Das Abendmahl beschenkt und verpflichtet

Predigt über 1. Korinther 10,16‑17 zum Gründonnerstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Für einen schwer nieren­kranken Menschen ist es eine un­beschreib­liche Freude, wenn ihm durch eine Nieren­transplan­tation geholfen wird. Vorher musste er mehrmals wöchentlich für Stunden an die künstliche Niere an­geschlossen werden. Dann fand man eine Spender­niere, die in einer Operation gegen die kranken Nieren aus­getauscht wurde. Das fremde Organ ist nun fester Bestandteil des Empfänger-Körpers; es ist fest mit ihm verwachsen. Ja, das ist eine große Hilfe und ein großer Segen für ihn.

In gewisser Hinsicht lässt sich das Heilige Abendmahl mit so einer Nieren­transplan­tation ver­gleichen. Im Altar­sakrament empfangen wir den Leib und das Blut unsers Herrn Jesus Christus. Auf diese Weise geht das Gotteslamm in uns ein, und wir verwachsen geistlich mit ihm. Christus wird ein Teil von uns, und wir werden ein Teil von Christus – uns zur Hilfe, zur Freude, zu großem Segen. Dieses Ver­schmelzen und Zusammen­wachsen ist in unserem Gotteswort durch das Stichwort „Gemein­schaft“ aus­gedrückt. Da heißt es: „Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemein­schaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemein­schaft des Leibes Christi?“ Leib und Blut Christi gehen in uns ein und verwachsen sozusagen mit uns. Dadurch empfangen wir Heilung von der elenden Krankheit Sünde, die noch viel ärger ist als ein schweres Nieren­leiden.

Das hat mancherlei Folgen. Die Segnungen, die aus dem Abendmahl erwachsen, sind vielfältig. Aber dieses Mahl verpflichtet uns auch. Lasst uns nun besonders diejenigen Folgen betrachten, die sich aus den beiden Versen im Korintherbrief ergeben. Lasst uns an diesen beiden Versen sehen, wie uns das Altar­sakrament sowohl beschenkt als auch ver­pflichtet.

Ausgangs­punkt für alle Segnungen des Abendmahls ist die Vergebung der Sünde. Nicht, dass Sünde dadurch ungeschehen gemacht würde. Nicht, dass dadurch alle sündliche Begierde für immer aus unserem Herzen verbannt wäre. Nein, Sünden­vergebung heißt vielmehr: Unser Ungehorsam steht nicht mehr als Mauer der Schuld zwischen Gott und uns. Christus hat diese Mauer nieder­gerissen durch seinen Opfertod. Wir haben freien Zugang zu Gott. Alles Trennende fällt; der Riss ist geheilt. Auch das steckt im Wort „Gemein­schaft“ drin. Nur weil Christus für uns sein Blut vergossen und seinen Leib zerbrochen hat, können wir mit ihm zusammen­wachsen beziehungs­weise eins werden, und durch ihn auch mit dem himmlischen Vater.

Wie wunderbar dies gerade im Heiligen Abendmahl geschieht, habe ich erst während der ersten Semester meines Theologie­studiums richtig gemerkt. Es war eine Zeit, in der ich mich intensiv verstandes­mäßig um Gottes ewige Wahrheit mühte. Manches Vorurteil musste da fallen, manches bisher Feste wurde zunächst einmal in Frage gestellt. Gottes Wort musste Tag für Tag nach den Regeln der Grammatik auseinander­genommen und Wort für Wort durch­buchsta­biert werden. Das war nicht immer angenehm und erquickend. Hier wurde mir das Heilige Abendmahl ganz wertvoll. Denn da kommt ja Gottes gute Nachricht nicht über Worte und Sätze zu mir, die mit den Ohren gehört und mit dem Verstand erfasst sein wollen. Hier geht Jesus Christus selbst in mich ein, ganz un­mittelbar. Grammatik und Verstand sind hier nur hinderlich; das große Wunder des Leibes und Blutes Christi will einfach geglaubt, nicht verstanden sein. Hier brauchte ich nicht zu denken, sondern konnte einfach spüren, dass Christus mit mir eins wird, und ich mit ihm.

Gemein­schaft, Eins-Werden mit Christus und mit dem dreieinigen Gott, das ist die Gabe des Heiligen Abendmahls. In den beiden Versen aus dem 1. Ko­rinther­brief rückt nun eine Auswirkung davon besonders ins Blickfeld: Wir Jünger Jesu, die wir alle mit Christus zusammen­gewachsen sind und dies im Abendmahl erfahren, sind dadurch auch unter­einander eins. Es steht da: „Denn ein Brot ist's: So sind wir viele ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben.“ Der Leib Christi im Altar­sakrament wird nun zugleich zum Bild für Kirche und Gemeinde: ein Leib mit vielen Gliedern. Auch das Brotbrechen macht dies ganz deutlich, dass wir gemeinsam Anteil haben an unserm Herrn – das Brot­brechen, das bei uns ja nur noch in einer kleinen Geste während der Einsetzungs­worte zum Ausdruck kommt.

Wir wollen hierbei aber ganz klar beachten: Es ist eine Gemein­schaft, die Gott selbst allen schenkt, die das Altar­sakrament im Glauben empfangen. Wir sind es nicht, die diese Gemein­schaft selbst machen müssten. Es kommt in Grunde überhaupt nicht darauf an, wie gut wir uns als Gemeinde kennen, ob wir nach dem Gottes­dienst noch miteinander reden, wie sympathisch wir uns sind oder ob wir sonst irgend­welche An­strengungen unter­nehmen, menschliche Gemein­schaft miteinander zu haben. Versteht mich nicht falsch: Diese menschliche Gemein­schaft ist eine feine Sache; wohl der christ­lichen Gemeinde, in der die Einheit in Christus auch äußerlich spürbar wird. Aber die Gemein­schaft, die Gott in Christus schafft, ist unendlich tiefer. Verwandt­schaft, Freund­schaft oder Sympathie fallen weit dahinter zurück. Darum nennen wir Christen uns auch nicht Freunde, sondern wir nennen uns Brüder und Schwestern. Weil wir gemeinsam Anteil an Christus und dem dreieinigen Gott haben, sind wir geistlich miteinander verwandt – Kinder Gottes, eine große Familie!

Wir haben eben gesehen: Das Abendmahl beschenkt uns – unter anderem mit Gemein­schaft unter­einander. Es ver­pflichtet aber auch zugleich. Das können wir klar dem Zusammen­hang in diesem Kapitel des 1. Ko­rinther­briefes entnehmen. Das Problem in Korinth war Folgendes: Einige Gemeinde­glieder nahmen bewusst solches Fleisch zu sich, das in heidnischen Tempeln den Götzen geopfert worden war. Paulus machte ihnen klar, dass sich das nicht mit der Gemein­schaft in Christus vereinen lässt. Die Gemein­schaft in Christus, die sich im Abendmahl auf wunderbare Weise vollzieht und zeigt, lässt sich nicht vereinen mit Götzen-Gemein­schaft.

Nun ist das kaum unser Problem. Aber es gibt auch für uns eine Menge Gelegen­heiten, wo sich unsere Gemein­schaft mit Christus zu bewähren hat. Wer mit Christus eins ist, kann sich nicht einfach so durchs Leben treiben lassen. Er wird vielmehr den sehnlichen Wunsch und Willen haben, dass dieser Herr sein Leben gestaltet. Wie gesagt, hier könnten unzählige Beispiele genannt werden. Ich möchte nur eines heraus­greifen, das uns der zweite Vers ins Bewusstsein ruft: Wie uns das Heilige Abendmahl mit der Gemein­schaft mit anderen Christen beschenkt, so ver­pflichtet uns diese Gemein­schaft auch. Wer Christus seinen Herrn nennt und mit mir zum Tisch des Herrn tritt, den muss ich als meinen Bruder ansehen, gleich ob er mir sympathisch ist oder nicht, gleich ob er meine An­schauungen teilt oder ganz andere hat.

Hier zeigt sich, ob wir mit der Gemein­schaft in Christus wirklich ernst machen. Es kommt nämlich schnell vor, dass wir anderen das Christsein absprechen, auch wenn sie mit uns zum Abendmahl gehen. Das hört man immer wieder: Der verhält sich nicht wie ein Christ! Oder: Das will ein Christ sein? Da möchte ich zurück­fragen: Verhältst du dich immer wie ein Christ? Und hängt dein Christsein etwa von deinem Verhalten ab? Nicht doch, sondern Christus macht uns elende Sünder zu Christen, indem er mit uns Gemein­schaft hat! Wer wollte behaupten, dass die Sünden des Nächsten schlimmer sind als die eigenen? Vielleicht sind die eigenen nur besser getarnt, sodass man sie am Ende selbst nicht mehr merkt? Liebe Gemeinde, ein Christ ist doch ein Sünder, der seine Sünde loswerden möchte und deshalb zu Christus geht, immer wieder. Deshalb sprich deinem Bruder oder deiner Schwester am Abendmahls­tisch niemals das Christsein ab. Wenn du meinst, er lebt in Sünde, dann tu, was Christus uns gebietet: Geh zu ihm hin und ermahne ihn unter vier Augen. Wenn es wirklich Sünde ist und wenn er auf die Stimme seines Herrn hört, wird er seine Schuld bereuen und versuchen, sich zu bessern. Wenn du aber nicht hingehst und im Stillen denkst: das ist kein Christ, oder wenn du gar anderen diese Meinung kundtust, dann bist du der Sünder und hast es nötig, umzukehren und Buße zu tun! Erst wenn ein offen­kundiger Sünder nach mehrfacher Ermahnung nicht zur Buße findet, dann soll man ihn wie einen Nicht­christen ansehen; so will es unser Herr. Dann aber soll er auch nicht mehr das Abendmahl empfangen, damit er es sich nicht zum Gericht nimmt. Denn dann hätten der Leib und das Blut Christi eine verheerende Wirkung bei ihm – so wie eine Spender­niere, die vom Organismus abgestoßen wird.

Liebe Gemeinde, wir wollen uns heute wieder neu beschenken lassen mit der wunderbaren Gemein­schaft unseres Herrn Jesus Christus, die im Abendmahl den höchsten Ausdruck findet. Wir wollen dabei die Gemein­schaft als Brüder und Schwestern unter­einander als kostbare Gabe von Gott annehmen. Alles Misstrauen aber und alles, was diese Gemein­schaft in Frage stellt, wollen wir außen vor lassen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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