Reich sein für Gott

Predigt über Lukas 12,16‑21 zum Erntedankfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es ist etwas Herrliches, in diesem wunderbar ge­schmück­ten Gotteshaus das Ernte­dank­fest zu feiern. Und es ist zugleich etwas sehr Wichtiges. Jeder, der mit offenen Augen durchs Leben geht, weiß, wie wichtig das tägliche Brot ist – und dazu gehört ja nicht nur das, was auf dem Feld wächst, sondern auch das, was in den Fabriken hergestellt wird, und dazu auch noch andere wichtige Dinge wie Frieden oder liebe Mit­menschen. Für all das wollen wir heute gemeinsam Gott besonders herzlich danken und ihn loben.

Nun hat sich aber in diesen fröhlichen Dank­gottes­dienst ein undankbarer Mensch ein­geschli­chen: der reiche Kornbauer des heutigen Tages­evangeliums! Er hatte eine hervor­ragende Ernte ein­gefahren. So baute er größere Scheunen, um den ganzen Segen unter­bringen zu können. Dann lehnte sich zufrieden zurück und sprach bei sich selbst: „Du hast einen großen Vorrat für viele Jahre. Nun ruh dich aus, iss, trink und genieße das Leben!“ Von Ernte­dank­fest keine Spur. Da trat Gott un­vermittelt in das Leben dieses Menschen und sagte: „Du Narr! Heute Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Bist du darauf vor­bereitet?“

Welchen Fehler hat der reiche Kornbauer gemacht? War es ein Fehler, reich zu sein? Manche Menschen meinen ja, dass die Reichen immer die Bösen sind. Dabei übersehen sie, dass die Heilige Schrift viele reiche Menschen als Vorbilder der Frömmigkeit vorstellt. Nein, Reichtum an sich ist nichts Schlechts. War es dann vielleicht sein Fehler, dass er zuviel für seinen Besitz sorgte und größere Scheunen baute? Gegenfrage: Hätte er denn die halbe Ernte verderben lassen sollen? Nein, es kann doch nicht schlecht sein, ver­antwort­lich mit Gottes Segensgaben umzugehen. Oder war er geizig? Davon steht nichts in dem Gleichnis. Oder war er griesgrämig und sorgenvoll? Nein, er freute sich doch von Herzen über die Ernte. Was war denn nun also sein Fehler? Jesus sagte am Ende der Geschichte: „So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich für Gott.“ Da liegt der Fehler: Der Kornbauer war nicht „reich für Gott“. Er hat zwar viel überlegt und gerechnet, aber er hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Er hat viel geplant und nach­gedacht, aber an Gott hat er nicht gedacht. Hätte er an Gott gedacht, dann hätte er zuallererst einmal Erntedank­fest gefeiert. Denken und Danken gehören nämlich zusammen. Und wenn er bis zu Ende gedacht hätte, dann wäre er auch darauf vorbereitet gewesen, dass der, der ihm den Segen verliehen hat, ihn auch wieder nehmen kann. Der Kornbauer hat nicht genug gedankt und nicht genug gedacht. Daher sagte Gott auch zu ihm: „Du Narr!“, das bedeutet: Du Un­vernünfti­ger! Weil er ein Narr war, war er nicht reich für Gott.

Jesus erzählte diese Geschichte als warnendes Beispiel. Wollen wir für uns eine Lehre daraus ziehen, dann müssen wir uns fragen: Wie macht man denn das – reich sein für Gott? Und da stellen wir fest, dass die Bibel auch positive Beispiele zu bieten hat – Beispiele von Menschen, die ebenfalls viel geerntet hatten, dabei aber auch noch reich waren für Gott. Zwei von ihnen möchte ich jetzt heraus­greifen: Simon Petrus und Josef aus dem alten Testament.

Kommen wir zum ersten Beispiel, zu Simon Petrus. Was hatte Petrus geerntet? Er war Fischer, also erntete er Fische. Ich denke dabei an den wunderbaren großen Fischzug, den Petrus mit seinen Kollegen auf Jesu Wort hin tat, nachdem er eine ganze Nacht lang nichts gefangen hatte (Lukas 5,1‑11). „Sie fingen eine große Menge Fische“, heißt es da. Petrus ist erschrocken über diesen großen Fischzug. Er erkennt: Alle eigene Arbeit ist vergebens, wenn Gott nicht seine Hand auftut; alles kommt von ihm – in diesem Fall sogar durch ein Wunder. Petrus ist beschämt, wie reich ihn Gott dabei beschenkt. Er weiß, dass er nichts davon verdient hat. Darum sagt er: „Herr, gehe von mir hinaus; ich bin ein sündiger Mensch.“ Und dann ruft ihn Jesus weg von seinen Fisch­netzen: „Folge mir nach!“ Und Petrus geht hinter Jesus her. Mancher, der über diese Geschichte nachdachte, fragte sich: Was ist denn aus den vielen Fischen geworden? Hat Petrus sie einfach am Strand liegen und verderben lassen? Oder hat er sie noch verkauft, bevor er mit Jesus mitging? Oder hat er sie seinen Angehörigen und Kollegen überlassen? Oder hat er wenigstens noch eine Mahlzeit davon zubereitet? Wir wissen es nicht; mit keiner Silbe werden die Fische mehr erwähnt. Ich denke, hier liegt die Antwort auf die Frage, was es heißt, reich zu sein für Gott: Wo ein Mensch seine Sünd­haftig­keit erkennt, wo Jesus ihn trotzdem annimmt und in die Nachfolge ruft, da werden Fische und Erntesegen unwichtig. Der größere Reichtum ist es nämlich, von Jesus angenommen zu sein. Der größere Reichtum ist es zu wissen: Meine Schuld trennt mich nicht mehr von Gott; meine Seele ist für immer gerettet; und ich darf Jesus dienen. Jeder, der darüber nachdenkt, muss zugeben: Un­vergäng­licher Reichtum ist wertvoller als ver­gäng­licher. Und so führt das Danken für die Ernte über das Denken an Gott zu dem weitaus größeren Lob und Dank für die Rettung unserer Seelen.

Der reiche Kornbauer hat nicht gedankt und auch nicht weit genug gedacht; es war für ihn deshalb eine böse Überraschung, als sein Reichtum der schnellsten Inflation anheimfiel, die es gibt: der Inflation des Todes. Jesus erzählte das Gleichnis übrigens besonders einem Menschen, der mit seinem Bruder Erb­streitig­keiten hatte und Jesus zum Erbteiler machen wollte. Jesus zeigte ihm mit der Geschichte: Was bedeutet schon die paar Pimper­linge? Ich habe viel mehr anzubieten, größeren Reichtum, Reichtum für Gott, ewiges Leben! Im Vaterunser, das er seine Jünger lehrte, geht es in sechs Bitten um das ewige Leben und in nur einer Bitte um das tägliche Brot. Reich sein für Gott heißt Wichtiges von Unwichtigem unter­scheiden, Ver­gäng­liches von Un­vergäng­lichem. Deshalb feiern wir nur einmal im Jahr Erntedank­fest, aber jeden Sonntag die Auf­erstehung Jesu Christi von den Toten. Das Kreuz ist immer im Altarraum, der Kürbis nur heute.

Liebe Brüder und Schwestern, ich bin gewiss, dass ihr auch und gerade heute diese Unter­scheidung nach­vollziehen könnt. Wenn wir nur hier wären, um Gott für die reiche Ernte zu danken, dann wären wir nicht besser als irgend­welche Heiden, die ihren Götzen dafür danken, dass sie sie wieder so brav gesegnet haben. Nein, unser Dank kann nur im Namen Jesu Christi geschehen und muss daher in den größeren Dank für die Erlösung übergehen. Keiner von uns aber (und ich schließe mich da selbst mit ein) ist wohl im Alltag ganz davor geschützt, dass sich der alte reiche Kornbauer in ihm meldet. Denn zeigt sich in unserem ganzen Leben, dass uns Christus und seine Erlösung wichtiger sind als Essen, Trinken, Kleidung, Wohnung, Auto, Ferien­reise, Hobby, Sport, Gesundheit und Familien­leben? Kommt Christus nicht manchmal ganz schön zu kurz? Da sagt man sich: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat, kümmere dich um eine sichere Wertanlage! Liebe Seele, iss, trink, habe Ruhe, schlaf dich aus am Sonntag­morgen, man muss ja nicht immer zur Kirche rennen! Habe guten Mut, zerstreue dich, sieh fern, lies die neusten Illustrier­ten – die Bibel ist ja viel zu schwer zu verstehen, und zu täglichen Haus­andachten bekommt man eh nie alle zusammen! Such dir deine Gesell­schaft dort, wo man fröhlich ist und Witze macht, wo man dich bewundert und hofiert! Komm nur nicht den Mitchristen zu nahe, wo man sich vielleicht Probleme anhören muss, wo man so unangenehm an seine Sünden erinnert wird, wo man den letzten Fragen nach Leben und Tod ausgesetzt ist! Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir nicht immer wieder gegen diesen reichen Kornbauern in uns ankämpfen, laufen wir Gefahr, arm zu werden für Gott und einmal genauso böse überrascht zu werden wie er. Keiner von uns kann sich zum Beispiel davor schützen, dass eines Tages – viel zu früh, wie es scheint – der Arzt zu ihm sagt: Sie haben Krebs. Und dann kommt das große Er­schrecken, dass man von den Dingen dieser Welt nichts mitnehmen kann und dass man sich um die Dinge der anderen Welt, die doch un­vergäng­lich und darum erstrangig wichtig sind, viel zu wenig gekümmert hat. „So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich für Gott.“

Nun mögt ihr vielleicht denken, dass ich das als Pastor viel zu einseitig sehe. Immerhin ist es doch nicht egal, wie wir mit den Gütern dieser Welt umgehen, und ganz ohne mensch­liches Zutun kann man nun mal keine Früchte ernten und kein täglich Brot haben. Ich behaupte ja auch gar nicht, dass diese Ding unwichtig sind; sie kommen aber eben erst an zweiter Stelle. Dass diese zweite Stelle aber ebenfalls ihre Bedeutung hat, ja, dass sich gerade auch in den irdischen Dingen zeigt, ob jemand reich ist für Gott, das zeigt das zweite biblische Beispiel, das ich hier anführen will: das Beispiel des Josef. Nun war Josef in seiner ägyptischen Zeit zwar kein Bauer, aber wir erinnern uns, dass der Pharao ihm die Verwaltung seiner sieben­jährigen Rekordernte übertragen hatte. Josef hat dann rein äußerlich dasselbe gemacht wie der reiche Kornbauer: Er hat große neue Scheunen bauen lassen, um all den Erntesegen zu speichern. Er hat bestimmt auch fleißig gerechnet, geplant und Spezia­listen heran­gezogen, denn selbst heute noch erscheint es als erstaun­liche Leistung, solche Mengen von Getreide ohne Kühlhäuser oder moderne Kon­servierungs­methoden über Jahre hinweg auf­zubewahren. Aber bei all diesem Tun war Josef ein frommer Mann geblieben und lebte mit Gott. Er mühte sich um die Auf­bewahrung des Erntesegens nicht aus Habsucht oder um sich selbst ein paar schöne Jahre zu machen, sondern aus Fürsorge und Ver­antwortung für andere Menschen. Das ist der ent­scheidende Unterschied zum Kornbauern. Wer reich ist für Gott, wer also aus der Fülle der Liebe Gottes lebt, der wird aus Liebe zu Gott und den Menschen auch mit der guten Ernte ver­antwort­lich umgehen: nicht ver­schwende­risch, nicht geizig, nicht faul, nicht sorgenvoll, sondern sinnvoll planend. Und der wird dabei immer auch an andere denken – seien es die nächsten An­gehörigen, seien es Menschen in der Dritten Welt, seien es die Hilfwerke von Kirche und Mission. Er wird dabei nicht fragen, wer seine Liebe verdient hat, genauso­wenig wie Gott das fragt oder wie Josef das fragte – der doch seine Brüder, die ihn einst umbringen wollten, durch seine Vorsorge vor dem Verhungern rettete. Wir können und sollen es genauso machen – nicht nur mit der reichen Ernte oder mit dem Geld, das wir verdienen, sondern auch mit allem andern, was uns im über­tragenen Sinn als Ernte zufällt: unsere Zeit, unsere Arbeits­kraft, unsere Liebe, unsere Talente, unser jugend­licher Schwung, unsere Lebens­erfahrung oder was wir sonst von Gott empfangen haben. Danken wir ihm dafür und setzen wir es so ein, wie es ihm gefällt: dem Nächsten zu Nutz und Gott zur Ehre!

Lasst uns also ein rechtes Erntedank­fest feiern – nicht im routi­nierten Abspulen der gewohnten Erntedank­liturgie, sondern im Denken daran, von wem und zu welchem Zweck wir dieses Lebens Güter haben. Lasst uns Petrusse und Josefs werden: Petrusse, die die Nachfolge Jesu im Glauben an erste Stelle setzen, und Josefs, die den empfangenen Segen ver­antwort­lich nutzen und ihn zum Wohl des Nächsten weiter­geben! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1985.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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