Das Ebenbild Gottes

Predigt über 1. Mose 1,26‑31 zum Sonntag Jubilate

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es gibt eigentlich keinen Grund, die Schöpfungs­geschichte nicht wörtlich zu nehmen, außer einem: Die Geschichte kommt uns ziemlich unwirklich vor. Gott redet – zu wem eigentlich? Und dann ist auf einmal alles da, aus dem Nichts geschaffen. Wer kann sich das vorstellen? Aber Gott ist ja größer als unsere Vorstellungs­kraft. Deshalb wäre es Vermessen­heit, ja, Dummheit, wenn wir meinten, was wir uns nicht vorstellen können, das könne auch nicht so gewesen sein. Wir haben den klaren biblischen Bericht vor uns, und es gibt keine ver­lässlicheren Worte als Gottes Wort. Darum wollen wir jetzt all unsere mensch­lichen Vorbehalte und Zweifel über Bord werfen und uns einfach vor Augen malen lassen, was geschah, als der Mensch geschaffen wurde.

Gott sprach: „Lasset uns Menschen machen.“ Er spricht von sich im sogenannten Majestäts­plural; oder genauer: Wir erkennen an diesem „Uns“ bereits im ersten Kapitel der Bibel Gott als den Dreieinen. Und dann kommt diese Aussage, die wie kaum eine andere Beachtung gefunden hat: „… ein Bild, das uns gleich sei.“ So geschah es dann auch: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“ Wie ist das zu verstehen? Es kann nicht bedeuten, dass der Mensch äußerlich wie Gott aussieht, denn wir wissen von anderen Aussagen der Bibel her, dass Gott sich in seiner Erscheinungs­weise nicht auf ein bestimmtes Aussehen festgelegt hat. Was aber hat es sonst zu bedeuten, dass der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist? Wir wollen diese Frrage erst einmal zurück­stellen, bis wir uns die anderen Worte Gottes bei der Erschaffung des Menschen vor Augen geführt haben.

Der Mensch wird zum Herrscher über die übrige Schöpfung eingesetzt: „Lasset uns Menschen machen, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.“ Und wenig später dann das berühmte Wort: „Machet euch die Erde untertan!“ Ferner erfahren wir, dass der Mensch als Mann und Frau geschaffen wird und den Frucht­barkeits­segen empfängt: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde.“ Und dann erfahren wir noch Gottes Speise­ordnung für die ersten Lebewesen: Die ersten Menschen sollten Vegetarier sein und sich von Pflanzen und Früchten ernähren, und auch die Tiere sollten nur grünes Kraut fressen. Der Tod, der Kampf ums Überleben und die Feindschaft unter Mensch und Tier kam erst mit der Sünde in die Welt, vorher war alles friedlich und harmonisch. Hier ist übrigens die Stelle, an der am deut­lichsten wird, warum sich die Lehre des Herrn Darwin nicht mit der wirklichen Schöpfung vereinbaren lässt: Nach Darwin konnte die Fülle der Arten und letztlich der Mensch nur aufgrund des Überlebens­kampfes entstehen und aufgrund des Todes, den die schlechter angepassten Geschöpfe sterben mussten. Der Schöpfungs­bericht zeichnet aber ein anderes Bild der Welt vor dem Sündenfall: Die Schöpfung war in völligem Frieden, in völliger Harmonie, in völliger Ordnung. Der Mensch aber sollte an der Spitze dieser Ordnung leben und die Schöpfung in Gerechtig­keit und Liebe zum Mit-Geschöpf verwalten. Jetzt erkennen wir, was es heißt, dass er das Ebenbild Gottes ist: Gott ist ein Gott des Friedens, ein Gott der Ordnung, ein Gott der Gerechtig­keit, ein Gott der Liebe – all dies sind biblische Aussagen! Der Mensch sollte nun dieselben Wesens­merkmale tragen und mit ihnen über die Schöpfung herrschen, wie Gott selbst über alles herrscht. Der Mensch sollte in Frieden, Ordnung, Liebe und Gerechtig­keit die Schöpfung verwalten.

Vielleicht merken wir jetzt, warum uns das Bild der jungen Erde, das der Schöpfungs­bericht zeichnet, so unwirklich vorkommt: Von der Ebenbildlich­keit Gottes ist heute dem Menschen nur noch ansatzweise etwas abzuspüren. Wenn wir heute sehen, wie der Mensch mit seinen Mit-Geschöpfen umgeht – mit anderen Menschen, Tieren und Pflanzen – wenn wir sehen, wie wenig er in der Lage ist, Frieden zu halten (von der Ordnung ganz zu schweigen), dann stellen wir fest, dass irgendetwas dazwischen gekommen sein muss. Es ist die Sünde. Sie hat seit Adam und Eva nicht aufgehört, die von Gott gut, vollkommen und ohne Sterben geschaffene Schöpfung zu vergiften und zu zerstören. Weil wir diesseits des Sündenfalls leben, kann uns die geschaffene Welt jenseits des Sündenfalls nur wie ein un­wirklicher Traum vorkommen, fast zu schön, um wahr gewesen zu sein. Hüten wir uns aber vor dem Trug­schluss: Weil heute Unfrieden, Unordnung und Tod auf Erden herrschen, müsse das immer so gewesen sein. Wer so argu­mentiert, will ungerechter­weise den Schwarzen Peter von sich weg auf Gott schieben, der die Welt ja dann so geschaffen haben muss. Die Bibel sagt etwas anderes, nämlich die Wahrheit.

Was aber haben wir davon, wenn wir als Christen das Bild einer einstmals so schönen voll­kommenen Schöpfung im Herzen tragen? Was haben wir davon, wenn wir der Gottes­ebenbildlich­keit des Menschen nach­trauern, die heute höchstens noch als matter Abglanz, zumeist aber in ihrer ihrer Perversion als Herrsch­sucht und Egoismus zu erkennen ist? Wir hätten nichts davon, wenn das Paradies auf ewig verloren wäre. Wir hätten nichts davon, wenn es nicht noch eine Neu­schöpfung gäbe, eine zweite Chance Gottes, ein mächtiges und barm­herziges Dennoch zu den Wesen in den Trümmern einer einst voll­kommenen Schöpfung.

Diese zweite Schöpfung hat bereits begonnen. Sie hat mit der Mensch­werdung Gottes begonnen, mit Jesus Christus, von dem es im Kolosser­brief heißt: „Er ist das Ebenbild des un­sichtbaren Gottes“ (Kol. 1,15). Und im Gegensatz zum gefallenen Menschen hat Jesus seine Gottes­ebenbildlich­keit bis zum bitteren Ende bewahrt; in seinem Leben, Wirken und Leiden spiegelte sich Gottes Liebe, Friede und Gerechtig­keit wider. Auch Jesus ist ein Herrscher über die Schöpfung – aber was für eine merkwürdige Herrschaft das: Er herrscht, indem er jedermanns Knecht wird, indem er jedermann dient, indem er jedermann unter Blut und Tränen die Vergebung der Sünden erkauft. Das ist Herrschaft in wahrer Gottes­ebenbildlich­keit: die Sorge und, wenn es not ist, die Aufopferung für Gottes Schöpfung. Nur wenn wir an den Mann am Kreuz denken, sehen wir den im rechten Licht, der auf­erstanden und in den Himmel auf­gestiegen ist, um dort mit dem Vater über die Welt zu herrschen. Lassen wir uns dies alles vom Neuen Testament vor Augen malen, dann haben wir in Jesus Christus neben dem Schöpfungs­bericht ein zweites Ebenbild Gottes in unserem Herzen, das Bild des neu­geschaffenen Menschen.

Aber auch dieses Bild würde uns nichts nützen, wenn da nicht noch ein drittes Bild in unserem Herzen wäre. Es ist das Bild. des neuen Himmels und der neuen Erde, die Gott versprochen hat zu schaffen. Die Auf­erstehung Jesu ist ja das Vorzeichen der neuen Schöpfung; sie war der Anfang für unsere eigene Auf­erstehung: erst für unsere geistliche Auf­erstehung, als wir getauft wurden und zum Glauben kamen, dann aber auch für unsere leibliche Auf­erstehung, die vor uns liegt und nach der wir dann Bewohner der neuen Erde werden dürfen. Auch dieses Bild malt uns Gottes Wort – und nur Gottes Wort! – vor Augen, und auch dieses Bild kann uns in der gegen­wärtigen Welt recht unwirklich, utopisch, schwer vorstellbar vorkommen. Wie ähnlich diese neue Welt der alten vor dem Sündenfall sein wird, erfahren wir zum Beispiel vom Propheten Jesaja: „Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des Hern sein, wie Wasser das Meer bedeckt“ (Jes. 11,6‑9).

Mit diesen drei Bildern im Herzen dürfen wir leben: dem Bild von der ersten Schöpfung und dem nach Gottes Bild geschaffenen ersten Menschen­paar; dem Bild von Gottes Sohn Jesus Christus, der Mensch wurde und uns so Gottes Ebenbild erneut nahe­brachte; und dem Bild des neuen, zukünftigen Paradieses, wo die Menschen wieder die ganze Gottes­ebenbildlich­keit haben werden. Es sind drei Bilder, die wir nur durch Gottes Wort ins Herz gemalt bekommen, durch nichts anderes. Wenn wir sie im Herzen aufbewahren und an Jesus glauben, dann strahlt von diesen Bildern etwas aus. Dann werden auch wir wieder ein bisschen mehr zu dem, was wir nach Gottes Willen sein sollten: zu Gottes Ebenbild. Dann zeigt sich in unserem Leben etwas von der Liebe, dem Frieden, der Gerechtig­keit und der Ordnung, die Gottes Wesenszüge sind und die er uns zur Herrschaft übr die Welt verliehen hat. Sie zeigen sich in einem liebevollen Interesse am Mitmenschen und an der Schöpfung. Sie zeigen sich in der Fürsorge für Mensch, Tier und Pflanze. Sie zeigen sich in der Genüg­samkeit, im Teilen, und, wenn es sein muss, wie bei Jesus in der Auf­opferung. Sie zeigen sich in der An­erkenntnis der Rollen und Aufgaben­bereiche, die Gott den Menschen in der Schöpfungs­ordnung zugedacht hat. Gott schuf den Menschen ja eben nicht als zwei Männer oder zwei Frauen, sondern als Mann und Frau, von denen jeder seinen besonderen Platz in der Schöpfung hat, auch, wenn beide das Ebenbild Gottes sind und beide zur Herrschaft über die anderen Geschöpfe eingesetzt wurden.

Wir merken: Wer die drei Bilder im Herzen hat, wird selbst zu Gottes Bild in dieser Welt um­gestaltet. Und er setzt sich dann für Frieden, Ordnung, Gerechtig­keit und Liebe in dieser Welt ein. Damit ist ein altes Vorurteil über die Christen entkräftet: Sie sind keine Traum­tänzer, die sich mit ver­staubten, längst überholten Dingen wie dem Schöpfungs­bericht oder Jesus Christus abgeben oder die nur in der Utopie eines para­diesischen Jenseits leben und sich dabei aus der gegen­wärtigen Welt heraus­halten. Nein, gerade weil wir uns so lebendige Bilder bewahren von der Schöpfung, wie sie einst war, von Christus und von der neuen Schöpfung, können wir uns am besten für die Gestaltung der gegen­wärtigen Welt einsetzen. Die etwas unwirklich scheinenden Bilder in unseren Herzen sind keine Vertröstung aufs Jenseits, sondern ein echter Trost, der uns anspornt und ermuntert, bereits in dieser Welt ver­antwortlich für Mitmenschen und Natur zu leben und dabei etwas davon erkennen zu lassen, dass wir trotz allem Gottes Ebenbild sind. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1983.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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