Von der wahren Einheit der Kirche

Predigt über Johannes 17,20‑21 zum Reformationstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wie kann man in unserer Zeit das Re­formations­fest feiern? Kann man einfach den Geburtstag des Luthertums mit Pauken und Trompeten begehen, wie man es früher tat? Muss man heute ein öku­menisches Fest daraus machen und heraus­streichen, dass sich Luthe­raner, Katholiken und andere Konfes­sionen offen­sichtlich wieder angenähert haben? Sollte man mit Rücksicht auf die Ökumene das Re­formations­fest vielleicht lieber gar nicht mehr feiern?

Mit der Einheit der Kirche hat das Re­formations­fest in der Tat viel zu tun. Dem Reformator Martin Luther ging es um nichts anderes, als die Kirche zur wahren Einheit zurück­zuführen – zur Einheit mit den Aposteln und mit allen, die durch die Apostel­predigt zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben. Das ist ja der Herzens­wunsch unseres Herrn Jesus Christus; so betete er zu seinem himm­lischen Vater im Blick auf die Apostel und die ganze Christen­heit: „Vater, ich bitte nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.“ Diese Worte unseres Heilands wollen wir uns zu Herzen nehmen und nach der wahren Einheit der Kirche fragen.

Es ist wunderbar, wie diese Worte das Wesen der Christen­heit be­schreiben. Da ist zuerst gesagt, wie Menschen zum Glauben kommen: durch das Wort der Apostel nämlich. Jesus betete: „Ich bitte für die, die durch ihr Wort (das Wort der Apostel) an mich glauben werden.“ Die Apostel gaben als Augen­zeugen und als be­vollmäch­tigte Boten Gottes gute Nachricht zu­verlässig weiter. Darum heißt es im Epheser­brief von der Kirche, sie sei „erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist“ (Eph. 2,20). Im Neuen Testament wurden die Worte der Apostel auf­geschrie­ben, und so ist denn für uns heute die Bibel die Quelle des Glaubens. Wo das Wort der Bibel unverkürzt und un­verfälscht verkündigt wird, da dürfen wir nach Jesu Worten hoffen, dass Menschen zum rechten Glauben an ihn kommen. Die­jenigen, die durch das Apostel­wort zum Glauben gekommen sind, bilden eine Einheit. Christus hat nicht vergeblich darum gebeten, „dass sie alle eins seien“, denn alle Christen, die den rechten Glauben haben, die glauben ja nicht an irgend etwas. Vielmehr glauben wir an Jesus, wie er uns durch die Heilige Schrift offenbart ist, und wir bekennen es mit denselben Worten im Glaubens­bekennt­nis. Von Anfang an hat die Kirche so geglaubt und bekannt, seit der Zeit der Apostel. Dieser Glaubens­inhalt eint alle Christen. Er eint sie unter­einander, aber er eint sie in erster Linie mit Gott. Denn wir glauben ja, dass wir durch Christus mit Gott versöhnt sind. Ja, wirklich: versöhnt. Wir sind nun Söhne Gottes, Kinder Gottes – seit der Taufe. Wir gehören so zu Gott wie sein ein­geborener Sohn. Und auch das machen diese Worte unsers Herrn klar: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein.“

Liebe Gemeinde, diese Einheit besteht wirklich. Es ist die wahre Einheit der Kirche. Es ist eine geglaubte Einheit, denn sehen kann man sie nicht. Wir bekennen es jeden Sonntag, wenn wir sprechen: „Ich glaube an die eine heilige christliche Kirche.“ Im Urtext heißt es: „… an die eine heilige, katho­lische und aposto­lische Kirche.“ Ja, wir sind katholisch im eigent­lichen Sinne des Wortes, denn katholisch heißt all­umfassend. Wir bekennen uns mit diesen Worten zur Einheit aller Christus­gläubigen in der ganzen Welt zu allen Zeiten. Wir bekennen uns dazu, dass sie die eine Kirche bilden, gegründet auf dem Wort der Apostel. Wir bekennen uns dazu, dass diese Kirche ein Leib ist, ein Orga­nismus, mit dem Haupt Christus. Noch einmal: Das ist eine geglaubte Einheit, keine sichtbare, denn ich kann niemandem ins Herz sehen und fest­stellen, ob er den rechten Christus­glauben hat, der ihn zu einem Glied dieser einen Kirche macht. Ich darf annehmen, dass ich die Glieder der einen Kirche auf allen Erdteilen finde ‚ in allen Ländern und Sprach­gruppen, unter allen Rassen und in allen Kirchen und Konfes­sionen – überall dort also, wo das aposto­lische Wort gepredigt wird, das den Glauben schafft. Andererseits muss ich nach den Worten meines Heilands annehmen, dass nicht alle dazu­gehören, die „Herr, Herr!“ zu ihm sagen, auch nicht alle evange­lischen Christen, auch nicht alle Luthe­raner, auch nicht alle Glieder unserer Gemeinde, vielleicht auch nicht einmal alle, die hier in diesem Gottes­dienst zusammen­sitzen. Die Einheit der Kirche ist un­sichtbar, denn Gott allein kann den Menschen ins Herz sehen und erkennen, wer den rechten selig­machenden Glauben hat. Dennoch dürfen wir um diese Einheit wissen, dürfen sie glauben, sie bekennen und uns an ihr freuen.

Weil es eine Einheit ist, die Gott geschaffen hat, wissen wir auch, dass unsere mensch­lichen Grenzen sie nicht zerstören können, weder Länder­grenzen noch Sprach­grenzen noch Klassen­grenzen noch Kon­fessions­grenzen. Die Einheit ist einfach da. Freilich ist sie auch bedroht. Dabei meine ich nicht so sehr die Bedrohung von außen, etwa durch Verfolgung oder Atheismus. Nein, schlimmer ist die Bedrohung von innen. Diese Bedrohung besteht darin, dass das Wort der Apostel verfälscht wird. Wir haben ja eben an Jesu Wort gesehen, dass der Glaube durch das Apostel­wort kommt und erhalten wird. Wenn nun dieses Apostel­wort angetastet wird, dann besteht die Gefahr, dass kein rechter Glaube mehr geweckt wird. Und es besteht die Gefahr, dass Christen nicht mehr einheit­lich bekennen und ver­kündigen, denn dann bestehen neben der einen Apostel­lehre ab­weichende Lehren. Diese Doppel- und Mehr­züngig­keit lähmt die Aus­strahlungs­kraft der Christen nach außen: Die Welt sieht, dass die Christen unter­einander offenbar nicht eins sind, und fühlt sich desto weniger ein­geladen. Dabei war es doch Jesu Herzens­wunsch gewesen, dass die Einheit unter der Apostel­lehre bewahrt bliebe, damit, wie er betete, „die Welt glaube, dass du, Vater, mich gesandt hast“.

Ja, das ist die eine große, ernste und schlimme Bedrohung der Kirche: dass nicht mehr treu am Apostel­wort der Bibel fest­gehalten wird – ohne Zusätze, ohne Abstriche, ohne aus­geklügelte Verdrehung des Inhalts. Diese Schwach­stelle hat der Teufel erkannt und darum seine Partisanen­kämpfer unter die Jünger Jesu gemischt, damit sie dort kräftig für Verwirrung sorgen. Im Neuen Testament werden wir immer wieder ganz nach­drücklich vor Satans Partisanen­kämpfern gewarnt. Jesus selbst warnte vor „Wölfen in Schafs­kleidern“ und „falschen Pro­pheten“. Sein Apostel Johannes warnte vor der Verführung der so­genannten „Anti­christen“, die in der Gemeinde aufstehen. Und Paulus warnte vor den Irr­lehrern, die „Zwie­tracht und Ärgernis anrichten entgegen der Lehre“ (Römer 16,17). Viele weitere Warnungen ließen sich nennen. Jesus wusste, dass diese Partisanen­kämpfer des Teufels kommen würden, darum mahnte er zur Wachsam­keit. Seine Jünger sollten nicht blindlings jedem vertrauen, der im Namen Jesu irgend etwas sagte, sondern sie sollten die Geister prüfen.

Die Kirchen­geschichte ist von einer Spur dieser Partisanen­kämpfer des Teufels durch­zogen. In den ersten Jahr­hunderten nach Christus traten Leute auf, die be­haupteten, Jesus sei nicht wirklich Gott gewesen, sondern nur ein besonderer Mensch. Große Konzilien wurden ein­berufen, die diesen Irrtum zurück­wiesen und die Apostel­lehre be­stätigten – dennoch taucht dieser Irrtum bis zum heutigen Tag in den Reihen der Christen auf. Im Mittel­alter lehrten die Kirchen­führer, ein Mensch müsse selbst etwas für seine Seligkeit tun und dürfe sich nicht einfach auf Gottes Barmherzig­keit verlassen. Das ging so weit, dass man Sünden­vergebung für Geld verkaufte. Martin Luther wandte sich gegen diesen Irrtum und forderte, dass er aus der Kirche ausgemerzt werde – um der Einheit willen und der aposto­lischen Lehre. Leider wurden nicht die Irrlehrer aus­geschlos­sen, sondern Luther selbst. Seine Anhänger erhielten den Schimpf­namen „Luthe­raner“. Dass daraus die Luthe­rische Kirche wurde, ist keine Freuden­botschaft, sondern ein not­wendiges Übel, weil die römisch-katholi­sche Kirche sich nicht zur Lehre der Apostel zurück­führen ließ – weil sie sich nicht zurück-formieren, re-formieren ließ. Wir feiern also heute eigent­lichen den traurigen Gedenktag einer ge­scheiter­ten Refor­mation. Bis heute taucht unter den Christen immer wieder der un­aposto­lische Irrtum auf, man müsse sich durch eigene Leistung oder eigenen guten Willen von Gott die Seligkeit verdienen.

Noch zu Luthers Zeit tauchte eine andere gefähr­liche Abweichung von der Apostel­lehre auf. Der Theologe Zwingli be­hauptete, im Abendmahl seien nicht wirklich Leib und Blut Christi vorhanden. Luther beharrte mit den Worten der Apostel beim rechten Abendmahls­bekennt­nis, auch wenn die mensch­liche Vernunft das nicht begreifen kann. Aber bis heute geistert die Irrlehre durch die Kirche, das Abendmahl sei ein bloßes Er­innerungs­mahl, und was man da esse und trinke, sei nichts als Brot und Wein. Und dazu geistert manche neue Irrlehre durch die Gegenwart, manche moderne Abweichung von der Apostel­lehre, die die Kirche zweier Jahr­tausende nicht gekannt hat. Da gibt es zum Beispiel Partisanen­kämpfer des Teufels, die unter dem Schein der Frömmig­keit die leibhafte Auf­erstehung Jesu von den Toten leugnen. Oder da werden femi­nistische Ideen in die Kirche getragen, und Pastorin­nen werden ordiniert – gegen das klare Wort aus dem Neuen Testament: „Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre“ (1. Tim. 2,12). Das Apostel­wort wird verdreht und miss­achtet, die eigene Meinung dagegen ganz groß ge­schrieben. Die Folge ist, dass die Kirche nach außen hin immer mehr zerteilt erscheint, weil neben dem einen Glauben und der einen aposto­lischen Lehre soundso­viele Irrlehren ein Hausrecht bekommen. Der schlimmste Angriff des Teufels besteht aber gegen­wärtig darin, dass man sich mit der Vielfalt der Lehren zufrieden gibt und sie vielleicht sogar noch gut findet. Ja, der Teufel dreht heute den Spieß um. Da werden die­jenigen, die treu am Apostel­wort festhalten und Irrlehre aus­schließen wollen, an­gegriffen: „Ihr verhindert die Einheit der Kirche, weil ihr so engstirnig seid, so dog­matisch! Ihr seid intolerant und lieblos gegen die­jenigen, die eine andere Meinung haben!“ Man darf heute fast alles in der Kirche lehren und behaupten, nur dies nicht, dass jemand dem Apostel­wort untreu geworden ist, Irrlehre verbreitet oder im Ungehorsam lebt.

Liebe Gemeinde, betrachten wir es doch einmal ganz nüchtern: Was hilft denn wirklich zur wahren Einheit der Kirche? Hilft es, dass sich alle, die sich Christen nennen, um den Hals fallen? Hilft es, dass man großartige öku­menische Gottes­dienste ver­anstaltet und dabei vertuscht, dass man Ver­schiedenes bekennt? Nein, es hilft allein, wenn man immer wieder gewissen­haft fragt: Was sagt Gottes Wort, die Lehre Apostel in der Heiligen Schrift? Und wenn man dann Ab­weichungen fest­stellt, dann sollte man sie auch beim Namen nennen dürfen. Paulus sagte: „Nehmt euch in acht vor denen, die Zwietracht und Ärgernis anrichten entgegen der Lehre, die ihr gelernt habt, und wendet euch von ihnen ab!“ Das ist der rechte Beitrag zur wahren Ökumene, zur wahren Einheit der Kirche – also zu der Einheit, die Jesus sich vor­gestellt hat, als er betete: „Ich bitte, dass sie alle eins seien.“ Lasst auch uns für diese Einheit beten, lasst uns über diese Einheit wachen und alles Un­aposto­lische von uns weisen. Und lasst uns selbst treu in dieser Einheit bleiben – in der einen heiligen christ­lichen Kirche, die wir glauben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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