welt glaube, dass du, Vater, mich gesandt hast“.
Ja, das ist die eine große, ernste und schlimme Bedrohung der Kirche: dass nicht mehr treu am Apostelwort der Bibel festgehalten wird – ohne Zusätze, ohne Abstriche, ohne ausgeklügelte Verdrehung des Inhalts. Diese Schwachstelle hat der Teufel erkannt und darum seine Partisanenkämpfer unter die Jünger Jesu gemischt, damit sie dort kräftig für Verwirrung sorgen. Im Neuen Testament werden wir immer wieder ganz nachdrücklich vor Satans Partisanenkämpfern gewarnt. Jesus selbst warnte vor „Wölfen in Schafskleidern“ und „falschen Propheten“. Sein Apostel Johannes warnte vor der Verführung der sogenannten „Antichristen“, die in der Gemeinde aufstehen. Und Paulus warnte vor den Irrlehrern, die „Zwietracht und Ärgernis anrichten entgegen der Lehre“ (Römer 16,17). Viele weitere Warnungen ließen sich nennen. Jesus wusste, dass diese Partisanenkämpfer des Teufels kommen würden, darum mahnte er zur Wachsamkeit. Seine Jünger sollten nicht blindlings jedem vertrauen, der im Namen Jesu irgend etwas sagte, sondern sie sollten die Geister prüfen.
Die Kirchengeschichte ist von einer Spur dieser Partisanenkämpfer des Teufels durchzogen. In den ersten Jahrhunderten nach Christus traten Leute auf, die behaupteten, Jesus sei nicht wirklich Gott gewesen, sondern nur ein besonderer Mensch. Große Konzilien wurden einberufen, die diesen Irrtum zurückwiesen und die Apostellehre bestätigten – dennoch taucht dieser Irrtum bis zum heutigen Tag in den Reihen der Christen auf. Im Mittelalter lehrten die Kirchenführer, ein Mensch müsse selbst etwas für seine Seligkeit tun und dürfe sich nicht einfach auf Gottes Barmherzigkeit verlassen. Das ging so weit, dass man Sündenvergebung für Geld verkaufte. Martin Luther wandte sich gegen diesen Irrtum und forderte, dass er aus der Kirche ausgemerzt werde – um der Einheit willen und der apostolischen Lehre. Leider wurden nicht die Irrlehrer ausgeschlossen, sondern Luther selbst. Seine Anhänger erhielten den Schimpfnamen „Lutheraner“. Dass daraus die Lutherische Kirche wurde, ist keine Freudenbotschaft, sondern ein notwendiges Übel, weil die römisch-katholische Kirche sich nicht zur Lehre der Apostel zurückführen ließ – weil sie sich nicht zurück-formieren, re-formieren ließ. Wir feiern also heute eigentlichen den traurigen Gedenktag einer gescheiterten Reformation. Bis heute taucht unter den Christen immer wieder der unapostolische Irrtum auf, man müsse sich durch eigene Leistung oder eigenen guten Willen von Gott die Seligkeit verdienen.
Noch zu Luthers Zeit tauchte eine andere gefährliche Abweichung von der Apostellehre auf. Der Theologe Zwingli behauptete, im Abendmahl seien nicht wirklich Leib und Blut Christi vorhanden. Luther beharrte mit den Worten der Apostel beim rechten Abendmahlsbekenntnis, auch wenn die menschliche Vernunft das nicht begreifen kann. Aber bis heute geistert die Irrlehre durch die Kirche, das Abendmahl sei ein bloßes Erinnerungsmahl, und was man da esse und trinke, sei nichts als Brot und Wein. Und dazu geistert manche neue Irrlehre durch die Gegenwart, manche moderne Abweichung von der Apostellehre, die die Kirche zweier Jahrtausende nicht gekannt hat. Da gibt es zum Beispiel Partisanenkämpfer des Teufels, die unter dem Schein der Frömmigkeit die leibhafte Auferstehung Jesu von den Toten leugnen. Oder da werden feministische Ideen in die Kirche getragen, und Pastorinnen werden ordiniert – gegen das klare Wort aus dem Neuen Testament: „Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre“ (1. Tim. 2,12). Das Apostelwort wird verdreht und missachtet, die eigene Meinung dagegen ganz groß geschrieben. Die Folge ist, dass die Kirche nach außen hin immer mehr zerteilt erscheint, weil neben dem einen Glauben und der einen apostolischen Lehre soundsoviele Irrlehren ein Hausrecht bekommen. Der schlimmste Angriff des Teufels besteht aber gegenwärtig darin, dass man sich mit der Vielfalt der Lehren zufrieden gibt und sie vielleicht sogar noch gut findet. Ja, der Teufel dreht heute den Spieß um. Da werden diejenigen, die treu am Apostelwort festhalten und Irrlehre ausschließen wollen, angegriffen: „Ihr verhindert die Einheit der Kirche, weil ihr so engstirnig seid, so dogmatisch! Ihr seid intolerant und lieblos gegen diejenigen, die eine andere Meinung haben!“ Man darf heute fast alles in der Kirche lehren und behaupten, nur dies nicht, dass jemand dem Apostelwort untreu geworden ist, Irrlehre verbreitet oder im Ungehorsam lebt.
Liebe Gemeinde, betrachten wir es doch einmal ganz nüchtern: Was hilft denn wirklich zur wahren Einheit der Kirche? Hilft es, dass sich alle, die sich Christen nennen, um den Hals fallen? Hilft es, dass man großartige ökumenische Gottesdienste veranstaltet und dabei vertuscht, dass man Verschiedenes bekennt? Nein, es hilft allein, wenn man immer wieder gewissenhaft fragt: Was sagt Gottes Wort, die Lehre Apostel in der Heiligen Schrift? Und wenn man dann Abweichungen feststellt, dann sollte man sie auch beim Namen nennen dürfen. Paulus sagte: „Nehmt euch in acht vor denen, die Zwietracht und Ärgernis anrichten entgegen der Lehre, die ihr gelernt habt, und wendet euch von ihnen ab!“ Das ist der rechte Beitrag zur wahren Ökumene, zur wahren Einheit der Kirche – also zu der Einheit, die Jesus sich vorgestellt hat, als er betete: „Ich bitte, dass sie alle eins seien.“ Lasst auch uns für diese Einheit beten, lasst uns über diese Einheit wachen und alles Unapostolische von uns weisen. Und lasst uns selbst treu in dieser Einheit bleiben – in der einen heiligen christlichen Kirche, die wir glauben. Amen.
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