Wir fragen „Warum?“ – Gott antwortet

Predigt über 5. Mose 8,2‑5 zum Sonntag Lätare

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es gibt eine Frage, die uns Menschen in Zusammen­hang mit dem Glauben immer wieder be­schäftigt. Es ist die eine Frage, die ich auch immer wieder in Gesprächen zu hören bekomme: Warum lässt Gott das zu? Warum müssen Menschen leiden? Warum tut er mir und andern dieses oder jenes an? Wer diese Frage an Gott richtet, muss auch bereit sein, Gottes Antwort zu hören. Er muss die Antwort dort suchen, wo Gott redet. Gott redet durch die Bibel. Die Bibel ist dabei nicht einfach nur Gottes Wort, sondern Gottes Antwort. Und in dem Abschnitt, den wir eben gehört haben, gibt Gott durch seinen Propheten Mose eine besonders deutliche Antwort auf die Frage: Warum lässt Gott Leiden zu?

Die Situation war Folgende: Das Volk Israel hatte vierzig Jahre Wüsten­wanderung hinter sich, vierzig Jahre ohne festes Zuhause, vierzig Jahre ohne gesicherten Lebens­unterhalt, vierzig Jahre voller Angst und Sorge. Mose hatte das Volk vierzig Jahre lang im Namen Gottes geführt. Nun neigte sich seine Lebenszeit dem Ende zu. Das Volk Israel lagerte am Jordan, bereit, ihn in aller­nächster Zeit zu überqueren und endlich das Land ein­zunehmen, das Gott bereits dem Vorvater Abraham zu geben versprochen hatte. Praktisch das ganze 5. Mose­buch besteht nun aus Predigten des Mose, die er den Israeliten in dieser Situation hält. Er spart in diesen Predigten heiße Eisen nicht aus. Geleitet vom Heiligen Geist, greift er die heikle Warum-Frage auf, die die Israeliten wohl etwa in folgender Weise gestellt haben mussten: Warum diese lange, entbehrungs­reiche und sorgenvolle Zeit der Wüsten­wanderung; warum hat uns Gott das zugemutet?

Mose antwortete: „Gedenke des ganzen Weges, den dich der Herr, dein Gott, geleitet hat diese vierzig Jahre in der Wüste, auf dass er dich demütigte und versuchte, damit kund würde, was in deinem Herzen wäre, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht.“ Wir stellen fest: Gott nimmt tatsächlich die Ver­antwortung für das Leiden der Israeliten auf sich. Gott war es, der sie gedemütigt hat, sagte Mose. „Demütigen“ heißt in diesem Zusammen­hang „leiden lassen“. Gott hat die Israeliten leiden lassen. Warum?

Die erste Antwort: um sie zu versuchen; um sie zu prüfen. Wie ist das gemeint? Jeder kann diese Erfahrung machen: Im Leiden scheiden sich die Geister. Die einen sagen Gott ab, die andern werden fester im Glauben. Die einen sagen: Wenn Gott mich wirklich lieb hätte, würde er mich nicht so leiden lassen, oder er ist nicht allmächtig; ein lieber und all­mächtiger Gott würde das nicht zulassen. Und die andern sagen: Ich verstehe im Moment zwar nicht, warum ich so leiden muss, und es drückt mich auch hart; aber Gott wird schon wissen, wozu es gut ist. Ich vertraue auf sein Wort, dass denen, die ihn lieben, alle Dinge zum Besten dienen.

Da ist auf der einen Seite eine Mutter. Sie bringt eine behinderte Tochter zur Welt; dem Mädchen fehlt die rechte Hand. Die Mutter ist fassungs­los. Sie hadert mit Gott; sie sagt, sie kann nicht mehr glauben. Daran ändert sich nichts, obwohl das Mädchen ganz normal heranwächst und lernt, sich wie jeder andere Mensch im Leben zurecht­zufinden. Da ist auf der andern Seite ein Vater. Er wohnt in den Alpen. Seine drei Söhne gehören zur Bergwacht. Einmal erreicht sie bei einem Unwetter ein Hilferuf: Touristen sind in den Bergen ver­unglückt. Die drei Söhne steigen hinauf. Sie kommen alle drei nicht wieder lebendig zurück. Der Vater lässt auf den Grabstein der drei die kurze Inschrift einmeißeln: „Ja, Vater!“ Er nimmt das Leid aus Gottes Hand und macht die Erfahrung, dass es ihn nur noch fester an seinen Herrn bindet.

Ja, im Leiden scheiden sich die Geister. Die einen sagen Gott ab, die andern kommen ihm näher. Gott will uns mit Leid prüfen, ob wir zu den Letzteren gehören. Er möchte nämlich, dass wir ihm bedingungs­los gehorchen und vertrauen – auch dann, wenn wir seine Wege nicht verstehen. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege“, sagt er (Jesaja 55,8). Wir würden seine Liebe falsch verstehen, wenn wir meinten, er habe nur immer für unser Wohl­befinden zu sorgen. Das erwarten die Heiden von ihren Götzen; aber die Liebe des wahren Gottes kann uns hart erziehen – zu unserm Besten. Wir würden seine Allmacht verkennen, wenn wir meinten, er müsste sich nach den Gesetzen unserer Vernunft verhalten und dürfe deswegen kein Leid zulassen. Seine Allmacht können wir immer nur fassungslos staunend anbeten. Liebe Gemeinde, darum schickt Gott Leid – auch in unsere Zeit und unser Leben: damit kund wird, was in unserm Herzen ist und ob wir seine Gebote halten, allen voran das erste. Gott demütigt uns, damit wir uns unter ihn demütigen, damit wir ihm die Ehre geben, damit wir sagen lernen: Nicht wie ich will, sondern wie du willst. Gott schickt uns in derselben Weise Leid, wie er einst zuließ, dass der Teufel den Hiob in Abgründe des Elends stieß. Hiobs Frau meinte damals: „Sage Gott ab und stirb!“ Hiob aber sprach: „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ Und: „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt.“ Weiter heißt es in dem biblischen Bericht von Hiob: „In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen.“ (Hiob 2,9‑10) Gott möchte, dass wir uns ebenso im Leid bewähren.

Nun geben die Verse aus dem 5. Mose­buch aber noch eine zweite Antwort auf die Warum-Frage. Mose predigte: „Er demütigte dich und ließ dich hungern und speiste dich mit Manna, das du und deine Väter nie gekannt hatten, auf dass er dir kund täte, dass der Mensch nicht lebt vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Mund des Herrn geht.“ Es geschahen Zeichen und Wunder in den vierzig Jahren der Wüsten­wanderung, Zeichen und Wunder an den halb ver­hungerten und ver­dursteten Israeliten. Es regnete Brot vom Himmel, das berühmte Manna, mit dem Gott sein Volk in der Wüste speiste. Nehmen wir zur Kenntnis: Erst mussten die Israeliten den Hunger spüren, dann kam das Wunder. Die Israeliten sollten merken, dass sie nicht sich selbst ernährten, sondern dass sie aus der Hand des Höchsten lebten. Ja, auch darum schickt Gott uns Leiden: damit wir merken, wie er uns hilft und tröstet. Würde uns immer alles gelingen, dann würden wir Gottes Gaben für selbst­verständ­lich nehmen und uns einbilden, wir hätten einen Anspruch darauf oder wir hätten es uns alles selbst zu verdanken.

Das merke ich immer wieder, liebe Gemeinde: Einer der größten Feinde des Glaubens ist das Wohl­ergehen. Satte Zufrieden­heit führt ganz oft zu Hochmut, Egoismus, falschem Sorgen oder Habsucht. Wer aber Not erlitten und darin Gottes wunderbare Hilfe erfahren hat, der weiß, wie abhängig er vom All­mächtigen ist, aber auch, wie sehr er sich auf ihn verlassen kann. Im Nachhinein sind dann Freude, Dank und Vertrauen um so größer. Mose machte das den Israeliten bewusst. Er sagte: Seht euch doch an! Eure Kleider sind nicht kaputt, eure Füße sind nicht ge­schwollen, und verhungert seid ihr auch nicht. Hat Gott denn nicht ganz deutlich gezeigt, wie sehr er euch liebt und sich um euch kümmert? War denn eine einzige eurer Sorgen um die Bedürfnisse des Leibes berechtigt?

Das ist also die zweite Antwort auf die Warum-Frage: Wir sollen durch das Leid lernen, auf Gottes Hilfe zu vertrauen, nicht auf uns selbst, und sollen dann die großartige Erfahrung machen, wie Gott uns tröstet und heraus­hilft. Das kommt auch wunderbar in den Worten des Apostels Paulus zum Ausdruck, die wir in der heutigen Epistel gehört haben: Wie Paulus großes Leid erfuhr, so hat er auch großen Trost von Gott erfahren, und mit diesem Trost kann er nun seinerseits leidende Christen trösten.

Zwei Antworten Gottes finden wir in unserm Textwort auf die Frage nach dem Leiden. Erstens: Gott will uns prüfen, ob wir ihn auch wirklich unsern Herrn sein lassen. Zweitens: Gott will uns seinen Trost und seine Hilfe bewusst machen. Mit Beidem will er uns erziehen, wie ein Vater seinen Sohn erzieht. Mose predigte: „So erkennst du ja in deinem Herzen, dass der Herr, dein Gott, dich erzogen hat, wie ein Mann seinen Sohn erzieht.“ Gott erzieht in großer Liebe, und darum ist auch und gerade das Leiden ein Ausdruck von Gottes Liebe. „Wen der Herr lieb hat, den züchtigt er“, heißt es im Alten wie im Neuen Testament (Sprüche 3,12; Hebr. 12,6).

Nun deutet sich aber noch eine dritte Antwort auf die Warum-Frage in diesem Bibel­abschnitt an. Gott hat den Israeliten durch die Ent­behrungen der Wüsten­wanderung kundgetan, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern von Gottes Wort. Gottes Wort aber ist in Jesus Christus Fleisch geworden. Christus ist unser Leben; durch ihn leben wir; mit seinem Tod hat er uns das ewige Leben erkauft. Wenn ich Geld habe, gesund bin, arbeiten kann und liebe Mitmenschen habe, dann ist das alles keine Garantie für sinn­erfülltes Leben. Wenn ich aber Christus habe und das Wort des Evan­geliums, dann habe ich Gottes Versprechen für ewiges Leben. Christus und Gottes Wort sind also wichtiger als Gesundheit, Brot, Arbeit, Familie und Freunde. Wenn uns Gott eines oder mehr davon nimmt, dann deswegen, damit wir erkennen, worauf es letztlich einzig ankommt: nämlich darauf, dass ich zu Jesus gehöre. So wird das Kreuz zum Kennzeichen eines Lebens, das in der Nachfolge des Herrn steht. Er ist das Weizenkorn, das bedenken wir besonders mit dem Wochen­spruch des heutigen Lätare-Sonntags. Christus ist als Weizenkorn erstorben; er hat gelitten und am Kreuz sein Leben gelassen. Nur so kam es zur herrlichen Auf­erstehung am Oster­sonntag. Und nur so gibt es auch für uns eine Auf­erstehung zum Leben. Wir dürfen als Weizen­körner in der Nachfolge fröhlich Kreuz, Leiden und Ent­behrungen auf uns nehmen und dadurch lernen, dass wir auf dem Weg sind hinter Jesus her – auf dem Weg, der einst in dem herrlichen Leben ohne Leid sein Ziel finden wird. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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