Gott schenkt Leben

Predigt über Jesaja 38,9‑20 zum 16. Sonntag nacht Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Manche Menschen befanden sich schon einmal auf der Schwelle des Todes und sind dann doch am Leben geblieben. Viele von ihnen sehen ihr Leben seitdem mit anderen Augen an und leben viel bewusster. Zum Beispiel jene Frau, von der ich mal gelesen habe. Sie war von einer Straßenbahn überfahren worden und am Leben geblieben. Obwohl sie seitdem schwer behindert war, sagte sie: Für mich ist jetzt jeder neue Tag wie ein Geschenk! Wir, die wir so etwas nicht erlebt haben, können das wohl nicht völlig nach­empfinden. Wohl aber können wir lernen: Wenn man das Leben vom Ende her sieht, vom Sterben-Müssen, dann bekommt es eine neue Qualität. Mancher meint: In der Kirche wird zu viel vom Tod geredet und zu wenig vom Leben hier in dieser Welt. Aber erst wenn wir den Tod richtig ein­schätzen, können wir die Gabe des Lebens richtig ermessen und recht gebrauchen.

Lasst uns also lernen, das Leben vom Ende her zu sehen! Die Heilige Schrift stellt uns Beispiele vor Augen, die uns das lehren, darunter das Beispiel des jüdischen Königs Hiskia. Hiskia, ein direkter Nachfahre Davids, war ein frommer Mann. Er lebte in einer politisch schwierigen Zeit. Dennoch freute er sich seines Lebens, übte seine Regierungs­geschäfte gewissen­haft aus, liebte das Beisammen­sein mit anderen Menschen und nahm auch gern an den Gottes­diensten im Jerusalemer Tempel teil. Da wurde er plötzlich sterbens­krank. Er war noch keine vierzig Jahre alt und hatte bisher überhaupt noch nicht ans Sterben gedacht. Doch der Prophet Jesaja besuchte ihn und sagte ihm im Namen Gottes: „Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben.“

Hiskia kann es nicht fassen. Die Ver­zweiflung packt ihn. Später erinnert er sich noch sehr genau daran, was ihm in seiner Todesnot durch den Kopf schoss. In dem Dankgebet, das er später sprach und das wir eben gehört haben, sind seine Sterbe­gedanken fest­gehalten. Da heißt es: „Nun werde ich den Herrn nicht mehr schauen im Lande der Leben­digen.“ Das bedeutet: Nun werde ich nicht mehr an den schönen Gottes­diensten im Tempel teilnehmen können, und Gottes wunderbares Wirken in dieser Welt kann ich auch nicht mehr sehen. Weiter: „Nun werde ich die Menschen nicht mehr sehen mit denen, die auf der Welt sind. Meine Hütte ist abgebrochen und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt.“ Das bedeutet: Wie ein Schafhirte allzu schnell sein Lager zusammen­packen muss, um mit dem Vieh zu neuem Weiden zu ziehen, muss ich nun aus diesem Leben scheiden – und dabei hätte ich doch gern noch länger gelebt. Weiter: „Zu Ende gewebt hab ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich ab vom Faden.“ Das bedeutet: Wie der Weber den Faden ab­schneidet, wenn der Stoff fertig ist, so wird mein Lebensfaden nun ab­geschnitten; es ist ganz einfach aus mit mir. Ja, mit solchen und ähnlichen Worten beklagte Hiskia sein Ende, mit dem er nicht gerechnet hatte und das ihm nun viel zu früh kommt.

Und dann schrie er zu Gott um Hilfe. Er bat Gott inständig, ihn weiterleben zu lassen. Und Gott hörte das Gebet und änderte seinen Beschluss. Hiskia darf weiter­leben, so ließ Gott ihm durch Jesaja verkündigen – noch fünfzehn Jahre. Da spricht Hiskia dieses Dankgebet. Er hat seine Todesangst nicht vergessen, und auf diesem Hintergrund überkommt ihn nun ein völlig neues Lebens­gefühl. Das Leben, das er bisher wie selbst­verständlich hingenommen hat, erscheint ihm nun als großes Gnaden­geschenk. Er betet: „Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück… Der Herr hat mir geholfen, darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben, im Hause des Herrn!“ Hiskia nimmt sich vor: Künftig soll mein Leben ein einziges Gotteslob sein!

Liebe Gemeinde, drei Phasen können wir im Leben des Königs Hiskia erkennen. Erste Phase: Er freut sich seines Lebens und nimmt es selbst­verständlich hin; er rechnet nicht wirklich mit dem Tod. Zweite Phase: Er gerät in Todesnot und schreit zu Gott um Hilfe. Dritte Phase: Er erfährt Rettung und lebt viel dankbarer und bewusster als vorher; er nimmt nun sein Leben als Gabe aus Gottes Hand.

Lieber Bruder, liebe Schwester, lass dich an dieser Stelle einmal fragen: In welcher Lebensphase stehst du gerade? Bist du in der ersten Phase? Lebst du ganz gern und selbst­verständlich dein Leben, ohne groß an den Tod zu denken? Dann lerne aus diesem Abschnitt der Bibel, dass Gott auch deinen Lebensfaden einmal abschneiden wird – vielleicht ganz un­vermittelt und viel früher, als du dachtest. Lerne, dass dein Leben in dieser Welt kein festes Steinhaus ist, das Jahr­hunderte überdauert, sondern eher ein Hirtenzelt, das allzu bald wieder abgebrochen werden muss. Und lerne, was Gott dir mit deiner Sterblich­keit zeigen will: Dein Leben gehört dir nicht, und als Sünder hast du dein Recht auf ewiges Leben verwirkt. Ich weiß, das sind jetzt auf der Kanzel nur Worte – Glaubens­lehren, der Heiligen Schrift entnommen. Aber der Tag wird kommen, wo du ebenso erschreckt wie Hiskia feststellen musst: Nun ist es einfach aus, das Leben! Die Menschen, die Arbeit, die Gottes­dienste, die Familie – all das ist nun für mich vorbei.

Oder stehst du in der zweiten Lebenphase? Bist du traurig und er­schrocken, weil du die Macht des Todes kennen­gelernt hast? Sorgst du dich vielleicht um dein Leben? Machen dir Krankheiten zu schaffen oder Bedrohungen der Umwelt? Denkst du an all das Gift, das du täglich isst, trinkst und einatmest (wenn man den Fachleuten unserer Zeit Glauben schenken darf)? Dann lerne mit Hiskia, dass Gott dein Leben in der Hand hat. Wenn du leben willst, dann suche das Leben bei ihm. Bitte ihn um alles, was du zum Leben brauchst, und um eine gesunde Umwelt. Flehe ihn an, dass er dich doch nicht verderben lässt. Und suche den, der dir Leben über den Tod hinaus erworben hat: Jesus Christus, Gottes Sohn. Er hat dem Tod die Macht genommen, heißt es im Wochen­spruch. Vertrau dich ihm im Glauben an, dann wirst du leben!

Oder steckst du in der dritten Lebens­phase? Nimmst du jeden Tag deines Lebens aus Gottes Hand als Geschenk, weil du weißt, dass er dich aus dem Tod errettet hat? Ja, dann hast du die richtige Einstellung zum Leben; bleibe nur dabei! Eigentlich könnten wir alle diese Einstellung haben. Wenn wir auch nicht todkrank waren, so wissen wir doch um unsere Sünde, wir beklagen und bekennen sie ja immer wieder. Wir wissen, dass die Sünde uns den Tod bringt. Und wir erfahren Gottes Vergebung, denn er hat uns ja getauft, und er spricht uns auf vielfältige Weise immer wieder die Vergebung zu. Was aber ist das anderes, als wenn er sagt: Du sollst nicht an deiner Sünde sterben, sondern leben? Ja, wer die frohe Botschaft vom Sünden­heiland Jesus Christus im Herzen aufgenommen hat, kann mit Hiskia jeden Tag neu fröhlich beten: „Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele angenommen, dass sie nicht verdürbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück.“ Wer so betet, der wird Gott immerzu danken wollen und sein ganzes Leben zu einem Lobopfer für den Herrn machen; er wird alles, was er tut, im Namen Jesu tun. „Der Herr hat mir geholfen, darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben, im Hause des Herrn!“ Ja, das ist die Lebens­haltung, die uns Christen angemessen ist: Gott singen und spielen – in der Kirche, zu Hause und mit unserem all­täglichen Leben, weil er uns so gnädig das Leben schenkt.

Freilich: Hiskia ist später doch gestorben. Und wenn es einmal dahin kommt, dass wir in Todesnot geraten und Gott um Genesung anflehen, dann können wir nicht sicher sein, ob er uns in dieser Welt noch am Leben lässt. Aber letztlich ist das, was Hiskia in seiner tödlichen Krankheit erfuhr, das Vorzeichen für ein besseres Leben – das Leben, in das unser Herr Jesus Christus auf­erstanden und uns voraus­gegangen ist, das Leben im Paradies. Was Gott mit Hiskias Genesung verheißen hat und durch Jesus Christus erfüllte, ist seine Zusage an uns: Ihr braucht nicht um eurer Sünde willen zu sterben, sondern ihr sollt leben – für immer; das will ich euch schenken. Wenn wir uns klar machen, dass wir solch einen Gott haben, dann werden wir jetzt schon viel dankbarer und bewusster leben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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