Vom rechten Rühmen

Predigt über Jeremia 9,22‑23 zum Sonntag Septuagesimä

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein Prahlhans macht keinen guten Eindruck. Wer angibt und immer nur die eigenen Fähigkeiten oder den eigenen Besitz groß heraus­stellt, der wird bald unbeliebt sein. Darum hüten sich kluge Leute davor zu prahlen und stapeln lieber etwas tiefer. Das Wort Gottes im Buch des Propheten Jeremia, das wir eben gehört haben, handelt vom Rühmen. Sich-Rühmen bedeutet da mehr als Prahlen. Das Prahlen beziehungs­weise Angeben wird man sich nämlich schnell verkneifen, wenn man merkt, dass man sich damit nur unbeliebt macht. Das Rühmen dagegeb steckt tief im Herzen drin. Es kann einer durchaus den Mund halten und gleich­zeitig ganz von sich eingenommen sein. Sich rühmen, das heißt sich selbst etwas darauf einbilden, dass man dies oder jenes hat oder kann.

Wir stellen uns mal drei junge Männer vor, die sich anschicken, die ersten selbst­ständigen Schritte ins Leben zu tun. Der erste ist intelligent und fleißig. Er kann hervor­ragende Zeugnisse vorweisen. Ein Studien­platz ist ihm sicher, ebenso wie eine besondere Begabten­förderung. Er denkt im Stillen dasselbe, was ihm von anderen immer wieder prophezeit wird: Du hast eine Traum­karriere vor dir! Der zweite ist ein aus­gezeich­neter Sportler. Er ist gesund, vital und leistungs­fähig. Und er hat Ehrgeiz. Er will in den Leistungs­sport, will unter den Besten der Welt rangieren. Wenn andere ihn bewundern oder beneiden, fühlt er sich wohl. Der dritte ist ein Kind reicher Eltern. Von klein auf hat er alles bekommen, was er sich wünschte. Er fühlt sich sicher bei dem Gedanken, dass ihm viel Geld zur Verfügung steht. Und manchmal träumt er auch schon von der riesigen Erbschaft. Wenn man sich diese drei jungen Männer vorstellt, könnte man sagen: Das sind ja großartige Voraus­setzungen für einen Start ins Leben! Sie werden es packen! Da wird das Leben schon gut laufen, sie werden es zu etwas bringen! Und die drei denken bei sich ebenso – ob sie es nun laut heraus­posaunen oder nicht. Sie rühmen sich im eigent­lichen Sinne, sie bilden sich auf Besitz und Fähigkeiten etwas ein.

Aber da sagt Gott durch Jeremia: Falsch, so soll man sich nicht rühmen. „Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.“ Weisheit, Stärke und Reichtum mögen beim Start ins Leben zwar einen gewissen Wert haben. Aber sie entscheiden letztlich nicht darüber, ob das Leben gelingt. Sie können auch alle verloren gehen – schneller, als man denkt. Darum ist dieses Gotteswort eine Mahnung an alle, die sich auf diese oder ähnliche Voraus­setzungen verlassen – auf Intelli­genz, Ausbildung, Vitalität, Stärke, Gesundheit, soziale Stellung, Macht oder Besitz. Es ist eine Mahnung, sich nicht auf diese Dinge zu verlassen, sich also nichts auf sie ein­zubilden, sich ihrer nicht zu rühmen. Zugleich ist dieses Gotteswort ein Trost für diejenigen, die von alledem nicht viel vorzuweisen haben. Es ist ein Trost für alle, die nur Durch­schnitt sind oder gar unter dem Durch­schnitt liegen – ein Trost für Einfältige, Schwache, Kranke, Machtlose, Mittellose, Arme. Gott zeigt in diesem Wort nämlich, dass es auch für sie einen Grund zum Rühmen gibt. Auch sie haben etwas, worauf sie sich verlassen können und womit in ihrem Leben alles gut wird. Dieser eine Grund zum Rühmen ist zugleich der einzig tragfähige auch für die Weisen, Starken und Reichen. Es ist letztlich der einzige Grund zum Rühmen für alle Menschen: „Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der Herr bin.“

Dieses Klugsein hat nichts mit Intelligenz oder Bildung zu tun. Dieses Klugsein kann man auch bei Kindern und einfältigen Menschen antreffen; ja, denen fällt es oft leichter als den Gebildeten. Gott kennen, Gott erkennen – erkennen, dass Gott der Herr ist: darum geht es bei diesem Klugsein. Das fängt damit an, dass man mit offenen Augen durch die Welt geht und merkt: Wie wunderbar hat der Allmächtige alles geschaffen! Wie wunderbar bin ich selbst von ihm bereitet! Wie wunderbar erhält und leitet er mich! Und die Bibel bestätigt das: Gott hatt sich in ihr als Schöpfer und Erhalter der Welt offenbart. Dieses Klugsein geht damit weiter, dass man auf die Stimme seines Gewissens hört. Da lehrt uns Gott, was gut und böse ist. Da schenkt er uns eine Ahnung von seinen Geboten, die zeigen, wie wir uns in dieser wunderbaren Welt recht verhalten sollen. Und die Bibel sagt uns dann in aller Klarheit, was Gott gefällt und was ihm missfällt. Man braucht nicht intelligent zu sein, um die Zehn Gebote zu verstehen, nur klug genug, um zu erkennen: Gott allein ist der Herr; den sollen wir über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.

Gerade an diesem Punkt zeigt sich leider häufig, dass solche Glaubens­klugheit nicht automatisch zusammen­fällt mit hoher geistiger Leistungs­fähigkeit. Das können wir gut von einer Afrikanerin lernen, die seit einigen Jahren in Deutschland lebt. Sie hat hier ihre Augen und Ohren aufgemacht – und kann vieles nicht verstehen. Sie sagt: Die Europäer sind doch so klug und haben uns Afrikaner so vieles gelehrt; sie haben uns großen technischen Fortschritt gebracht. Aber hier in Deutschland sehe ich die Deutschen viele dumme Sachen machen. Ich habe erlebt, dass Kinder sich vor ihre Eltern hinstellen und ihnen mit lauter Stimme wider­sprechen. Ich habe erlebt, dass Mann und Frau ohne Hochzeit zusammen­ziehen, und die Älteren verbieten ihnen das nicht. Und wenn ihnen jemand das verbietet, dann hören sie nicht darauf. In der Bibel steht doch ganz deutlich drin, dass das Sünde ist. Warum tun die klugen Deutschen denn nicht das, was Gott sagt?

Gott sagt: „Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der Herr bin.“ Diese Klugheit schenkt Gott selbst durch sein Wort. Wer sich dieser Klugheit rühmen und darauf sein Leben gründen will, der bitte um den Heiligen Geist, dass der ihm Gottes Wort auf­schließe. Dann wird er auch merken, dass Gott kennen mehr ist, als ihn als Schöpfer und Gesetzgeber an­zuerkennen. Schon das ist eine gute und feine Klugheit, der man sich zu Recht rühmen kann. Aber Gott will uns durch sein Wort noch viel mehr erkennen lassen, nämlich: „… dass ich der HERR bin, der Barmherzig­keit, Recht und Gerechtig­keit übt auf Erden.“ Wenn der Heilige Geist uns diesen Satz auf­schließt, dann können wir direkt in Gottes Herz sehen, dann dürfen wir das schönste Geheimnis Gottes erkennen.

Was also bedeutet das: „… dass ich der Herr bin, der Barmherzig­keit, Recht und Gerechtig­keit übt auf Erden“? Barmherzig­keit heißt Liebe und Güte. Gott hat seine Geschöpfe lieb. Gott liebt uns Menschen selbst dann noch, wenn wir ihm feind geworden sind, wenn wir sein Gesetz verlassen haben, wenn wir ihm den Rücken kehren und ihn verleugnen. Gott lässt sich in seiner Liebe nicht beirren durch unsere Torheit. Recht heißt Richter­spruch oder gerechtes Urteil. Gott muss die Bosheit strafen, denn er ist gerecht. Er hat den Menschen von Anfang an klar gesagt, dass er allen Ungehorsam rächen und vergelten wird. Gott ist allmächtig, aber eins kann er nicht: sich selbst untreu werden. Er steht zu seinem Wort. Darum muss er Recht üben, ein gerechtes Strafurteil über jede Sünde verhängen. Gerechtig­keit heißt Recht­fertigung beziehungs­weise Herbei­führung des Rechts. Dieses nüchterne Wort verrät auf den ersten Blick nicht, dass wir hier mitten im Herzen Gottes angelangt sind. Diese Gerechtig­keit, diese Recht­fertigung ist nämlich ganz allein Gottes Tun. Und diese Recht­fertigung trägt einen Namen, der uns im Neuen Testament offenbart ist: Jesus Christus. Mit dieser Recht­fertigung, also mit Jesus, vollbringt Gott das über die Maßen große Wunder, zugleich Recht und zugleich Barmherzig­keit an uns zu üben: Gott bleibt gerecht und straft unsere Sünde un­erbittlich mit dem Tode. Aber die Strafe müssen nicht wir selbst tragen, sondern Gottes Sohn Jesus Christus trägt sie für uns. So erfahren wir un­verdienter­weise Gottes Barmherzig­keit und Liebe. Wir dürfen für immer als seine geliebten Kinder vor ihm leben. Gottes Recht­fertigungs­tat vereint das Recht und die Barmherzig­keit Gottes auf unfassliche Weise. Wer da glaubt und getauft wird, der ist gerecht vor Gott. Hier sind wir am Herzen Gottes! Das ist die allerbeste Klugheit, der man sich rühmen kann: Gott kennen, dass er der Herr ist, der Barmherzig­keit, Recht und Gerechtig­keit übt auf Erden – die Recht­fertigung durch das Opfer seines Sohnes Jesus Christus!

Wer diese Klugheit besitzt, beziehungs­weise wer diesen Glauben von Gott geschenkt bekommt, dem wird sein Leben gelingen, selbst wenn es nach mensch­lichen Maßstäben noch so schief oder erbärmlich läuft. Ein ent­scheidender Unterschied besteht zwischen dieser Glaubens­klugheit einerseits und der Weisheit, der Stärke sowie dem Reichtum anderer­seits: Letztere muss einer von sich aus haben und einsetzen; ersteres aber schenkt Gott allen, die es haben wollen – gerade auch den Schwachen und Un­vermögen­den. Wer sich also der Glaubens­klugheit rühmt (und das ist ja das einzig rechte Rühmen), der rühmt sich damit zugleich der eigenen Schwachheit und des eigenen Un­vermögens. Gott ist es ja, der alles tut und schafft, und er hat unserem Leben die ent­scheidende Wendung gegeben durch seine Recht­fertigung in Jesus. Er, der das Gute lohnen und das Böse strafen muss, straft unsere Bosheit an Jesus, damit wir den Lohn des Guten empfangen. Gott schafft das alles; er ist zu rühmen; bei uns ist nur das Unvermögen und die Schwachheit zu rühmen. Darum schrieb auch der Apostel Paulus: „Ich will mich am aller­liebsten rühmen meiner Schwach­heit“ (2. Kor. 12,9).

Wer klug ist und Gott durch das Wort erkennt, wer sich im Glauben an Jesus Christus hält und bei sich selbst nur die Schwachheit rühmt, dem wird das Leben gelingen, auch wenn äußerlich alles fällt. Und es wird alles fallen, früher oder später. Den Weisen wird sein Gedächtnis einmal im Stich lassen, er wird vielleicht sogar kindisch werden. Die Kräfte des vitalen Sportlers werden einmal nachlassen. Und wenn der Reiche seinen Besitz nicht zuvor sowieso verliert, wird er einmal an den Punkt kommen, wo er merkt: Die wirklich wertvollen Dinge im Leben kann man nicht kaufen; was nützt mir all mein Geld? Aber der Ruhm, den Herrn zu kennen, der bleibt in Ewigkeit. Auch in der aller­größten Schwachheit bleibt dieser Ruhm bestehen, sogar in der bitteren Todes­stunde: der Ruhm, dass Gottes Barmherzigkeit über uns tri­umphiert, weil Gott durch Christus uns vergeben hat. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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