Beten nach Gottes Willen

Predigt über 1. Johannes 5,14-15 zum Sonntag Rogate

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es gibt unzählige herrliche Geschichten darüber, wie Gott Gebete erhört. Da haben Menschen in Lebensgefahr zu Gott geschrien, und er hat sie errettet. Da wurden Kranke von den Ärzten schon aufgegeben, aber ihre Gebete oder die Fürbitten ihrer Lieben haben sie wieder gesund gemacht. Auch die Bibel enthält viele solcher Geschichten, und die christliche Literatur zu diesem Thema ist uferlos. Viele Christen können aus ihrer eigenen Erfahrung von erstaun­lichen Gebets­erhörungen berichten; auch ich könnte das. Wir haben einen wunderbaren Gott, der unsere Stimme hört und uns hilft. Immer wieder erfüllt sich, was der Apostel Johannes schrieb: „Wenn wir wissen, dass er uns hört, worum wir auch bitten, so wissen wir, dass wir erhalten, was wir von ihm erbeten haben.“ Ja, so ist es: Gott hört nicht nur unsere Bitten, sondern er erfüllt sie auch.

Nun gibt es aber neben den vielen wunderbaren Geschichten über Gebets­erhörungen auch Geschichten über nicht erfüllte Bitten. Sie werden kaum je erzählt oder in Büchern auf­geschrieben. Die Bibel allerdings ist so ehrlich, dass sie auch solch eine Geschichte enthält: Paulus hatte angesichts einer chronischen Krankheit mehrfach zu Gott um Heilung gefleht und musste trotzdem mit ihr weiterleben (2. Kor. 12,6-9). Paulus akzeptierte das und ließ sich an Gottes Gnade genügen, aber viele Menschen akzeptieren so etwas nicht. Gerade unerfüllte Gebets­anliegen sind es, die Christen anfechten und die manche Menschen sogar völlig verzweifeln lassen an Gott. Solche Geschichten werden, wie gesagt, kaum erzählt und stehen nicht in frommen Büchern, aber sie sind in vielen verwundeten Herzen auf­geschrieben.

Heute, am Sonntag Rogate, dem Sonntag der betenden Gemeinde, wollen wir uns einmal ausführlich mit dem Thema der Gebets­erhörung beschäftigen – und natürlich auch mit dem Thema der ver­meintlichen Nicht-Erhörung von Gebeten. Für das Letztere gibt es durchaus gute Gründe. Zum Beispiel hat Gott damals das Gebet des Paulus nicht erhört, damit er lernt, sich an Gottes Gnade genügen zu lassen und zu erkennen, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist. Aus erziehe­rischen Gründen hat Gott ihn nicht gesund werden lassen; es war eine Glaubens­lektion sowohl für ihn selbst als auch für alle Christen, die davon hören oder lesen. Genau genommen müssen wir sagen: Gott hat Paulus damals noch nicht gesund werden lassen; in der ewigen Seligkeit ist Paulus dann natürlich wieder vollkommen gesund. Gott erfüllt also durchaus die Bitte des Paulus, aber er zögert diese Erfüllung aus erziehe­rischen Gründen hinaus. Für solches Hinauszögern gibt es weitere Beispiele in der Bibel sowie auch in unserer christlichen Erfahrung. Zum Beispiel wissen wir von Isaak, dass er nach seiner Hochzeit mit Rebekka zwanzig Jahre lang um Kindersegen bat, bevor sie endlich schwanger wurde. Mit solchem Hinauszögern von Gebets­erhörungen lehrt Gott uns geduldiges Hoffen und Warten.

Aber nun gibt es tatsächlich menschliche Bitten, die Gott überhaupt nicht erfüllt. Es wäre auch unsinnig von Gott zu erwarten, dass er alles so gibt und tut, wie Menschen es haben wollen. Wie oft haben sich in der Vergangen­heit Heere christlicher Fürsten feindlich gegenüber­gestanden, und beide haben um den Sieg gebetet! Gewinnen konnte immer nur die eine Seite. Oder was ist, wenn der eine Garten­besitzer um Regen bittet für seinen halb ver­trockneten Rasen, der andere Garten­besitzer aber um Sonnenschein für seine Grillparty? Und wie ist das mit Fußballfans, die alle für den Sieg ihrer Mannschaft beten? Gott muss nicht alle Gebete erhören. Was aber ist dann mit seiner Verheißung, „dass wir erhalten, was wir von ihm erbeten haben“, wie der Apostel Johannes schreibt?

An dieser Stelle ist es wieder einmal wichtig, auf den Zussammen­hang zu achten. Johannes hat nämlich kurz vorher gesagt: „Wenn wir um etwas bitten nach seinem Willen, so hört er uns.“ Auf diesen Zusatz „nach seinem Willen“ müssen wir besonders achten. Er ist so wichtig, dass Jesus ihn als eine der sieben Bitten ins Vaterunser aufgenommen hat: „Dein Wille geschehe.“ Und er ist so wichtig, dass Jesus am Abend vor seiner Hinrichtung in Todesangst zu seinem Vater gebetet hat: „Nicht, was ich will, sondern was du willst!“ (Markus 14,36) Wenn wir möchten, dass Gott unsere Gebete erhört, dann müssen wir lernen, nach seinem Willen zu beten. Wenn wir bloß irgendwas erbitten nach unserm eigenen Willen, dann kann es passieren, dass Gott uns diese Bitte ausschlägt. Die biblischen Verheißungen zur Gebetser­hörung bedeuten nämlich nicht, dass wir in jedem Fall unsern menschlichen Willen beim himmlischen Vater durchsetzen können. Das Gebet ist kein Wunsch­automat.

Was bedeutet es also, nach Gottes Willen zu beten? Wie können wir Gottes Willen erkennen? Was will Gott denn wirklich?

Manche frommen Leute meinen, kein Mensch könne Gottes Willen kennen. Gott ist ewig, allmächtig und allweise, wie sollten wir sterblichen Geschöpfe ihn denn verstehen können? Viele beten auch die dritte Vaterunser-Bitte mit diesem Verständnis: „Dein Wille geschehe“ – was auch immer du dir in deinem un­ergründ­lichen Ratschluss vorgenommen hast, lieber himmlischer Vater! Da ist etwas Wahres dran – und doch können wir mehr wissen von Gottes Willen. Wenn Gottes Wille völlig verborgen wäre, dann machte die Aufforderung des Johannes ja keinen Sinn, nach seinem Willen zu bitten. Wie soll man nach Gottes Willen bitten, wenn man diesen Willen gar nicht kennt?

Einiges von Gottes Willen ist uns durchaus bekannt, zum Beispiel Gottes Schöpfer­wille. Der Schöpfer hat uns Menschen den Auftrag gegeben, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Er hat uns als Mann und Frau geschaffen und die Fähigkeit verliehen, Kinder zu zeugen. Er hat uns auch ein Gewissen geschenkt, mit dem wir erkennen können, was gut und böse ist. Seine Gebote in der Bibel führen uns seinen Schöpfer­willen deutlich vor Augen: Er will, dass wir uns unter­einander achten und Gutes tun, ein jeder mit den Gaben und an der Stelle, wo Gott ihn hingestellt hat. Dabei sollen wir zugleich auch den Schöpfer selbst ehren und ihm dankbar sein. Ja, das ist Gottes un­missverständ­lich klarer Wille; er ist nicht schwer zu verstehen. Wenn wir ihn also darum bitten, dass er uns den guten Weg seiner Gebote weist in unserm Leben, dann bitten wir nach seinem Willen.

Aber un­glücklicher­weise sind wir wie bockige Kinder und setzen uns immer wieder über den guten Schöpfer­willen des himmlischen Vaters hinweg. Diesen Ungehorsam muss er strafen, denn er ist ein gerechter Gott. So erfahren wir als Sünder auch Gottes strafenden Willen. Schon zu Noahs Zeiten machte er offenbar: „Siehe, ich will sie verderben“ (1. Mose 6,13). Gottes Strafwille gegen Sünder zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Bibel und kann uns ganz schön erschrecken. Damit hängt zusammen, dass Gott nicht alle Bitten um ein schmerz‑ und sorgenfreies Leben erfüllt. Auch diese dunkle Seite Gottes müssen wir zur Kenntnis nehmen und sie anerkennen, wenn wir beten. So bekennen wir unsere Sünden, wenn wir nach seinem Willen beten, und geben zu, dass wir seine Zuwendung nicht verdient haben.

Gott ist ein gnädiger Gott. „Sein Zorn währt einen Augenblick, aber lebenslang seine Gnade“ (Psalm 30,6). Darum hat er uns auch seinen Heilswillen offenbart. Er hat es durch seinen Sohn Jesus Christus getan, das Fleisch gewordene Wort. Gott will dem Sünder gnädig und barmherzig sein; er will ihm vergeben. Der Apostel Paulus hat es mit diesem Satz auf den Punkt gebracht: „Gott will, dass allen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Tim. 2,4). Darum hat Jesus uns die Bitte um den Heiligen Geist besonders ans Herz gelegt, und die Mehrzahl der Vaterunser­bitten handelt von Gottes Erlösung und Reich.

„Wenn wir um etwas bitten nach seinem Willen, so hört er uns“, hat der Apostel Johannes geschrieben. Beim Beten müssen wir auf Gottes Willen achten – also auf das, was er uns selbst von seinem Willen offenbar gemacht hat: auf seinen Schöpfer­willen, auf seinen Strafwillen und vor allen Dingen auf seinen Heilswillen in Jesus Christus. Es geht beim Beten nicht darum, dass wir unseren Willen bei Gott durchsetzen, sondern es geht beim Beten darum, dass sich Gottes Wille bei uns durchsetzt. Wenn wir die Bitte „Dein Wille geschehe“ verstanden haben und wenn wir sie beherzigen, dann werden wir erleben, wie wunderbar Gott Gebete erhört und Bitten erfüllt. Und das Wichtigste: Unser menschlicher Wille kommt dann mit Gott in Einklang; dadurch wird unsere Beziehung zu ihm gestärkt. So erfüllt sich Gottes letzter Wille an uns, wie er in der Heiligen Schrift mehrfach zum Ausdruck kommt: „Ich will dich segnen“, und: „Ich will dir nahe sein“.

Manchmal ist vom Gebetskampf der Christen die Rede. Ja, Gebet kann auch etwas Kämpfe­risches haben, wenn wir in großer Not zu Gott rufen und flehen. Aber es ist kein Kampf gegen Gott, sondern ein Kampf gegen den, der Gottes Werke stören und letztlich zerstören will. Gott aber und die Gläubigen sollen im Gebetskampf nicht Gegner, sondern Verbündete sein. Noch einmal: „Wenn wir um etwas bitten nach seinem Willen, so hört er uns.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2018.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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