Vom Feind Gottes zum Boten Christi

Predigt über Römer 5,6‑11 zum Sonntag Reminiszere

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein Mensch lud seine Freunde zu einem Fest ein. Es sollte ein besonders schönes Fest werden. Mit viel Liebe bereitete er die Feier vor. Alle Gäste sollten sich wohlfühlen. Er besorgte Speisen und Getränke, von denen er wusste, dass seine Gäste sie besonders mögen. Er schmückte seine Wohnung mit Blumen, Kerzen und Girlanden. Die besten Gläser, das beste Geschirr und das beste Besteck deckte er auf. Auch für Musik sorgte er und für unter­haltsame Einlagen. An alles dachte er. Und dann kamen die Gäste. Aber wie sie sich benahmen! Sie begrüßten den Gastgeber nicht. Sie warfen ihre Garderobe achtlos irgend­wohin. Sie legten die Füße auf den Tisch. Sie schmissen Vasen um und rissen Girlanden von den Wänden. Sie ver­schütteten Speisen und Getränke. Sie betranken sich und stritten mit­einander. Sie prügelten sich. Sie be­schimpf­ten den Gastgeber, dass er sie schlecht versorge. In kurzer Zeit machten sie aus dem festlich bereiteten Haus ein Trümmerfeld und aus dem Gastgeber einen Narren. Und der Gastgeber? Mit wieviel Liebe hatte er alles vor­bereitet! Wie sehr hatte er sich auf die strahlenden Gesichter seiner Gäste gefreut! Wie gern hätte er ein paar harmonische Stunden in festlicher Atmosphäre verlebt! Was sollte er nun tun?

Vielleicht meint ihr, die Geschichte klingt sehr un­wahrschein­lich. Und doch ist sie wirklich geschehen. Nur ist der Gastgeber kein Mensch, sondern Gott, und die in Sünde gefallenen Menschen sind die Gäste. Alles, was Gott geschaffen hat mit dieser Welt, könnte uns Menschen zur Freude und zum Segen dienen – wenn wir es nicht kaputt machen würden durch unsere Auflehnung gegen den Gastgeber und unser liebloses Verhalten gegenüber den anderen Gästen. Die Sünde hat aus dem festlich ge­schmück­ten Haus dieser Welt ein Trümmerfeld gemacht.

Aber nun noch einmal die Frage: Wie ragiert der Gastgeber darauf? Klarer Fall: Mit solchem Gesindel will er nichts mehr zu tun haben. Er ist zornig auf seine Gäste; sie sind ihm zu Feinden geworden.

Ist der Fall wirklich so klar? Natürlich wissen wir, dass die Sünde den Menschen zu Gottes Feind gemacht hat. Mit jeder ego­istischen Tat, mit jedem ver­letzenden Wort, mit jedem läster­lichen Gedanken treten wir Gottes Welt mit Füßen und machen sie ein bisschen liebloser. Das steckt von Mutterleib an in uns drin; das wissen und bekennen wir. Wir sprechen in der Beichte: „Ich armer, elender, sündiger Mensch“, und das sagt alles: Die Schwäche, die Gott­losig­keit, die Sünden­verderbnis, die Feind­schaft. Natürlich wissen wir auch, dass wir damit Gottes Freund­schaft verwirkt haben. Deutlich genug hat uns Gott durch seine Boten kundgetan, dass sein Zorn grausam ist und dass er die Sünde nicht ungestraft lassen, sondern heimsuchen wird. Soweit ist der Fall ganz klar.

Doch wenn wir uns das Wort des Apostels Paulus aus dem Römerbrief vornehmen, dann erleben wir, dass es diese schreck­liche, aber doch nüchterne und folge­richtige Lage­beschrei­bung wie mit Dynamit sprengt – mit dem Dynamit des Evangeliums nämlich. Paulus nannte das Evangelium eine „dynamis“, eine „Gottes­kraft“. Gott gibt uns nicht einfach Straf­erleichte­rung und sagt: „Schwamm drüber!“ Gott bringt nicht einfach Verständnis für unser unmögliches Verhalten auf. Gott liebt uns nicht einfach wieder ein wenig. Nein, Gott liebt uns (die Feinde, die Gottlosen, die Sünder und wie sie hier sonst noch genannt werden) so sehr, dass er für sie seinen Sohn in den Tod geschickt hat. Paulus schrieb: „Christus ist schon zu der Zeit, als wir noch schwach waren, für uns Gottlose gestorben.“ Das sprengt alle mensch­lichen Vor­stellungen, das kann nur von Gott kommen. Unter Menschen gilt nämlich: „Nun stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen; um des Guten willen wagt er vielleicht sein Leben.“ Als Held wird gefeiert, wer für gute oder besonders schutz­bedürftige Menschen sein Leben opfert. Aber für Feinde sterben – also für diejenigen, die einem alle Liebe mit Hohn, Spott, Hass und Verachtung vergelten – , das tut kein Mensch. Gottes Sohn hat es jedoch getan. Paulus schrieb: „Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“

Paulus verfolgt mit dieser Fest­stellung ein bestimmtes Anliegen. Er will den Römern ihr Heil gewiss machen – den Römern und allen Christen, die daran zweifeln, ob Gott ihnen letztlich wirklich gnädig ist. Denn wie kann sich besser zeigen, dass Gott uns ohne menschliche Vor­leistungen liebt, als im Tod seines Sohnes für Gottlose und Feinde. Nun, da er uns aus freier Gnade versöhnt, also zu Söhnen und Kindern gemacht hat, haben wir weniger zu fürchten als die Menschen, die vor Jesus lebten und sein Erlösungs­werk nur aus pro­phetischen Vor­ankündi­gungen kannten. Paulus argu­mentierte: „Um wieviel mehr werden wir nun durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden sind. Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wieviel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind.“

Freilich leben wir jetzt in der Zeit des Schon-und-noch-nicht. Schon sind wir versöhnt. Schon gilt die Vergebung der Sünden, die Christus so teuer bezahlt hat. Schon ist in Gottes Augen all unsere Sünde und Feindschaft getilgt, wenn wir Christi Opfer im Glauben annehmen. Aber noch merken wir am „alten Adam“ in uns, wie sich die tief verwurzelte Feindschaft gegen Gott bemerkbar macht. Noch erinnern uns Leid und Probleme in der Welt, welche ver­heerenden Folgen die Gott­losig­keit mit sich bringt. Noch klafft aus­einander, was wir in Gottes Augen sind und wie es im täglichen Leben um uns steht: In Gottes Augen sind wir Heilige und Gerechte um Christi willen, tatsächlich aber sind wir auch immer noch Sünder. Und wenn wir schon in uns selbst, die wir getauft sind und glauben, immer wieder die schauer­lichen Abgründe der Sünde erkennen, wie mag es dann erst in den Seelen der Ungläubigen aussehen, die noch nichts von der Versöhnung geschmeckt haben! Aber mit Paulus dürfen wir ganz gewiss sein: Hat uns Gott versöhnt, dann wird er uns ganz bestimmt auch selig machen und zu sich in sein ewiges Reich nehmen, wo unser Glaube und unser Tun nicht mehr auseinander­klaffen werden. Dort wird dann das eingangs be­schriebe­ne Fest in Ewigkeit so gefeiert werden, wie es vom Gastgeber gedacht war.

Menschen, die durch Christus versöhnt sind und auf die Vollendung ihrer Erlösung warten, nehmen die Botschaft von der Erlösung nicht untätig zur Kenntnis. Paulus schreibt nach der Ver­gewisse­rung des ewigen Lebens: „Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus.“ Das Rühmen, das Gotteslob, ist einfach un­verzicht­barer Bestandteil des Lebens, wenn man die unfassliche Liebe Christi erfahren hat. Und das Rühmen besteht nicht nur aus Singen und Beten am Sonntag, sondern es ist eine positive Grund­haltung auf der Basis des Evan­geliums, die sowohl unsere Haltung zu Gott als auch unsere Haltung zu uns selbst und zu unseren Mitmenschen bestimmt. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über! Auch die Hände und Füße und der ganze Leib machen mit beim Rühmen Gottes, arbeiten und laufen und leben zur Ehre Gottes.

Dieses Rühmen kann unserer Umwelt nicht verborgen bleiben. Wohl­bemerkt: das Rühmen, nicht das Diskutieren und Argumen­tieren für Gott! Und das ist auch wichtig, dass andere etwas davon mit­bekommen, denn Gottes verzeihende Liebe sucht ja alle Menschen. Durch uns will Gott auch die erreichen, die immer noch durch ihren Unglauben Gottes Liebe mit Füßen treten und die immer noch Gottes Feinde sind. Müsste uns diese Aufgabe nicht auf der Seele brennen? Müssten wir nicht viel bewusster versuchen, Zeugen des Evangeliums für sie zu sein? Warum sind wir in dieser Beziehung oft so gleich­gültig und träge? Es lohnt sich, dieser Frage einmal ernstlich nach­zugehen: Warum brennen uns die ungläubigen Menschen nicht viel stärker auf der Seele? Meinen wir, Gott wird sie auch ohne Glauben selig machen, weil sie doch eigentlich ganz nette Menschen sind? Die Bibel macht un­missver­ständlich deutlich, dass ohne den Glauben an Christus niemand selig werden kann. Oder ist uns egal, was aus den anderen Menschen wird? Das kann doch unmöglich der Fall sein! Haben wir in Christus die unfassliche Liebe Gottes geschmeckt, dann wird uns diese Liebe dazu dringen, dem noch unerlösten Nächsten das Evangelium mit Wort und Tat nahe­zubringen. Oder meinst du, du hast nicht die Gabe zum Zeugen­dienst und überlässt ihn daher lieber den Profis? Gott rühmen, das kann jeder Christ! Die Gaben und Möglich­keiten mögen verschieden sein, aber das Ziel ist nur eines: dass das Licht des Evangeliums in dieser Welt hell leuchtet. Oder hast du schlechte Erfahrungen mit dem Weitersagen der Frohen Botschaft gemacht und bist frustriert, weil keiner auf dich hören will? Unsere Aufgabe bleibt es, den göttlichen Samen aus­zustreuen, auch wenn vieles davon auf schlechten Boden fällt und verdirbt. Wenn wir aber resignieren und aufhören zu säen, dann kann auch auf den guten Boden nichts mehr fallen.

Hinter all diesen Einflüssen, die uns die brennende Liebe zum unerlösten Mitmenschen und den Mut zum Zeugen­dienst nehmen, steht letztlich nur einer: Satan. Der ist immer dort besonders fleißig am Werk, wo mit dem Evangelium ernst gemacht wird – das müssen wir in aller Nüchtern­heit berück­sichtigen, wenn wir Gott so rühmen wollen, dass die Welt es hört. Aber Gott hat uns besonders eine mächtige Waffe gegen ihn gegeben, und zwar das Gebet. Lasst uns gegen Satan anbeten, wenn er versucht, alle Ansätze einer volks­missio­narischen Arbeit zu lähmen und zu boykot­tieren! Mit Gebet muss jeder Zeugen­dienst beginnen, und vom Gebet muss er getragen werden. Und schließlich hat uns Gott auch mit Bedacht in eine Gemeinde gestellt, also in eine Gemein­schaft von Brüdern und Schwestern. Gegenseitig sollen wir uns im Glauben stärken, gegenseitig sollen wir uns Mut machen zum Zeugen­dienst, gegenseitig sollen wir uns ermahnen und auf Durst­strecken ermutigen, gegenseitig sollen wir uns auch lehren und zurüsten. Also: Macht euch bereit zum Zeugen­dienst – ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat! Stärkt euch, macht euch Mut, ermahnt euch! Betet gegen Satan an und betet dafür, dass Gott durch euren Dienst Herzen auf­schließt! Und vor allem: Habt immer die Liebe Christi vor Augen, der unter bittersten Leiden und Schmerzen für uns in den Tod ging – für uns, die wir Gottes Feinde waren. Wenn wir sie so klar vor Augen haben wie Paulus, bekommen wir die Kraft, auch wie Paulus Freuden­boten des Evangeliums zu sein – mit Eifer, mit Freude, gegen alle Wider­stände, mit Geduld und viel Liebe! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1986.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum