Brauchen wir wieder eine Reformation?

Predigt über Römer 3,21-28 zum Reformationstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Brauchen wir wieder eine Re­formation? Ja, auf jeden Fall!

Warum? Gott sagt es uns ganz klar in dem Apostelwort aus dem Römerbrief, das wir eben gehört haben: Weil wir alle Sünder sind. Weil uns allen der Ruhm mangelt, den wir vor Gott haben sollen. Weil wir alle nicht gut genug sind nach Gottes Maßstab. „Es ist hier kein Unter­schied“, sagt die Hei­li­ge Schrift – kein Unterschied zwischen Juden und Nicht­juden, zwischen Männern und Frauen, zwischen Reichen und Armen, zwischen Russen und Ameri­kanern, zwischen Chi­nesen und Europäern, zwischen Jungen und Alten, zwi­schen religiösen und nicht-religiösen Menschen, zwischen Phari­säern und Zöllnern, zwischen Anständigen und Schurken. Wirklich, „kein Unter­schied“! Wir stehen alle gleich da im Hinblick auf Gottes An­forderun­gen, Gottes Gesetz. Wir ste­hen alle gleich schlecht da, weil niemand ein „Genügend“ zustande bringt – auch alle, die wir uns hier in diesem Kirch­raum versammelt haben. Und darum haben wir alle es nötig, dass sich etwas ändert bei uns. Dass wir erneuert werden. Dass wir zurück-geformt werden – zurück­geformt zum Eben­bild des lebendigen Gottes, als das der Schöpfer den Men­schen ur­sprüng­lich geschaffen hat. Für „zurück-formen“ gibt es ein allseits bekanntes Fremdwort, und das heißt „re-for­mieren“. Wir sehen: Wir brauchen wieder eine Re­formation. Alle Menschen brauchen sie, diese Reformation der Her­zen, weil wir alle gesündigt haben, alle ohne Unter­schied.

Nun finden wir in unserem Gotteswort die gute Nachricht, dass so eine Reformation möglich ist und wie sie geschieht. Es ist die beste Nachricht der Welt. Auch für sie gibt es ein allseits bekanntes Fremdwort. Es heißt „Evan­gelium“, auf deutsch „gute Nachricht“ oder „frohe Botschaft“. Dass wir alle Gottes An­forderun­gen nicht genügen, muss nicht so blei­ben. Gott selbst will das in Ordnung bringen. Er selbst sorgt dafür, dass wir wieder richtig werden in seinen Au­gen, recht in seinen Augen, „gerecht“, wie die Bibel es nennt. Nur Gerechte haben in der Nähe Gottes etwas zu suchen, weil Gott selbst voll­kommen gerecht ist. In unserem Gotteswort heißt es deshalb, dass „Gott gerecht ist und gerecht macht“. Sie­benmal wird in diesem kurzen Abschnitt Gottes Ge­rechtig­keit genannt. Martin Luthers Reformation hat mit der Er­kennt­nis be­gonnen, dass diese gerecht­machende, diese den Sünder re­formieren­de Ge­rechtig­keit gemeint ist, wenn die Bibel von Gottes Ge­rechtig­keit spricht – nicht erst im Neuen Testament, sondern auch schon im Alten. So kann Paulus schrei­ben, dass die Ge­rechtig­keit, die vor Gott gilt, „durch das Gesetz und die Propheten“ bezeugt ist, also in den hei­li­gen Schriften Israels, die wir heute als das Alte Testament bezeichnen.

Die gute Nachricht, dass Gott Sünder gerecht macht, ist un­auflös­lich mit einer einzigen Person verknüpft: mit Jesus Chris­tus. Allein durch ihn wirkt Gott seine große Reformation an unseren Herzen, durch nichts und niemanden sonst. Wir hören und lesen, dass Gott uns Sünder selig macht „durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist“. Und weiter: „Den hat Gott für den Glauben hingestellt zur Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Ge­rechtig­keit, indem er die Sünden vergibt.“ Ja, Gott macht uns auf eine sehr blutige Weise gerecht, nämlich durch das Blut seines eigenen Sohnes Jesus Christus, vergossen auf dem Hügel Golgatha. Für alle Menschen ohne Unterschied hat Jesus sein Blut ver­gossen, für Juden und Nicht-Juden, für Männer und Frauen, für Reiche und Arme, für Russen und Amerikaner, für Chi­ne­sen und Europäer, für Junge und Alte, für religiöse und nicht-religiöse Menschen, für Pharisäer und Zöllner, für An­ständige und Schurken und auch für alle, die wir hier in diesem Kirchraum zu­sammen­gekom­men sind. Der Gottes­sohn ist zu dem einen und einzig wirksamen Sühnopfer der ganzen Welt geworden, mit dem Gott selbst unsere Sünden­schuld ausgelöscht hat. So und nicht anders hat Gott unsere Herzen reformiert, zurück-geformt, erneuert. Nur er selbst hat es gekonnt, wir unserer­seits können nichts dazu beitragen, und wir brauchen es ja auch nicht. Das Evangelium schließt je­den Eigenruhm aus. Wir werden „ohne Verdienst“ gerecht, heißt es da (wörtlich: „geschenk­weise“), aus seiner Gnade („gratis“, wie es in der latei­nischen Bibel­übersetzung heißt). Dieses Geschenk nehmen wir dankbar und ver­trauens­voll an – und werden gerecht allein durch diesen Glauben an Jesus Christus, der für uns geblutet hat und gestor­ben ist. Im­mer wenn wir unsere Sünden bekennen und Gottes Vergebung zu­gesprochen bekom­men, immer wenn wir an unsere Taufe zurück­denken, immer wenn wir im Heiligen Abendmahl das Blut unsers Herrn Jesus Christus trinken, dann ge­schieht dieses Wunder an un­seren Herzen, dass Gott uns gerecht macht und zu ewiger Ge­meinschaft mit sich führt.

Brauchen wir diese göttliche Reformation auch heute noch? Ja, auf jeden Fall, und immer wieder neu, denn nur so kön­nen wir die ewige Seligkeit erlangen.

Der Apostel Paulus hat mit diesem wichtigen Abschnitt der Bibel die Lehre der ersten drei Kapitel des Römerbriefs zu­sammen­gefasst, die die Grundlage aller christl­ichen Ver­kündi­gung enthalten. Martin Luther und die luthe­rischen Be­kennt­nis­schriften nennen dieses wunderbare Evangelium von Jesus Christus den Haupt­artikel aller christ­lichen Lehre – den Ar­tikel, mit dem die Kirche steht und fällt. Alle anderen göttlichen Lehren sind diesem Recht­fertigungs­artikel unter­geord­net oder nach­geordnet. Darum war es auch Luthers Haupt­anliegen vor fünfhundert Jahren, diesen Artikel wieder in den Mittelpunkt zu rücken – zu einer Zeit, als er in der kirchlichen Ver­kündi­gung fast in Ver­gessen­heit geraten war.

Damit kommten wir zum zweiten Teil der Predigt (es folgt aber kein dritter!). Wir kommen von Gottes immer­währender per­sönlicher Herzens-Reformation des Evangeliums zur Reformation der kirchlichen Ver­kündi­gung, in der das Evan­gelium immer wieder gefährdet ist von Ver­fälschung und Über­wucherung durch andere Lehren. Bei Paulus war es einst eine phari­säische Gesetzlich­keit, die dem Evangelium im Wege stand. Bei Luther waren es die von Menschen gemach­ten Gesetze der da­mali­gen römischen Kirche sowie die Forderung, dass man durch Eigen­leistung und den Kauf von Ab­lassbriefen Gottes Gnade erlangen müsse. Und heute? Brauchen wir wieder eine Reformation der Kirche und ihrer Ver­kündigung?

Solche Gesetzlich­keit wie damals gibt es heute zum Glück kaum noch; dennoch ist Gottes frohe Botschaft von der Er­lösung durch Jesus Chris­tus auch heute ge­fährdet. Deshalb: Ja, wir brauchen auch heute wieder eine Re­forma­tion, eine erneute Rück­besinnung auf den Haupt­artikel der christ­lichen Lehre, mit dem die Kirche steht und fällt.

Wodurch ist denn das Evangelium heute gefährdet?

Zum Beispiel dadurch, dass der Haupt­artikel nicht mehr Hauptinhalt der Ver­kündigung ist, sondern dass sich viele Pre­dig­ten und kirchliche Ver­lautbarun­gen lieber an aktuellen Schlag­zeilen oder an allgemeinen mensch­lichen Befindlich­keiten orien­tieren.

Oder zum Beispiel auch dadurch, dass viele Christen den Wortlaut der Bibel nicht mehr demütig als Gottes Wort an­nehmen, sondern ihn kriti­sie­ren. Schon zu Luthers Zeiten hat es angefangen: Jesu Worte bei der Stiftung des Heiligen Abend­mahls „Das ist mein Leib“ und „Das ist mein Blut“ wurden verwässert, weil Jesus angeblich nicht mehr leiblich auf Er­den sein kön­ne, wo er doch in den Himmel aufgefahren ist. Seit dem 18. Jahrhundert wurde die Bibel immer mehr in Frage gestellt, und heute hat die Bibelkritik weite Teile der Theologie durchsetzt. Wie rühmt sich der Mensch da sei­ner Vernunft, die angeblich besser als die Heilige Schrift weiß, was Gottes Botschaft ist! Aber bei Gott hat so ein Eigen­ruhm nichts zu suchen. „Das Wort sie sollen lassen stahn“, meinte Luther.

Die Ver­kündigung des Evangeliums ist zunehmend auch dadurch gefährdet, dass die Kritik selbst vor dem Haupt­artikel nicht halt macht. Da hält man es heute für psychisch ungesund, wenn Menschen sich als arme, elende Sünder bezeich­nen. Oder da streitet man ab, dass das blutige Sühnopfer des Gottes­sohnes am Kreuz mit Gottes Barm­herzig­keit verein­bar sei. Wer allerdings an einen Jesus ohne Sünopfer glaubt, also ohne bewusstes Kreuztragen und Blut­vergießen, der folgt einer un­biblischen Heilslehre, und sein Jesusbild ist nichts weiter als ein selbst­gemachter Götze. Hier zeigt sich, dass ein we­nig Sauerteig den ganzen Teig sauer macht, also dass ein paar anfängliche Abstriche an den Worten der Hei­ligen Schrift am En­de alles zweifelhaft erscheinen lassen. Wir sind aufgerufen, im Kleinen wie im Großen treu zu sein und die schein­bar neben­sächlichen Lehren der Schrift ebenso als Gottes Willen zu achten wie den Haupt­artikel.

Auch da, wo die Wahrheit des Evangeliums noch verkündigt wird, kann es geschehen, dass man sie nicht mehr konse­quent gelten lässt. Man scheut sich davor, abweichende Lehren als falsch abzulehnen und andere Heilswege, die nicht in Gottes Reich führen, deutlich als Sack­gassen zu benennen. Luther und das lutherische Bekenntnis haben Irrwege noch klar beim Namen genannt, ebenso Paulus, wenn er lehrte, dass Gottes Recht­fertigung „ohne Zutun des Gesetzes“, „ohne Verdienst“, „ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ geschieht. Stattdessen hält man es heute für eine gro­ße „öku­menische“ Tugend, einander wider­sprechende Lehren kritiklos neben­einander stehen zu lassen. Das ist jedoch eine fal­sche Toleranz. Denn was nützt es, wenn ich einem Verirrten den rechten Weg zeige, zugleich aber sage: Alle anderen Wege sind ebenso richtig? Nichts anderes tun die, die behaupten, dass jeder „nach seiner Fasson“ selig werden könne. Es gibt aber in Wahrheit nur eine „Fasson“, selig zu werden, nämlich die Erlösung durch Jesus Christus, der ge­sagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Das Evangelium von Jesus Christus ist Gottes einzige „Fasson“ zum Selig­werden, eine andere hat er uns jedenfalls nicht offenbart.

Besonders ist das Evangelium heute da gefährdet, wo man eine Ökumene der Religionen anstrebt. Das zeigt sich zum Beispiel darin, wenn nicht mehr viel von Jesus geredet wird, schon gar nicht vom Sün­der­heiland, sondern nur allgemein von Gott. Es ist natürlich nach­vollzieh­bar, das sich ein Christen­mensch in der heu­tigen gottlosen Zeit schon allein da­rüber freut, wenn er überhaupt fromme Worte hört. Wir sollten aber erkennen: Längst nicht alle frommen Worte weisen den richtigen Weg zum Himmel. Längst nicht alle frommen Worte haben die Kraft des Evan­geliums, selig zu machen. Um unserer eige­nen und der Mitmenschen Seligkeit willen sollten wir also genau hinhören, welche Botschaft solche Wor­te enthalten, und beurteilen, ob sie mit dem Haupt­artikel der christ­lichen Lehre über­eistimmen, ob sie also von Jesus Christus und seinem Sühnopfer am Kreuz handeln, durch den allein unsere Sünden­schuld bei Gott getilt wird. Denn nur so können wir im letzten Gericht bestehen (wobei übrigens in der heutigen kirchlichen Ver­kündigung auch oft ver­schwie­gen wird, dass wir alle uns einmal vor dem ewigen Richter ver­antworten müssen).

Besinnen wir uns also wieder neu auf das, was Reformation eigentlich ist: Nicht Renovierung kirchlicher Formen, nicht eine inner­kirchliche Revolution zum Zweck der Anbiederung an eine veränderte Ge­sell­schaft, sondern Rück-Formung, Rück-Besinnung auf das eine, alte, klare, biblische, göttliche, rettende Evangelium vom Sünder­heiland Jesus Christus! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2024.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum