Der ganz alltägliche Sündenfall

Predigt über 1. Mose 3 zum Sonntag Invokavit

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Niemand kann das christliche Evangelium verstehen, der nichts über die Sünde weiß. Was die Sünde ist, auf welche Weise sie den Menschen befällt, wie sie sein Verhalten beeinflusst und was sie für Folgen hat, das ist nirgends treffender beschrieben als im Bericht von der ersten Sünde der Welt, im Bericht vom sogenannten Sündenfall des ersten Menschen­paares. Viele verstehen nicht, warum die von Adam und Eva ererbte Sünde Verderben über die ganze Menschheit gebracht hat uns sich bis zum heutigen Tag auswirkt. Doch wenn wir uns jetzt mit diesen Versen aus dem dritten Kapitel des ersten Mosebuchs be­schäftigen, dann werden wir schnell erkennen, wie uns mit dem Verhalten der ersten beiden Sünder nicht nur ein längst vergangenes Ereignis erzählt wird, sondern wie uns damit ein Spiegel vorgehalten wird für unser eigenes Verhalten. So gesehen ist der Sündenfall nichts Einmaliges, sondern leider etwas ganz All­tägliches.

Vers 1: Es beginnt damit, dass der gefallene Engel und Gottesfeind Satan die Gestalt einer Schlange annimmt, die übrigens damals im Garten Eden noch Beine besaß. In dieser Gestalt macht sich der Teufel an Eva heran, die noch keine Ahnung hat, was Sünde ist und das Böses. Er sagt die ver­führe­rischen Worte: „Ja, sollte Gott gesagt haben?“ So macht es Satan bis zum heutigen Tage und hat im wahrsten Sinne des Wortes un­heimlichen Erfolg damit. Sollte Gott gesagt haben: „Du sollst den Feiertag heiligen?“ Sollte Gott den Geschlechts­verkehr wirklich nur in der Ehe wollen? Sollte es wirklich Gottes Missfallen erregen, wenn ich hinter dem Rücken anderer Schlechtes von ihnen erzähle? Man fällt immer wieder darauf herein, obwohl man Gottes Gebote kennt und sie im Herzen fühlt. Auch Eva wusste damals genau Bescheid.

Vers 2-5: Gottes Warnung ist uns bekannt, dass der Sünder sterben muss. Diese Warnung galt auch schon für Eva, die zusammen mit Adam noch die Aussicht hatte, im Paradies für immer glücklich weiter­zuleben – ohne Altern, ohne Krankheit, ohne Tod, in ganz un­befangener und fröhlicher Gemein­schaft mit Gott. Aber der Satan versteht es geschickt, den Menschen mit Halb­wahrheiten zu ver­unsichern. Er sagt: „Ihr werdet wissen, was gut und böse ist.“ Das stimmt zwar – aber in ganz anderem Sinne als die lügenhafte Verheißung: „Ihr werdet sein wie Gott.“ Dabei geschieht das Un­geheuer­liche, dass der Teufel Gott bei den Menschen anschwärzt und ihn zum Lügner erklärt: „Ihr werdet keineswegs sterben.“ – In einem alten Karnevals­schlager heißt es: „Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel, weil wir so brav sind.“ An solchen Texten zeigt sich, wie vollständig die Menschheit dem Teufel auf den Leim gegangen ist.

Vers 6: Satan kennt unsere Schwach­stellen: die Neugier und den Stolz. Eva ist neugierig, was wohl passiert, wenn sie von der Frucht isst, und wie die schmeckt. Es ist so wie bei Kindern, die aus Neugier die erste Zigarette rauchen oder den ersten Schluck Schnaps trinken, obwohl sie wissen, dass es nicht gut für sie ist. Und in Eva keimt das Verlangen auf, so wie Gott zu sein – ebenbürtig, partner­schaftlich. Sie möchte sich nichts mehr von ihm sagen lassen und selber ent­scheiden, was gut und richtig für sie ist. Wie viele Menschen empfinden heute ebenso und wollen daher nicht Gott als ihren Herrn anerkennen! Wie viele wollen alles besser wissen als er! Kennen wir das nicht auch? Gott sagt: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden“, aber die Wahrheit ist in bestimmten Situationen doch gar zu peinlich oder bringt gar zu viele Nachteile mit sich; also schnell zur sogenannten Notlüge gegriffen! Wie schnell spielen wir Gott und entscheiden selbst­herrlich, wann wir seine Gebote übertreten können! Nicht der Gebotsbruch an sich ist dabei die eigentliche Sünde, sondern das Besser-wissen-Wollen, das Sich-nichts-sagen-lassen-Wollen. Eva isst und gibt Adam von der Frucht, die übrigens keineswegs ein Apfel gewesen sein muss. (Dass man in diesem Zusammen­hang immer wieder von einem Apfel spricht, geht auf ein mittel­alterliches Wortspiel zurück: Auf lateinisch heißt Apfel „malum“, und böse heißt „malus“.) Eva gibt wohl deshalb ab, weil sich das schlechte Gewissen regt und es ihr nicht geheuer ist, Gottes Gebot allein zu übertreten. Auch das kennen wir: Unser Gewissen ist ein empfind­liches Sünden­barometer. Da wollen wir dann oft unser Gewissen damit beruhigen, dass andere auch Sünder sind, und verführen sie deshalb zu den Sünden, denen wir selbst bereits erlegen sind. Einen bösen Streich allein aushecken, das macht kaum ein Schüler, aber die ganze Klasse tut es um so lieber. Wenn du als einziger mit dem Auto zu schnell fahren würdest, dann würde dein Gewissen anschlagen, weil aber fast alle es tun, tust du die Sache mit einem Augen­zwinkern ab. Adam hat nun leider nichts Besseres zu tun, als ebenfalls in Satans Falle hinein­zutappen.

Vers 7: Es ist uns normaler­weise peinlich, wenn man uns nackt sieht. Das ist eine Folge der Sünde. Wir schämen uns, so, wie wir sind, voreinander hin­zutreten, und hüllen uns darum in Kleidung. Auch im über­tragenen Sinne setzen wir Masken auf, hinter denen wir uns verbergen, die Maske der Höflichkeit und der äußerlichen Anständig­keit zum Beispiel. Wir legen Wert darauf, als liebevolle und liebens­werte Personen zu erscheinen. Unter dieser Maske aber, im Licht von Gottes Wort, sind wir Mörder, Diebe und Lügner, auch wenn wir uns vor den gröbsten Auswüchsen dieser Sünden hüten und es nur heimlich sind, in Gedanken, oder in gesell­schaftlich anerkannten Formen: Mögliche Mörder durch Leichtsinn im Straßen­verkehr, Diebe durch Mogeleien beim Finanzamt oder beim fahr­lässigen Umgang mit fremdem Eigentum, Lügner durch Prahlerei und Schön­färberei in eigener Sache einerseits, durch übermäßige Kritik und üble Nachrede in fremder Sache anderer­seits. Frech tragen wir die Feigen­blätter unserer Wohl­anständig­keit und hoffen, dass niemand die Nacktheit unserer Sünde dahinter entdeckt.

Vers 8: Haben sich Adam und Eva mit Feigen­blättern voreinander versteckt, so wollen sie sich nun auch vor Gott verstecken. Was für ein hilfloses Verhalten – zu meinen, Gott sähe nicht! Denke nicht, du kannst Gottes Gericht am Ende der Zeit entgehen; du wirst diesen Tag einmal erleben, ganz gleich, ob du das jetzt für möglich hältst oder nicht. Spätestens dann wird er dich aus deinem Versteck rufen.

Vers 9-11: Gott durchschaut Adam und Eva. Aber wie jämmerlich sind die beiden nun! Konnten sie sich früher über die Gemein­schaft mit Gott freuen, so wie sich ein Kind über das Nachhause­kommen seines Vaters freut, fürchten sie sich jetzt vor ihm wie ein Kind, das etwas aus­gefressen hat. Und dann setzen die Ent­schuldi­gungen ein. Ein Schuld-Schiebe-Spiel beginnt, das uns allen vertraut ist. Aber letztlich kann die Schuld vor Gott und den Menschen nicht versteckt werden.

Vers 12-13: Immer hat der andere Schuld! Stets will der Mensch sich recht­fertigen und sagt zum Beispiel: Die Verhält­nisse, in denen ich lebe, sind schuld; die Umwelt und meine Erziehung. Irgendeine Ausrede fällt uns immer ein, warum wir so und nicht anders handeln konnten. Dahinter verbirgt sich dann manchmal sogar die un­geheuer­liche Anklage gegen Gott, die wir auch aus Adams Antwort heraushören können: „Die Frau, die du mir gegeben hast, ist schuld!“ Es ist so, als wollte Adam sagen: Gott, wenn du mir nicht diese Frau gegeben hättest, dann säße ich jetzt nicht in der Tinte. Kennen wir das nicht? Da sagt einer: Gott, weil du mich so geschaffen hast, kann ich nicht anders. Oder: Gott, dass ich unter solchen Verhält­nissen aufwachsen musste, ist doch nicht meine Schuld. Oder: Gott, wenn sowieso alle Menschen seit Adam und Eva Sünder sind und nicht aus eigener Kraft davon loskommen können, was klagst du mich an? Ja wer bist du denn, Mensch, dass du mit Gott rechten könntest – du als gefallenes Geschöpf? Warum tust du nicht das, was am nächsten liegt und was dir einzig und allein heraus­helfen könnte? Warum sagst du nicht einfach: Gott, ich habe gesündigt – Herr, erbarme dich?

Vers 14-15: Hier nun beginnt Gott zu strafen. Das erste Strafwort gilt dem Urherber der Sünde, dem Teufel, und seiner Tarnung, der Schlange. Als Zeichen der Verwerfung von Gott muss die Schlange künftige ohne Beine im Schmutz der Erde kriechen. Gottes eigentliche Strafe für den Teufel aber steht im fünfzehnten Vers: Sein Plan, die Menschheit durch Versuchung ganz an sich zu binden und mit sich ins Verderben zu stürzen, wird vereitelt. Und hier leuchtet zugleich zum ersten Mal in der Bibel die wunderbare Hoffnung auf, dass Menschen trotz ihrer Sünde dennoch wieder von Gott angenommen werden. Gott setzt Feindschaft zwischen dem Teufel und allen, die zu ihm gehören, einerseits und dem Nachkommen der Frau, nämlich dem Menschen­sohn Jesus Christus, anderer­seits. Freilich wird ihn der Teufel in die Ferse stechen, wird ihn Versuchung, Schande, Schmerzen und sogar den Tod schmecken lassen. Aber Jesus wird seinen Kopf zertreten und ihm die Macht nehmen, alle Menschen ins Verderben zu stürzen. Wer an diesen Menschen­sohn, der zugleich Gottes Sohn ist, glaubt, wird nicht verloren werden, sondern das ewige Leben im himmlischen Paradies erlangen. Bis dahin freilich wird der Mensch an den Folgen der Sünde zu leiden haben.

Vers 16-19: In Verbindung mit der an­gekündigten Strafe, dass die Menschen durch ihren Ungehorsam die Unsterblich­keit verlieren, wird ihnen manches von der Lust des Paradieses in einer gefallenen Welt zur Last werden. Der herrliche Segen „Seid fruchtbar und mehret euch“ (1. Mose 1,28) wird getrübt durch die Schmerzen bei der Geburt. Die wunderbare Harmonie zwischen dem Mann als erstem mensch­lichen Geschöpf und der Frau als seiner Gehilfin wird be­einträch­tigt dadurch, dass die Frau das Herrsein des Mannes nun als Last empfindet. Dass sich Femi­nistinnen gegen diese Ordnung Gottes aufbäumen, zeigt nur um so deutlicher, dass das, was Gott als sehr gut geschaffen hat, durch die Sünde einen bitteren Bei­geschmack bekommen hat, den man gern loswerden will. Gottes angenehmer Auftrag, den Paradies­garten zu bebauen und dort zu ernten, wird durch die Disteln und Dornen sowie durch den Schweiß des Angesichts zu einem harten Geschäft. Und wenn heute auch nur ein kleiner Teil der Werktätigen in der Land­wirt­schaft arbeitet, so wird doch jede Berufs­gruppe bei aller Arbeits­freude auch Disteln und Dornen, Schweiß und Anstrengung kennen. Schließlich zeigen uns Krankheit, Alter und Tod sehr deutlich, dass der Mensch hin­sichtlich seines irdischen Leibes infolge der Sünde wieder zu Erde werden muss. Ja, alle müssen bis zum heutigen Tag mit diesen Folgen der Sünde leben, Christen wie Nicht­christen. Nur haben wir, die wir zu Christus gehören, den un­schätz­baren Vorteil, dass uns durch Gottes unverdiente Gnade ein Ausweg verheißen ist. Weil wir den Erlöser kennen und das, was er uns erworben hat, drückt die Last des Erdenlebens nicht mehr so hart. Wir wissen mit Paulus ja, dass die Last des Erdenlebens zeitlich und leicht ist im Vergleich zu der ewigen Freude, die auf uns wartet. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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