Weihnachten ist eine Medizin

Predigt über Johannes 3,16 zum Heiligen Abend

Liebe Festgemeinde!

Auf dem bunten Teller liegen neben Gebäck und anderen Leckereien oft auch Nüsse. Ich möchte jetzt auf eine besondere „Nuss“ aufmerksam machen, die wir alle zu Weihnachten geschenkt bekommen. Genauer: Ich möchte auf ihren Inhalt aufmerksam machen. Es handelt sich eigentlich um einen Vers der Bibel, den man „Evangelium in der Nussschale“ genannt hat. In diesem Satz ist das Wichtigste aus der ganzen Bibel zusammen­gefasst. Mit diesem Satz steht und fällt unser Glaube, die Kirche und das Weihnachts­fest. Der Satz lautet: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen ein­geborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

Wir merken mit diesem Satz: Es geht hier in der Kirche nicht um rührende Weihnachts­stimmung, sondern es geht hier um Tod und Leben; sogar um „Verloren-Werden“ und „ewiges Leben“. Mag sein, dass gerade jetzt, wo wir festlich-froh diesen Heilig­abend­gottesdienst feiern, im Operations­saal eines Unfall­kranken­hauses ein Arzt um das Leben eines Ver­unglückten ringt; in den Kirchen jedenfalls ringt Gott mit seinem Wort um das ewige Leben von Menschen­seelen. In der Weihnachts­botschaft geht es um Gottes lebens­rettende Medizin für uns Menschen. Lasst uns daher noch einmal genau hinhören auf sein Wort, auf dieses Evangelium in der Nussschale: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen ein­geborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

Aha, wir merken: Auf den Glauben kommt es an! Darum lasst uns darüber nachdenken, was das denn eigentlich ist, der Glaube.

Ich besuche Frau X, die jahrelang nicht mehr in der Kirche war. „Ich habe meinen Glauben“, empfängt sie mich, und hat auch gleich ein halbes Dutzend Gründe parat, warum sie nicht in den Gottes­dienst kommt. (Keine Angst, ich habe Frau X erfunden, denn was ich bei meinen Besuchen wirklich erlebe, geht den Rest der Gemeinde nichts an; aber es könnte trotzdem sein, dass die Haltung von Frau X nicht ganz aus der Luft gegriffen ist.) „Ich habe meinen Glauben“, sagt sie also. „Woran glauben Sie denn?“, frage ich. Erstaunt sieht mich Frau X an: „Woran? An Gott natürlich!“ Ich: „An welchen Gott? An Allah? An Buddha? An Zeus?“ Frau X: „Einfach an Gott. Wie man ihn nennt, ist mir egal. So genau kann man das sowieso nicht wissen. Aber ich denke schon, dass es da ein höhe­res Wesen gibt, das Einfluss auf mein Leben hat.“ Ich: „Sie glauben einfach nur, dass es da irgendeinen Gott gibt?“ Frau X schweigt. Ich fahre fort: „Wissen Sie, dass auch der Teufel in diesem Sinne ‚glaubt‘? Im Jakobus­brief steht: Auch der Teufel weiß, dass es nur einen Gott gibt, aber er muss vor seiner Bestrafung zittern (Jak. 2,19). Dieser Glaube rettet den Teufel nicht vor der ewigen Qual, die für ihn vorbereitet ist. Warum, meinen Sie, sollte Sie dann Ihr Glaube retten?“ Darauf Frau X: „Ich bemühe mich, ein guter Mensch zu sein und die Gebote zu halten.“ Ich erwidere: „Darum bemühe ich mich auch, aber es gelingt mir nicht. Ich weiß, dass ich mit meinem Lebens­wandel vor Gott nicht bestehen kann. Gott fordert zu Recht, dass wir uns ganz und gar an sein Gesetz halten, nicht nur, dass wir uns ein bisschen Mühe geben.“ Frau X: „Wenn Sie das als Pastor schon sagen, wer kann dann in den Himmel kommen?“

Da erzähle ich Frau X etwas von der guten Nachricht des Herrn Jesus Christus. Vielleicht tue ich es mit den Worten des Evangeliums in der Nussschale: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen ein­geborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Ich versuche ihr zu zeigen, dass hier ein ganz anderer Glaube als ihrer gemeint ist, nämich der Glaube an den ein­geborenen Sohn Gottes. Wer an ihn glaubt, der wird selig, heißt es. Dass es einen Gott gibt, das glaube ich zwar auch, aber das rettet mich nicht. Retten tut mich nur der Glaube an den Sohn Gottes, an Jesus Christus, der Mensch geworden ist – darum feiern wir Weihnachten – und der meine Sünden­schuld vor Gott bezahlt hat – darum begehen wir den Karfreitag – und der machtvoll von den Toten auf­erstanden und in den Himmel gefahren ist, um eines Tages in Herrlich­keit wieder­zukommen – darum feiern wir Ostern und Himmel­fahrt. Das alles glaube ich, und ich bekenne es Sonntag für Sonntag im Glaubens­bekenntnis. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er uns einen Rettungs­ring zuwarf, damit jeder, der sich daran fest­klammert, nicht ertrinken muss, sondern in Sicherheit gebracht werden kann! Seht, das ist der christliche Glaube: Das Fest­klammern des Er­trinkenden am Rettungs­ring Jesus Christus, der zu Weihnachten in das stürmische Meer dieser sünden­verseuchten Welt geworfen wurde. Dieser Glaube ist meilenweit entfernt von der un­bestimmten Ahnung, dass es da irgendwo einen Gott gibt.

Nehmen wir an, Frau X versteht, was ich sage, aber sie kann es nicht für sich annehmen. Sie bewundert jeden, der so glaubt, aber ihr ist das alles zu fremd, zu wenig vorstell­bar. In dieser Hinsicht ist ihr Glaube ganz schwach. Vielleicht geht es ja manchem von euch genauso. Vielleicht möchtet ihr euch auch gern ganz fest anklammern an diesen Jesus Christus, um durch die Stürme des Lebens und die Flutwelle des Sterbens hindurch­gerettet zu werden. Aber ihr merkt: Das Evangelium klingt so unwirklich und weltfremd. Nun, wenn ihr wirklich diesen Halt sucht, wenn ihr also nicht nur aus Gründen der weihnacht­lichen Stimmung hier ein paar Worte hören wollt, dann kann ich euch sagen, wie euer Glaube stark werden kann. Paulus hat es im Römerbrief klipp und klar auf­geschrieben: „Der Glaube kommt aus der Predigt, die Predigt aus dem Wort Christi“ (Rö. 10,17). Der christliche Glaube wird also nicht stärker durchs Zeitung­lesen oder durch die Tagesschau – im Gegenteil, da wird er eher an­gefochten, denn da merken wir nur etwas von dem „ver­borgenen Gott“, wie Luther ihn nannte, von dem Gott, der ent­setzliche Dinge auf der Welt zulässt. Nein, vielmehr finde, stärke und erhalte ich meinen Glauben dort, wo das Evangelium gepredigt wird, wo mir also immer wieder neu vor Augen geführt und bewusst gemacht wird: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen ein­geborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Wer seinen Glauben erhalten und stärken will, sollte also viel zur Kirche gehen, viele Predigten hören, viel in der Bibel lesen, oft zur Beichte und zum Heiligen Abendmahl kommen. In diesen viel­fältigen Formen kommt das Wort Christi, das Evangelium, zu uns Menschen und hat dabei die Verheißung, dass dadurch der Glaube wächst.

Das möchte ich auch Frau X klarmachen: Sie soll nicht als religiöse Pflicht­übung zur Kirche gehen oder um mal wieder ein bisschen religiöse Stimmung zu tanken oder um dem Pastor einen Gegenbesuch ab­zustatten, sondern weil sie hier die lebens­rettende Arznei bekommt, die Predigt von Christus. Diese Medizin stärkt den Glauben, mit dem sie sich an Christus festhalten und für immer selig werden kann! Ob Frau X das versteht? Ob ihr das alle versteht? Wenn der Arzt dir sagen würde: „Nehmen Sie dreimal täglich diese Medizin, sonst könnnen Sie lebgens­gefährlich erkranken“, würdest du dann nicht das Zeug schlucken? Wenn ich dir als Pastor im Namen Gottes sage: „Komm sonntags zur Kirche, komm oft zum Abendmahl, bete täglich, sonst wird dein Glaube krank und schwach; womöglich verlierst du ihn ganz“ – wäre es nicht ratsam, du dich daran hältst?

Was also geschieht im Gottes­dienst? Weihnachten und die übrigen Gottes­dienste rund ums Jahr sind Gottes lebens­rettende Medizin gegen Glaubens­schwäche, die ewiges Leben schenkt! Wie gut, dass es keine bittere Medizin ist! Es ist eine süße Medizin; es ist eine gute Nachricht, die unsern Glauben aufrichtet. „Siehe ich verkündige euch große Freude!“ – „Freue dich, o Christen­heit!“ Ja, eine Freuden­medizin ist Gottes Evangelium, eine Medizin, die gut schmeckt. „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist!“ (Psalm 34,9) Er hat uns lieb, und dass er es uns durch die Weihnachts­botschaft zeigt, ist Grund zu großer Freude. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen ein­geborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Wir haben zwar dies Evangelium in der Nussschale, aber wir wollen keinen Glauben in der Nussschale, sondern einen großen, krisen­festen Glauben. Darum lasst uns nicht nur heute von Gottes Freuden­medizin des Evangeliums kosten, sondern sie reichlich und regelmäßig einnehmen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1986.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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