Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Ganz schlicht steht da: „Der Herr sprach zu Abram.“ Wir erfahren nicht, wie und unter welchen Umständen der Herr zu Abram sprach. Da könnte uns der Gedanke kommen: Wenn Gott doch auch mit mir einmal reden würde, einfach so, vielleicht bei einem Spaziergang oder nachts im Traum – nur ein einziges Mal. Ich hätte dann eine Bestätigung, dass ich mit meinem Glauben auf dem richtigen Weg bin. Und ich würde Antworten kriegen auf brennende Lebensfragen, die ich schon lange mit mir herumtrage.
Nun können wir ja tatsächlich Gottes Stimme hören, und wir haben sie auch schon gehört. Denn das, was Gott in der langen Geschichte der Menschheit immer wieder einzelnen Leuten gesagt hat und was dann in der Bibel aufgeschrieben wurde, das ist keine Privataffäre Gottes mit Abraham und anderen altehrwürdigen Gestalten, sondern das geht dich und mich an. Was Gott damals dem Abraham sagte, das hat mit uns zu tun. Nur eins ist anders, als wenn er dich heute direkt ansprechen würde: Es liegt eine lange Zeitspanne zwischen Gottes Wort an Abraham und uns heute, und in dieser Zeit ist viel geschehen. Diese Zwischengeschichte dürfen wir nicht übersehen, wenn wir verstehen wollen, was Gott mit seinem Wort an Abraham uns heute zu sagen hat. Würden wir diese lange Zwischengeschichte außer acht lassen, dann müssten wir nächste Woche den Möbelwagen kommen lassen und ins Ausland umziehen – in ein Land, das Gott uns dann zeigen würde. Das Problem ist also: Die Zwischengeschichte liegt in vielen Schichten zwischen Abraham und uns, etwa so wie Schalen einer Zwiebel. So bedeutet das gewinnbringende Hören auf Gottes alte Botschaften, dass wir die Zwiebel sozuagen schälen müssen, dass wir eine Schale nach der anderen abtragen müssen, um von Gottes Wort für Abraham an den Kern der Zwiebel zu kommen, nämlich an Gottes Botschaft für uns heute. Aber ich verspreche euch: Wenn ihr jetzt bei der etwas mühsamen Arbeit des Zwiebelschälens mitmacht, dann werdet ihr am Ende erfahren, was Gott uns heute mit diesem Wort zu sagen hat.
Am Anfang steht da also: „Der Herr sprach zu Abram.“ Er hat sich diesen Mann einfach ausgesucht, denn er hat auch damals keineswegs zu allen Menschen direkt gesprochen. Er hat sich diesen Mann als Ansprechpartner ausgesucht und als jemanden, mit dem er viel vorhat. Er hat ihn sich ausgesucht, ohne dass Abraham besonders fromm gewesen wäre oder besonder intelligent oder besonders zuverlässig; jedenfalls erfahren wir nichts davon. Er hat ihn sich ausgesucht, ohne dass wir dafür einen Grund erkennen können. Gott hat es ja auch gar nicht nötig, irgendeinen seiner Schritte vor uns Menschen zu begründen. Gott hat sich Abraham so ausgesucht, wie er dich und mich in der Taufe ausgesucht hat, ganz ohne unser eigenes Zutun. Und er sagte ihm: „Gehe aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.“ Da fällt uns Zweierlei auf: Erstens gibt Gott Abraham hier ein Gebot, noch dazu ein recht hartes; da merkt man noch nicht, dass Gott den Abraham eigentlich ungeheuer segnen will. Zweitens steht dieses Gebot einfach so unbegründet da. Gott legt dem Abraham noch nicht einmal einen Plan für seine weitere Zukunft vor, ja, er lässt ihn noch nicht einmal wissen, in welches Land er denn überhaupt ziehen soll. Gott mutet Abraham zu, einfach aufzubrechen.
Vielleicht können einige von euch ermessen, wie hart dieses Gebot ist. Vielleicht sind hier einige unter uns, die selbst einmal ihre Heimat verlassen und in der Fremde eine neue Existenz aufbauen mussten. Mancher musste nicht nur die Heimat verlassen, sondern auch gute Freunde und Verwandte, und mancher sogar das Vaterhaus, also die engste Familie. Mancher wusste zum Zeitpunkt des Aufbruchs nicht, wo er einmal landen würde, und konnte nicht ahnen, dass es ihm dort viel besser gehen würde, als es ihm in der alten Heimat je hätte gehen können.
So ein Gebot bekommt Abraham nun also von Gott. Und weil er sich auf dieses Gebot einlässt, darum lernt er auch Zweierlei: Erstens muss einer, der die herrliche und wunderbare Verheißung Gottes in Empfang nehmen will, das Alte loslassen, sonst hat er nicht die Hände frei für das Neue. Das ist ja eine ganz allgemein gültige Wahrheit: Nur, wer das Alte loslässt, kann etwas Neues festhalten. Wer Gottes Segen ergreifen will, muss sich zumindest innerlich von den Dingen dieser Welt freimachen; weder die Familie noch das Lieblingshobby noch alte Gewohnheiten noch die Arbeit dürfen sein Leben ausfüllen. Man kann Gottes Segen nicht gleichsam mit vollen Händen im Vorübergehen noch unter den Arm klemmen. Gott will uns nämlich ganz beschenken und unser Leben ganz erneuern; er will ganz unser Gott sein und gebietet darum auch, dass wir nicht andere Götter haben sollen neben ihm. Zweitens lernen wir mit Abraham: Gott zeigt uns immer nur den nächsten Schritt. Zu Abraham sagte er einfach nur: Geh in ein Land, das ich dir zeigen werde; wie es heißt und was du da machen sollst, das wirst du schon noch früh genug erfahren. So forderte Gott von Abraham ganzes Vertrauen. Aber dieses Vertrauen lohnte sich, denn Gott führte Abraham ja in sein eigenes Glück.
Mancher kann das sicher nachempfinden. Hast du im Leben nicht auch schon Wege betreten, von denen du am Anfang nicht wusstest, wo sie dich hinführen – womöglich Wege, die dir Gott gezeigt hatte? Hinterher konntest du dann dem danken, „der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet.“ Das ist eine große Ermutigung für alle, die solche ungewissen Wege noch vor sich haben. Geh also nur den Weg, von dem du meinst, dass du ihn gehen sollst, und sorge dich nicht darum, wohin er führt! Gehe ihn mit dem Vertrauen Abrahams! Sei es die Berufswahl, sei es ein Ortswechsel, sei es sonst eine wichtige Entscheidung: Gott wird dich schon leiten, aber er erwartet Vertrauen von dir und zeigt dir deshalb oft nur den nächsten Schritt.
Etwas allerdings zeigte Gott dem Abraham doch schon in der ferneren Zukunft – etwas, das so herrlich ist, dass es sich lohnt, dafür alles andere loszulassen, und dass es sich lohnt, dafür einen ungewissen Weg anzutreten. Gott sagte nämlich zu Abraham: „Ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.“ Auf das Gebot folgte die Verheißung. Abraham sollte ein berühmter und gesegneter Mann werden. Als Segensgaben können wir da ruhig Reichtum einsetzen und Gesundheit und hohes Alter und Zufriedenheit und eine glückliche Ehe. Aber Gottes Verheißung geht über solche persönlichen Segnungen hinaus, denn da steht ja auch etwas von einem großen Volk und davon, dass Abraham ein Segen für andere werden sollte. Damit haben wir die nächste Schale der Zwiebel erreicht: Es geht jetzt nicht nur um Gottes Wort an den einen Menschen Abraham, sondern es geht um Gottes Verheißung für das gesamte Volk, dessen berühmter Vorfahre Abraham ist: das Volk Israel. Abrahams Urenkel wurden die Stammväter dieses Volkes, das von Gott lange Zeit bevorzugt und in besonderer Weise gesegnet wurde. Wir wissen, womit es anfing: Aus den in Ägypten versklavten Hebräern machte Gott eine mächtige Nation in einem wunderschönen Land mit blühender Wirtschaft. So wurde diese Unterredung Gottes mit Abraham, die wir hier in wenigen Versen vor uns haben, zur Sternstunde für das Volk Israel. Auch der nächste Satz galt nicht nur Abraham, sondern dem ganzen Volk Israel: „Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen.“ In den Psalmen können wir von der Erfüllung dieser Verheißung lesen: Gott vernichtete die Feinde und segnete die Freunde Israels. Er ist der Schutzherr dieses Volkes, so mächtig, dass niemand ihm widerstehen kann.
Als Letztes teilte Gott dem Abraham die folgende Verheißung mit: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ Jetzt ist nicht mehr nur Abraham gemeint und nicht mehr nur das Volk seiner Nachkommenschaft, sondern jetzt richtet sich Gottes Verheißung an alle Geschlechter, an alle Völker, an alle Menschen. Jetzt sind auch wir gemeint, jetzt redet Gott durch Abraham direkt zu uns, denn wir gehören ja dazu zur großen Schar aller Geschlechter. Jetzt sind wir also am Kern der Zwiebel angelangt. Der Segen, den Gott dem Abraham persönlich und dann auch dem Volk seiner Nachkommenschaft verheißt, den verheißt er auch dir und mir. Das ist nun freilich kein äußerlicher und vergänglicher Segen mehr. Es ist vielmehr ein unvergänglicher und geistlicher Segen: das Reich Gottes, das ewige Leben, die immerwährende glückliche Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott.
Dieser Segen soll nun „in Abraham“ über uns und alle anderen Menschen kommen; es heißt ja: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ Wie ist das zu verstehen? Abraham hatte unter seinen vielen Nachkommen im Volk Israel einen ganz besonderen Nachkommen. Das ist Jesus, der ja ein Jude war, der also im Stamm Juda aus dem Volk Israel hervorging. Juda ist einer der Urenkel Abrahams. Jetzt wissen wir, wie durch diesen einen Abraham-Nachkommen alle Menschen gesegnet werden: Jesus hat sie alle von der Macht des Teufels und der Sünde befreit durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung. Durch den Glauben an ihn können alle das segensvolle Leben erlangen, das Gott bereits damals durch Abraham versprach.
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wenn ihr das nun gehört und dabei herausgehört habt, was Gott euch mit diesem Wort sagt und verheißt, dann macht es am besten wie Abraham. Von ihm heißt es nämlich: „Da zog Abraham aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm.“ Lot war sein verwaister Neffe, den er wie einen eigenen Sohn angenommen hatte. Abraham gehorchte Gottes Gebot und vertraute seiner Verheißung. Abraham ließ das Alte los, um das Neue in Empfang zu nehmen – das Bessere, den Segen. Lasst uns auch so gehorsam werden und solches Vertrauen wagen. Wir wollen alles loslassen, was uns von Gott fernhält oder von ihm ablenkt. Wir wollen unsere Hände freimachen für Gottes Segen, damit wir uns an dem einen Abrahamsnachkommen Jesus festhalten können. Bei ihm haben wir die ganze Fülle des göttlichen Segens. Amen.
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