Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Brauchen wir wieder eine Reformation? Ja, auf jeden Fall!
Warum? Gott sagt es uns ganz klar in dem Apostelwort aus dem Römerbrief, das wir eben gehört haben: Weil wir alle Sünder sind. Weil uns allen der Ruhm mangelt, den wir vor Gott haben sollen. Weil wir alle nicht gut genug sind nach Gottes Maßstab. „Es ist hier kein Unterschied“, sagt die Heilige Schrift – kein Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden, zwischen Männern und Frauen, zwischen Reichen und Armen, zwischen Russen und Amerikanern, zwischen Chinesen und Europäern, zwischen Jungen und Alten, zwischen religiösen und nicht-religiösen Menschen, zwischen Pharisäern und Zöllnern, zwischen Anständigen und Schurken. Wirklich, „kein Unterschied“! Wir stehen alle gleich da im Hinblick auf Gottes Anforderungen, Gottes Gesetz. Wir stehen alle gleich schlecht da, weil niemand ein „Genügend“ zustande bringt – auch alle, die wir uns hier in diesem Kirchraum versammelt haben. Und darum haben wir alle es nötig, dass sich etwas ändert bei uns. Dass wir erneuert werden. Dass wir zurück-geformt werden – zurückgeformt zum Ebenbild des lebendigen Gottes, als das der Schöpfer den Menschen ursprünglich geschaffen hat. Für „zurück-formen“ gibt es ein allseits bekanntes Fremdwort, und das heißt „re-formieren“. Wir sehen: Wir brauchen wieder eine Reformation. Alle Menschen brauchen sie, diese Reformation der Herzen, weil wir alle gesündigt haben, alle ohne Unterschied.
Nun finden wir in unserem Gotteswort die gute Nachricht, dass so eine Reformation möglich ist und wie sie geschieht. Es ist die beste Nachricht der Welt. Auch für sie gibt es ein allseits bekanntes Fremdwort. Es heißt „Evangelium“, auf deutsch „gute Nachricht“ oder „frohe Botschaft“. Dass wir alle Gottes Anforderungen nicht genügen, muss nicht so bleiben. Gott selbst will das in Ordnung bringen. Er selbst sorgt dafür, dass wir wieder richtig werden in seinen Augen, recht in seinen Augen, „gerecht“, wie die Bibel es nennt. Nur Gerechte haben in der Nähe Gottes etwas zu suchen, weil Gott selbst vollkommen gerecht ist. In unserem Gotteswort heißt es deshalb, dass „Gott gerecht ist und gerecht macht“. Siebenmal wird in diesem kurzen Abschnitt Gottes Gerechtigkeit genannt. Martin Luthers Reformation hat mit der Erkenntnis begonnen, dass diese gerechtmachende, diese den Sünder reformierende Gerechtigkeit gemeint ist, wenn die Bibel von Gottes Gerechtigkeit spricht – nicht erst im Neuen Testament, sondern auch schon im Alten. So kann Paulus schreiben, dass die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, „durch das Gesetz und die Propheten“ bezeugt ist, also in den heiligen Schriften Israels, die wir heute als das Alte Testament bezeichnen.
Die gute Nachricht, dass Gott Sünder gerecht macht, ist unauflöslich mit einer einzigen Person verknüpft: mit Jesus Christus. Allein durch ihn wirkt Gott seine große Reformation an unseren Herzen, durch nichts und niemanden sonst. Wir hören und lesen, dass Gott uns Sünder selig macht „durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist“. Und weiter: „Den hat Gott für den Glauben hingestellt zur Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt.“ Ja, Gott macht uns auf eine sehr blutige Weise gerecht, nämlich durch das Blut seines eigenen Sohnes Jesus Christus, vergossen auf dem Hügel Golgatha. Für alle Menschen ohne Unterschied hat Jesus sein Blut vergossen, für Juden und Nicht-Juden, für Männer und Frauen, für Reiche und Arme, für Russen und Amerikaner, für Chinesen und Europäer, für Junge und Alte, für religiöse und nicht-religiöse Menschen, für Pharisäer und Zöllner, für Anständige und Schurken und auch für alle, die wir hier in diesem Kirchraum zusammengekommen sind. Der Gottessohn ist zu dem einen und einzig wirksamen Sühnopfer der ganzen Welt geworden, mit dem Gott selbst unsere Sündenschuld ausgelöscht hat. So und nicht anders hat Gott unsere Herzen reformiert, zurück-geformt, erneuert. Nur er selbst hat es gekonnt, wir unsererseits können nichts dazu beitragen, und wir brauchen es ja auch nicht. Das Evangelium schließt jeden Eigenruhm aus. Wir werden „ohne Verdienst“ gerecht, heißt es da (wörtlich: „geschenkweise“), aus seiner Gnade („gratis“, wie es in der lateinischen Bibelübersetzung heißt). Dieses Geschenk nehmen wir dankbar und vertrauensvoll an – und werden gerecht allein durch diesen Glauben an Jesus Christus, der für uns geblutet hat und gestorben ist. Immer wenn wir unsere Sünden bekennen und Gottes Vergebung zugesprochen bekommen, immer wenn wir an unsere Taufe zurückdenken, immer wenn wir im Heiligen Abendmahl das Blut unsers Herrn Jesus Christus trinken, dann geschieht dieses Wunder an unseren Herzen, dass Gott uns gerecht macht und zu ewiger Gemeinschaft mit sich führt.
Brauchen wir diese göttliche Reformation auch heute noch? Ja, auf jeden Fall, und immer wieder neu, denn nur so können wir die ewige Seligkeit erlangen.
Der Apostel Paulus hat mit diesem wichtigen Abschnitt der Bibel die Lehre der ersten drei Kapitel des Römerbriefs zusammengefasst, die die Grundlage aller christlichen Verkündigung enthalten. Martin Luther und die lutherischen Bekenntnisschriften nennen dieses wunderbare Evangelium von Jesus Christus den Hauptartikel aller christlichen Lehre – den Artikel, mit dem die Kirche steht und fällt. Alle anderen göttlichen Lehren sind diesem Rechtfertigungsartikel untergeordnet oder nachgeordnet. Darum war es auch Luthers Hauptanliegen vor fünfhundert Jahren, diesen Artikel wieder in den Mittelpunkt zu rücken – zu einer Zeit, als er in der kirchlichen Verkündigung fast in Vergessenheit geraten war.
Damit kommten wir zum zweiten Teil der Predigt (es folgt aber kein dritter!). Wir kommen von Gottes immerwährender persönlicher Herzens-Reformation des Evangeliums zur Reformation der kirchlichen Verkündigung, in der das Evangelium immer wieder gefährdet ist von Verfälschung und Überwucherung durch andere Lehren. Bei Paulus war es einst eine pharisäische Gesetzlichkeit, die dem Evangelium im Wege stand. Bei Luther waren es die von Menschen gemachten Gesetze der damaligen römischen Kirche sowie die Forderung, dass man durch Eigenleistung und den Kauf von Ablassbriefen Gottes Gnade erlangen müsse. Und heute? Brauchen wir wieder eine Reformation der Kirche und ihrer Verkündigung?
Solche Gesetzlichkeit wie damals gibt es heute zum Glück kaum noch; dennoch ist Gottes frohe Botschaft von der Erlösung durch Jesus Christus auch heute gefährdet. Deshalb: Ja, wir brauchen auch heute wieder eine Reformation, eine erneute Rückbesinnung auf den Hauptartikel der christlichen Lehre, mit dem die Kirche steht und fällt.
Wodurch ist denn das Evangelium heute gefährdet?
Zum Beispiel dadurch, dass der Hauptartikel nicht mehr Hauptinhalt der Verkündigung ist, sondern dass sich viele Predigten und kirchliche Verlautbarungen lieber an aktuellen Schlagzeilen oder an allgemeinen menschlichen Befindlichkeiten orientieren.
Oder zum Beispiel auch dadurch, dass viele Christen den Wortlaut der Bibel nicht mehr demütig als Gottes Wort annehmen, sondern ihn kritisieren. Schon zu Luthers Zeiten hat es angefangen: Jesu Worte bei der Stiftung des Heiligen Abendmahls „Das ist mein Leib“ und „Das ist mein Blut“ wurden verwässert, weil Jesus angeblich nicht mehr leiblich auf Erden sein könne, wo er doch in den Himmel aufgefahren ist. Seit dem 18. Jahrhundert wurde die Bibel immer mehr in Frage gestellt, und heute hat die Bibelkritik weite Teile der Theologie durchsetzt. Wie rühmt sich der Mensch da seiner Vernunft, die angeblich besser als die Heilige Schrift weiß, was Gottes Botschaft ist! Aber bei Gott hat so ein Eigenruhm nichts zu suchen. „Das Wort sie sollen lassen stahn“, meinte Luther.
Die Verkündigung des Evangeliums ist zunehmend auch dadurch gefährdet, dass die Kritik selbst vor dem Hauptartikel nicht halt macht. Da hält man es heute für psychisch ungesund, wenn Menschen sich als arme, elende Sünder bezeichnen. Oder da streitet man ab, dass das blutige Sühnopfer des Gottessohnes am Kreuz mit Gottes Barmherzigkeit vereinbar sei. Wer allerdings an einen Jesus ohne Sünopfer glaubt, also ohne bewusstes Kreuztragen und Blutvergießen, der folgt einer unbiblischen Heilslehre, und sein Jesusbild ist nichts weiter als ein selbstgemachter Götze. Hier zeigt sich, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig sauer macht, also dass ein paar anfängliche Abstriche an den Worten der Heiligen Schrift am Ende alles zweifelhaft erscheinen lassen. Wir sind aufgerufen, im Kleinen wie im Großen treu zu sein und die scheinbar nebensächlichen Lehren der Schrift ebenso als Gottes Willen zu achten wie den Hauptartikel.
Auch da, wo die Wahrheit des Evangeliums noch verkündigt wird, kann es geschehen, dass man sie nicht mehr konsequent gelten lässt. Man scheut sich davor, abweichende Lehren als falsch abzulehnen und andere Heilswege, die nicht in Gottes Reich führen, deutlich als Sackgassen zu benennen. Luther und das lutherische Bekenntnis haben Irrwege noch klar beim Namen genannt, ebenso Paulus, wenn er lehrte, dass Gottes Rechtfertigung „ohne Zutun des Gesetzes“, „ohne Verdienst“, „ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ geschieht. Stattdessen hält man es heute für eine große „ökumenische“ Tugend, einander widersprechende Lehren kritiklos nebeneinander stehen zu lassen. Das ist jedoch eine falsche Toleranz. Denn was nützt es, wenn ich einem Verirrten den rechten Weg zeige, zugleich aber sage: Alle anderen Wege sind ebenso richtig? Nichts anderes tun die, die behaupten, dass jeder „nach seiner Fasson“ selig werden könne. Es gibt aber in Wahrheit nur eine „Fasson“, selig zu werden, nämlich die Erlösung durch Jesus Christus, der gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Das Evangelium von Jesus Christus ist Gottes einzige „Fasson“ zum Seligwerden, eine andere hat er uns jedenfalls nicht offenbart.
Besonders ist das Evangelium heute da gefährdet, wo man eine Ökumene der Religionen anstrebt. Das zeigt sich zum Beispiel darin, wenn nicht mehr viel von Jesus geredet wird, schon gar nicht vom Sünderheiland, sondern nur allgemein von Gott. Es ist natürlich nachvollziehbar, das sich ein Christenmensch in der heutigen gottlosen Zeit schon allein darüber freut, wenn er überhaupt fromme Worte hört. Wir sollten aber erkennen: Längst nicht alle frommen Worte weisen den richtigen Weg zum Himmel. Längst nicht alle frommen Worte haben die Kraft des Evangeliums, selig zu machen. Um unserer eigenen und der Mitmenschen Seligkeit willen sollten wir also genau hinhören, welche Botschaft solche Worte enthalten, und beurteilen, ob sie mit dem Hauptartikel der christlichen Lehre übereistimmen, ob sie also von Jesus Christus und seinem Sühnopfer am Kreuz handeln, durch den allein unsere Sündenschuld bei Gott getilt wird. Denn nur so können wir im letzten Gericht bestehen (wobei übrigens in der heutigen kirchlichen Verkündigung auch oft verschwiegen wird, dass wir alle uns einmal vor dem ewigen Richter verantworten müssen).
Besinnen wir uns also wieder neu auf das, was Reformation eigentlich ist: Nicht Renovierung kirchlicher Formen, nicht eine innerkirchliche Revolution zum Zweck der Anbiederung an eine veränderte Gesellschaft, sondern Rück-Formung, Rück-Besinnung auf das eine, alte, klare, biblische, göttliche, rettende Evangelium vom Sünderheiland Jesus Christus! Amen.
PREDIGTKASTEN |