Gottes Einladung

Predigt über Lukas 14,16‑24 zum 2. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es besteht vielfach Unsicher­heit darüber, ob Christsein ein Geschenk oder eine Forderung ist.

Von den grund­legenden Glaubens­sätzen her betrachtet, muss man das Christsein eher ein Geschenk nennen. In Jesus Christus offenbart sich Gottes Liebe zu allen Menschen, egal, wie große Sünder sie sein mögen. Gott will, dass alle Menschen selig werden, und schenkt darum Vergebung der Sünden und ewiges Leben durch seinen Sohn. Er sorgt für uns, er tut alles Gute in unserem Leben. Unter seiner Herrschaft können wir aufatmen und fröhlich sein. Wir brauchen uns nicht durch Gesetzes­gehorsam den Himmel zu verdienen, denn wir halten mit Paulus dafür, „dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ (Römer 3,28). Christsein ist also ein Geschenk.

Nun spricht aber auch manches dafür, das Christsein als eine Forderung anzusehen. Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard klagte: „Man hat das Christentum viel zu sehr zu einem Trost um­gearbeitet; vergessen, dass es eine Forderung ist.“ Hat nicht Jesus selbst von seinen Jüngern radikalen Gehorsam gefordert, in der Bergpredigt etwa? Einmal sagte er auch: „Wer nicht absagt allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein“ (Lukas 14,33) Und wird nicht unser Christsein gerade in der heutigen Zeit heraus­gefordert angesichts von viel Not und vielen Probleme um uns herum? Können wir tatenlos bleiben angesichts von weltweitem Hunger, sozialer Un­gerechtig­keit und tausend­fachen Ab­treibungen in unserem Land? Wer die Forderung vom Christsein wegnehmen will, bricht ihm die Spitze ab, so scheint es.

Ich möchte jetzt keine gelehrte theo­logische Abhandlung halten darüber, wie sich Geschenk und Forderung im Christseins zueinander verhalten. Ich möchte vielmehr unseren Blick auf das Gleichnis lenken, das in der heutigen Evangeliums­lesung steht. Es ist ja die Art unseres Herrn Jesus Christus, mit einer Geschichte eine Glaubens­erkenntnis viel an­schaulicher zu entfalten, als das in einem theo­logischen Vortrag geschehen kann. Sehen wir also, was das Gleichnis vom großen Abendmahl zum Thema „Geschenk oder Forderung“ beiträgt.

Das Abendmahl im Gleichnis würden wir heute als großes Festessen bezeichnen. Der vornehme Gastgeber sendet nach damaliger Sitte seine Diener als Boten aus, die jeden Gast zweimal einladen. Zuerst kündigen sie das Fest und sein Datum an – das ist im Gleichns bereits geschehen. Dann gehen sie am Abend selbst noch einmal hinaus, um die Gäste zur festlich ge­schmückten Tafel zu begleiten. Das Ent­scheidende am Gleichnis ist also die Einladung. Sie beschränkt sich nun aber nicht auf den vor­eingelade­nen, exklusiven Personen­kreis, sondern schließt danach auch alle Sozialfälle innerhalb und außerhalb der Stadt ein, diejenigen also, die keinen großen Namen haben, keine großen Leistungen bringen können, auf Almosen angewiesen sind und – damals noch mehr als heute – von den sogenannten „normalen“ Bürgern verachtet wurden. Jeder ist eingeladen, ohne Ansehen der Person. Dass sie erst eingeladen werden, nachdem die anderen abgesagt haben, darf nicht über­bewertet werden: Anders als der Gastgeber im Gleichnis hat Gott schon vor aller Zeit die Absicht gehabt, alle Menschen bei sich zu haben, und die Zahl der Sitzplätze an seiner himmlischen Tafel ist auch nicht begrenzt.

Wir erkennen an diesem Gleichnis also zuerst Gottes großes Geschenk. Er fordert nichts von den Menschen, sondern er hat nur eins im Sinn: Er möchte, dass wir seine Gäste sind. Er möchte uns glücklich machen. Er möchte, dass wir in Zeit und Ewigkeit vor seinem Angesicht fröhlich leben. Liebe Gemeinde, das wollen wir uns ganz fest einprägen, das soll uns stets ganz groß vor Augen stehen: Gott will nur das Allerbeste für uns. Wenn wir an ihn denken, brauchen wir keine Angst zu haben. Selbst dann nicht, wenn wir die elendesten Menschen und größten Lumpen wären. Wir haben einen Gott, der auf die Straßen und Gassen schicken lässt, an die Hecken und Zäune, um die erbärm­lichsten Gestalten in seinen festlichen Saal zu holen. Er will uns beschenken – das ist die christliche Botschaft! Und diese Einladung gilt für jeden, für die führenden Juden (im Gleichnis die Absager) und die Randgruppen des damaligen jüdischen Volks (im Gleichnis die Menschen auf den Straßen und Gassen der Stadt) sowie auch für die Nichtjuden (im Gleichnis diejenigen außerhalb der Stadt, die an den Landstraßen und Zäunen).

Das ist die eine Beobachtung an dem Gleichnis: Gottes Einladung ist ein un­verdientes Geschenk. Aber das ist noch nicht alles. Ein wesent­licher Zug des Gleich­nisses ist bisher un­berück­sichtigt geblieben. Am Ende nämlich kommen nicht alle in den Genuss, Gottes Gäste zu sein. Die zuerst Geladenen verzichten freiwillig darauf. Und sie haben ihre Gründe. Nicht, dass sie nicht auch gern beim Festbankett dabei wären. Es sind auch keineswegs Ausreden, die sie vorbringen, es sind – menschlich gesehen – triftige Gründe, die sie anführen. Der Beruf hat Vorrang vor der gesellschaf­tlichen Ver­pflichtung am Abend. Die geschäfts­tüchtigen Männer müssen erworbene Waren prüfen, Acker und Vieh, um nicht über's Ohr gehauen zu werden. Und dass der dritte Geladene seine eigene Hochzeit nicht verlassen kann wegen einer Einladung anderswo, das muss doch jeder verstehen.

Ja, das müsste jeder verstehen – wenn es nicht gerade Gottes Einladung wäre, um die es geht. Das Gleichnis zeigt deutlich: Bei Gottes Einladung kann man entweder nur alles stehen und liegen lassen und sie annehmen, oder man gehört nicht dazu. Niemand kann zwei Herren gleich­zeitig dienen, Gott und dem Mammon auf einmal (Matth. 6,24). Niemand sollte seinen Beruf, seine Ehe, seine Familie, ja auch sein eigenes Leben höher achten als Gottes Einladung. Denn das hieße die Einladung aus­schlagen. Gottes Segen kann man nicht mit der linken Hand im Vorüber­gehen mitnehmen, wie viele irrtümlich meinen. Am Festmahl des Gottes­reiches teilhaben heißt, sich ganz unter Gottes Gnade zu stellen, mit dem ganzen Leben, mit Leib und Seele. Das ist, wenn man so will, eine Forderung. Es ist wohlbemerkt keine gesetzliche Forderung, mit der wir uns durch Eigen­leistung etwas von Gott verdienen müssten. Es ist im Grunde eine ganz selbst­verständ­liche, nahe­liegende Forderung: Wenn Gott uns zu sich einlädt, sollen wir selbst uns nicht wieder ausladen! Gottes Einladung annehmen heißt an Jesus Christus glauben; nicht an Christus glauben hieße sich ausladen. Das tun alle, die Christus nicht den ersten Rang in ihrem Leben geben möchten. Bei denen Jesus Christus erst nach der Familie, den Geschäfts­interessen oder dem Lieblings­hobby kommt. Wer von diesen Leuten wollte behaupten, er glaube an Christus, ohne schamrot zu werden? Wie kann er sagen, dass Christus sein Herr ist? „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes“ (Matth. 6,33), dieses Wort Jesu ist eindeutig.

Es mag sein, dass jetzt mancher ver­unsichert ist und von Gewissens­zweifeln geplagt wird: „Ist denn Jesus bei mir wirklich die Nummer eins? Mein Glaube ist schwach und an­gefochten.“ Ich meine, dass du gerade dann, wenn du so fragst, zu denjenige gehörst, die Gottes Einladung annehmen und kommen. Du suchst ja sein Reich, suchst Rettung und Heil von ihm; du möchtest nicht aus­geschlossen sein. Und du erkennst dein eigenes Unvermögen. Um im Bild zu bleiben: Du weißt, dass du einer auf den Straßen und Gassen bist, an den Landstraßen und Zäunen. Du erfährst dich als Glaubens­krüppel, blind für den Willen Gottes, lahm in der Nachfolge, arm an guten Werken. Gerade solche Leute sind eingeladen! Wenn du nur alle Hilfe von Gott erwartest! Ja, das Christentum ist in erster Linie ein Geschenk, das allen Menschen durch die Einladung des Evangeliums angeboten wird. Im Glauben an Jesus Christus nehmen wir diese Einladung an und lassen und beschenken. Dabei erfahren wir unsere Schwäche; wir erfahren unser Unvermögen, von uns aus zu Christus zu kommen, von uns aus die Forderung nach Glauben zu erfüllen. So hilft uns Christus auch hier auf die Beine; er tut's durch Wort und Sakrament in der Gemein­schaft mit anderen Christen. So ist auch Gottes Forderung, an das Evangelium zu glauben, letztlich nichts als lauter Gnade.

Der für uns kaum fassbare Zusammen­hang von Geschenk und Forderung lässt sich ganz knapp mit einem Pauluswort ausdrücken, mit dem ich diese Predigt beschließen möchte: „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist's, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Voll­bringen, nach seinem Wohl­gefallen.“ (Phil. 2,12‑13) Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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