Sucht in der Schrift!

Predigt über Johannes 5,39 zum 1. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Mit Jesus haben viele Leute heutzutage ihre Probleme. Ich denke dabei nicht nur an die Skeptiker, die der Kirche fern stehen, ich meine auch Christen wie mich und dich. Sollte Jesus wirklich der einzige Weg zu sinn­erfülltem Leben sein, sogar zu ewigem Leben? Ja, so fragen zuweilen auch Gemeinde­glieder. Die Jüngeren fragen laut und kritisch. Sie möchten eine echte Orien­tierung für ihr Leben haben und geben sich nicht damit zufrieden, wenn Erwachsene immer nur um den heißen Brei herum reden. Die Älteren fragen leise und verborgen, aber doch sehr dringend, spüren sie doch immer stärker, wie die Stunde ihres Todes herbei­rückt. Sie erkennen: Ob es durch Jesus ewiges Leben nach dem Tod gibt, das hat ja ganz direkt mit mir zu tun! Alte und Junge fragen nach Jesus und nach dem ewigen Leben. Wirklich beweisen kann scheinbar niemand etwas. „Du musst halt einfach glauben“, wird manchmal achsel­zuckend gesagt. Und so ist die christliche Hoffnung in den Herzen vieler nicht mehr als die Ahnung: „Es könnte so sein.“

„Es kann nicht sein“, war die feste Überzeugung der Pharisäer zur Zeit Jesu. Sie meinten: Jesus kann nicht der Messias sein, der Retter, den Gott seinem Volk Israel und allen Menschen versprochen hat. Sie hatten sich ein anderes Messias-Bild zurecht­gelegt. In ihren Augen war Jesus ein gottloser Mensch: Er brach den Sabbat, weil er an diesem Tag heilte, und er lästerte Gott, weil er sich als Gottes Sohn ausgab. Nein, die klugen und in den heiligen Schriften des Alten Testaments bewanderten Pharisäer waren sich einig: Jesus ist nicht von Gott gesandt. Jesus be­scheinigte diesen Pharisäern in einem Gespräch durchaus religiösen Eifer und ernstes Mühen um das Verständnis der heiligen Schriften. Er sagte ihnen: „Ihr sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin.“ Es ist gut, nach dem ewigen Leben zu trachten, ist es doch das Einzige, was bleibt. Und es ist gut, in der Schrift danach zu suchen, denn da sagt Gott ja verbindlich alles Nötige über das ewige Leben. Das Problem der Pharisäer war nur: Sie ver­schlossen sich der Haupt­aussage der Bibel. Jesus sagte ihnen: „Die Schrift ist's, die von mir zeugt.“ Ja, auch das Alte Testament ist voll von Christus­zeugnissen; denken wir nur an die vielen Ver­heißungen der Propheten. Da ist nicht nur vorher­gesagt, dass der Messias überhaupt einst kommen wird, sondern da wird sein Leben und Wirken bis in die Einzel­heiten hinein voraus­gesagt! Das Alte Testament ist ein Christus­buch – aber die Pharisäer merkten es nicht. Sie waren blind dafür, dass sich ihre Bibel in Jesu Person vor ihren Augen erfüllte.

„Es kann nicht sein, dass Jesus der Weg zum ewigen Leben ist“, sagten Pharisäer damals. „Es könnte sein, dass Jesus der Weg zum ewigen Leben ist“, sagen viele Menschen heute. An beide Personen­gruppen wendet sich Jesus mit dem Wort: „Die Schrift ist's, die von mir zeugt.“ Er sagt damit: Steckt eure Nase in die Bibel; lest sie ohne Vorurteil; nehmt ihr Zeugnis an – dann wird euer Glaube fest werden. Die heiligen Schriften des Alten Testaments sind der erste wichtige Zeuge für Jesus, aber noch ein weiteres Zeugnis nennt er im selben Kapitel: „Die Werke, die ich tue, bezeugen von mir, dass mich der Vater gesandt hat“ (Joh. 5,26). Von diesen Werken und Wundern Jesu haben wir zu­verlässige Kunde im Neuen Testament, vor allem von seinen größten Werk: seinem Leiden und Sterben für unsere Sünden und seiner Auf­erstehung. So bezeugt uns die Bibel klipp und klar Jesus als den einen Weg zum ewigen Leben: Das Alte Testament mit seinen Weis­sagungen, das Neue Testament mit seinen Berichten von den Werken Jesu. Wer dieses Zeugnis gelten lässt, der sagt nicht mehr: „Es kann nicht sein“, auch nicht: „Es könnte sein“, sondern der sagt: „So ist es!“ Der Heilige Geist schenkt diese Gewissheit all denen, die aus Gottes Wort wirklich etwas lernen wollen.

Nun erscheinen die Pharisäer in der Bibel meistens in ziemlich schlechtem Licht. Hier erleben wir sie als Bibel­forscher, die das Christus­zeugnis der Schrift nicht annehmen wollen. Solche Menschen gibt es auch heute noch: Atheisten, die die Bibel als ein interes­santes Stück Welt­literatur studieren; Theologen, die den biblischen Text kritisch auseinander­pflücken, bis kaum noch etwas Zu­verlässiges davon übrig bleibt; Sekten, die durch Verdrehung der Worte und durch Heraus­streichen unter­geordneter Einzel­heiten die eigentliche Christus­botschaft vedunkeln. Aber wir sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass die Pharisäer uns hier wenigstens in einer Hinsicht zu Vorbildern werden: Sie forschen fleißig in der Schrift; sie kennen ihre Bibel.

Kennst du deine Bibel wirklich gut? Es war ein berühmter jüdischer Gelehrter, der einmal einer luthe­rischen Gemeinde an den Kopf warf: Ihr solltet eure Bibel nicht nur auf dem Altar liegen haben, sondern sie kennen! Ja, nur so bekommst du Gewissheit in Glaubens­dingen; nur so erfährst du, was Gott dir zu sagen hat. Jesus sagte den Pharisäern: „Ihr sucht in der Schrift“, und Martin Luther hat eine Auf­forderung daraus gemacht; er übersetzte ur­sprünglich: „Sucht in der Schrift!“ Ja, auch so lässt sich dieses Wort des Herrn korrekt übersetzen. Wenn ich nicht bloß ein halb­herziger Herr-Herr-Sager bin, sondern wenn mir Jesus wirklich wichtig ist, dann werde ich die Bibel intensiv studieren. Dort finde ich ja Jesus, dort redet er zu mir! Wenn ich ihn wirklich lieb habe, ist mir wichtig, was er zu sagen hat. „Sucht in der Schrift!“ – das müssen wir uns mit allem Nachdruck gesagt sein lassen. Was den Eifer beim Bibel­studiums angeht, können wir uns von den Pharisäern ruhig eine Scheibe ab­schneiden.

Ich möchte nun nicht bei dieser allgemeinen Auf­forderung stehen­bleiben, sondern ich möchte im zweiten Teil der Predigt ausführen, wie solch fleißiges Forschen denn aussehen kann. Es beginnt damit, dass jeder Christ feste Zeiten für Gottes Wort haben sollte. Sage ich nämlich von vornherein: Ich lese in der Bibel nur dann, wenn ich das Bedürfnis dazu habe, dann wird der Teufel schon dafür sorgen, dass das selten der Fall ist. Ein fester Termin für Gottes Wort ist natürlich der Sonntags­gottes­dienst. In den Lesungen werden besonders wichtige Abschnitte der Bibel Jahr für Jahr immer wieder ins Gedächtnis gerufen. In der Predigt wird Gottes Wort für die heutige Zeit ausgelegt. Dabei sollten wir uns darüber klar sein: Auch Predigt-Hören ist eine Arbeit, wenn man etwas mit nach Hause nehmen will – ein „Forschen in der Schrift“. Es ist dabei gar nicht so wesentlich, wer da auf der Kanzel steht; eine andere Person ist viel wichtiger: Jesus. Von dem zeugt ja die ganze Schrift, auch der jeweilige Text, der gerade in der Predigt ausgelegt wird. „Die Schrift ist's, die von mir zeugt“, hat er gesagt.

Nun hat das Bibel­studium im Gottes­dienst allerdings seine Grenzen. Es ist ja doch nur eine relativ kleine Auswahl biblischer Texte, die hier immer wieder betrachtet wird. „In der Schrift forschen“ bedeutet aber, einen Überblick zu bekommen über ganze Bücher und über die Zeit, in der sie geschrieben wurden. Außerdem ist der Höreindruck oft nur flüchtig. Wenn man einen Text oder eine Auslegung selber liest und sich intensiv damit be­schäftigt, kann man viel tiefer in die Materie eindringen. Hier können Gemeinde­kreise helfen wie zum Beispiel Bibelkreise oder ein gelegent­liches Predigt­nachgespräch unter den Gottes­dienst­besuchern. Mich wundert, dass es in den meisten Gemeinden immer nur wenige sind, die an solchen Ver­anstaltungen Interesse haben und kommen. Möchten die vielen anderen denn nicht mehr lernen über Gottes Wort? „Suchet in der Schrift, da findet ihr das ewige Leben, und sie zeugt von Christus.“ Da wird der Glaube gestärkt, da wird aus dem Vielleicht ein Gewiss.

Aber auch solche Ver­anstaltungen sind eigentlich zu wenig, wenn man in der Schrift zu Hause sein will. Darum sollte jeder Christ täglich seine Zeit zum Bibellesen haben, sei es in Form der Hausandacht mit anderen oder sei es in Form der sogenannten Stillen Zeit allein. Ich selbst muss bekennen, dass ich erst Jahre nach meiner Konfir­mation zur täglichen Bibellese gefunden habe. Dann aber habe ich gemerkt, was für ein großer Segen darauf liegt. Vielleicht denkt jetzt mancher im Stillen: Das ist ja ein un­zumutbarer Zeit­aufwand! Aber schon in einer Viertel­stunde kann man einen größeren Abschnitt lesen und bedenken. Eine Viertel­stunde ist nicht viel, verglichen mit anderen Be­schäfti­gungen. Überlege einmal, wieviel Zeit pro Tag du zum Beispiel für die Zeitung übrig hast. Überlege einmal, ob nicht die Fernseh­nachrichten einen festen Platz in deinem Tagesablauf haben und wie lange du überhaupt täglich vor dem Fernseher sitzt. Dort geht es nur um In­formationen, die morgen, nächste Woche oder spätestens nächstes Jahr schon wieder veraltet sind; Gottes Wort dagegen hat bleibende Aktualität und gilt sogar dann noch, wenn von dieser Welt nichts mehr steht. „Suchet in der Schrift, denn ihr habt das ewige Leben darin!“

Für das tägliche Bibellesen gibt es ver­schiedene Angebote. Am weitesten verbreitet ist in unserer Kirche der Feste-Burg-Kalender mit einer täglichen Morgen- und Abendlesung sowie einer Auslegung. Diese Texte beziehen sich auf das Thema des voran­gehenden Sonntags, passen also immer zum Kirchen­jahr. Man sollte dabei aber nicht nur den einen Bibelvers lesen, der über der Auslegung steht, sondern man sollte den ganzen Abschnitt in der Bibel nach­schlagen. Es gibt eine Fülle weiterer Bücher mit täglichen Andachten, und es gibt viele Bibel­lesepläne, die zum Teil auch das Kirchenjahr berück­sichtigen. Man kann allerdings auch ohne zusätz­liches Material einfach ganze Bücher der Bibel hinter­einander weg lesen, Abschnitt für Abschnitt.

Mancher denkt jetzt vielleicht: Das ist mir zu schwer, das kann ich dann gar nicht verstehen. Zugegeben, die Bibel ist nicht immer leicht zu verstehen; aber es gibt ja Hilfen fürs Bibellesen. Die wichtigste Hilfe ist das Gebet vorher. Wir können bitten: Herr, gib mir deinen Geist, dass ich dein Wort recht verstehe; lass mich ein Schüler deines Wortes sein, nicht ein Richter; lass mich demütig hören – und lass mich Christus in der Schrift finden. Wir erinnern uns: Von dem zeugt letztlich die ganze Heilige Schrift; ihn beim Bibellesen zu übersehen hieße denselben Fehler zu machen, den die Pharisäer machten. Beim Lesen kann man sich dann vier Fragen stellen. Erstens: Was kann ich lernen, was zeigt mir das Wort Neues über Gottes Willen? Zweitens: Was muss ich bekennen, wo deckt das Wort bei mir Schuld auf? Drittens: Wofür kann ich danken? Und viertens: Worum soll ich bitten – für mich, für meine Mit­menschen, für die Kirche, für die Welt? Wo Ver­ständnis­schwierig­keiten auftreten und wo man tiefer in das Wort einsteigen möchte, bieten die neueren Bibel­ausgaben sowie ergänzende Bücher viele Hilfen: Es sind Parallel­stellen angegeben, wo ein ähnlicher Gedanke oder dasselbe Stichwort auftaucht. Orts­register, Landkarten und Zeittafeln helfen einem, sich in die Welt der Bibel hinein­zufinden. Auch eine Konkordanz mit nach Stichworten geordneten Bibel­stellen ist sehr hilfreich, ebenso sind es Bibel­lexika. Wenn trotzdem manche Frage offen bleibt, macht das nichts; man kann ja mal bei nächster Gelegenheit seinen Pastor danach fragen. Und schließlich muss selbst der klügste Theologe beim Bibel­studium manche Frage offen lassen. Sehr gut ist es auch, wenn man wichtige Bibel­stellen auswendig lernt. Das Bisschen, was im Konfirmanden­unterricht gelernt wird, soll ja nur ein kleiner Vor­geschmack sein; das Lernen soll im ganzen Christen­leben weitergehen.

„Suchet in der Schrift“, übersetzte Luther den ersten Teil des Bibel­verses, den wir hier betrachet haben. Das ist nicht nur eine Auf­forderung an Theologen und Super­fromme, sondern das gilt allen Christen: „Suchet in der Schrift!“ Nur da finden wir Jesus, nur da finden wir Gottes Wort. „Lasset das Wort Christi reichlich unter euch wohnen“, ermahnte Paulus (Kol. 3,16). „Wohl dem, der Lust am Gesetz des Herrn hat und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht!“, heißt es im ersten Psalm. Gönnen wir uns diese Wohltat, die Gott uns mit seinem Wort schenkt, oder vergraben wir diesen Schatz in der Erde? Freuen wir uns doch daran und arbeiten wir mit diesem Schatz! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

 


 

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