Liebes Brautpaar, liebe Hochzeitsgäste!
„Große Freude finde ich in deiner Gegenwart“, so könnte der Bräutigam zur Braut sagen und sie dabei verliebt anschauen. „Glück finde ich an deiner Seite“, so könnte die Braut mit einem strahlenden Lächeln erwidern. Aber darf ich das überhaupt: diese altehrwürdigen Worte der Heiligen Schrift aus ihrem Zusammenhang reißen und sie unserm Brautpaar als gegenseitige Liebeserklärung in den Mund legen? Diese Worte aus Psalm 16, die David, der designierte König Israels, einst in großer Einsamkeit und Verzweiflung sprach? Darf man solche Worte, die aus der Hölle eines politisch Verfolgten stammen, in den siebten Himmel der Liebe verpflanzen? Darf man tiefste Todesgefahr mit höchstem Hochzeitsglück vertauschen? Ich lasse diese Frage zunächst einmal offen.
Immerhin lässt sich feststellen: Als David diese Worte vor rund dreitausend Jahren formulierte, das waren sie auch schon eine Liebeserklärung – eine Liebeserklärung nämlich an den allmächtigen Gott, bei dem David Schutz und Trost suchte. David bekannte vor Gott: „Du zeigst mir den Weg zum Leben. Große Freude finde ich in deiner Gegenwart und Glück an deiner Seite für immer.“ Ich darf annehmen, dass ihr, liebe Brautleute, euch diese Worte als Trauspruch gewählt habt, um dasselbe zu bekennen. Ihr wollt heute ja feierlich und öffentlich nicht nur eure unverbrüchliche gegenseitige Liebe erklären, sondern ebenso wie David eine gemeinsame Liebeserklärung für Gott abgeben. Und ihr wollt dem Herrn zusammen mit uns um seinen Segen für euren gemeinsamen Lebensweg bitten. Ja, aus diesem Grund sind wir hier versammelt, um diese Ehe ganz bewusst vor Gottes Angesicht zu besiegeln.
Um eure Lebenswege geht es hier, liebe Isabelle und lieber Edzard, die heute in einen gemeinsamen Lebensweg münden, und in diesem Zusammenhang um Gottes Wegweisung: „Du zeigst mir den Weg zum Leben.“ Wörtlich übersetzt aus dem Hebräischen steht da: „Du lässt mich erkennen den Weg des Lebens.“ Jeder von euch hat an diesem Punkt bereits ein gutes Stück auf einem eigenständigen Lebensweg hinter sich gebracht – das gilt nicht zuletzt auch wörtlich, also im geografischen Sinn. Denn bevor ihr euch kennenlerntet, lernte jeder von euch schon viel von der Welt kennen. Eines Tages hat Gott es dann so gefügt, dass sich eure Lebenswege dabei kreuzten. Sie sind dann eine Weile mehr oder weniger locker nebeneinander hergelaufen. Mit der Zeit ist dabei eure gegenseitige Zuneigung gewachsen und schließlich der Entschluss herangereift, aus diesen beiden Lebenswegen künftig einen einzigen zu machen. Heute nun beginnt dieser eine gemeinsame Lebensweg der Ehe, von Gott gestiftet – ein Weg, den die Bibel als Ein-Fleisch-Werden bezeichnet. Und weil ihr als Christenmenschen wisst, dass an Gottes Segen alles gelegen ist, tut ihr diesen Schritt in dem Vertrauen: „Du, Gott, zeigst mir den Weg des Lebens.“ Dieses Vertrauen geht einher mit der Zuversicht, dass Gottes Wege Freude bringen und glücklich machen, wie es in eurem Trauspruch weiter heißt: „Große Freude finde ich in deiner Gegenwart und Glück an deiner Seite für immer.“ Um Wegweisung geht es hier also, und um Zuversicht.
Lasst uns jetzt ein wenig darüber nachdenken, was das denn für Wege sind, die Gott zeigt. Wir können das zunächst auf die kleinen und auch größeren Weichenstellungen beziehen, die im Lauf des Lebens fällig werden. Wohin man die nächste Urlaubsreise antreten will zu Beispiel, oder in welche Wohnung man umziehen will, oder wie man die sich einrichten will. Bis hin zu den alltäglichen Kleinigkeiten dürfen wir Gott bitten: „Weise mir, weise uns, Herr, deinen Weg“ (Psalm 86,11).
Aber gehen wir in Gedanken noch einmal dreitausend Jahre zurück, zu David, der diese Worte der Wegweisung und Zuversicht zuerst gesagt hat. Wie gesagt, er befand sich in akuter Lebensgefahr, als er bekannte: „Du zeigst mir den Weg zum Leben.“ Er vertraute darauf, dass Gott ihn in dieser Gefahr beschützen und aus ihr erretten kann. Er wusste, dass Gott ihm immer zur Seite steht. Das machte ihn ruhig und getrost, sodass er in dieser schweren Zeit bekennen konnte: „Große Freude finde ich in deiner Gegenwart und Glück an deiner Seite für immer.“ Zu schweren Zeiten kann es auch in jeder Ehe kommen. Zwar mag man am Tage der Hochzeit nicht gern daran denken, aber jedes Brautpaar muss damit rechnen, dass auf dem bevorstehenden gemeinsamen Lebensweg manchmal schwierige Wegstrecken zu bewältigen sind. Wie gut, wenn man dann wie David getrost bleiben kann, weil Gott nahe ist und weiterhilft.
Wir finden Davids Bekenntnis nicht nur im Buch der Psalmen, sondern noch an einer anderen Stelle in der Bibel, im Neuen Testament, in der Apostelgeschichte. Da zitiert der Jesus-Jünger Simon Petrus diese Worte in einer ganz berühmten Predigt, in seiner Pfingstpredigt nämlich (Apg. 2,25‑28). Er bezeugt, dass der volle Sinn dieser Worte erst jetzt verstanden werden kann, nach Jesu Auferstehung. „Du zeigst mir den Weg zum Leben“ – mit diesen Worten habe Jesus selbst durch den Mund seines Stammvaters David seine Auferweckung von den Toten geweissagt. Das meint: Während David zunächst in seiner eigenen Situation von Gottes Bewahrung vor dem Tod redete, wird die volle Bedeutung dieses Wortes erst durch das Leben nach dem Tod entfaltet, in das Jesus aus dem Tod heraus auferweckt wurde.
Das Sterben und Auferstehen des Herrn Jesus Christus ist der Dreh‑ und Angelpunkt des christlichen Glaubens, das Herzstück des Evangeliums. Wie schön, dass es uns auch in diesem Trauspruch begegnet! Denn ihr, liebe Brautleute, tretet diesen neuen Lebensabschnitt ja bewusst als Christen an – also als Menschen, die durch die heilige Taufe mit Christi Tod und Auferstehung verbunden wurden und die darauf vertrauen, dass der Gottessohn mit seinem Sterben am Kreuz all das in Ordnung gebracht hat, was in eurem Leben nicht in Ordnung ist. Das war bitter schwer für ihn. Er hat sich aufgeopfert und dabei für eine Weile auf das Glück verzichtet, die Nähe seines himmlischen Vaters zu spüren. „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“, hat er da geschrien. Er hat die Gottverlassenheit auf sich genommen, die er uns ersparen will. Er hat uns damit einen guten Lebensweg eröffnet, der zum ewigen Leben führt. Und er hat von sich selbst bezeugt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Es gibt keinen anderen Weg zum Vater als mich.“ (Joh. 14,6) Ja, Jesus Christus ist der wahre Weg zum guten Leben mit Gott, der einzige, den es gibt. Genau aus diesem Grund könnt ihr, liebe Brautleute, mit allen Gläubigen so zuversichtlich wie David zu Gott sagen: „Du zeigst mir den Weg zum Leben. Große Freude finde ich in deiner Gegenwart und Glück an deiner Seite für immer.“ Ihr könnt dabei zuversichtlich sein, dass er euch auf eurem Lebensweg bewahren, aus Gefahr herausretten und einmal, wenn der Lebensweg an sein Ende kommt, durch den Tod hindurchführen wird in die Auferstehung zur ewigen Herrlichkeit.
Freilich kann keiner voraussehen, wie euer gemeinsamer Weg im Einzelnen verlaufen wird. Keiner kann sagen, ob ihr Kinder und Enkel heranwachsen sehen werdet und ob ihr heute in 50 Jahren gemeinsam die Goldene Hochzeit feiern werdet. Keiner weiß, welche Höhen und Tiefen vor euch liegen. Natürlich habt ihr euch zuvor reiflich überlegt, ob ihr gut genug zusammenpasst, um zu heiraten. Aber trotz allen vorherigen Prüfens und Kennenlernens bleibt der gemeinsame Weg ein Wagnis, ein Abenteuer. Wie gut, dass ihr trotz solcher Ungewissheit die Gewissheit habt, dass Gott euch stets nahe ist, komme, was wolle: „Große Freunde finde ich in deiner Gegenwart und Glück an deiner Seite für immer.“
Liebes Brautpaar, ihr tretet heute in den Bund der Ehe. Die Ehe ist eine Gabe Gottes, die er der Menschheit von Anfang an geschenkt hat. Er hat es getan, damit Mann und Frau großes Glück in ihrer gegenseitigen Liebe finden. Er hat es auch getan, damit der Segensstrom immer neuer Generationen nicht abreißt. Und er hat es nicht zuletzt deshalb getan, um uns mit der Ehe ein Abbild zu geben von seiner großen Liebe zu uns Menschen. Immer wieder vergleicht die Bibel Gottes Beziehung zu uns Menschen mit der Beziehung von Mann und Frau, von Braut und Bräutigam.
Mit dieser Feststellung komme ich zu meiner anfänglichen Frage zurück, die noch nicht beantwortet ist: Darf man die Liebeserklärung, die David vor 3000 Jahren in tiefster Not Gott gegenüber geäußert hat, auf euch übertragen, liebes Brautpaar? Ja und tausendmal ja! Denn auch ihr seid in eurer Liebe zueinander und in eurer bevorstehenden Ehe ein wunderbares Abbild für Gottes große Liebe zu uns Menschen – einer Liebe, die niemals aufhört. Das ist auch der Grund, warum Eheleute sich bis ans Lebensende treu bleiben sollen. Und darum könnt ihr mit allen Eheleuten und darüber hinaus mit der ganzen Christenheit ganz getrost diese doppelsinnige Liebeserklärung sprechen: „Große Freude finde ich in deiner Gegenwart und Glück an deiner Seite für immer.“ Amen.
PREDIGTKASTEN |