Sünde sondert aus, Vergebung verbindet

Predigt über 3. Mose 16,20-22 zum Karfreitag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir haben eben einen Abschnitt aus Gottes Gesetz für den Jom Kippur gehört, den Großen Versöhnungs­tag. Jedes Jahr im Herbst sollte das Volk Israel ihn nach Gottes Willen feiern. Dazu gehört das beschriebene Ritual: Der Hohepriester legt einem Ziegenbock die Sündenschuld des ganzen Volkes auf, und dann wird dieser Sündenbock in die Wüste gejagt. An dem Ritual wird deutlich: Sünde sondert aus; sie gehört nicht in die Gemeinschaft der Menschen, sie gehört in die Wüste. Der mit Sündenschuld belastete Bock hat bei Gottes Volk nichts zu suchen.

Ja, Sünde sondert aus – das leuchtet uns auch heute noch ein. Wenn randa­lierende Jugendliche einen Jugendclub zerlegen oder wenn Ladendiebe in einem Supermarkt stehlen, dann bekommen sie Hausverbot. Wenn ein Ehemann heimlich ein Verhältnis mit einer anderen Frau hat und seine Ehefrau dahinter kommt, dann muss er damit rechnen, dass sie ihn hinauswirft und sich unter Umständen dauerhaft von ihm trennt. Wenn Ausländer in Deutschland straffällig werden, ist das ein allgemein anerkannter Grund, sie ab­zuschieben. Sünde sondert aus. Auch Straf­gefangene sind Aus­gesonderte. Sie sind im Gefängnis eingesperrt, aber das bedeutet eigentlich: Sie sind ausgesperrt von der Gesell­schaft, ausgesperrt von der Teilhabe am normalen Leben. Auch die Todesstrafe, die es früher in den meisten Ländern gab, funktioniert nach diesem Prinzip: Wer mordet oder eine andere schwere Schuld auf sich lädt, der hat unter den Lebenden nichts mehr zu suchen. Denn Sünde sondert aus – in diesem Fall endgültig. Im Alten Testament können wir zur Begründung der Todesstrafe wiederholt lesen, dass die Missetäter „aus­gerottet“ werden sollen aus Gottes Volk; sie dürfen nicht mehr dazugehören.

Bereits die ersten Menschen wurden wegen ihrer Sünde aus­gesondert. Weil sie Gottes Gebot übertreten hatten, warf Gott sie aus dem Paradies hinaus. Die enge und herzliche Gemeinschaft mit Gott war nun vorbei. Weil Adam und Eva mit Sünde belastet waren, mussten sie künftig in der Wüste einer leid­geplagten und todgeweihten Welt leben.

Und nun blicken wir auf den Ge­kreuzigten. Auch er war ein Aus­gesonderter. Der Hohe Rat hatte ihn zum Tode verurteilt, und der römische Statthalter Pontius Pilatus hatte das Todesurteil bestätigt. Die Hinrichtungs­stätte Golgatha befand sich außerhalb von Jerusalem – zum Zeichen dafür, dass Übeltäter nicht mehr dazugehören. Deshalb musste Jesus sein Kreuz aus der Stadt hinaus an diese Schädel­stätte tragen. Dort nagelte man ihn fest, richtete das Kreuz auf und erhöhte ihn so über die Köpfe der Schau­lustigen. Auch das war eine Art von Aus­sonderung: Owohl Jesus dort von vielen Menschen umgeben war, hing er doch einsam oben am Kreuz. Das Schlimmste aber blieb unsichtbar, verborgen in der Seele des Herrn: Er bekam zu spüren, was es heißt, gänzlich ausgestoßen und verlassen zu sein – nicht nur von den Menschen, sondern auch von seinem himmlischen Vater. Diese dunkle Wolke, die für Stunden sein Herz einhüllte, entlud sich schließlich in dem Schrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“

Sünde sondert aus. Bei Jesus waren es nicht eigene Sünden, sondern fremde Sünden, die ihn von Gott und den Menschen trennten. „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen“, weissagte der Prophet Jesaja von ihm, und: „Er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zer­schlagen.“ Und schließlich: „Er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war“ (Jes. 53,4-5.8). So wurde Jesus zu unserem Sündenbock: All unser Fehl­verhalten hat Gott ihm aufgelegt und ihn dann in die Wüste des Todes gejagt. Wie beim jährlichen großen Versöhnungs­tag das Volk Israel seine Schuld vergeben bekam, so hat Jesus ein für alle Mal die Schuld der Menschheit weggetragen in die Wüste des Todes. Der Karfreitag ist Gottes ganz großer Versöhnungs­tag für alle Menschen.

Sünde sondert aus, aber Vergebung verbindet. Sünde belastet, aber Vergebung entlastet. Jesus hat die ganz große Gott­verlassen­heit auf sich genommen, damit sie uns erspart bleibt. Jesus hat sich in die Wüste des Todes schicken lassen, damit wir darin nicht verenden müssen. Jesus hat sich zu unserem Sündenbock gemacht – freiwillig, aus Liebe zu uns und zu seinem Vater. Wie ein Blitz­ableiter hat er Gottes Strafgericht auf sein Haupt gezogen, damit wir verschont bleiben. Wie ein Opferlamm hat er sich schlachten lassen, um nach alt­testament­lichem Vorbild Sühne zu wirken durch sein Blut. Er hat die Feuertaufe des Todes über sich ergehen lassen, vor der ihm sehr bange war, und hat damit dem Wasser unserer Taufe die Kraft gegeben, alle unsere Schuld abzuwaschen. Er hat sich wie ein un­brauchbarer Mauerstein wegwerfen lassen und ist dadurch zum Eckstein geworden, zum stabilen Fundament für das Lebenshaus aller, die an ihn glauben. Er hat den Tempel seines Leibes abreißen lassen, damit die Gemeinde der Heiligen als sein Leib und sein Tempel neu aufgebaut werden kann. Sein Lebensfaden ist zerrissen wie der Vorhang vor dem Aller­heiligsten in seiner Todesstunde, damit Sünder nicht draußen bleiben müssen, sondern freien Zugang zu Gott erhalten. Ja, Sünde sondert aus, aber Vergebung verbindet.

Das durften in ältester Zeit bereits die Menschen erfahren, als sie aus dem Paradies hinaus­geworfen wurden. Da kündigte Gott ihnen nämlich schon an, dass der Menschensohn zwar am Gift der teuflischen Schlage stirbt, dieser Schlange aber zugleich den Kopf zertritt und sie damit unschädlich macht. Die Hoffnung darauf hat viele Menschen in den Jahr­hunderten vor Jesu Kommen begleitet und sie in dem Glauben bestärkt, dass die bitteren Folgen der Sünde nicht endgültig sind. Immer deutlicher zeichnete sich dann im Verlauf der Geschichte des Volkes Israel ab: Gottes Vergebung verbindet, und diesen Segen wird der kommende Erlöser bringen.

Liebe Brüder und Schwestern, heute haben wir Gewissheit, dass dieser Erlöser wirklich gekommen ist. Durch seinen Tod am Kreuz hat er die Voraus­setzung dazu geschaffen, dass unsere Sünden vergeben werden. Durch die Taufe sind dann alle unsere Sünden abgewaschen worden. Die Taufe bezeugt uns: Du bist nun nicht mehr belastet, sondern entlastet. Du bist nun nicht mehr ausgestoßen aus Gottes Reich, sondern du gehörst dazu. Du brauchst nicht mehr in der Wüste des Todes zu verenden, sondern du darfst in Gottes himmlisches Paradies kommen. Der Zugang dorthin ist nicht mehr versperrt, sondern Christus hat ihn dir eröffnet.

Wir haben es nun nicht mehr nötig, fremde Sündenböcke zu suchen, um ihnen unsere Schuld in die Schuhe zu schieben. Vielmehr können wir offen und ehrlich mit unserer Schuld umgehen. Wir können sie vor Gott und den Menschen bekennen und müssen dabei keine Angst haben, dass sie uns zum Verhängnis wird. Denn Jesus hat sich ja freiwillig zu unserm Sündenbock gemacht und sich alle unsere Schuld auf seinen Kopf legen lassen, so wie der Hohepriester am großen Versöhnungs­tag die Sünden Israels auf den Kopf des Ziegenbockes legte. Wenn wir in der Beichte unsere Sünden vor Gott bekennen und wenn dann der Pastor im Namen Gottes seine Hände auf unseren Kopf legt, dann geschieht deswegen genau das Gegenteil: Unsere Sündenschuld wird uns abgenommen. Wir werden entlastet und gewiss gemacht, dass wir Gottes geliebte Kinder sind und Anteil haben an seinem Reich. Ja, Vergebung verbindet.

Wir können nun befreit aufatmen. Wir kommen frei aus dem Gefängnis unserer Schuld; wir können unbeschwert teilhaben an der Gemeinschaft mit Gott und mit unseren Mitmenschen. Diese Freiheit hat Christus uns geschenkt mit seinem Tod am Kreuz. Das ist die echte und eigentliche christliche Freiheit, die Freiheit der Gotteskinder – nichts anderes. Wir sind mit Gott versöhnt in Zeit und Ewigkeit. Ja, Sünde sondert aus, aber Vergebung verbindet. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2018.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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