Lebendiger und toter Glaube

Predigt über Jakobus 2,14-26 zum 18. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Am letzten Sonntag wurde über einen Abschnitt aus Jesaja 58 gepredigt, der so beginnt: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!“ Solche Bedürftigen kommen auch im heutigen Predigttext vor – Mit­menschen, die nichts Rechtes anzuziehen und nichts zu essen haben. Was hilft es ihnen, fragt Jakobus, wenn man sie nur mit ein paar freund­lichen Worten wegschickt? Aber das ist nicht die einzige Parallele zum vergangenen Sonntag. Ich erinnere auch an den Vergleich für das Christsein, der in der Predigt auftauchte: Es sei wie ein großer Topf, in dem alle möglichen religiösen Zutaten köchelten. Es käme nun darauf an, dass wir dann auch mal den Deckel abnähmen und anderen etwas abgäben von unserer Suppe.

Dieses Bild kann uns auch beim heutigen Predigttext helfen. Ich male es dafür noch etwas weiter aus: Wir eröffnen eine Suppenküche für Bedürftige und stellen davor ein Schild auf mit dem Satz: „Hier gibt es Glaubens­suppe für alle Be­dürfti­gen!“ Um die Mittagszeit kommen hungrige Arme, wundern sich allerdings ein bisschen, dass man von der Suppe nichts riecht. Sie müssen sich nun einen Teller nehmen und kriegen dann aus unserem Topf eine Kelle voll aus­geschenkt. Aber was ist das? Im Teller befindet sich nur heißes Wasser! Genauso wie in der Kelle und im ganzen Topf nur Wasser ist! Diese Glaubens­suppe macht nicht satt, sie ist ein Schwindel! So einer Suppe, die eigentlich gar keine ist, gleicht euer christ­licher Glaube, wenn er nur freundliche Worte macht und nicht wirklich hilft, sagt Jakobus im heutigen Predigt­text. Wörtlich heißt es da: „So ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot in sich selber.“ Und am Ende noch einmal ganz deutlich: „Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot.“

Wir merken: Das Thema dieses Gottesworts ist eigentlich nicht der Glaube, sondern toter Glaube, ein­gebildeter Glaube, sogenannter Glaube! Es handelt sich um einen Etiketten­schwindel: Die Suppenküche hält nicht, was das Schild vor ihr verspricht. Es gibt hier keine richtige Glaubens­suppe, sondern nur Wasser­suppe. Diese Erkenntnis ist ganz wichtig, denn sonst würden wir Jakobus total miss­verstehen. Und wir würden erschrecken – und taten es vielleicht sogar beim Verlesen des Predigt­textes – über den Satz: „So seht ihr nun, dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben allein.“ Steht nicht im Römerbrief des Apostels Paulus das genaue Gegenteil? Der Satz nämlich, der für Martin Luther und die Reformation so fundamental wichtig wurde: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ (Römer 3,28)? Luther fremdelte aus diesem Grund etwas mit dem Jakobus­brief, er hielt ihn nicht für aposto­lisch. Ich meine, Luther hat dabei übersehen, dass Jakobus hier nicht von dem selig­machenden christ­lichen Glauben spricht, sondern vom toten Glauben, vom nur ein­gebildeten Glauben. Auch Paulus wusste ja sehr wohl, dass echter Christus­glaube keineswegs tot, sondern „durch die Liebe tätig ist“, wie er den Galatern schrieb (Gal. 5,6).

Jakobus warnt vor solch ein­gebildetem Glauben. Und er warnt vor einem selbst­zufriedenen Christsein, das sich mit der Kenntnis einiger grund­legender Glaubens­tatsachen begnügt, ansonsten aber selbst­bestimmt leben will. Jakobus unter­streicht seine Warnung mit drei Argumenten und zwei biblischen Beispielen.

Das erste Argument habe ich bereits an­gesprochen. Es heißt da wörtlich: „Wenn ein Bruder oder eine Schwester nackt ist und Mangel hat an täglicher Nahrung, und jemand unter euch spricht zu ihnen: Geht hin in Frieden, wärmt euch und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was der Leib nötig hat – was hilft ihnen das?“ Da merken wir deutlich: Ein „Glaube“, der nur fromme Worte macht, aber nicht bereit ist, im Sinne der Nächsten­liebe zu helfen, ist gar kein Glaube, sondern ein Etiketten­schwindel. Er verhöhnt die Bedürftigen geradezu, die auf Nächsten­liebe angewiesen sind.

Das zweite Argument nimmt uns mit in ein fiktives Gesprächs zwischen einem Menschen mit lebendigem Glauben und einem Menschen mit totem Glauben. Der mit dem lebendigen Glauben sagt zu dem anderen: „Du hast Glauben (oder bildest dir das wenigstens ein), und ich habe Werke. Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, so will ich dir meinen Glauben zeigen aus meinen Werken.“ Das erinnert an Jesu Wort aus der Berg­predigt: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Jesus erklärte an­schließend: „So bringt jeder gute Baum gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen.“ (Matth. 7,16-18) Anders aus­gedrückt: Aus einem Topf mit echter Glaubens­suppe kann man Christi Liebe austeilen, aber aus einem Topf mit ein­gebildetem Glauben ohne Liebe kann nur Wassersuppe kommen.

Das dritte Argument zielt auf jemanden, der im Brustton der Überzeugung sagt: „Ich habe ja meinen Glauben, ich glaube an Gott, aber…“, und nach diesem „Aber“ kommt dann meistens irgendeine Ausrede, warum er diesen Glauben nicht so konsequent lebt, wie man es erwarten könnte. Jakobus sagt: „Du glaubst, dass nur einer Gott ist? Du tust recht daran; die Teufel glauben’s auch und zittern.“ Das meint Jakobus natürlich ironisch: Ja, toll, dass du für wahr hältst, dass es einen Gott gibt! Dieses Wissen, diesen toten Glauben haben die Dämonen auch, aber sie sind trotzdem Gottes Feinde und werden nicht selig.

Und dann kommen noch die zwei biblischen Beispiele, das erste von Abraham. Jakobus schreibt: „Ist nicht Abraham, unser Vater, durch Werke gerecht geworden, als er seinen Sohn Isaak auf dem Altar opferte? Da siehst du, dass der Glaube zusammen­gewirkt hat mit seinen Werken, und durch die Werke ist der Glaube vollkommen geworden.“ Wir dürfen das nicht falsch verstehen: Abraham hat ja gar nicht wirklich seinen Sohn geopfert, Gott hat im letzten Moment ein­gegriffen. Was war denn nun aber Abrahams vorbildlich gutes „Werk“? Es war sein Gehorsam hin­sicht­lich des un­verständ­lichen göttlichen Auftrags, seinen Sohn zu töten; es war seine Bereit­schaft, ohne Wenn und Aber Gottes Willen zu erfüllen. Und es war noch etwas anderes, worauf der Hebräer­brief hinweist: Abraham „dachte: Gott kann auch von den Toten auf­erwecken.“ (Hebr. 11,19) Abrahams Verhalten war also deshalb so vorbild­lich, weil er unbedingten Gehorsam und unbedingtes Vertrauen Gott gegenüber hatte – trotz des Schweren, das Gott ihm zumutete, und gegen alle menschliche Erfahrung. Seht, das ist vorbild­licher lebendiger Glaube, das Kontrast­programm zum ein­gebildeten, zum toten Glauben!

Das zweite Beispiel ist Rahab, die in Jericho wohnte, als die Israeliten das Land einnahmen. Jakobus schreibt: „Des­gleichen die Hure Rahab: Ist sie nicht durch Werke gerecht geworden, als sie die Boten aufnahm und sie auf einem andern Weg hinaus­ließ?“ Jakobus lobt Rahab, weil sie zwei israeli­tische Spione bei sich aufnahm, sie versteckte, die Stadt­polizei anlog und den beiden schließlich half, zu entkommen. Was ist denn daran vorbild­lich? Wollte sie nicht einfach ihre Haut retten angesichts des bevor­stehenden Angriffs auf Jericho? Was daran vorbildlich ist, erfahren wir, wenn wir die ganze Geschichte im Buch Josua lesen. Da steht nämlich an ent­scheiden­der Stelle Rahabs Bekenntnis: „Ich weiß, dass der Herr euch das Land gegeben hat… Denn wir haben gehört, wie der Herr das Wasser im Schilfmeer aus­getrocknet hat vor euch her, als ihr aus Ägypten zogt…“ (Josua 2,9‑10). Rahabs Verhalten war also bestimmt von ihrem Glauben an den Gott Israels und dessen wunderbares Tun. Sie hatte von diesem Gott gehört und vertraute ihm. Auch Rahabs Verhalten ist deshalb vorbild­lich, weil sie unbedingtes Vertrauen Gott gegenüber hatte. Seht, das ist vorbild­licher lebendiger Glaube, das Kontrast­programm zum ein­gebildeten, zum toten Glauben!

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wollt ihr auch solchen Glauben haben? Wir können ihn uns nicht einreden, und wir können ihn uns nicht selber machen, auch wenn wir uns noch so große Mühe geben. Gott aber will ihn euch schenken, den lebendigen Glauben. Seine verheißungs­volle Botschaft fordert nicht nur Glauben, sie schenkt ihn zugleich auch. Es ist die Botschaft, mit der sich der dreieinige Gott durch die Bibel offenbart. Die Botschaft, die uns überall da begegnet, wo das Evangelium von Jesus Christus verkündigt wird. Die Botschaft, die uns in der Taufe zu Gottes Kindern gemacht hat. Die Botschaft, die unsere Seele nährt im Heiligen Abendmahl. Die Botschaft, die uns freispricht von allen Sünden. Die Botschaft, die uns über den Tod hinaus ewig leben lässt – trotz des Schweren, das Gott uns zumuten mag, und gegen alle menschliche Erfahrung. Wenn diese Botschaft im Topf der Kirche, im Topf unserer Gemeinde und im Topf unseres Christen­lebens drin ist, dann wird eine echte Glaubens­suppe daraus. Sie ist so kräftig, dass sie fast schon von selbst den Deckel abhebt und überfließt auf die Menschen um uns herum. Und die werden dann hoffentlich merken: Das ist kein Etiketten­schwindel, sondern hier gibt es richtige, stärkende Glaubens­suppe – nahrhaft nicht nur für den Leib, sondern auch für die Seele. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2025.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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