Der Bräutigam fährt voraus

Predigt über Johannes 17, 24 zum Himmelfahrtstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir stellen uns einen Bahnhof vor. Ein Zug steht zur Abfahrt bereit. Drinnen sitzt der Bräutigam, draußen steht die Braut. Der Zug setzt sich in Bewegung. Die Braut winkt. Der Bräutigam fährt in seine Heimat, die Braut bleibt in ihrer Heimat zurück. Aber nicht für immer. Der Bräutigam hat ver­sprochen, bald wieder­zukommen und die Braut in seine Heimat mit­zunehmen. Er hat ihr zum Abschied gesagt: „Ich möchte, dass du da bist, wo ich nun hinfahre.“ Die Braut freut sich darauf. Zwar tut ihr dieser Abschied weh, aber sie weiß auch: Dieser Abschied wird der letzte sein. Wenn ihr Bräutigam wieder­kommt, wird er sie mitnehmen. Dann werden sie Hochzeit feiern und für immer zusammen bleiben.

Liebe Gemeinde, das Verhältnis von Bräutigam und Braut ist schon seit dem Alten Testament ein Abbild für Gott und sein Volk. Im Neuen Testament ist es besonders ein Abbild für Christus und die Kirche. Deshalb ist es nicht unangemessen, wenn wir Christi Himmelfahrt mit dieser kleinen Abschieds­szene auf dem Bahnhof ver­gleichen. Die Braut, die Kirche, wird dabei durch die Apostel re­präsen­tiert. Sie, die Zeugen der Erdentage Jesu, haben ja mit ihrem Zeugnis das Fundament der Kirche begründet. Jesus steht den Aposteln auf dem Ölberg zum letzten Abschied gegenüber, gleichsam wie auf dem Bahnnsteig. Die Reise, die er vor sich hat, ist weder kurz noch lang. Seine himmlische Heimat liegt ja nicht in dieser Welt; dort wird nicht nach Kilometern und Lichtjahren gemessen. Das Maß, das dort gilt, ist unseren Wissen­schaftlern unbekannt; es heißt Ewigkeit. So ist die Himmelfahrt eigentlich auch keine Fahrt wie von einem Bahnhof zum anderen. Die Apostel sahen lediglich, wie Jesus in einer Wolke entschwand. Und doch war es ein echter Abschied, mit ein wenig Abschieds­schmerz und viel Vorfreude auf das endgültige Wieder­sehen. Zwar würde es weiterhin Kontakt mit Christus geben – durch den Heiligen Geist, durch sein Wort, durch die Gnaden­mittel, durch das Gebet – , aber das sichtbare Beisammen­sein würde das nicht ersetzen können. Das würde es erst wieder geben, wenn Christus wieder­kommt.

Ich weiß nicht, ob einer der Apostel beim Abschied von Jesus daran gedacht hat, was der Herr am Abend seiner Verhaftung gesagt hatte. Der Apostel Johannes hat sich zumindest später wieder daran erinnert und es im 17. Ka­pitel seines Evangeliums auf­geschrie­ben. Es handelt sich um ein Gebet Jesu, das sogenannte hohe­priester­liche Gebet. Ein Satz daraus passt besonders gut in die Situation des Bräutigams hinein, der sich von seiner Braut, der Kirche, zum letzten Mal ver­abschiedet, um sie bei seinem Wieder­kommen mit sich nach Hause zu nehmen und für immer mit ihr zusammen zu bleiben. Es ist der Predigt­text, den ich jetzt noch einmal vorlesen möchte: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, auf dass sie meine Herrlich­keit sehen, die du mir gegeben hast.“

Jesus verwendet hier eine merkwürdige Formu­lierung für seine Braut, die Kirche: Er nennt sie die jenigen, die sein Vater ihm gegeben hat. Das erinnert uns an die Zeit, als noch die Väter für ihre Söhne die Bräute aussuchten. Wenn wir weiter darüber nachdenken, ist an diesem Vergleich tatsächlich etwas dran: Jesus tat und tut ja nichts, was nicht in Überein­stimmung mit dem Willen seines Vaters ist. Er zählt diejenigen Menschen zu den Seinen, die auch sein Vater die Seinen nennt. Nur dürfen wir uns das nicht so vorstellen, dass Gott sich willkürlich solche Leute aus der Menschheit heraus­greift, die ihm sympathisch sind, und die anderen ins Verderben rennen lässt. Gott möchte ja, dass allen Menschen geholfen wird, das hat er un­missverständ­lich klar gemacht. Diejenigen, die der Vater Jesus gegeben hat (in anderen Schriften des Neuen Testaments werden sie die „Aus­erwählten“ genannt), werden vielmehr immer als solche be­schrieben, die das Wort, das der Vater durch Jesus gesandt hat, hören und aufnehmen. Es sind diejenigen, die Glauben haben an Christus, die ihn lieb haben, die sich von ihm gerettet wissen und die deshalb mit ihm zusammen­gehören wie Braut und Bräutigam. Wir dürfen hier auch nicht versuchen, eine Reihenfolge auf­zustellen, etwa: Erst haben Menschen dem Evangelium geglaubt, dann hat der Vater sie Jesus zu Jüngern gegeben; auch nicht: Der Vater hatte schon immer seine Lieblinge unter den Menschen, und denen hat er dann Glauben geschenkt und sie dann Christus gegeben. Es drückt sich hierin vielmehr eine enge, ganz un­beschreib­liche Beziehung zwischen Vater, Sohn und Aus­erwählten aus, die viel kompli­zierter ist als die Liebe zweier verlobter Menschen. Verrenken wir uns also lieber nicht das Gehirn! Das Geheimnis, dass Gottes Liebe allem mensch­lichen Glauben, ja Leben, vorausgeht, liegt in Gottes Ewigkeit begründet. Freuen wir uns einfach darüber, dass wir dazugehören dürfen und dass wir von Vater und Sohn erwählt sind, die Braut zu sein!

Nun liegt der Abschied unseres Bräutigams Christus schon lange zurück – zumindest erscheint es uns so nach menschlichen Zeit­maßstäben. Wir haben nur Kunde davon durch die Augen, die Ohren und das Zeugnis der Apostel. Was empfinden wir zwischen Abschied und Wieder­kommen des Bräutigams? Und wie sollen wir uns in der Zwischen­zeit verhalten? Wir können uns diese Fragen selber beantworten mithilfe der weiteren Frage: Was kenn­zeichnet denn das Verhältnis Verlobter? Es ist natürlich die Liebe. Und die drückt sich in Zeiten der Trennung vor allem durch Treue und Vertrauen aus.

Da ist erstens die Treue, die wir als Braut dem Bräutigam halten, auch wenn er lange ausbleibt und in der Zwischen­zeit viele andere Männer um unsere Gunst werben. Haben sie bei dir Erfolg? Prüfe dich, ob es in deinem Leben einen Menschen oder ein Hobby oder sonst etwas gibt, das dir wichtiger ist als Christus! Wenn ja, dann hast du deinem Bräutigam die Treue gebrochen. Sieh zu, dass du solche unguten Bindungen abbrichst, ehe sie dich ganz von Christus wegbringen. Wenn dir zum Beispiel ein Hobby oder der Sport wichtiger ist als Gottes­dienst und Bibellesen, dann gib es lieber auf. Oder wenn du merkst, dass Menschen, mit denen du viel zusammen bist, deinen Glauben be­einflussen und dich zu Dingen überreden wollen, die Chistus nicht gefallen, dann sieh dich vor, dass sie dich nicht auf ihre Seite ziehen. Das heißt natürlich nicht, dass du dich aus allem heraus­halten und ein klöster­liches Leben führen sollst. Aber vergiss nicht, dass du nach Jesu Willen woanders hingehörst. Wie betete er doch im hohen­priester­lichen Gehet? „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast.“ Da ist deine Heimat. Was du hier in dieser Welt siehst und erlebst, fern deiner neuen Heimat, das ist vorüber­gehend, das darf dich nicht binden und festhalten. Wenn du Christus wirklich lieb hast, dann kannst du das alles leichten Herzens aufgeben und mit ihm gehen, wenn er wieder­kommt. Wenn du aber etwas in dieser Welt lieber hast, dann bist du in deinem Herzen schon untreu geworden.

Zweitens ist da das Vertrauen, das wir als christliche Kirche und Gemeinde zu unserm Bräutigam haben dürfen. Das bedeutet: Wir dürfen mit seiner Treue rechnen. Er hat uns ja erlöst, er hat uns aus dem Dreck unserer Sünde gezogen, er hat uns zu Kindern Gottes gemacht, damit wir mit ihm zusammen sein können. Er hat aus­drücklich gesagt, dass er mit uns zusammen sein will, ja, dass wir zu ihm in seine so viel bessere Heimat kommen sollen, nämlich in das himmlische Vaterhaus. Und er wird nicht wort­brüchig. Er hat sich nicht heimlich davon­gestohlen. Wenn er es getan hätte, dann würden wir nicht Himmelfahrt feiern. Jesus hätte ja auch einfach aufhören können, als Auf­erstandener vor seinen Jüngern zu erscheinen. Aber nein, vor den als Zeugen ver­sammelten Aposteln und damit vor der ganzen Christen­heit hat er vorüber­gehend Abschied genommen, und die Engel bestätigten gleich darauf: So, wie er weggegangen ist, wird er wieder­kommen. Ja, er kommt, wenn die Zeit erfüllt ist. Lasst uns daran festhalten in Geduld und im Vertrauen auf seine Treue!

Und wenn es dann soweit ist, dann dürfen wir mit ihm gehen, unserm Bräutigam. Ja, dann dürfen wir selbst auferstehen und gen Himmel fahren. Dann gibt es das große Hochzeits­fest, von dem uns das Neue Testament mehrfach berichtet und auf das wir uns schon freuen können, besonders im Heiligen Abendmahl. Dann werden wir Christus, unsern Bräutigam, in all seiner himmlischen Herrlich­keit sehen, wie es im hohen­priester­lichen Gebet heißt: „… auf dass sie meine Herrlich­keit sehen, die du mir gegeben hast.“ Christus hat sie sich nicht eigen­mächtig genommen, sondern er hat sie sich vom Vater geben lassen. Und so wird diese Feier ein derart har­monisches Familien­fest sein, wie man es sich überhaupt nicht vorstellen kann. Wir erfahren in der Bibel deshalb vor allem, was es dort nicht geben wird auf diesem ewigen Fest: Tränen, Schmerzen, Leiden, Geschrei, Sünde und Tod. Wie es sonst sein wird, das kann auch die Bibel nur mit den Farben unserer Welt ausmalen, weil wir es sonst nicht fassen könnten. Sie malt die königliche Hochzeit, sie malt das friedliche Natur­paradies des neuen Himmels und der neuen Erde, sie malt die gold­glänzende Stadt des neuen Jerusalems mit ihren Perlen­toren. Da ist unsere Heimat, da gehören wir hin, weil da unser Bräutigam Jesus zu Hause ist. Er wird mit seiner Herrlich­keit im Mittelpunkt stehen, und wir werden immer mit ihm zusammen sein.

Liebe Gemeinde, Jesus hat Abschied genommen, um wieder­zukommen – daran denken wir besonders am heutigen Himmel­fahrts­tag. Aber unser himmlischer Bräutigam hat uns auch Zeichen hinter­lassen als Beweis seiner Treue. Ich denke jetzt nicht so sehr an die Sakramente, obwohl sie natürlich in erster Linie solche Zeichen sind. Ich denke vielmehr daran, dass die Apostel Jesus in einer Wolke ent­schwinden sahen. Und dann sagten ihnen zwei Engel: So, wie Jesus von euch weggenommen ist, wird er wieder­kommen. Wenn du nun heute oder an einem anderen Tag Wolken am Himmel siehst, dann ärgere dich nicht darüber, dass die Sonne nicht scheint; denke vielmehr an die Worte der Engel. Denke daran: So wie Jesus sich ver­abschiedet hat – so mit den Wolken des Himmels – , so wird er wieder­kommen. Die Wolken, die du da siehst, sind gleichsam dein Verlobungs­ring und erinnern dich an den, zu dem du gehörst. Ja, du gehörst zu Jesus und in seine himmlische Welt, in die er dich einst holen wird. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1983.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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