Vertrauen in den Alles-Heiler

Predigt über Markus 1,32‑39 zum 19. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn uns heutzutage irgendwo der Schuh drückt, dann steht uns ein Heer von Spezialis­ten für alle erdenk­lichen Probleme zur Verfügung. Wer psychische Nöte hat, geht zum Psycho­logen. Wer mit Ehepartner oder Kindern nicht mehr klar kommt, wendet sich an den Familien­berater. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, zieht den Rechts­anwalt zu Rate. Wer krank wird, geht zum Arzt. Bei den Ärzten gibt es wiederum eine große Auswahl: Allgemein­mediziner, Zahnärzte, Augenärzte, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Frauen­ärzte, Kinder­ärzte, Hautärzte, Chirurgen, Orthopäden, Inter­nisten, Urologen… Wem es die alternative Medizin angetan hat, der geht zum Heil­praktiker, vertraut Natur­heilverfah­ren und nimmt homöo­pathische Mittel ein. Und mancher, der seine Krankheit mit verborgenen Mächten in Verbindung bringt, geht zu irgendeinem Wunder­heiler – wovor ich freilich dringend warnen muss, denn da kommt man vom Regen in die Traufe.

Für jeden Fall gibt es also den ent­sprechenden Spezialis­ten. Das will ich überhaupt nicht kriti­sieren. Ich stelle nur die Frage: Wo ist der Platz für Jesus und sein sogenanntes „Boden­personal“, die Seelsorger? Sind sie Spezialis­ten zur Beruhigung emp­findlicher Gewissen? Oder „Seelen­klempner“ für Menschen mit religiöser Neigung? Ich habe einmal gehört, wie ein Konfirmand Jesus den „Spezialis­ten für Sünden­vergebung“ nannte. Das war auf den ersten Blick sehr schön gesagt – aber stimmt das denn, lässt Jesus sich einfach in das Heer der vielen Spezialis­ten einreihen?

Unser Abschnitt aus dem Markus­evangelium belehrt uns eines Besseren. Jesus befand sich am Beginn seiner Wirksamkeit in Kapernaum, im Haus des Simon Petrus. Es war am Sabbat, dem Feiertag der Juden. Vormittags hatte er in der Synagoge einen dämonisch Besessenen geheilt; danach hatte er die Schwieger­mutter des Petrus von hohem Fieber befreit. Wie ein Lauffeuer hatten sich die Heilungen in Kapernaum herum­gesprochen. Als nun am Abend die Sabbatruhe vorüber war, drängten sich die Kranken und Besessenen vor der Haustür, um ebenfalls geheilt zu werden. „Und er half vielen Kranken“, heißt es da. „Viele“ ist hier im Sinne der hebräischen Sprechweise gebraucht und meint „all die vielen“. Die Evan­gelisten Matthäus und Lukas, die von derselben Begebenheit berich­teten, schrieben „alle“. Jesus heilte also alle Kranken, alle Besessenen, alle Arten von Krank­heiten. Jesus machte damit deutlich, wozu er in die Welt gekommen war: Nicht als Spezialist für Sünden­vergebung oder als Spezialist für irgendeine bestimmte Krankheit, sondern als Alles-Heiler, als Universa­list, als einer, der bei allen Menschen alles heil machen will. Das ist Jesu Wille, und das ist auch der Wille seines himmlischen Vaters bis heute: Jesus will bei allen Menschen alles heil machen.

Liebe Brüder und Schwestern, beziehen wir das nun auf uns: Jesus ist unser Universa­list, unser Alles-Heiler! Da können wir ihm großes Vertrauen entgegen­bringen. Wir setzen all unsere Hoffnung auf eine Karte, besser: auf einen Mann, auf den wahren Gott und wahren Menschen Jesus Christus. Welches Vertrauen dem Alles-Heiler Jesus Christus gegenüber angemessen ist, möchte ich nun in drei Schritten entfalten: Erstens das Vertrauen, dass er alle Wunden heilt; zweitens das Vertrauen, dass er auf rechter Straße führt; drittens das Vertrauen, das in die Tat umgesetzt werden will.

Wir haben also erstens das Vertrauen, dass Jesus alle unsere Wunden heilt. Es hat damit begonnen, dass er uns aus dem Macht­bereich des Teufels befreit hat, so, wie er die Besessenen damals heilte. Freilich zeigt sich heute nur selten ganz offen­sichtlich, dass ein Mensch in der Gewalt böser Mächte steht, dass etwa einer aufschreit, um sich schlägt und dabei über erstaun­liche Erkennt­nisse und Fähigkeiten verfügt, die nicht natürlich erklärbar sind. Das gibt es zwar noch immer, aber es ist, wie gesagt, selten. Jedoch ist die Seele eines jeden Menschen, der nicht getauft ist und an Jesus glaubt, im Macht­bereich des Teufels gefangen. Wo nun durch Taufe, Gottes Wort und Glaube einer die Vergebung der Sünden empfängt, da wird seine Seele frei; sie wird hinüber­gerettet in den Macht­bereich Gottes.

Wenn der böse Feind keine Macht mehr an uns hat, weil die Sünden vergeben sind, dann werden unsere Herzen neu. Wir werden fähig, Gott und unsere Mitmenschen zu lieben. So kommt sowohl unser geistliches Leben in Ordnung als auch unser Zusammen­leben mit anderen Menschen. Und der Tod, der „Sünde Sold“, verliert seine Schrecken; wir brauchen nicht mehr wirklich zu sterben, sondern wir dürfen ewig leben. „Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe, und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben“, lautet Jesu Verheißung (Joh. 11,25‑26). Weil Jesus den Tod überwunden hat, hat er damit auch alles überwunden, was auf ihn hinzielt: das Altwerden und das Krank­werden. Es heißt aus­drücklich: „Er trug unsere Krankheit und lauf auf sich unsere Schmerzen“ (Jes. 53,4). Das Loch im Zahn, die Schmerzen in den Gliedern, die Schwerhörig­keit, die Zucker­krankheit – all das will Jesus heil machen. Auch im familiären und im wirtschaft­lichen Bereich will Jesus alles gut machen; die Bibel ist voller Ver­heißungen dafür. Im Römerbrief steht: „Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“ (Römer 8,28). Im 1. Petrus­brief steht: „Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorget für euch“ (1. Petrus 5,7). Wir beten und singen: „Seine Gnad' und Jesu Blut / machen allen Schaden gut.“ – „Sein Wort bewegt des Herzens Grund, / sein Wort macht Leib und Seel gesund.“ Jesus ist der Universa­list, der Alles-Heiler; Jesus hat ver­sprochen, alles in unserem Leben in Ordnung zu bringen.

Wir haben zweitens das Vertrauen, dass Jesus uns auf rechter Straße führt. Das setzt allerdings voraus: Wir müssen zunächst einmal ja dazu sagen, dass Jesus uns überhaupt führt, dass er gewisser­maßen eine Geschichte mit jedem Menschen hat, und zwar meistens einen ganz ver­schlungene, für unsere Vernunft un­verständ­liche Geschichte. Bis Jesus uns ganz an Geist, Leib und Seele gesund macht, müssen wir ihm schon so weit vertrauen, dass wir einen Weg mitgehen – seinen Heilsweg mit uns! Ich will es mal in einem Bild sagen: Wenn ich mit einer Krankheit zum Arzt gehe, dann hoffe ich natürlich, dass ich möglichst schnell und auf möglichst schmerzlose Weise wieder gesund werde. Aber selten läuft die Therapie nach diesen Vor­stellungen; vielmehr muss der Arzt mit seiner Behandlung einen Weg mit mir gehen, an dessen Ende erst – so ist zu hoffen – die voll­ständige Heilung steht. Ähnlich ist es mit dem Heil, das Jesus bringt. Sein Ziel ist nicht, dass wir sofort ohne körperliche und seelische Beschwerden sind. Das Evangelium wäre zu flach verstanden, wenn wir darin nur ein Stückchen Lebenshilfe sehen würden. Nein, Jesus heilt unseren Schaden von der Wurzel her, also im wahrsten Sinnes des Wortes „radikal“: Er macht zuallererst den Sünden­schaden gut, vergibt die Schuld und schenkt Frieden mit Gott. Auf dieser Grundlage führt er uns dann weiter. Wie dieser Weg aussieht, das ist von Mensch zu Mensch ver­schieden. Er tut Wunder – aber er lässt auch Wunder ausbleiben; Er nimmt schwere Lasten ab – oder gibt Kraft, sie zu tragen. Er heilt auch heute noch Krankheiten durch Wunder, das können viele bezeugen, und du darfst ihn auch ruhig darum bitten, sofern du dabei sagst: „Dein Wille geschehe.“ Er heilt auch durch die Kunst der Ärzte und durch die Segnungen der Medizin. Er heilt manchmal auch, indem er einen chronisch Kranken wie Paulus wissen lässt: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Kor. 12,9). Er heilt auch, indem er einen Menschen von seinem irdischen Leib erlöst. Erwarten wir von Jesus nicht, dass er bei uns schnell irgend­welche Symptome kuriert; erwarten wir von ihm vielmehr, dass er uns von Grund auf heil und gesund macht – freilich auf einem Weg, den er selbst bestimmt.

Was ist das aber für ein Weg, was sagt die Bibel über ihn? Aus unserer Geschichte geht hervor, dass Jesus die Heilungs­suchenden auch mal an einem Morgen vergeblich auf sich warten ließ. Er forderte Geduld und Vertrauen. Bemerkens­wert ist aber, wie es dann nach dem Markus­evangelium weiterging: Jesus heilte und predigte und kündigte damit an, dass durch ihn nun Gottes Reich angebrochen ist. Danach wurde er am Kreuz hin­gerichtet: hilflos – er half sich selbst nicht. Wie er die Heilungs­suchenden an einem Morgen einmal im Stich ließ, um mit seinem Vater zu reden, so hat er auch im Hinblick auf seine freiwillige Hilf­losig­keit am Kreuz zum Vater gebetet: Ja, Vater – wie du willst, so soll es geschehen. Das Kreuz ist Gottes Heilsweg für diese Welt – das Kreuz: der scheinbare Sieg des Bösen. Bevor Christus auferstand und in den Himmel fuhr, war da das Kreuz. Das Kreuz kenn­zeichnet Gottes Weg – nicht nur für Jesus Christus, sondern auch für die, die seine Jünger heißen. „Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein“, sagte Jesus (Lukas 14,27). Das ist ein Geheimnis, das nur der Glaubende versteht: Gottes Heil kommt auf dem Kreuzweg. Gottes Wege mit seinen Jüngern sind Kreuzwege. Wenn ich denn leiden muss, kann ich dabei doch getrost und dankbar sein, weil ich weiß: Ich darf das Kreuz tragen; das ist der Weg, der zum Ziel der vollendeten Heilung führt.

Drittens ist unser Vertrauen in Jesus ein Vertrauen, das in die Tat umgesetzt werden will. Das geschieht einmal dadurch, dass wir Gott bewusst um Hilfe und Heilung bitten in den mancherlei Nöten unseres Lebens. Gott will gebeten sein – das ist sein ständig wieder­kehrendes Gebot im Alten wie im Neuen Testament: „Rufe mich an in der Not!“ (Ps. 50,15) – „Alle eure Sorge werft auf ihn!“ (1. Petrus 5,7). Natürlich dürfen und sollen wir auch von mensch­lichen Hilfs­angeboten Gebrauch machen, aber wir sollen dabei wissen: Die Hilfe und Heilung kommt immer von Christus her; von ihm sollen wir sie uns darum stets erbitten. Kein Arztbesuch, keine Kur, keine Operation, keine Therapie ohne Gebet! Kein Familien­krach ohne Gebet hinterher! Keine Wirtschafts­krise ohne Gebet! Keine Traurig­keit, keine Depression ohne Gebet! Kein Ärger am Arbeits­platz oder in der Nachbar­schaft ohne Gebet! Jesus will heilen, und er will darum gebeten sein.

Sodann sollen wir uns die Hilfe aus seinem Wort erwarten. Gott hilft, heilt und schafft Neues durch sein Wort – genauso, wie er diese Welt geschaffen hat. Unser Bibel­abschnitt macht es ganz klar: „Ich will auch dort predigen, denn dazu bin ich gekommen“, sagte Jesus. Jesus heilt und hilft durch seine Predigt, durch sein Wort; die Wunder­zeichen aber begleiten das Wort. Lies die Bibel, betrachte Gottes Wort, höre zu bei der Predigt, sprich mit anderen Christen darüber, nimm das Wort der Sünden­vergebung bei der Beichte an, lass dir Gottes Segen zu­sprechen, denk an das Wort der Taufgnade, nimm Christus als Fleisch gewordenes Wort in dich auf durch die Feier des Heiligen Abendmahls! So kommt Heilung – nicht nur die Vergebung der Sünden, sondern auch Leben und Seligkeit, und das schon in dieser Welt. Wenn du aber zu schwach und zu krank und zu angefochten bist, um zu kommen, dann lass dich von anderen zu Jesus bringen – so wie die Kranken in der Geschichte auch von anderen zu Jesus gebracht wurden. Bitte deine Familie, deinen Pastor und deine Mit­gemeinde­glieder um Fürbitte, dass sie dich im Gebet zu Jesus bringen. Lass Christi Wort und Sakrament zu dir gebracht werden – in Kranken­andacht und Haus­abendmahl. Liebe Gemeinde, das ist mir ein ganz wichtiges Anliegen: dass ich möglichst bald davon erfahre, wenn jemand in der Gemeinde krank ist, um ihm durch Fürbitte und Besuch zu helfen. Wartet nicht erst, bis die Krankheit lebens­gefährlich ist. Ruft den Pastor, ruft auch die Kirchen­vorsteher, denn auch die sind dafür da. Hört Gottes Wort, schmeckt sein Abendmahl, lasst über euch beten, lasst euch die Hände auflegen und um Heilung bitten. Erwartet alles von Jesus, denn er hat es versprochen und tut es auch: Er macht alles neu, auch in eurem Leben. Ja, solches Vertrauen schenke euch Gott. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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