Vorfreude auf den Himmel

Predigt über Jesaja 65,17‑25 zum Ewigkeitssonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Manchmal fragen mich Leute: Wie wird es denn im Himmel sein? Es fragen Alte und Junge, Kluge und Einfältige, Kirchgänger und Fern­stehende. Auch ihr habt euch diese Frage vielleicht schon mal gestellt: Wie wird es denn im Himmel sein? Wer sich mit den Wochen­themen am Ende des Kirchen­jahres be­schäftigt, für den liegt diese Frage nahe.

Ich kann euch sagen, wie es im Himmel sein wird. Im Himmel wird alles vergessen sein, was uns hier das Leben sauer macht. Wenn wir im Himmel morgens aufwachen, sind wir sofort munter und fröhlich. Kein Seufzer wegen der bevorstehenden Arbeit geht über unsere Lippen, keine Schmerzen quälen uns, kein Kummer drückt uns aufs Gemüt. Dankbar nehmen wir den neuen Tag als Geschenk aus Gottes Hand. Zu Andachten und Morgen­gebeten brauchen wir uns nicht auf­zuraffen, denn Gott ist ja sichtbar bei uns. Das tägliche Brot steht reichlich und schmackhaft zur Verfügung. Um die schlanke Linie brauchen wir uns ebensowenig Sorgen zu machen wie um schädliche Zusatz­stoffe. Auch brauchen wir nicht darum zu beten, dass Gott uns vor Sünden bewahrt, denn wir stehen nicht mehr in der Versuchung, etwas gegen seinen Willen zu tun. Dann gehen wir an unsere Arbeit. Jeder tut seine Arbeit gern. Der eine pflügt im Sonnen­schein den Acker. Ein anderer baut Häuser. Der dritte spielt mit Kindern. Der vierte sitzt am Computer. Der fünfte führt ein Flugzeug. Der sechste macht Musik… Alle erfahren ganz unmittelbar den Segen ihrer Arbeit. Sie sehen, wie die Früchte ihrer Arbeit ihnen selbst und auch anderen Freude bereiten. Kein Chef muss zur Arbeit mahnen, kein Groß­unternehmer lebt auf Kosten seiner An­gestellten. Arbeits­unfälle und Verkehrs­unfälle gibt es nicht, ebensowenig wie Kranke und Behinderte. Deshalb wird auch niemand durch Unfall oder Krankheit sterben. Man stelle sich das vor: kein Krebs, kein Schlag­anfall, keine Herz­attacke, keine Kopf­schmerzen, keine Magen­geschwüre, keine Übelkeit, keine Schwindel­anfälle… Alte Menschen werden im Himmel nicht im Altenheim leben, sondern in ihren Familien. Zu Spannungen zwischen Alt und Jung wird es nicht kommen. Großeltern, Eltern, Kinder, Enkel, Urenkel und weitere Gene­rationen werden nur Freude aneinander haben. Die Familien und Menschen, die in der zeitlichen Welt der Tod auseinander­gerissen hat, werden wieder beisammen sein. Auch die Natur wird keine Probleme mehr bereiten. Sterbende Bäume und ver­schmutzte Gewässer wird es im Himmel nicht geben, Tiere und Pflanzen werden vielmehr in wunderbarem Gleich­gewicht leben. Keine Mücke oder Fliege wird mehr lästig werden, kein Raubtier wird mehr Beute ver­schlingen. Es wird zu jeder Zeit so sein, als wenn man am ersten warmen Sonnentag im Frühling durch die Natur geht und dabei die herrlich frische Luft einatmet. Es wird so sein, dass man immerzu singen könnte: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud!“

Mancher von euch denkt jetzt vielleicht: Das ist aber eine sehr menschliche Vorstellung vom Himmel. Wird denn das ewige Leben nicht all unsere Träume und Vor­stellungen über­treffen? Sollten wir es uns nicht lieber verkneifen, eine so genaue Vorstellung vom Himmel zu entwickeln? Auch ich bin davon überzeugt, dass die ewige Seligkeit all unsere Erwartungen übertreffen wird. Trotzdem will ich meinen Traum vom Himmel nicht aufgeben, denn er schenkt mir eine lebendige Vorfreude auf den Himmel. Und ich meine auch, dass ich mir den Himmel durchaus so vorstellen darf, wie ich es eben getan habe – solange ich mir darüber im Klaren bin, dass ich mit mensch­lichen Farben etwas male, das im Original in nie gesehenen himmlischen Farben strahlt. Das Recht, diesen Traum vom Himmel zu träumen, gibt mir das Wort aus dem Buch Jesaja, das wir eben gehört haben. Auch hier wird Menschen einer bestimmten Zeit und Nation der Himmel in den Farben ihrer Träume und Sehnsüchte vor Augen gemalt.

Dieses Propheten­wort war ur­sprünglich für das Volk der Juden in der Zerstreuung bestimmt. Der Traum dieses Volkes war es, dass Jerusalem zum nationalen und geistlichen Mittelpunkt nicht nur Israels, sondern der ganzen Welt wird. Darum redete Jesaja davon, dass „Jerusalem zur Wonne“ gemacht wird und dass seine Einwohner Freude haben werden. Keine Sünde soll es dann mehr geben auf dem Berg Zion. Gott sagt dazu: „Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge.“ Zum Zeichen dafür, dass es mit der Versuchung dann endgültig aus sein wird, muss die Schlange „Erde fressen“ – so, wie es bereits nach Adams und Evas Sündenfall über sie verhängt wurde. Klagen und Weinen wird man dann nicht mehr hören, sondern alle Menschen werden fröhlich sein. Und Gott, mit dem die Menschen dann wieder in ungetrübter Ge­meinschaft stehen, wird auch fröhlich sein. Er verheißt durch Jesaja: „Ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk.“

Die Freude der Menschen wird in diesem Propheten­wort mit ganz irdischen Farben gemalt: Die leidvolle Erfahrung, dass einer jungen Mutter ihr Säugling nach wenigen Tagen wegstirbt, wird es dann nicht mehr geben. Auch alte Menschen werden nicht plötzlich aus dem Leben gerissen, sondern ein langes und erfülltes Leben haben. Wenn jemand keine hundert Jahre alt würde, müsste das schon einer sein, der noch unter dem Fluch der Sünde steht, und den wird es im Himmel nicht geben – das meint der Satz: „Wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht.“ Auch die Aussage: „Die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes“ malt das lange und erfüllte Leben aus. Und dann ist davon die Rede, dass im Himmel gearbeitet wird: Weinberge werden gepflanzt und Häuser werden gebaut – aber nicht, damit andere den Nutzen davon haben, so wie es viele Juden als Fremd­arbeiter im feindlichen Ausland erleben mussten. Nein, es soll so sein, wie Gott es einst für das gelobte Land Kanaan versprochen hat: Jeder hat sein Haus und seinen Grund­besitz; jeder kann die Früchte seiner Arbeit selbst genießen, den Wein selbst ernten und trinken, das gebaute Haus selbst bewohnen und es mit Kindern und Kindes­kindern füllen. Eine große Nachkommen­zahl bedeutete für alle Israeliten einen großen Segen. Und so ist in dem Jesajawort auch aus­drücklich davon die Rede, dass „ihre Nachkommen bei ihnen“ sind. Das enge Verhältnis zu Gott drückt sich darin aus, dass Gebet und Gebets­erhörung zusammen­fallen und kein langes Warten mehr mit dem Beten einhergehen muss wie in diesem Leben: „Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.“ Friede und Freude zwischen Gott und den Menschen übertragen sich dann auch auf die nicht­menschliche Natur: Wolf und Schaf, Löwe und Rind leben in friedlicher Eintracht neben­einander.

Diese Darstellung des Himmels ist so anschaulich und irdisch, dass mancher Bibel­ausleger darüber stutzig geworden ist. Was hat das denn für einen Sinn, dass so viel von einer hohen Lebens­erwartung geredet wird, wo doch im Himmel sowieso alle ewig leben? Und sollen im Himmel tatsächlich Häuser gebaut und Weinberge bestellt werden? Wird es im Himmel tatsächlich Tiere und Pflanzen geben? Mancher Ausleger sieht in diesen Versen eine Art Zwischen­himmel beschrieben – besser als unsere jetzige Welt, aber eben noch nicht die ewige Seligkeit. Manch ein Ausleger bringt diese Zwischen­zeit mit dem in der Offenbarung erwähnten Tausend­jährigen Reich in Verbindung. Das aber ist ganz abwegig. Abgesehen davon, dass mit dem Tausend­jährigen Reich etwas anders gemeint ist, macht doch Jesaja selbst ganz klar, das er hier vom Himmel redet. Im Einleitungs­wort verkündet Gott durch ihn: „Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen“ und benutzt dabei genau dasselbe Wort „schaffen“, das im Schöpfungs­bericht steht. Diese Vokabel ist in der ganzen Bibel für Gott reserviert und bezeichnet die Schaffung von etwas völlig Neuem aus dem Nichts. Im Buch der Offenbarung wird dieser Satz wörtlich wiederholt und auf das neue himmlische Jerusalem bezogen. Wir merken: Jesaja hat hier eindeutig das himmlische Jerusalem gemeint, wenn er von Gottes neuer Welt auf dem „heiligen Berg“ spricht. Er redet vom Himmel, malt ihn aber, wie gesagt, mit irdischen Farben aus.

Man erklärt die Ewigkeit manchmal in folgender Weise: Wenn alle Berge der Welt zu einem einzigen Berg zusammengetragen würden, und alle hundert Jahre käme ein Vögelchen und wetzte seinen Schnabel daran, und wenn dann der Berg schließlich abgewetzt wäre, dann wäre erst eine Sekunde von der Ewigkeit vergangen. Streng genommen ist das falsch, weil in der Ewigkeit überhaupt nicht mehr nach Sekunden gemessen wird. Aber die Geschichte führt uns aus der Enge unserer Termin­kalender heraus und schenkt uns eine kleine Ahnung von der großen Weite Ewigkeit. Ebenso tut es Jesaja mit seinen Aussagen über die Lebensdauer der Menschen im Himmel.

Zum Abschluss möchte ich noch die Frage stellen: Was nützt es uns, wenn wir uns den Himmel so anschaulich vorstellen? Ich möchte diese Frage doppelt be­antworten.

Erstens: Wir können uns auf diese Weise viel mehr und auch viel kindlicher auf den Himmel freuen. Das Bild des Himmels wird dann in unsern Herzen lebendig zu einer wunderbaren Hoffnung und freudigen Erwartung. Auf diese Weise wird unser Glaube gestärkt.

Zweitens: Weil Gottes Sohn in die Welt gekommen ist und weil er durch Taufe und Glaube auch in unsern Herzen wohnt, ist ein Teil des Himmels bereits jetzt schon Wirklich­keit. Dieser Teil des Himmels sind wir, die Christen: Wir sind ja die Menschen, die künftig im Himmel leben werden. Ja, liebe Gemeinde, hier sitzt ein Stück Himmel, wenn auch noch sehr angefochten und verborgen unter den Sünden und Sorgen der Welt. Aber je mehr wir mit dieser lebendigen Hoffnung jetzt schon als Himmels­bürger leben – in der Gemein­schaft mit Gott, in der Freude an Arbeit, Familie und Natur, im anhaltenden Gebet – , desto deutlicher wird sich hier bei uns, auch in dieser Gemeinde, etwas von der Herrlich­keit und von dem Frieden des Himmels zeigen. Ja, lasst uns so leben – lasst uns den Menschen ohne Hoffnung ein Schaukasten des Himmels werden, in dem sich die Herrlich­keit jener Welt bereits mit den Farben dieser Welt abbildet! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1986.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum