Von Gott in den Mund gelegt

Predigt über Jeremia 1,9 zum 9. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein junger Mann macht eine atem­beraubende Erfahrung. Er hat ein über­sinnliches Erlebnis. Er gerät in Trance, und eine Gestalt aus dem Jenseits begegnet ihm. Sie redet zu ihm und rührt ihn an. Nach dieser Erscheinung ist der junge Mann nicht mehr derselbe. Er muss darüber reden, muss darüber schreiben. Kaum können die Worte vermitteln, was er erlebt hat. „Des Herrn Wort geschah zu mir“, schreibt er. Gott hat zu ihm geredet, davon ist er überzeugt. Gott hat einen Spezial­auftrag für ihn, der sein ganzes Leben prägen wird: Prophet soll er werden, und öffentlich predigen muss er. Einwände lässt Gott nicht gelten. Und dann kommt diese merkwürdige feierliche Zeichen­handlung, die der junge Mann im Nachhinein so beschreibt: „Der Herr streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege mein Wort in deinen Mund.“

Dieser junge Mann ist der Prophet Jeremia. Er lebte im 6. Jahr­hundert vor Christus im Staat Juda. Seine Auf­zeichnungen finden wir in der Bibel. Wenn wir dieses Erlebnis am Anfang seiner Auf­zeichnungen geschildert bekommen, dann ist klar, was er damit sagen will: Seine Predigt ist nicht Menschen­meinung, sondern Gottes Wort – Satz für Satz, Wort für Wort. Gott hat ihm die Worte in den Mund gelegt; der von Gott berührte Mund ist nichts anderes als der Laut­sprecher des All­mächtigen. Jeremia beansprucht für seine Worte die höchste Autoritäts­stufe: göttliche Autorität. Das Hebräische ist eine merkwürdige Sprache. Man kann übersetzen: „Ich habe meine Worte in deinen Mund gelegt“, oder: „Ich lege meine Worte in deinen Mund“, oder: „Ich werde meine Worte in deinen Mund legen.“ Man kann aber nicht übersetzen: „Ich will meine Worte in deinen Mund legen – vielleicht irgendwann einmal“, auch nicht: „Ich kann meine Worte in deinen Mund legen – aber es kann eben auch viel unnützes mensch­liches Geschwätz in deiner Predigt sein“. Jeremias Aussage ist un­missverständ­lich klar: Was Jeremia sagt, das sagt Gott.

Wenn wir das ernst nehmen, gibt es nur zwei Möglich­keiten: Entweder dieser Jeremia ist ein größen­wahnsinniger religiöser Spinner, der sich das alles nur eingebildet hat, oder es ist tatsächlich der Welten­schöpfer höchst­persönlich, der durch ihn spricht. Eine Mittel­position gibt es nicht – wie es auch im christ­lichen Glauben keine Mittel­position gibt. Man kann nicht ein bisschen Christ sein; entweder man macht ernst mit Christus als Herrn oder man ist sein Feind; das hat er selbst so gesagt. Die ganze Bibel stellt uns vor diese Ent­scheidung. Jeremia steht mit seinem Berufungs­bericht und mit seinem Anspruch als göttliches Sprachrohr nämlich keineswegs allein da. Nach 2. Mose 4 sagte Gott zu Mose über Mose und Aaron: „Ich will mit deinem und mit seinem Mund sein“ (2. Mose 4,15). Und David sagte im Alter, nachdem er viele Psalmen gedichtet hatte: „Der Geist des Herrn hat durch mich geredet, und sein Wort ist auf meiner Zunge“ (2. Sam. 23,2). Zum Propheten Hesekiel sagte Gott: „Ich will dir den Mund auftun, dass du zu ihnen sagen sollst: So spricht Gott der Herr!“ (Hes. 3,27). Der Apostel Paulus ist dankbar dafür, dass die Thessa­lonicher seine Predigt nicht als Menschen­wort aufgenommen haben, „sondern“, so schrieb er, „als das, was es in Wahrheit ist, als Gottes Wort“ (1. Thess. 2,13). Der Apostel Petrus bezeugte von den Propheten: „Getrieben vom Heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet“ (2. Petrus 1,21). Also: Entweder ist die Bibel der größte Betrug der Weltgeschichte – oder hier redet wirklich und wahrhaftig Gott zu uns. Es gibt nur ein Entweder-oder: entweder die Bibel verwerfen oder sich ihr unter­werfen. Wer sie ohne Vorurteile liest und offen ist für ihre Botschaft, der wird zu Letzterem finden und dem wird sie ein köstlicher Schatz göttlicher Offenbarung sein, eine Quelle großer Freude und das wichtigste Buch der Welt.

An dieser Stelle möchte ich die Aussagen über die Heilige Schrift verlassen, die wir von dem Vers aus dem Prophetenbuch ableiten konnten. Ich möchte nun versuchen, in einem großen Bogen die wunderbare Botschaft nach­zuzeichnen, die wir durch die Münder der Apostel und Propheten von Gott selbst erhalten haben und die in der Bibel auf­geschrieben ist.

Erste Haupt­aussage: Gott hat die Welt geschaffen. Das sieht jeder ein, der mit offenen Augen durch die Welt geht. Wer in die wunderbar geordneten Zusammen­hänge der Natur Einblick gewinnt, der kann nicht glauben, dass alles durch Zufall entstanden ist. Gott hat in seiner über­ragenden Weisheit alles wunderbar geordnet. Und er hat alles so geschaffen und geordnet, dass wir Menschen uns hier auf Erden aus­gesprochen wohl fühlen können.

Zweite Haupt­aussage: Schon die ersten Menschen sind aus dieser wunderbaren Ordnung aus­gebrochen. Sie haben nicht nach Gottes Gebrauchs­anweisung gelebt. Sie wollten besser wissen als Gott, was für sie gut ist. Das musste schief gehen. Nicht nur ihr Verhältnis unter­einander und ihr Verhältnis zur Schöpfung waren fortan gestört, sondern auch ihr Verhältnis zum Schöpfer. Und das Schlimmste: Weil der heilige und gerechte Gott keine unheiligen und un­gehorsamen Menschen bei sich dulden kann, verloren sie das Paradies und wurden sterblich. Ihnen galt die unheimliche Aussicht, nach dem Tod in Gottes Gericht verurteilt zu werden und dann endgültig in der schreck­lichen Gottesferne zu enden, die Hölle genannt wird. Diese Sünde der ersten Menschen pflanzte sich wie ein Krebs­geschwür in der Menschheit fort; eine Generation vererbte der nächsten die Bosheit. Auch diese nüchterne Lage­beschreibung der Bibel sehen wir in unserer Welt bestätigt, ja sogar in unserm eigenen Herzen, wenn wir mit uns selbst ehrlich sind.

Dritte Haupt­aussage: Gott wählte sich in alter Zeit aus den Menschen ein Volk, dem lange Zeit seine besondere Liebe und Zuwendung galt. Es ist das Volk Israel; es sind die Nachkommen Abrahams. Der über­wiegende Teil des Alten Testaments beschäftigt sich mit der Geschichte dieses Volkes. An dieser Geschichte können wir zweierlei ablesen: Erstens bekommen wir auch am Beispiel der Israeliten vor Augen geführt, wie sehr Menschen von der Sünde geprägt und vergiftet sind. Immer wieder hören wir im Alten Testament von Abfall und Götzen­dienst, Mord und Totschlag, Hass und Habsucht, Betrug und Hurerei. Aber wir können an dieser Geschichte auch Gottes Handeln ablesen: Er straft das Böse zwar immer wieder und will sein Volk auf diese Weise erziehen, aber er über­schüttet es auch reichlich mit seinem Segen – einzig aus Liebe; ein anderes Motiv können wir nicht erkennen. Weil diese Liebe im Alten Testament so anschaulich sichtbar wird, dient es uns sozusagen als Bilderbuch für manche un­anschau­liche Aussage des Neuen Testaments. Die blutigen Tieropfer sind Urbilder des einen Opfers Jesu am Kreuz; die Wüsten­wanderung der Kinder Israel und der Einzug ins herrliche Land Kanaan sind Urbilder für den Weg der Kirche in dieser Zeit hin zur ewigen Seligkeit.

Vierte Haupt­aussage: Gott selbst wird Mensch in seinem Sohn Jesus Christus. Dies ist die aller­wichtigste Aussage der Bibel. Jesus leidet, stirbt am Kreuz und zieht damit alle Strafe auf sich, die wir Menschen mit unserer Sünde von Gott verdient haben. Wer im Namen Jesu getauft wird und an ihn als Retter glaubt, der darf ewig mit Gott leben. Gott vergibt seine Sünde; er sieht über seine Bosheit hinweg. Keiner braucht sich die Gunst Gottes mehr zu verdienen durch gute Werke, fromme Übungen oder Anständig­keit. Frei und umsonst bekommt jeder den Himmel geschenkt, der getauft ist und an Jesus glaubt. Um es mit einem Bild aus­zudrücken: Angenommen, wir könnten Gott nur in Amerika finden, wie könnten wir nach Amerika kommen? Etwa aus eigener Kraft? Man kann ja mal versuchen, mit Schwimmen über den Atlantik zu kommen! Der Nicht­schwimmer geht sofort unter, der Durch­schnitts­schwimmer kommt vielleicht ein paar Kilometer weit. Aber selbst ein Weltmeister im Schwimmen schafft es nicht durch eigene Leistung. Doch nun kommt Jesus und schenkt uns ein Ticket für einen Atlantik­flug. Glauben heißt, das Ticket annehmen und einsteigen.

Fünfte Haupt­aussage: Wer in diesem Glauben lebt, befindet sich in einem Spannungs­feld. Er hat durch Christus Gottes wunderbare Liebe kennen­gelernt und nennt ihn seinen Herrn. Er ist beseelt von dem Gedanken, für diesen großartigen Herrn zu leben, ihm nachfolgen und seinen Willen zu erfüllen. Er weiß ja: Gott meint es von Herzen gut mit mir, auch in seinen Geboten und Lebens­anweisungen. Aber da ist auf der anderen Seite der Teufel, der ihn immer wieder am Ärmel zupft und sagt: Sei doch nicht dumm; lass dich doch nicht bevor­munden! Gebote halten? Zur Kirche rennen? Aus Liebe zum Mitmenschen dich aufopfern? Auf dein Recht verzichten? So fallen wir allzu leicht wieder in Sünde, und wir erfahren auch Anfechtung und Schwächen im Glauben. Damit wir mit dem Glauben nicht auf die Nase fallen, brauchen wir regelmäßig Gottes Wort, das Gebet, eine Gemeinde, den Gottes­dienst und das Heilige Abendmahl.

Sechste Haupt­aussage: Das Beste kommt noch. Diese Aussage finden wir auch schon beim Propheten Jeremia. Wer bis an sein Lebensende im Glauben bleibt, wird in Gottes Endgericht frei­gesprochen und darf dann ewig in herrlicher Freude bei Gott leben. Diese herrliche Freude wird in der Bibel mit unzähligen leuchtenden Bildern ausgemalt. Die Bibel ist deshalb auch ein ganz großes Hoffnungs­buch, das uns den Mund wässrig macht auf den Himmel. Aber diese Bilder aus­zuführen, das ist eine eigene Predigt wert. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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