Mein Lohn ist, dass ich darf

Predigt über Lukas 17,7‑10 zum Sonntag Septuagesimä

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Gleichnis, das Jesus da erzählt, liegt uns sehr fern. Stellt euch das nur mal vor: Ein Arbeitgeber lässt seine Angestellten von morgens bis abends schuften, verlangt von ihnen Über­stunden, gönnt ihnen keine Pause und lässt ihnen dann noch nicht einmal eine Anerkennung des Dankes zukommen! So ein Arbeitgeber dürfte sich nicht wundern, wenn man ihn einen Ausbeuter nennt und er es bald mit der Gewerk­schaft und dem Gesetzgeber zu tun bekommt. Abgesehen davon würde einem solchen Arbeitgeber das Personal schnell davon­laufen.

Zur Zeit Jesu war die Lage anders: Die Knechte, von denen Jesus spricht, konnten nicht kündigen, denn sie waren Sklaven. Dieses Wort hatte damals übrigens nicht den negativen Bei­geschmack, den es heute hat. Es galt als selbst­verständ­lich, dass jeder freie und einiger­maßen wohlhabende Bürger der Antike sich Sklaven hielt für die Arbeit auf dem Feld und im Haus. Jeder von uns, der heute ein Auto, einen Fernseher, einen Kühlschrank oder eine Bohr­maschine hat, hätte damals seinen Sklaven besessen. Und wie wir vom Auto und von der Bohr­maschine erwarten, dass sie bei Bedarf funktio­nieren, so erwartete man damals ganz selbst­verständlich die Dienst­leistungen der Sklaven. Die Erfüllung bestimmter Aufgaben galt als Lebenszweck des Sklaven; dazu war er da, dazu hatte man ihn sich an­geschafft. Erst, wenn er alle täglichen Pflichten erfüllt hatte – das war so gegen zehn Uhr abends –, erst dann tat man sozusagen etwas für die „Wartung und Pflege“ des Sklaven: Er durfte dann sein Nachtmahl zu sich nehmen.

Ich will jetzt gar nicht lange die Frage erörtern, ob diese Behandlung menschen­würdig war; ich denke, über die Antwort sind wir uns sowieso einig. Auch Jesus befürwortet in diesem Gleichnis keineswegs die Sklaven­haltung. Vielmehr greift er eine damals vertraute und selbst­verständ­liche Anschauung auf, um uns etwas über unser Verhältnis zu Gott zu erklären. Gott ist unser Herr, wir sind seine Knechte, seine Sklaven. Wir leben in dieser Welt, um nach dem Willen unseres Herrn zu funktio­nieren und um ihm zu dienen. Wir erfüllen diesen Zweck, wenn wir alle seine Befehle und Gebote beachten und danach leben. Wenn wir auch nur in einem Punkt versagen, sind wir Knechte, die nicht Gottes Erwartungen ent­sprechen. Und wenn wir alles geschafft haben sollten, dann haben wir gerade erst das erreicht, wozu wir geschaffen sind; dann haben gerade erst das getan, „was uns befohlen war und wir zu tun schuldig waren“. Dann können wir demütig vor unseren Herrn treten und sagen: „Wir sind unnütze Knechte“, das heißt: Wir sind armselige Knechte, un­bedeutend, ein Rädchen im Getriebe – es ist ja nichts Großes, Herr, was wir tun können und was du von uns verlangst, aber das haben wir getan.

Was ist es denn nun aber, was wir zu tun schuldig sind? Mit Luther könnten wir antworten: „Da siehe deinen Stand an nach den Zehn Geboten, ob du Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Herr, Frau, Knecht seist…“ Was wir zu tun schuldig sind, hängt also von unserem Stand ab, von unserer Rolle in der Gesell­schaft, von der jeweiligen Situation, und auch von unseren Begabungen und Kräften und Fähig­keiten.

Wer von euch berufstätig ist, der sehe zu, dass er seinen Arbeits­vertrag einhält. Er sehe zu, dass er die ganze Arbeitszeit in den Dienst seines Arbeit­gebers stellt, dass er gute Arbeit leistet, dass er dessen Ziele und Interessen zu den seinigen macht, jedoch dabei fair bleibt der Konkurrenz und den Kollegen gegenüber. Er sehe zu, dass er den Kollegen wo nötig hilft, dass er stets freundlich zu allen ist und dass er über Chefs, Kollegen oder Untergebene kein schlechtes Gerede verbreitet. Er sehe zu, dass er das verdiente Geld ver­antwortlich verwaltet zum Wohl seiner Familie oder wer ihm sonst anvertraut ist, auch zum Wohl der Armen und Bedürftigen in der Nähe und Ferne, nicht zuletzt zum Bau des Gottes­reichs durch Kirche und Mission, die ja auch nicht nur von Luft und Sonnen­schein leben können.

Wer von euch Kinder zu erziehen hat, der sehe zu, dass er das liebevoll, gerecht und geduldig tut, aber auch mit der nötigen Strenge. Er sehe zu, dass er ihnen gegenüber sein Tauf­versprechen erfüllt, dass er sie also beten lehrt, ihnen von Gottes Liebe und von Jesus erzählt, mit ihnen zur Kirche geht und ihnen zuallererst am eigenen Beispiel vorlebt, was ein Kind Gottes ist und wie es sich verhält. Ein Vater nehme sich Zeit für seine Familie und tue alles für ihren Schutz und ihr Wohlergehen – das ist seine Aufgabe als Haupt der Familie. Die Mutter verbreite zu Hause eine Atmosphäre der Liebe und Nestwärme, sodass sich alle wohlfühlen, sowohl Familien­mitglieder als auch Gäste, die gern willkommen geheißen werden sollen.

Wer von euch noch Kind ist, der höre auf seine Eltern und lerne verstehen, dass sie es gut meinen. Wer als Erwachsener noch alte Eltern hat, der tue ihnen viel Gutes und beziehe sie, soweit es möglich und gewünscht ist, in das eigene Leben ein. Er sorge dafür, dass sie gerade im Alter nicht allein gelassen werden. Wer von euch Staats­bürger ist – und das sind wir ja alle – , der setze sich für eine Gesetz­gebung nach dem Maßstab der Zehn Gebote und für Gerechtig­keit im Land ein. Wer von euch Verkehrs­teilnehmer ist – auch das sind wir alle – , der handle dabei verantwort­lich und sei vorsichtig genug, um die Mitmenschen und sich selbst nicht zu gefährden. Wer von euch Gemeinde­glied ist – auch das sind wir alle – , setze sich an seinem Platz und mit seinen Gaben für Gottes Wort, für die Mitchristen und für die Ausbreitung der Fohen Botschaft ein – im Kirchen­vorstand, im Jugend­kreis, im Kinder­gottes­dienst, in der Gemeinde­versammlung, bei der Büroarbeit oder wo er sonst seinen Platz hat.

Das ist nur ein kleiner Aussehnitt aus dem Pflichten­katalog für Menschen im Dienst Gottes; jeder kann ihn nach seiner per­sönlichen Situation erweitern. Und wenn wir dann alles getan haben, was Gott uns für unseren Lebens­alltag aufgetragen hat, wenn wir also mit völlig reinem Gewissen vor ihn treten können, dann sollen wir nicht sagen: „Gott, ich habe nach deinen Geboten gelebt, nun gib mir ewiges Leben!“ Auch nicht: „Gott, ich habe mir wirklich Mühe gegeben, das musst du einsehen. Nun kannst du mich doch nicht den Vielen gleich stellen, die nichts von dir wissen wollen, sondern du musst mich zeitlich und ewig belohnen!“ Oder: „Gott, ich habe etwas für dich getan, nun musst du mir auch meine Wünsche erfüllen!“ Oder: „Gott, so vieles habe ich nach deinen Geboten für meine Mitmenschen getan; nun müssten die mir aber auch wenigstens dafür dankbar sein, müssten ein bisschen Anerkennung zeigen und auch mal was für mich tun.“ Nein, stattdessen sollen wir dann sagen: „Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“

Wenn wir alles getan haben, was uns befohlen war. Aber wer hat das schon? So können wir gar nichts vor Gott sagen. Wir müssen vor ihm verstummen. Wir sind nicht einmal unnütze Knechte. Wir haben versagt, wir haben nicht richtig funktio­niert. Wir erfüllen bei weitem nicht die Er­wartungen, die Gott in uns gesetzt hat. Wer wollte es da noch wagen, seinen guten Willen, seine Frömmigkeit oder ein gelegent­liches gutes Werk bei Gott in Rechnung zu stellen, sich dafür irgendeinen Lohn oder irgendeine Anerkennung zu erhoffen? Gott bedankt sich bei niemandem; es ist selbst­verständ­lich, seinen Willen zu tun. Er bedankt sich am aller­wenigsten bei uns, die wir nicht einmal das Selbst­verständ­liche fertig­bringen.

Jetzt fragt ihr wohl: Wo bleibt denn da der liebe Gott? Ist Gott denn wirklich so ein Sklaven­treiber? Sind wir denn wirklich nur seine Sklaven? Steht nicht auch ge­schrieben, dass wir seine geliebten Kinder sind? Es stimmt, wir sind seine geliebten Kinder. Und wenn Jesus uns in diesem Gleichnis mit Sklaven vergleicht, dann tut er es letztlich nur aus Liebe. Er will uns mit diesem Gleichnis nämlich etwas lehren; er zeigt uns auf diese Weise ganz drastisch: Wenn wir anfangen wollten, mit Gott zu handeln und ihm unsere Werke vor­zuhalten, die so gut, oder wenigstens nicht ganz schlecht seien, dann könnte Gott uns schnell den Mund stopfen: Von seiner Warthe aus als Herr der Welt kann er mit Fug und Recht verlangen, dass wir seine Gebote halten, ohne dass er uns etwas dafür schuldig wäre. Wenn wir das erkennen, dann wird unser Herz und dann werden unsere Hände frei, etwas zu tun, was uns ungeheuer schwer fällt: Wir werden frei, uns beschenken zu lassen. Erst der, der einsieht, dass er von sich aus nichts geben kann, wird es sich gefallen lassen, dass man ihn ohne Gegen­leistung beschenkt. Das erfahren wir schon im zwischen­menschlichen Bereich: Wir alle kennen Geburtstags­kinder, die sich über ein Geschenk ärgern, weil sie selber nicht an den Geburtstag des Gebers gedacht haben. Nur Kinder, die selber noch keine kostbaren Geschenke machen können, werden die Gabe mit ungetrübter Freude annehmen. Wir kennen auch Menschen, die niemals um eine Gefällig­keit bitten würden, wenn sie nicht ihrerseits etwas für den anderen tun können. Nur Alte, Kranke und Behinderte müssen es lernen, sich von anderen dienen zu lassen, ohne das mit ent­sprechenden Gegen­leistungen vergelten zu können. So ist es auch die schwerste Lektion des christ­lichen Glaubens, sich von Gott beschenken zu lassen, ohne ihm eine annähernd ver­gleichbare Gegen­leistung bieten zu können. Das Geschenk ist ja so un­ermesslich groß; es ist „der fröhliche Wechsel“, wie Luther es nannte: Gott selbst wird in Jesus Christus ein Mensch! Er, der Herr aller Dinge, wird der Knecht aller Menschen, der sich auch nicht zu schade dafür ist, die dreckigen Füße seiner Jünger zu waschen, und nicht zu schade, den schandbaren Kreuzestod zu sterben.

Wir aber können ihm nichts dafür anbieten, denn selbst wenn wir Gottes gesamten Willen untadelig erfüllen würden, wären wir noch immer unnütze Knechte. „Wir sind Bettler, das ist wahr“, waren Martin Luthers letzte Worte – Bettler, die den Schatz nur einfach als Geschenk annehmen können.

So wollen wir auch gar nicht erst versuchen, mit unseren Gedanken, Worten und Werken von Gott und den Menschen Anerkennung zu verdienen. Wir wollen nur versuchen, einfach zu funktio­nieren, Sklaven zu sein, so vollkommen zu dienen, wie der Herr es uns vorgelebt hat, als er sich selbst zum Sklaven machte. Als reich Beschenkte sind wir ja gar nicht mehr darauf angewiesen, nach irgend­welchem Lohn zu schielen. Wenn wir das gelernt haben, diese schwerste Lektion des christ­lichen Glaubens, dann können wir mit Wilhelm Löhe und den Neuen­dettelsauer Diakonissen sagen: „Was will ich? Dienen will ich. Wem will ich dienen? Dem Herrn in seinen Elenden und Armen. Und was ist mein Lohn? Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und Liebe. Mein Lohn ist, dass ich darf.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1982.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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