Warnung und Trost am Beispiel Israels

Predigt über 1. Korinther 10,1‑13 zum 10. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was meint ihr: Ist es leicht oder schwer, selig zu werden? Die Frage lässt sich so allgemein nicht be­antworten. Schauen wir in die Bibel, dann finden wir scheinbar wider­sprechende Antworten. „Der Mensch wird gerecht ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“, heißt es da (Römer 3,28) – es ist also leicht, selig zu werden, es kommt nur auf den Glauben an. „Ringet darum, dass ihr durch die enge Pforte hinein­geht“, heißt es anderer Stelle (Lukas 13,24) – es ist also schwer, selig zu werden, denn man muss darum „ringen“, und darum gehen viele durch die bequeme breite Pforte ins Verderben.

Dieser Widerspruch ist aber nur ein schein­barer. Denn wenn wir die Bibel richtig verstehen wollen, müssen wir immer be­rücksichti­gen, wem etwas gesagt ist. An die Selbst­sicheren und Starken ergeht die Warnung: Seht nur ja zu, dass ihr die Seligkeit nicht leicht­fertig verspielt; nehmt es nicht zu leicht! Die Verzagten und Schwachen aber werden getröstet: Ihr müsst euch nicht selbst erlösen; Christus ist es, der euch durchträgt bis zur Seligkeit; auf den könnt ihr euch verlassen. Beides, die Warnung und den Trost, finden wir auch in den beiden Schluss­versen des Abschnitts aus dem 1. Ko­rinther­brief, den wir eben gehört haben. Paulus warnt am Beispiel des abtrünnigen Volks Israel die Selbst­sicheren und Starken: „Wer meint, er stehe, mag zusehen, dass er nicht falle.“ Aber um die verzagten und an­gefochtenen Seelen nicht in noch größere Un­sicherheit zu werfen, fügt er sogleich den Trost an: „Gott ist treu, der euch nicht versuchen lässt über eure Kraft, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende nimmt, dass ihr's ertragen könnt.“ Eng neben­einander stehen hier Warnung und Trost, Gesetz und Evangelium.

Die Schwierig­keit für jeden Prediger liegt nun darin, beides in rechter Weise zu ver­kündigen. Es besteht ja die Gefahr, dass die falschen Leute das Falsche auf sich beziehen. Ganz oft ist es doch so: Da liegt eine verzagte Seele beständig im Kampf zwischen Glaube und Unglaube; sie wird wie mit einem Keulen­schalg getroffen von dem Wort: „Wer meint, er stehe, mag zusehen, dass er nicht falle.“ Und da lebt ein anderer selbst­sicher und zufrieden sein gut­bürgerlich-frommes Leben, merkt nicht, wie die Sünden der Lieb­losig­keit und des Pharisäer­tums ihm zum Fallstrick werden und tröstet sich ganz zu Unrecht mit der Zusage, Gott werde schon dafür sorgen, dass die Versuchung nicht überhand nimmt. Wie also kann ich Warnung und Trost an die jeweils richtigen Ohren bringen?

Ich möchte, dass jeder von euch im Stillen eine Testfrage be­antwortet; die soll uns weiter­helfen. Die Frage lautet: Hast du Angst vor der ewigen Verdammnis? Ihr, die ihr die Frage bejaht, sollt zunächst weghören; euch geht der nächste Teil der Predigt, nämlich die Warnung, nichts an. Ihr aber, die ihr die Frage verneint, die ihr also sicher seid, dass Gott euch in den Himmel holen wird, sollt jetzt gleich gut zuhören; nachher aber sollt ihr mit dem Trost euer Gewissen nicht zu schnell beruhigen.

Ich lege jetzt also zunächst Gottes Wort für die Selbst­sicheren und Starken aus, für die also, die sicher sind, einmal in den Himmel zu kommen. „Wer meint, er stehe, mag zusehen, dass er nicht falle“, schreibt Paulus an eure Adresse. Ihr verlasst euch darauf, dass ihr getauft seid, dass ihr Gottes Wort hört, dass euch die Sünden­vergebung zu­gesprochen wird und dass ihr zum Abendmahl geht. Das ist auch recht so. Aber das ist keine Garantie dafür, dass ihr automatisch selig werdet. Wenn ihr dabei kein bußbereites Herz habt und die Sünde auf die leichte Schulter nehmt, dann wird euch das alles nichts nützen. Auch die Israeliten zu Moses Zeit besaßen Gottes Gnaden­zeichen, und doch wandte sich das Herz der meisten vom Herrn ab. „An den meisten von ihnen hatte der Herr kein Wohl­gefallen“, schreibt Paulus und zieht daraus die Lehre für die Gemeinde Jesu Christi: „Wer meint, er stehe, mag zusehen, dass er nicht falle.“

Wie kommt es denn, dass einer fällt? Drei Stolper­steine nennt dieser Abschnitt anhand von Israels warnendem Beispiel. Erstens: Sie hatten ihre Lust am Bösen. Zweitens: Sie wurden Götzen­diener. Drittens: Sie trieben Hurerei. Es handelt sich in allen drei Fällen um Sünden, an denen die Israeliten mit verstocktem Herzen festhielten und die darum auch nicht vergeben wurden.

Lassen wir uns vor dem ersten Stolper­stein warnen, liebe Gemeinde: Haben wir nicht Lust am Bösen! Das Böse ist dabei meistens nicht das Aufsehen erregend Böse wie Mord und Totschlag, sondern das Böse kommt oft auf leisen Sohlen, unter einem Schein des Rechts, ja zuweilen sogar unter einem Schein der Frömmig­keit. „Lust am Bösen haben“ heißt: An der Sünde festhalten, auch wenn Gottes Wort und das Gewissen dagegen sprechen. Da ist einer, der wurde von seinem Mitmenschen beleidigt, und will ihm nicht vergeben. Er kennt Gottes Wort, dass wir vergeben sollen, aber er will es nicht tun und bleibt mit großer Be­friedigung im Schmoll­winkel. Wie ent­setzlich, liebe Gemeinde: Wer so handelt, lebt in unbereuter und un­vergebener Sünde; er ist auf dem Weg in die Verdammnis! Aber auch jede andere Sünde kann zu so einem tödlichen Verhängnis werden, wenn einer sich nicht davon lossagt und mit Gottes Hilfe dagegen ankämpft.

Lassen wir uns auch vom zweiten Stolper­stein warnen, liebe Gemeinde: Werden wir nicht Götzen­diener! Ein Mensch kann schneller zum Götzen­diener werden, als es ihm bewusst wird. Götzen­dienst ist ja in den seltensten Fällen eine fremde Religion. Vielmehr ist all das ein Götze, woran du dein Herz mehr hängst als an Gott. Du kannst hier regelmäßig im Gottes­dienst sitzen und zum Abendmahl gehen und dabei doch ein Götzen­diener sein. Gibt es einen Menschen, der dir lieber ist als Jesus Christus? Gibt es einen Schatz, der dir wertvoller ist als dein Herr? Gibt es einen Arzt, dem du mehr vertraust als dem All­mächtigen? Schon bist du ein Götzen­diener! Hier hilft nur Umkehr. Mache Jesus Christus wieder zur Nummer Eins in deinem Leben!

Lassen wir uns auch vor dem dritten Stolper­stein warnen, der Hurerei. Wieviele ernste und fromme Christen sind durch ungute sexuelle Bindungen schon zu Fall gekommen. Wenn ein frommer Mann und eine fromme Frau sich von Herzen lieb haben und einander auch den Weg zum Himmel weisen, dann ist das eine feine Sache. Jede andere geschlecht­liche Bindung aber kann ins Verderben führen, sei es vor­ehelicher Geschlechts­verkehr, sei es ein Seiten­sprung oder sei es die Situation, dass ein gottloser Ehepartner den frommen nach und nach vom Glauben abbringt. Für all dies gibt es in der Geschichte des Volkes Israel eine Fülle warnender Beispiele.

Soweit die drei Stolper­steine, vor denen Gott an Israels Beispiel durch den Apostel Paulus warnt. Nun aber sollen all diejenigen besonders gut zuhören, die vorhin mit Ja geantwortet haben, als ich fragte: Hast du Angst vor der ewigen Verdammnis? Ihr habt gewiss deshalb so ge­antwortet, weil ihr fürchtet, ihr könntet einmal den Glauben verlieren. Vielleicht fürchtet ihr, die Freuden oder auch die Leiden dieser Welt könnten euch an Gottes Liebe und am Evangelium irre machen. Euch möchte ich den reichen Trost dieses Bibel­abschnitts zusprechen: „Gott ist treu, der euch nicht versuchen lässt über eure Kraft, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende nimmt, dass ihr's ertragen könnt.“

Wie macht Gott das? Er stellt euch drei Troststeine auf euren Lebensweg – drei Trost­steine, durch die euch der lebendige Herr Jesus Christus begegnet. Diese drei Troststeine haben ihr Urbild in der Geschichte des Volkes Israel zur Zeit des Mose. Der erste Troststein ist die Wolke, die dem wandernden Volk tagsüber den rechten Weg wies und sich nachts in eine Feuersäule ver­wandelte. Der zweite Troststein ist das Wasser des Schilf­meers, das sich teilte, um den Israeliten einen Fluchtweg vor den Feinden zu eröffnen. Der dritte Troststein ist der Fels in der Wüste, aus dem Gott Wasser quellen ließ, um das halb verdurstete Volk zu tränken.

Lassen wir uns von dem ersten Troststein trösten! Wie damals die Wolke vor den Israeliten herzog, so weist uns heute die Heilige Schrift den Weg. Mag mancher sie auch als schwer und dunkel empfinden, die ent­scheidenden Heilsaussagen sind doch hell und klar: Vertrau nur auf Gottes Barm­herzig­keit, die in Christus ihre Erfüllung gefunden hat! Frag nur nach Jesus, dann wirst du selig – so einfach ist das.

Lassen wir uns auch von dem zweiten Troststein trösten! Wie die Israeliten damals durch die Fluten des Schilf­meeres hindurch­gerettet wurden, so sind wir durch das Wasser der Taufe gerettet worden. Es liegt nicht an uns, dass wir selig werden, sondern Gott hat uns zur Seligkeit berufen und erwählt, und das hat er uns mit der Taufe bezeugt und besiegelt. Wir brauchen uns nicht selbst zu erlösen, sondern wir sind erlöst worden durch Christus.

Lassen wir uns auch von dem dritten Troststein trösten! Der Felsen gab den Israeliten damals das lebens­spendende Wasser, und dazu schenkte Gott das Manna als Wegzehrung in all den Jahren der Wüsten­wanderung. Auch wir dürfen immer wieder Himmels­speise essen und einen wunderbaren Trank trinken, nämlich den Leib und das Blut unsers Herrn Jesus Christus. Wieder sind es nicht wir, die durch eigene Glaubens­leistung etwas vollbringen müssen, sondern wir sind Gäste, die der Hausherr für die ewige Seligkeit stärkt und erquickt. Wir können es einfach ganz fröhlich und dankbar an uns geschehen lassen, diese große Gabe.

Soweit die drei Trost­steine. Lassen wir uns immer wieder trösten und warnen, liebe Gemeinde, und nehmen wir beides aus Gottes Wort mit ganzem Ernst an. Lasst uns mit allem Ernst die Sünde und die Versuchung meiden. Lasst uns aber auch mit allem Ernst die Vergebung annehmen für unsere Schuld, in die wir durch menschliche Schwachheit immer wieder geraten. Ja, lasst uns festhalten an Gottes treuer Zusage des Evan­geliums, die er uns reilich und in viel­fältiger Weise zukommen lässt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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