Vorfreude auf den Himmel verbindet, verpflichtet, vermahnt

Predigt über Lukas 13,29 zum Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Leben ist schön. Noch schöner wird es im Himmel sein. Ich freue mich schon auf den Himmel. Es wird sein wie bei einer königlichen Hochzeits­feier, sagt die Bibel. Die lange Tafel ist festlich geschmückt. An dieser Tafel ist Platz für euch und für mich und für unzählige andere Menschen, die getauft sind und an den Heiland Jesus Christus glauben. „Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.“ Was für ein schönes Bild des Himmels! Wohl­bemerkt: ein Bild – denn wie es wirklich sein wird, das übersteigt unser Vor­stellungs­vermögen. Übrigens ein Bild, das die ersten Hörer dieses Wortes sich ein wenig anders vorgestellt haben als wir. Sie stellten sich eine antike römische Festtafel vor, wo die Gäste angenehmen entspannt auf Polster­liegen Platz nehmen. Wörtlich übersetzt heißt es: „… die sich zu Tisch legen werden im Reich Gottes.“ Aber egal ob du dir nun eine antike Hochzeit vorstellst oder eine moderne, das Wort unsers Herrn kann uns so richtig den Mund wässrig machen in der Vorfreude auf den Himmel. Diese Vorfreude aus dem Wort unsers Herrn bewirkt nun dreierlei bei uns Christen: Sie verbindet uns, sie ver­pflichtet uns, sie vermahnt uns. Über dieses drei Wirkungen möchte ich jetzt sprechen.

Erstens: Die Vorfreude verbindet uns. „Es werden kommen von Osten und von Westen“, heißt es. Da denken wir an die langjährige Teilung Deutsch­lands in Ost und West mit all den Spuren, die sie bei den Menschen hinter­lassen hat. Egal, wie sehr sich diese Spuren auswirken: Uns Christen verbindet in jedem Fall mehr, als uns trennt – nicht zuletzt die gemeinsame Vorfreude auf den Himmel, wo Ostdeutsche und West­deutsche ganz selbst­verständ­lich am selben Tisch sitzen werden. Und nicht nur die; Osten und Westen reichen ja noch weiter. Polen und Franzosen werden da sitzen, Russen und Amerikaner, Asiaten und Indianer. Auch Nord und Süd sind aus­drücklich genannt: „Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden…“ Der ganze Globus wird am Jüngsten Tag Gottes auserwählte Heilige hergeben, Tote und Lebende, Menschen aus allen „Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen“, wie Johannes sie in der Offenbarung vor Gottes Thron versammelt beschrieben hat (Offb. 7,9). Wie wenn man einen Film rückwärts laufen lässt, so wird sich dann die Aussendung zur Mission umkehren. „Gehet hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker“, sagte Jesus den Aposteln (Matth. 28,18), und das gilt bis zu dem Tag, da kommen werden von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, um gemeinsam an der festlich gedeckten Hochzeits­tafel des himmlischen Vaters platz zu nehmen – dann auch wieder sichtbar vereint mit ihrem Herrn Jesus Christus.

Ja dieses Wort und die Himmels­vorfreude verbinden uns mit Menschen aller Länder, Sprachen und Hautfarben. Aber wir können dieses Wort noch weiter­gehend verstehen. Aus dem Zusammen­hang, in dem Jesus es sagte, geht hervor, dass Jesus damit ausdrücken wollte: Ihr werdet euch wundern, wer da alles einmal an Gottes Tafel Platz nehmen wird; Menschen, von denen ihr das nicht für möglich haltet! Vielleicht werden wir uns ebenso wundern, liebe Gemeinde. Da werden nicht nur Leute kommen, die sich sonntags zum Gottes­dienst­besuch einen Schlips umgebunden oder das Parfüm­fläschchen gebraucht haben. Da wird mancher einfache bis einfältige Mensch darunter sein, und mancher Penner, der oftmals ohne Dach über dem Kopf die Nacht zubringen musste – wie übrigens auch Jesus selbst. Mancher, der seine Lebenszeit in Kneipen zugebracht hat, wird darunter sein, und mancher, der im Gefängnis gesessen hat. Der Fließband­arbeiter wird neben dem Fabrik­direktor sitzen, die Hure neben der Nonne, der Demonstrant neben dem Polizisten, der Wehrdienst­verweigerer neben dem Soldaten. Auch von links und rechts werden die kommen, die im Reich Gottes zu Tisch sitzen werden, und zwar im politischen Sinne. Und schließlich wird beim himmlischen Hochzeits­mahl auch die Konfession unwichtig sein; es wird vielmehr offenbar werden, was wir heute schon glauben und bekennen: die eine heilige christliche Kirche. Da werden nicht nur Menschen kommen, die zu einer luthe­rischen Bekenntnis­kirche gehört haben. Vielmehr dürfen wir damit rechnen, dass aus allen evan­gelischen, katholi­schen und orthodoxen Kirchen die Heiligen zusammen­kommen werden. Und wer wollte von vornherein aus­schließen, dass Gott nicht auch Sekten­angehörige selig machen wird? Aber so unter­schiedlich diese Menschen auch sein werden, eins wird sie verbinden: der Glaube, dass der wahre Gott und Mensch Jesus Christus ihr Herr und Heiland ist.

Zweitens: Dieses Wort unsers Herrn Jesus Christus ver­pflichtet uns. Es ver­pflichtet uns deshalb, weil wir eine Weg­gemein­schaft sind – gemeinsam unterwegs zum himmlischen Hochzeits­fest. Diese Ver­pflichtung ist vielfältig, hat aber letztlich nur das eine Ziel: dass wir uns gegenseitig auf dem Weg zur ewigen Seligkeit helfen. Da sollen wir die Traurigen trösten, dass sie durch uns die Liebe Christi spüren. Da sollen wir den Zweifelnden Mut machen, sich mit kindlichem Glauben auf die Zusagen des Evangeliums zu verlassen. Da sollen wir den Gefallenen aufhelfen und ihnen unter die Arme greifen. Da sollen wir die Verirrten zurückrufen – das möchte ich besonders deshalb hervor­heben, weil wir an diesem Punkt heutzutage häufig versagen. Ja, wir sind dazu verpflichtet, Irrende auf den richtigen Weg zurück­zurufen und Sünde beim Namen zu nennen – wir alle, nicht nur die Pastoren, sondern auch Kirchen­vorsteher, Eltern, Paten oder Gemeinde­glieder ohne besonderes Amt. Wenn jemand Gottes­dienste versäumt und dem Abendmahl fernbleibt, wenn Paare ohne eheliche Bindung zusammen­leben, wenn Habsucht, Hass oder Un­versöhnlich­keit zu Tage treten, dann können und sollen wir sagen: Lieber Bruder, liebe Schwester, du versündigst dich gegen deinen Herrn; kehre um und lass dir die Sünde vergeben; und dann geh hin und sündige nicht mehr. Auch haben wir als Weg­gemein­schaft die freudige Ver­pflichtung, gemeinsam Gott zu loben, zu ehren, anzubeten, zu bitten und zu bekennen. Wir sollen sein Wort annehmen und sein heiliges Mahl in uns aufnehmen. Gerade im Altar­sakrament schenkt uns der Herr ja einen Vor­geschmack auf das himmlische Hochzeits­mahl. Auch sind wir ver­pflichtet, den Alten und Sterbenden an der dunklen Schwelle zu helfen, die vor Gottes Festsaal zu überwinden ist. Und wir sollen fleißig alle einladen, die noch nicht zu unsrer Weg­gemein­schaft gehören; die Mission im In- und Ausland soll uns am Herzen liegen. Unser Bibelvers zeigt ja deutlich, dass Jesus alle Arten von Menschen bei sich an der Festtafel haben will, und wir sind diejenigen, die die Einladungen austeilen sollen. So ver­pflichtet uns das Wort nicht nur den Mit­christen, sondern letztlich allen Menschen gegenüber.

Drittens: Dieses Wort vermahnt uns. Das wird ganz deutlich, wenn man den voran­gehenden Vers mitliest. Der richtete sich ur­sprünglich an jene Juden, die einen guten Draht zu Gott zu haben glaubten, aber Jesus nicht annehmen wollten. Jesus sagte ihnen: „Da wird Heulen und Zähne­klappern sein, wenn ihr sehen werdet Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes, euch aber hinaus­gestoßen.“ Und dann folgt unser Predigt­text: „Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.“ Mancher wird also eine böse Über­raschung erleben: Alle möglichen anderen Leute gehören dazu – solche, bei denen er es für möglich hielt, und solche, bei denen er es nicht für möglich hielt, – aber er selbst ist aus­geschlossen.

Liebe Gemeinde, dieses Wort sollte auch uns vermahnen, nicht nur die Juden. Es vermahnt uns in ähnlicher Weise wie der Apostel Paulus, wenn er schreibt: „Wer meint, er stehe, der sehe zu, dass er nicht falle“ (1. Kor. 10,12). Niemand sollte selbst­bewusst sagen: Ich hab's! Ich habe das richtige Glaubens­bekenntnis; ich gehöre zur richtigen Kirche; mir ist der Himmel sicher. Wohl­bemerkt: Niemand sollte das selbst­bewusst sagen. Gegen die Heils­gewissheit als solche ist nichts ein­zuwenden; im Gegenteil, der Apostel Johannes meinte: „Das habe ich euch ge­schrieben, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt“ (1. Joh. 5,13). Aber diese Gewissheit kommt niemals aus unserm Selbst­bewusst­sein, sondern nur aus dem Christus­bewusstsein, also aus dem Glauben an ihn. Weil unsere Erlösung an ihm hängt und er sie uns versprochen hat, darum können wir sicher sein: Wir werden gerettet, wenn wir nur seine Hilfe suchen und in Anspruch nehmen. Wenn ich mich aber auf meine Glaubens­kraft verlasse, dann glaube ich eigentlich nicht an Christus, sondern an meinen Glauben – und das ist gefährlich, das ist falsch. Christus spricht: „Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.“ Er vermahnt uns damit: Seht zu, dass auch ihr dabei seid an diesem Tag! Nicht christ­liches oder konfessio­nelles Selbst­bewusstsein führt dahin, sondern allein das Christus­bewusstsein, das völlige Vertrauen in unsern Herrn und Heiland.

Wenn uns das Wort Jesu, das wir jetzt betrachten, zum Christus­bewusstsein vermahnt, und wenn es uns vermahnt, dass wir uns wie Kinder von ihm auf seinen Wegen führen lassen, dann ist es wichtig, dass wir die ganze Heilige Schrift als Gottes Wort annehmen und ernst nehmen. Wir müssen uns einerseits redlich darum mühen, was denn im einzelnen gemeint ist, und da muss theologisch und geschicht­lich gearbeitet werden. Aber wo das Gemeinte klar geworden ist, da sollen wir es anderer­seits ganz kindlich annehmen, glauben und danach zu leben versuchen. Da darf nicht dran herum­gedeutelt werden. Wo daran herum­gedeutelt wird, droht immer das Selbst­bewusstsein das Christus­bewusstsein zu verdrängen. Ich habe das im Theologie­studium an landes­kirchlichen und staatlichen Fakultäten erlebt. Ich erlebe es – das sage ich hier ganz offen – ansatzweise auch in der Kirche, zu der ich gehöre, und das macht mir viel Kummer. Mit dem Wort der Bibel steht und fällt die Kirche, der Glaube, die Seligkeit. Gott verlangt nicht von uns, dass wir alles in seinem Wort verstehen, aber er erwartet von uns, dass wir es mit kindlicher Demut im Glauben annehmen als unseren größten Schatz. Unser Herr Jesus Christus selbst redet durch dieses Wort. Er spricht: „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren“ (Lukas 11,28).

Gott schenke uns, dass wir in dieser Weise selig sind und selig werden! Er schenke uns, dass die Bank­nachbarn in diesem Gottes­dienst, dass Christen aus Ost und West und Nord und Süd, dass Menschen aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen mit uns zusammen das königliche Hochzeits­mahl im Himmel feiern werden! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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