Wenn nur Christus verkündigt wird

Predigt über Philipper 1,15‑18 zum Sonntag Lätare

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Untätig sein ist schwer für jemanden, der das ganze Leben lang gearbeitet hat. Der Apostel Paulus war in diese Lage gekommen. Er sitzt in Rom in Unter­suchungs­haft – der große Reise­apostel, der hand­werkende Wander-Evangelist. nun sitzt er untätig im Gefängnis. Wie lange noch? Er weiß es nicht. Nur eines weiß er: Er sitzt wegen Jesus hier.

Da kommen Schritte. Sind sie es? Ja, endlich, der lang­ersehnte Besuch einiger Glaubens­brüder der römischen Gemeinde. Als erstes interes­siert den Apostel: Wie sieht es mit der Ausbreitung des Evangeliums aus? Gibt es genug Prediger? Ja, es gibt genug. Sie haben ihre missio­narischen An­strengungen sogar noch verstärkt, als sie von der Gefangen­setzung des Paulus erfuhren. Und dann bekommt Paulus das zu hören, was er bald darauf den Philippern schriftlich mitteilen wird: Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streit­sucht, einige aber auch in guter Absicht: Diese aus Liebe, denn sie wissen, dass Paulus zur Verteidung des Evangeliums hier liegt; jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten ihm Trübsal bereiten in seiner Gefangen­schaft. Die einen wissen: Christus muss gepredigt werden, so will es Gott und so will es auch Paulus. Jetzt, wo der sonst so fleißige Apostel im Gefängnis sitzt, wollen sie desto eifriger ihren Dienst tun. Die anderen aber sagen neidisch: Wir wollen doch mal sehen, ob wir nicht noch erfolg­reicher arbeiten können als Paulus; jetzt, wo er sitzt, haben wir freie Bahn. Und sie stellen sich vor, wie er sich im Gefängnis schwarz ärgert, wenn er davon hört, dass sie seine Missions­erfolge über­trumpfen. Aber Paulus ärgert sich nicht. Im Gegenteil, er freut sich. Er schreibt: „Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber.“ Paulus weiß, worauf es allein ankommt: Darauf, dass Christus verkündigt wird und dass alle Menschen von ihm hören, denn wie sonst könnten sie gerettet werden? Warum also sollte er sich ärgern, warum sollte er gar vom Gefängnis aus Maßnahmen ergreifen, um Ver­kündigung zu unter­binden, auch wenn sie aus unlauteren Motiven geschieht? Wenn nur Christus gepredigt wird… Seht, wie Paulus einen klaren Blick für das Wesentliche hat. Es geht ihm nicht darum, die Motive seiner Mitarbeiter im Reich Gottes zu beurteilen oder gar zu ver­urteilen. Er weiß sehr wohl, dass das Richten allein Gott vorbehalten bleibt, der die Herzen kennt. Paulus beurteilt nur das, was für ihn und das Reich Gottes wesentlich ist: Wenn nur Christus verkündigt wird… Er gleicht darin einem Flug­kapitän, der seinem Copiloten die Landung überlässt und dem es nur darum geht, dass das Flugzeug heil auf der Landebahn aufsetzt. Es ist dem Kapitän egal, was der Copilot dabei denkt; mag er doch denken: Diesem arroganten Kapitän will ich jetzt mal zeigen, was eine Bilderbuch-Landung ist, damit er vor Neid erblasst. Hauptsache, es geschieht das Wesent­liche, worauf es ankommt: in diesem Fall eine sichere Landung.

Auch wir, die wir hier und heute Christen und damit Botschafter des Evangeliums sind, sollten diesen klaren Blick für das Wesentliche haben: Wenn nur Christus verkündigt wird… Zugegeben, das fällt schwer in einer Zeit, in der viele kritisch nach den Motiven fragen. Ein Pastor, der seinen Beruf in erster Linie als Einnahme­quelle und soziale Absicherung ansieht, kann noch so gut Christus predigen, man wird ihm seine Motive verübeln. Warum eigentlich? Wenn er nur Christus predigt, ist das doch erfreulich. Ein Gemeinde­glied, das durch besonderen ehren­amtlichen Einsatz glänzt, wird manchmal schief angesehen. Man denkt: Der will sich ja nur hervortun, will Dank und Anerkennung scheffeln, will sich womöglich mit Werken die Seligkeit verdienen. Warum dieses Misstrauen? Wenn durch das Reden und Tun dieses Menschen nur Christus verkündigt wird… Wir sollen keine Motive beurteilen in der Kirche, denn wir können letztlich sowieso niemandem ins Herz sehen. Darum hat Christus aus­drücklich angeordnet: Richtet nicht! Selbst wenn unser Mißtrauen bezüglich unlauterer Motive begründet wäre, sollen wir darüber nicht urteilen oder streiten, denn sonst machen sich Neid, Unfrieden und Streit in der Kirche breit. Machen wir es lieber wie Paulus: Achten wir auf das Wesent­liche, nämlich dass Christus in Wort und Tat durch viele Menschen verkündigt wird, aus was für Motiven auch immer. Wenn jemand in der Kirche provozieren will, dann soll er es meinetwegen tun; lassen wir ihn aber spüren, dass zum Streit immer zwei gehören. Solches Verhalten nach dem Vorbild des Paulus kann ganz praktische Früchte tragen. Wo immer es in Kirchen­vorstand, Jugend­kreis, Gemeinde­versamm­lung, Bau­ausschuss oder anderswo zu Auseinander­setzungen kommt, sollten wir uns fragen: Klagen wir hier vielleicht jemanden wegen seiner Motivation an und unter­stellen ihm dabei etwas? Dann sollten wir dieses Argument schleunigst fallen lassen und stattdessen fragen: Was trägt dazu bei, dass Christus verkündigt wird?

Paulus hatte im Gefängnis seinen Frieden. Er ließ sich nicht provo­zieren, sondern er freute sich über jeden Christus­prediger. Dabei waren ihm die Gemeinden, die unter solchem Predigt­dienst standen und ihn auch selbst ausübten, keineswegs gleich­gültig. Er bekam Besuch und Nachrichten von ihnen, und er schrieb ihnen lange Briefe. So dachte er auch an die Philipper, eine Gemeinde, die ihm besonders am Herzen lag. Er wusste, dass sie sich Sorgen machen – nicht nur um ihn, Paulus, in seiner Gefangen­schaft, sondern auch um die Kirche. Würde nicht das ganze blühende Missions­werk zusammen­brechen, wenn Paulus nicht mehr predigte? Würden jetzt nicht viele ängstliche Christen abfallen oder zumindest den Mund halten? Würden die Mitarbeiter der Heiden­mission auch ohne Paulus alle Dienste aufrecht erhalten können? Paulus konnte sich gut in die Sorgen der Philipper hinein­versetzen. Dennoch waren es nicht seine Sorgen. Er hatte das Vertrauen: Es wird weiter Christus gepredigt werden, gleich ob mit oder ohne ihn. So konnte er den Philippern auch offen und ehrlich von seinen Gegnern unter den Predigern schreiben, die aus Neid und Streitsucht heraus predigten. Er war überzeugt: Sie würden die Mission Christi nicht kaputt machen können. Darum schrieb er den Philippern: „Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber.“ Paulus wusste ja nicht nur, was das Wesentliche ist – nämlich das Evangelium – ‘ sondern er wusste auch, wer dahinter steht: Jesus Christus, der Herr der ganzen Welt. Sollte der seine Stimme nicht durch gute wie schlechte Sprachrohre hörbar machen können? Sollte seine Botschaft wegen der unlauteren Motive einiger Boten etwa Schaden erleiden? Nein, die Philipper konnten ganz beruhigt sein: Ob nun Paulus predigte oder ein anderer, ob aus Liebe oder aus Streit­sucht: Christus wird weiter gepredigt, und das ist die Hauptsache. Nur wenn es nicht mehr Christus wäre, der gepredigt wird, sondern eine Verkehrung des Evan­geliums, sähe Paulus sich genötigt einzu­greifen und nach­drücklich zu warnen. In anderen seiner Briefe gibt es Beispiele dafür. Seht also, wie Paulus einen klaren Blick für das Wesentliche hat. Es geht ihm nicht darum, wer redet oder wie geredet wird, er hält sich als Apostel auch nicht für un­ersetz­lich, sondern es geht ihm allein darum, was gepredigt wird. Solange es das Evangelium von Jesus Christus ist, kann es ihm nur recht sein. Wieder gleicht er dem Flug­kapitän, dem es allein auf eine sichere Landung ankommt, egal, ob er selbst oder sein Copilot am Steuer sitzt. Erst wenn die Sache selbst gefährdet wäre, sähe er sich genötigt einzu­greifen.

Auch hierin können wir viel von Palus lernen. In der Kirche besteht nämlich immer die unselige Tendenz, dass sich das Wer und das Wie vor das Was drängen. Dabei kommt es doch letztlich nur auf das Was an. Der Copilot kann noch so beseelt sein von dem Wunsch, die Passagiere sicher hinunter­zubringen, und er kann eine noch so schöne Uniform anhaben, wenn er die Piste auch nur um 20 Meter verfehlt, kommt es zur Bruch­landung. Er kann sich dann nicht damit trösten, dass es ja immerhin der richtige Flughafen war, so wie sich einige Christen über ein verdrehtes Evangelium einer anderen Konfession hinweg­trösten mit dem Gedanken: Wir beten ja alle zum selben Gott. Nein, was es heißt, Christus zu predigen, ist uns in der Heiligen Schrift ganz präzise offenbart – so präzise, wie die Navigation beim Landeanflug eines Flugzeugs sein muss. Schade nur, dass viele Menschen einerseits die Präzision der Technik begrüßen, anderer­seits aber Präzision im geistlichen Bereich für Intoleranz halten und auf solche vermeint­lichen theo­logischen Spitz­findig­keiten nichts geben. Manchen ist wichtiger, dass der Pfarrer ein netter Mensch ist und ganz bestimmten mensch­lichen Vor­stellungen entspricht. Andere gehen sogar so weit zu behaupten, es käme nicht darauf an, was jemand glaube, sondern nur, daß er einen Glauben habe. Aber warum glauben wir denn eigentlich? Um irgendeinen psycho­logischen Halt zu finden? Nein, sondern weil es sich mit Gott und Christus wirklich so verhält, wie wir es nach Gottes Offenbarung in der Heiligen Schrift glauben. Darum ist es wichtig, dass das Evangelium von Jesus Christus un­verfälscht verkündigt wird. Wenn nur Christus verkündigt wird… Nur aus diesem Grund gibt es in Deutschland eine Selb­ständige Evangelisch-Lutherische Kirche, die die Sache mit der geistlichen Präzision ungeheuer ernst nimmt. Sie weiß nämlich: Es geht um Leben und Tod, sogar um ewiges Leben und ewigen Tod. Dass es auch bei den selb­ständigen Lutheranern schiefe Motive und menschliche Pannen gibt, ist zweit­rangig. Wenn jemand aus der Kirche austritt, nur weil er sich über den Pastor geärgert hat, dann hat er noch nicht begriffen, dass es allein auf die Christus­predigt ankommt: Wenn nur Christus verkündigt wird… Ja, solange der gepredigt wird, brauchen wir uns nicht zu sorgen, sondern können uns freuen.

Als die Philipper den Brief des Paulus bekamen, haben sich manche emp­findliche Gewissen wohl gefragt: Wie steht es denn mit meiner Motivation als Christ und Zeuge des Evan­geliums? Ist es wirklich reiner Glaube und reine Liebe und reiner Gehorsam? Oder mischt sich nicht auch bei dir Neid darunter oder der Ehrgeiz, ein besserer Christ sein zu wollen als andere? Die so denken, dürfen den Satz des Paulus tröstlich verstehen: „Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber.“

Dieser Trost ist heute so aktuell wie damals. Richten wir einfach unser ganzes Augenmerk auf Christus und darauf, dass er in unserem Leben mit Wort und Tat verkündigt wird! Grübeln wir nicht zu sehr über unser sünden­krankes Ich! Wenn es auf reine Motive ankäme, um vor Gott zu bestehen, dann würden wir freilich alle zur Hölle fahren. Luther hat richtig erkannt: Ein Christ sündigt auch in jedem guten Werk, indem er nämlich nie ganz Gott die Ehre gibt, sondern immer auch ein bisschen sich selber. Aber wir dürfen ganz auf Gottes Vergebung vertrauen: Gott rechnet uns unsere schlechte Motivation nicht an. Kon­zentrie­ren wir uns, so entlastet, auf die Haupt­aufgabe, nämlich darauf, dass diese befreiende Botschaft vielen bekannt wird – aus welchen Motiven auch immer. Dem Copiloten wäre nicht geholfen, wenn er, von Selbst­zweifeln angenagt, nur über dem Flughafen kreiste und keine Landung zustande brächte. Natürlich wäre es besser, wenn er aus Ver­antwortungs­gefühl sauber landet und nicht aus Neid, Ehrgeiz oder Geltungs­trieb. Aber Hauptsache, er landet überhaupt.

Liebe Brüder und Schwestern, denkt nicht, dass ich selbst nicht auch mit unedlen Motiven zu ringen habe. Auch ich denke bei der Predigt­vorbereitung manchmal voll Stolz daran, wie ich auf der Kanzel stehen und dies und jenes elegant formulieren werde, und ich weiß dann auch im selben Augenblick, dass solche Gedanken hochmütig und nicht recht sind, weil es ja eigentlich Gottes Geist ist, der durch die Predigt redet und von dem allein alles abhängt. Trotzdem predige ich in der Zuversicht, dass einfach nur Christus gepredigt wird und Menschen mit dieser lebens­spendenden Botschaft selig werden. Ebenfalls habe ich die Hoffnung, dass meine Person kein allzu großes Hindernis für die frohe Botschaft bildet – auch heute nicht bei dieser Predigt. Wenn nur Christus gepredigt wird! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1982.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum