Gottes Gesellschaftsordnung

Predigt über Römer 13,1-7 zum 23. Sonntag nach Trinitatis

Nur wenige Eltern nennen heutzutage ihren Sohn Walter. Vielleicht liegt das an der Bedeutung des Namens. „Walter“ kommt von „walten“, ein altes Wort für „herr­schen“, und „herrschen“ klingt heute für viele negativ; es klingt nach be­vor­munden, unter­drücken und Gewalt ausüben. Da ist es übrigens wieder, unser Wort „walten“, es steckt auch in „Ge­walt“ drin. Bei Gewalt denkt man meistens an etwas Negatives, an häusliche Gewalt zum Beispiel, an körper­liche Ge­walt, an Brutalität. Dabei gibt es durchaus auch eine positive Bedeutung dieses Wortes: Väter und Mütter üben verant­wortlich elterliche Gewalt aus, und der Staat hat ein Gewalt­monopol, das im Rechtsstaat mit einer sinnvollen Gewalten­teilung einhergeht. Auch im Verb „verwalten“ hat „walten“ einen guten und ordnenden Klang. Wir sehen­: Gewalt kann Zweierlei meinen, und beides müssen wir sauber voneinander trennen: auf der einen Seite die brutale Macht der Stärke­ren (auf Englisch „violence“), auf der anderen Seite die ver­antwortungs­volle Macht der Leitenden (auf Englisch „leader­ship“).

Gottes Geist lehrt uns, dass Gewalt im zweiten Sinn etwas Gutes ist, eine gute Einrichtung des Schöpfers. Gott ist ein Gott der Ordnung, und darum hat er für das menschliche Zu­sammen­leben verfügt, dass Macht, Gewalt und Verantwor­tung sinnvoll verteilt werden sollen. Dabei sollen nicht alle gleich viel Macht ha­ben. So sollen zum Beispiel Eltern über Kinder walten, Chefs über ihre An­gestell­ten und Regierende über die ihnen an­befohle­nen Bürger. Es soll nach Gottes Willen also ein Oben und ein Unten geben in der Gesell­schaft, Obrigkeiten und Untertanen, wie es in früheren Zeiten formuliert wurde. Die Obrigkeit ist „Gottes Dienerin, dir zugut“, heißt es in unserem Schrift­wort. Der geistliche Mensch hört es, akzeptiert es und erkennt Gottes wunderbare Weisheit in dieser Ordnung. Der von Sünden verseuchte fleisch­liche Mensch dagegen lehnt das ab, denn er wittert Unter­drückung und Schikane. Der fleisch­liche Mensch will sich um jeden Preis selbst behaupten und steht jeder Ein­schrän­kung der per­sönli­chen Freiheit miss­trauisch gegenüber. Schon bei Kindern ist das so ihren Eltern gegenüber – zuerst im Trotz­alter, später in der Pubertät. Schüler begehren auf gegen ihre Lehrer, Angestellte gegen ihre Chefs und Bürger gegen ihre Re­gierun­gen.

Dabei ist das mit dem Oben und Unten wunderbar geordnet von Gott. „Hierar­chie“ nennt man es auch, „heilige Herr­schaft“. Da braucht sich nicht jeder um alles zu kümmern, sondern da gibt es klar umrissene Ver­antwortlich­keiten, wahr­genommen von Menschen, die dafür quali­fiziert und mit einem ent­sprechen­den Dienst betraut worden sind. Was ge­schähe zum Beispiel mit einem Schiff, wenn alle an Bord Kapitän sein wollen? Wie könnte ein Brand gelöscht werden, wenn der Lösch­einsatz in lang­wierigen Diskus­sionen von allen Feuerwehr­leuten gemeinsam geplant werden müsste? Wie könnte eine Armee ein Land verteidigen ohne Offiziere, Hauptleute und Generäle? Ein Chaos wäre die Folge, eine Anarchie – das Gegenteil der Hierarchie! Gott will aus gutem Grund, dass die menschliche Gesell­schaft hierar­chisch geordnet ist, uns allen zum Segen. Darum werden wir in der Heiligen Schrift auch nie die Auf­forderung finden, uns ge­gen rechtmäßige Autoritäten auf­zuleh­nen, aber wir finden an ganz vielen Stellen das grund­sätzliche Ge­bot, uns unter­zuordnen, also uns in Gottes gute Gesell­schafts­ordnung einzufügen. Darum heißt es auch in unserem Bibel­wort: „Jeder­mann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat.“

Diese göttliche Hierarchie hat etwas Ent­lasten­des, denn klar umrissene Ver­antwortungs­bereiche bedeuten, dass man vie­le Ent­scheidun­gen getrost anderen überlassen kann und sich nicht um alles kümmern muss. Aber leider be­gehrt auch da­gegen die Sünde in uns auf. Wieviele Bürger meinen, selbst besser zu wissen, was die Regierenden tun sollten. Martin Luther hat dafür das Wort „Faulwitz“ erfunden und 1534 in seiner Auslegung zu Psalm 101 gesagt: „Ich will’s Faulwitz nennen, und ist auch der Erbsünde Früchtlein eins, und natürlich angeboren und anhangend, dass ein jeg­licher bald über­drüssig wird dessen, was ihm befohlen ist, mengt und schlägt sich in andere Sachen, um die er sich bes­ser nicht kümmer­te und die ihm nicht befohlen sind, will klug und geschäftig in fremden Sachen sein.“

Der größte Segen der hierar­chischen Gesell­schafts­ordnung besteht jedoch darin, dass sie uns etwas von Gottes Wesen anschaulich macht. An der Spitze aller Hierarchie steht nämlich der höchste Herr, der allmächtige Gott. Ihm sollen sich alle unter­ordnen, auch die mächtigsten Machthaber der Welt. Die mensch­lichen Leitungs­ämter auf den ver­schiede­nen Hierarchie­stufen aber machen an­schau­lich, wie Gott ist. Wenn ein guter Vater seine Kinder versorgt, beschützt und er­zieht, dann bildet er damit etwas vom Walten des himmlischen Vaters ab, wenn auch un­vollkom­men. Wenn ein guter Chef mit seinem Unternehmen der Gesell­schaft dient und zugleich für seine An­gestellten sorgt, dann bildet er etwas vom Walten des himmlischen Herrn ab, dessen Diener wir sind, wenn auch un­vollkom­men. Und wenn eine gute Regierung sich darum müht, zum Wohl des Volkes aktiv zu sein, dann bildet sie etwas vom Walten des Königs aller Könige ab, wenn auch un­vollkom­men. Bemerkens­wert ist dabei, dass der himmlische Vater den Spitzen­platz in seiner Hierarchie an seinen Sohn Jesus Christus übergeben hat. „Ich aber habe meinen König eingesetzt auf meinem heiligen Berge Zion“, heißt es im zweiten Psalm vom Messias, und der Auf­erstan­dene hat dann bestätigt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Him­mel und auf Erden“ (Matth. 28,18). Wie gut und segens­reich! So können wir gewiss sein: Nicht irgendein nebulöses Schicksal steht an der Spitze der universalen Macht­pyramide, sondern der uns wohl bekannte Heiland Jesus Christus, der uns so sehr liebt, dass er sich für uns aufgeopfert hat.

Martin Luther hat in seinen Katechismen deutlich gemacht, dass sich alle obrigkeit­liche Autorität letztlich vom vierten Gebot herleiten lässt, also von Gottes Verfügung, dass Kinder ihre Eltern ehren sollen. So heißt es im Kleinen Katechis­mus: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsere Eltern und Herren nicht verachten noch er­zürnen…“ Und im Großen Katechismus heißt es: „Zu diesem Gebot gehört auch der Gehorsam gegenüber obrigkeit­lichen Personen, die zu gebieten und zu regieren haben. Denn von der Autorität der Eltern leitet sich alle andere Autorität ab.“ Das ist ganz im Sinne von Jesus Christus gesprochen, der verfügte: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist…“ (Mt. 22,21), und auch ganz im Sinne des Apostels Paulus, der lehrte: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat“, und: „So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid.“

Wenn wir uns den Regierenden unterordnen und uns an die Gesetze unseres Landes halten, bekommen wir tatsächlich sehr viel zu spüren von dem Segen, dass die Obrigkeit „Gottes Dienerin uns zugute“ ist. Polizisten beschützen uns, Feuerwehr­leute helfen in Not, Gerichte sorgen für Gerechtig­keit, gute Verkehrs­wege stehen zur Verfügung, junge Menschen können kostenlos zur Schule gehen und studieren, hilfs­bedürfti­gen Personen und Unternehmen wird von staatlicher Seite unter die Arme gegriffen, und wenn jemand im Ausland in Not gerät, bekommt er Hilfe von der Bot­schaft seines Staates in dem be­treffen­den Land. Auch dass Übeltäter bestraft werden, kommt der Allgemein­heit zugute, denn die Obrigkeit „trägt das Schwert nicht umsonst“, wie Paulus formulierte (wobei das Schwert heute nur noch sym­bolisch für eine wehrhafte Justiz steht).

Zum Schluss muss ich nun aber noch zwei Fragen oder Probleme ansprechen, die sich beim Hören von Römer 13 bei vie­len einstellen: erstens die Frage nach der Legitimität böser Re­gierun­gen, zweitens die Frage nach der Demokratie.

Also erstens: Gilt das, was die Bibel von der Obrigkeit lehrt, auch für böse Re­gierun­gen, etwa für Autokraten und Ty­rannen? Paulus schrieb den Römerbrief unter dem be­rüchtig­ten Kaiser Nero; trotzdem hat Paulus seine Aussage nicht ein­geschränkt. Ausgehend von Nero können wir bis hin zum heutigen Tag eine Spur von mehr oder weniger bösen Re­gierun­gen entdecken, die sich durch die Welt­geschichte zieht. Und bei der bevor­stehenden Präsidenten­wahl in den USA haben nur eine Kandidatin und ein Kandidat realis­tische Chancen, von denen die Kandidatin ein Recht auf Tötung un­geborener Kinder durchsetzen will, der Kandidat aber vor allem durch dreiste Lügen und menschen­verachtende Äuße­run­gen auf­fällt. Ich erinnere mich an eine Bibel­stunde, die ich vor etlichen Jahren mal über den Text aus Römer 13 ge­halten habe. Unter den Teilnehmern war auch eine lebenskluge Histo­rikerin, die meinte: „Paulus hat hier ideal­typtisch ge­sprochen.“ Ideal­typisch – das heißt so, wie es nach Gottes Willen sein sollte, aber oft eben nicht ist, und auch in einem guten Rechts­staat nie zu hundert Prozent sein kann. Keine reale Regierung ist vollkommen, wie auch kein Eltern­paar voll­kommen ist und kein Chef. Das berechtigt freilich niemanden dazu, Gottes gute Gesell­schafts­ordnung grund­sätzlich in Frage zu stellen. Gottes Ordnung bleibt gut, auch wenn die Menschen, die in ihr Führungs­aufgaben haben, Sünder sind. Selbst unter einer wirklich schlechten Regierung wird es wenigstens ein paar Gesetze geben, die ein Min­dest­maß an Ord­nung aufrecht erhalten – und das ist immer noch besser als die totale Anarchie. Niemand sollte meinen, dass er keine Gesetze mehr zu befolgen braucht, wenn die Herr­schen­den Schurken sind. Wenn zum Beispiel im Straßen­verkehr eines Schurken­staates Rechts­verkehr herrscht, sollte niemand sich die Freiheit heraus­nehmen, immer links zu fahren. Es gibt allerdings eine Grenze der Unter­ordnung unter die Obrigkeit, die auch in unserem luthe­rischen Bekennt­nis ganz klar mit einem Bibelwort beschrieben ist: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 5,29; CA16). Bevor aber jemand meint, er müsse sich gegen die Herr­schen­den erheben, sollte er sehr sorgfältig sein Gewissen prüfen und dabei nicht außer Acht lassen, dass die Obrigkeit grund­sätzlich eine gute und zu ehrende Einrichtung Gottes ist – so wie es Dietrich Bonhoeffer getan hat, bevor er sich dem Widerstand gegen Hitler anschloss.

Und die zweite Frage: Wer ist denn in einer Demokratie eigentlich die Obrigkeit, wenn da laut der Verfassung alle Macht vom ganzen Volk ausgeht? Sind dann zum Beispiel in Deutschland alle Deutschen ihre eigene Obrigkeit? Und wäre dann nicht das ameri­kanische Volk selbst schuld, wenn es keine vernüftige Regierung bekäme? Nein, so ist es nicht. Es ist ein Miss­verständ­nis zu meinen, dass in einem demo­kratischen Staat idealerweis alle über alles gemeinsam ent­scheiden. Abgesehen davon, dass man nicht gut über jede politische Frage Volks­abstimmun­gen durchführen lassen kann, braucht es doch für viele Ent­scheidun­gen auch besonderen Sach­verstand und besondere Weisheit, die man bei der Mehrheit nicht voraus­setzen kann. So eine Jeder-entscheidet-über-alles-Demokratie wäre eine ziemlich fragwürdige Ideolo­gie; ich würde sie Demokra­tismus nennen. In einer richtigen Demokratie geht es vielmehr darum, dass die Bürger Volks­vertreter wählen, zu denen sie Vertrauen haben und die dann nach bestem Wissen und Gewissen regieren. Aber was ist, wenn man zu keinem der zur Wahl stehenden Kandidaten Vertrauen hat? Dann kann man immer noch ver­su­chen, das sogenannte kleinere Übel zu wählen. Und man kann auch Regierende wieder abwählen, wenn sie sich als un­fähig erweisen oder ihre Macht miss­brauchen. Demokratie bedeutet also einfach ein Stück Mit­verant­wortung – wie sie übrigens nicht erst im modernen Rechtsstaat ausgeübt wird, sondern auch bereits in uralten Staats­formen wie zum Bei­spiel im afri­kanischen Häuptlings­wesen. Unter den Bantus ist es schon immer ein un­geschriebe­nes Gesetz gewesen, dass jeder in der Volks­versammlung seine Meinung äußern darf, ohne Ansehen der Per­son. Vom Häuptling aber wird erwar­tet, dass er gut zuhört, die Stimmen aus dem Volk berück­sichtigt und am Ende eine ent­sprechen­de Ent­scheidung fällt.

Egal, wie ein Gemeinwesen im einzelnen verfasst ist – in jedem Fall verdienen die Regierenden den Re­spekt und die Un­ter­ordnung des Volkes, und – ganz wichtig! – auch unsere Fürbitte. Denn die Obrigkeit ist ja Gottes Die­ne­rin, von Gott eingesetzt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2024.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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