Glieder am Leib Christi

Predigt über 1. Korinther 12,4‑12 zum Pfingstmontag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Pfingstfest wird auch „Geburtstag der Kirche“ genannt. Zu Pfingsten schuf der Heilige Geist in Jerusalem die erste christliche Gemeinde, gegründet auf dem Zeugnis und auf der Evangeliums­predigt der Apostel. Weil Pfingsten der Geburtstag der Kirche ist, möchte ich in dieser Predigt mit euch über das Wesen der christliche Gemeinde nachdenken und dabei den Abschnitt aus dem 1. Ko­rinther­brief des Apostels Paulus auslegen, den wir eben gehört haben.

Man kann eine christliche Gemeinde mit einem Krankenhaus vergleichen oder auch mit einer Mannschaft – beide Vergleiche treffen zu. Ein Krankenhaus ist die Gemeinde insofern, als dass hier arme, verwundete, tödlich kranke Sünderherzen die Medizin bekommen, die sie zum ewigen Leben gesunden lässt: das Evangelium vom Heiland Jesus Christus, verkündigt und ausgeteilt in den Gnaden­mitteln der Kirche, in Wort und Sakrament. Eine Mannschaft ist die Gemeinde insofern, als dass sie einen großen Auftrag von Gott bekommen hat: Sie soll durch Wort und Tat Gottes Liebe weiter­geben; sowohl unter­einander hin und her zwischen den Gemeinde­gliedern als auch über die Grenzen von Kirche und Gemeinde hinaus für andere Menschen. Beide An­schauungen von Gemeinde, Krankenhaus und Mannschaft, kommen ganz wunderbar zusammen in dem Bild, das Gott selbst durch den Apostel Paulus zeichnen ließ: Die Gemeinde ist ein lebendiger Organismus, der Leib Christi, und die Gemeinde­glieder sind Glieder an diesem Leib. Jedes einzelne Glied empfängt alles Lebens­notwendige dadurch, dass es mit dem Leib verbunden ist. Und jedes Glied hat auch seine besondere Funktion, die es zum Wohl des ganzen Leibes und in Gemein­schaft mit den anderen Gliedern ausüben soll. Jedes Glied nimmt und gibt, und das macht sein Leben aus. Leben in der Gemeinde Jesu Christi heißt: sich dienen lassen und selbst dienen; empfangen und mit­arbeiten. Beides macht das geistliche Leben eines Christen­menschen aus und ist so natürlich wie einatmen und ausatmen.

Das grund­legende Einatmen, Empfangen oder Sich-dienen-Lassen ist in diesem Abschnitt des 1. Ko­rinther­briefs voraus­gesetzt. Wir dürfen immer wieder reichlich davon hören und erfahren, wie gut es Gott mit uns meint, wie unverdient gut. Mit Jesus Christus und mit seiner Erlösungs­tat haben wir den größten Schatz, den Menschen nur haben können: Vergebung der Sünden, Frieden mit Gott und ewiges Leben in Herrlich­keit. Wir sind als Glieder an­geschlossen an den Blut­kreislauf des Leibes Christi, denn Christi Blut hat uns zu Gottes Kindern gemacht, zu Menschen, die in Sünden tot waren, nun aber für immer leben dürfen. Immer und immer wieder dürfen wir das lesen und hören, auch im Heiligen Abendmahl schmecken und auf mancherlei Weise erfahren und lernen. In unserer Kirchen­gemeinde hier haben wir dazu die besondere Freude, dass wir das Evangelium ungehindert hören und erfahren dürfen, ohne Verfolgung, ohne berufliche Nachteile, ohne übermäßig weite Kirchwege, ohne behelfs­mäßig angemietete Räume. Wir dürfen fröhlich, reichlich und ungehindert die frische Luft des Evangeliums einatmen, die uns Leben schenkt. Wie herrlich!

Neben diesen grund­legenden Gottes­gaben, neben Vergebung, Leben und Seligkeit, schenkt der dreieinige Gott jedem Glied am Leib Christi nun aber auch noch besondere Gaben. Davon handelt speziell dieser Abschnitt aus dem 1. Ko­rinther­brief. „Es gibt ver­schiedene Gaben; doch ein und derselbe Geist teilt sie aus. Es gibt ver­schiedene Dienste, doch ein und derselbe Herr gibt den Auftrag dazu. Es gibt ver­schiedene Fähig­keiten, doch ein und derselbe Geist schafft sie alle.“ Ja, der dreieinige Gott schenkt uns besondere Gaben, Dienste und Fähig­keiten. Und er schenkt sie uns durch den Heiligen Geist mit dem Ziel, dass wir sie auch wirklich einsetzen. Paulus schreibt: „Was nun der Geist in jedem einzelnen von uns wirkt, das ist zum Nutzen aller bestimmt.“

Damit wären wir beim Ausatmen, beim Geben, beim Dienen und Mit­arbeiten, das ebenso wie das Einatmen zum Leben in Christus dazugehört. Paulus betont, dass es sich dabei um ganz ver­schiedene Dienste handelt, zu denen der eine Geist befähigt. Manche von den Dingen, die er für die Gemeinde in Korinth aufzählt, sind uns heute fremd. So weit ich weiß, gibt es niemandem in unserer Mitte, der die Gabe der Zungenrede hat oder die Gabe der Wunder­heilung. Wir sollten die Korinther auch nicht um bestimmte Gaben beneiden; wir haben anderes, was es damals nicht gab, zum Beispiel medi­zinische Helfer, die von Gott mit großer natur­wissenschaft­licher Weisheit gesegnet sind. Ich meine, wir können uns sehr freuen über die viel­fältigen Dienste und die vielen Bereiche der Mitarbeit, die Gott uns in unserer Gemeinde geschenkt hat. So können wir uns freuen, dass Gott Gliedern der Gemeinde die Bereit­schaft gegeben hat, sich als Kirchen­vorsteher wählen zu lassen. Wir können uns freuen, dass Bläser und Sänger unsere Gottes­dienste bereichern. Wir können uns freuen, dass viele mit großem Einsatz beim Kinder­gottesdienst mitmachen. Wir können uns freuen, dass Gemeinde­glieder im treuen Einsatz die Kirche sauber halten und den Altar schmücken. Wir können uns noch über viele andere Mitarbeiter in der Gemeinde freuen. Sicher wünschen wir uns manchmal, dass noch mehr Hände mithelfen, dass auch noch andere Aufgaben in Angriff genommen werden, aber trotzdem haben wir viel Grund zur Freude über das Bestehende. Zu den genannten offen­sichtlichen Bereichen der Mitarbeit hinzu kommt manche verborgene Hilfe, mancher Besuch bei Kranken und Alten, mancher seelsorger­liche und andere Dienst der Gemeinde­glieder unter­einander. Hinzu kommt der Dienst der Gottes­dienst­gemeinde, denn Gott loben ist ja unser aller Amt, und zum Gottes­dienst gehen und das Abendmahl empfangen ist zugleich ein Ver­kündigungs­dienst für die anderen. Selbst die kleinen Kinder sind bereits Mitarbeiter am Leib Christi, etwa, wenn sie im Gottes­dienst laut das Amen mit­sprechen. Wer alt oder krank oder ans Haus gebunden ist, kann mit seiner Fürbitte einen wichtigen Dienst für die Gemeinde leisten. Ja, selbst wer so schwach ist, dass er gar nichts mehr tun kann, dient doch dem Leib Christi und lobt Gott, indem er geduldig sein Kreuz trägt und damit anderen zum Vorbild wird.

Einatmen uns ausatmen, sich dienen lassen und selbst dienen, nehmen und geben machen das Wesen der Gemeinde Jesu Christi aus. Ihre Glieder leben am Leib des Herrn, indem sie einerseits Kraft empfangen, anderer­seits mit­arbeiten. Wenn wir uns dies heute aus Gottes Wort bewusst machen, können wir dreierlei annehmen: erstens Gottes Gaben, zweitens uns selbst als Glieder, drittens die anderen Gemeinde­glieder als Mit-Glieder. Dieses dreifache Annehmen möchte ich euch ab­schließend aus diesem Gotteswort besonders ans Herz legen.

Wir nehmen erstens Gottes Gaben an – sowohl die großen Gaben für alle (nämlich Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit) als auch die besonderen Gaben für jeden einzelnen, die ihn zur Mitarbeit fähig machen. Wir rühmen uns nicht selbst und wollen uns nicht gegenseitig über­trumpfen, sondern wir rühmen gemeinsam Gott, von dem wir alles haben.

Wir nehmen zweitens uns selbst als Glieder am Leib Christi an. Wir atmen ein: Wir bleiben an Wort und Sakrament. Wir atmen aus: Wir stellen unsere besonderen Gaben in den Dienst der Gemeinde, arbeiten fröhlich mit, geben auch fröhlich von unseren materiellen Gaben ab. Wer nur einatmet oder nur ausatment, dem bleibt die Luft weg. Beides gehört zusammen, um zu leben. Wir arbeiten also mit, weil wir als Glieder am Leib Christi dazu geschaffen und ausersehen sind. Wir arbeiten nicht deshalb mit, weil wir ein frommes Hobby haben, dem wir nach Lust und Laune im Verein Kirche nachgehen können, auch nicht aufgrund von moralischem Druck, auch nicht aus dem Pflicht­gefühl heraus, dass wir den kirchlichen Betrieb irgendwie aufrecht erhalten müssen. Wir arbeiten vielmehr darum mit, weil das zu unserem Leben als Glieder am Leib Christi gehört; wir freuen uns, dass wir dürfen. Wir arbeiten mit in Geduld, auch in mancherlei Ent­täuschungen, Schwierig­keiten und Müdigkeit, weil wir wissen, dass Gott uns langen Atem schenkt.

Wir nehmen drittens die anderen Gemeinde­glieder als Mit-Glieder an mit den Gaben, die sie ihrerseits von Gott empfangen haben. Wir vergleichen dabei nicht, ob ihre Gaben größer oder kleiner sind als unsere. Wir rechnen Mitarbeit nicht gegen­einander auf. Wir sagen nicht: Blasen ist wichtiger als Besuche machen; oder: Kirche-Putzen ist wichtiger als Kinder­arbeit. Wir nehmen die unter­schiedlichen Ämter und die ver­schiedenen Gaben der Mitarbeit dankbar an, weil wir wissen, dass ja der eine Geist und der eine Gott hinter allem steht und uns gerade in unserer Ver­schieden­heit zu einem Organismus verbindet, zu dem einen Leib Christi. Als solcher wollen wir heute und fernerhin nehmen und geben, uns dienen lassen und dienen, einatmen und ausatmen – bis an den Tag, da Christus uns in die himmlische Herrlich­keit rufen wird. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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