Ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung

Predigt über Hebräer 9,22 zum Karfreitag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein Mensch lud seine Freunde zu einem Fest ein. Es sollte ein besonders schönes Fest werden, wo sich alle wohlfühlen. Der Mensch tat alles, um das Fest so harmonisch und fröhlich wie möglich zu gestalten. Er besorgte die Speisen und Getränke, von denen er wusste, dass seine Gäste sie mögen. Er schmückte seine Wohnung mit Blumen, Kerzen und Girlanden. Die besten Gläser, das beste Geschirr und das beste Besteck deckte er auf. Nichts versäumte er, was zum Gelingen eines Festes nötig ist. Und dann kamen die Gäste. Aber wie sie sich benahmen! Sie begrüßten den Gastgeber nicht. Sie warfen ihre Garderobe einfach irgend­wohin. Sie legten die Füße auf den Tisch. Sie warfen Vasen um und rissen Girlanden von den Wänden. Sie ver­schütteten Speisen und Getränke. Sie betranken sich und fingen an zu streiten. Und schließlich be­schimpf­ten sie den Gastgeber, dass er sie nicht ordentlich versorgte. In kürzester Zeit machten sie aus der festlich bereiteten Wohnung ein Trümmerfeld und aus dem Gastgeber einen Narren. Und der Gastgeber? Mit wieviel Liebe hatte er alles vor­bereitet! Wie sehr hatte er sich auf die strahlenden Gesichter der Gäste gefreut! Wie sehr hatte er gewünscht, dass sich alle bei gutem Essen und Trinken mit har­monischer Unter­haltung wohl fühlen! Nun ist er sehr traurig und zugleich sehr zornig auf seine Gäste, weil sie ihm sein Fest kaputt gemacht haben. Was soll er tun? Er hat keine andere Wahl: Er muss diese betrunkenen und sinnlos brutalen Gäste, die nicht mehr wissen, was sie tun, hinaus­werfen.

Diese Geschichte ist ein Gleichnis für Gott und uns Menschen. Gott hat die Welt geschaffen, damit wir hier in Gemeinschaft mit ihm glücklich und zufrieden leben können. Wir aber benehmen uns wie die Gäste im Gleichnis: Mit jedem Gedanken, jedem Wort und jeder Tat, die wir gegen Gottes Gebote tun, treten wir die Schöpfung, den Schöpfer und unsere Mitmenschen mit Füßen. Die Gebote zeigen, wie Gott es sich in seiner liebenden Fürsorge gewünscht hätte, dass wir in dieser Welt miteinander und mit ihm gut auskommen. Die Übertretung der Gebote aber macht aus der Schöpfung, aus unserer Beziehung zu Gott und aus der zwischen­mensch­lichen Gemein­schaft ein Trümmer­feld. Wen kann es da wundern, wenn Gott auf unser Verhalten mit Trauer und Zorn reagiert? Wen kann es da wundern, wenn Gott uns enttäuscht verstößt? Wenn Gott in der Sintflut fast alle Menschen ver­nichtete, dann war das nicht eine un­angemes­sene Grausam­keit, sondern dann war das nichts anderes, als wenn der Gastgeber seine prügelnden und zerstörungs­wütigen Gäste aus seiner Welt hinaus­wirft. Und wenn die alt­testament­lichen Gesetze für das Volk Israel viele Über­tretungen mit der Todesstrafe belegen, dann sollten auf diese Weise die Stören­friede von Gottes Fest des Lebens fern­gehalten werden. Auf Zerstörung folgt Ausschluss, auf Sünde folgt Tod – diesen Zusammen­hang müssen wir verstehen, sonst können wir den Karfreitag nicht wirklich begreifen.

Wenn unser mensch­liches Fehl­verhalten und Gottes Gesetz alles wäre, dann wären wir am Ende, denn Gott wäre dann mit uns am Ende. Wir könnten dann nur noch die Qual des leiblichen Todes und die noch größere Qual des ewigen Todes erwarten und dürften niemanden außer uns selbst dafür ver­antwort­lich machen. Aber nun handelt Gott in einer ganz un­begreif­lichen Weise mit uns, für die jedes Gleichnis zu schwach wäre: Gott vergibt unsere Sünden. Er, der allen Grund hätte, uns zu hassen und zu vernichten, liebt uns immer noch so sehr, dass er einen anderen Weg geht. Der Tod, der Ausschluss, muss freilich sein; Gott steht zu seinem Wort und zur notwendigen Konsequenz der Sünde. Aber der Tod trifft nicht mehr uns. Blut­vergießen muss sein, aber Gott fordert nicht mehr unser Blut, sondern vor dem Kommen Jesu das Blut von Böcken und Stieren, das auf das einmalige Sündopfer des Gottes­sohnes hinwies, und dann, beim Kommen Jesu, dessen eigenes Blut, das ein für alle Mal zur Vergebung aller Sünden geflossen ist. Gottes Zorn entlädt sich, Strafe und Ausschluss müssen erfolgen, aber Gottes große Liebe nimmt sie uns Sündern ab und legt sie seinem eigenen Sohn auf. Nur so kommt Vergebung, nur durch Blut. Nur so werden wir rein und aufs Neue Gottes Gäste.

Wir wollen uns nun in das Leiden und Blut­vergießen Jesu vertiefen und dabei daran denken, dass hier unsere Strafe getragen wird. So bekommen wir eine kleine Ahnung von diesem un­fasslichen Handeln Gottes und seiner un­fasslichen Liebe.

Jesus musste sein Kreuz nach Golgatha tragen. Du bist es, der diesen schweren Holzbalken eigentlich tragen müsste. Du müsstest geschwächt sein von einer durch­wachten Nacht, in der dich die Freunde verließen und in der du pausenlos beschuldigt und verhört wurdest. Auf deinem Kopf müsste die Dornenkrone sein und du müsstest spüren, wie sich ihre Dornen in deine Kopfhaut graben, sodass dir das Blut mit Schweiß vermischt ins Gesicht rinnt. Aber du kannst es dir nicht abwischen, du musst ja den schweren Kreuzes­balken tragen, hinaus zum Stadttor, in der Hitze, und dann den Weg zum Hügel hinauf. Soldaten treiben dich an‘ und eine Schar spottender Leute ungibt dich. Erst wenn du zusammen­brichst, lässt man einen anderen den Balken tragen. Und dann siehst du den Platz vor dir, wo du sterben sollst. Mit un­erbitt­licher Routine und Gleich­gültigkeit bereiten die Soldaten deine Hinrichtung vor. Man legt dich auf den Kreuzes­balken; du schließt die Augen und weißt: Gleich werden die schreck­lichen Schmerzen beginnen, schreck­licher als das Aus­peitschen bei Pilatus, schreck­licher als die Stiche der Dornen­krone, schreck­licher als die Stockhiebe und Ohrfeien der Soldaten. Nun spürst du die Nägel, die dir mit brutalen Hammer­schlägen durch Hände und Füße getrieben werden. Man richtet dein Kreuz auf; dein Körper krümmt sich grausam. Alle können dich nun anstarren in deiner größten Hilf­losigkeit – alle, vor denen du sonst immer eine gute Figur gemacht hast. Du siehst auf sie herab und du hörst, wie sie ihre Witze über dich machen. Du kannst ihnen nichts erwidern, kannst nicht einmal eine Hand­bewegung machen. Du kannst nicht zu ihnen treten und mit ihnen reden, denn du hängst hier ganz verlassen und hilflos. Du siehst hinab und bemerkst, wie die Soldaten deinen Privat­besitz verteilen und darum pokern, so, als gäbe es dich schon nicht mehr. Du bist dabei so hilflos, dass du dir nicht einmal den Schweiß und das Blut abwischen kannst, nicht einmal eine Fliege fortwedeln. Da hängst du und meinst, die Schmerzen keine Sekunde länger aushalten zu können. Dabei weißt du: Es wird noch Stunden so weiter­gehen.

Lieber Bruder, liebe Schwester: Sei froh, dass du es nicht bist, sondern dass Gottes ein­geborener Sohn selber diesen Kelch getrunken hat in seiner un­aussprech­lich großen Liebe. Auch wenn du meinst, dass du schwer leiden musst an Krankeiten, Depres­sionen oder dem Verhalten deiner Mit­menschen: Leicht ist dieses dein Kreuz verglichen mit den Qualen, die der Gottessohn an unserer Statt auf sich genommen hat. Es gibt keine leichte oder billige Vergebung, es gibt keine Vergebung ohne Blut, sondern es gibt nur da Vergebung, wo der Tod als die bittere Folge der Sünde bis in seine letzte Tiefe durchlitten wird. Das hat der, der von keiner Sünde wusste, für uns getan.

Die Juden hatten im Tempel ständig vor Augen, wie blutig die Vergebung der Sünden ist. Sie sahen, wie viele Opfertiere als Sündopfer ge­schlachtet wurden. Unser Opferlamm Jesus Christus ist ein für alle Mal ge­schlachtet worden, darum sehen wir heute nicht mehr sein Blut fließen. Scheuen wir uns aber nicht, uns in dieses grausam blutige Geschehen gedanklich hinein­zuversetzen, und ermessen wir daran, wie groß unsere Sünde und wie groß Gottes Vergebung ist. Wenn wir das mit dem Herzen fassen und nicht völlig abgestumpft sind, dann wird uns das auf die Knie zwingen, wir werden über unsere Sünden klagen, aber noch vielmehr Gott danken. Ja, so viel hat er es sich kosten lassen, dass wir wieder seine Gäste heißen dürfen.

Liebe Brüder und Schwestern, ich kann euch mit Worten hier eigentlich nur ganz un­zureichend vermitteln, was wir am Karfreitag geschenkt bekommen haben und wie wir es in rechter Weise annehmen können. Ich kann nicht stell­vertretend für euch den Karfreitag begehen mit dieser Predigt und mit diesem Gottes­dienst, das muss jeder von euch letztlich selbst in seinem Herzen tun. Darum möchte ich jetzt auch gar nicht mehr viel Worte machen. Nur eine herzliche Bitte will ich noch äußern: Verschließt euer Herz nicht vor Gottes Botschaft, sondern öffnet es der Sünden­vergebung – auch und gerade, wenn euch das er­schüttert. Es kann nicht anders sein: Sünden­vergebung ist eine schwere, blutige und grausame Sache. Zerstreut heute nicht eure Sinne mit Fernsehen, Musikhören oder anderen Dingen, sondern bedenket still Christi Tat am Kreuz in all ihrer Härte, aber auch in all ihrer Herrlich­keit. Wenn euch dann so zumute ist, dass ihr über eure Sünden trauern und Gott für die Vergebung auf Knien danken wollt, dann scheut euch nicht, dies auch zu tun. Ich wünsche uns einen gesegneten Karfreitag. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1982.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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