Von der Anfeindung

Predigt über Psalm 143,1-4 in einer Passionsandacht

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wohl dem, der keine Feinde hat. Ihm bleibt viel Angst und Ärger erspart. Dem König David erging es anders: Er wurde von Menschen verfolgt, die ihm nach dem Leben trachteten. Diese Feindschaft machte ihn geradezu körperlich krank. In dieser Situation dichtete er den 143. Psalm als Hilferuf zu Gott. David betete: „Mein Geist ist in Ängsten, mein Herz ist erstarrt in meinem Leibe.“ Ja, starr vor Schrecken kann ein Mensch werden, wenn er heftige Feindschaft erlebt. Auch der Geist erstarrt dann, die Gedanken drehen sich im Kreis und lassen sich nicht mehr vernünftig ordnen.

Nun gibt es aber auch noch andere Feind­schaften als die aggressiv-mord­lüsterne, die David erlebte. Es gibt heimliche Feindschaft von Leuten, die freundlich tun. Zu DDR-Zeiten waren viele Stasi-Mitarbeiter solche heimlichen Feinde; auch Kollegen am Arbeitsplatz können so sein. Wenn die Maske der Freundschaft fällt und die verborgene Feindschaft zutage tritt, dann ist das eine besonders bittere Erfahrung. Es gibt auch passive Feinschaft; sie äußerst sich in kalter Gleich­gültigkeit. Wer auf die Hilfe anderer angewiesen ist und dann solche passive Feindschaft erlebt, der fühlt sich verraten und verkauft. Und dann gibt es noch die anonyme Feindschaft einer ganzen Gruppe: Es kann eine Clique sein oder eine politische Partei oder auch ein ganzes Volk – gefühlt oder auch real belastet diese feindliche Gruppe ihr Opfer schwer durch Mobbing, durch körperliche Gewalt oder auch durch angemaßte Staats­gewalt.

Ganz besonders hatte unser Herr Jesus Christus unter Anfeindung zu leiden; sie war ein ent­scheidender Teil seiner Passion. Die Soldaten der Tempelgarde und die Soldaten des Pontius Pilatus waren aggressive Feinde: Sie miss­handelten ihn und verspotteten ihn. Der Hohepriester Kaiphas war ein mord­lüsterner Feind; er wollte Jesus um jeden Preis umbringen. Judas Iskariot ist das typische Beispiel für einen heimlichen Feind; noch im Akt des Verrats tat er freundlich und gab Jesus einen Begrüßungs­kuss. Der römische Statthalter Pontius Pilatus begegnete Jesus mit passiver Feindschaft; es war ihm letztlich egal, was aus diesem angeblichen König der Juden wurde; so kam es, dass er ihn zur Hinrichtung freigab, ohne dass er dafür eine triftigen Grund gefunden hätte. Auch die anonyme Feindschaft der Gruppe musste Jesus erleiden: Der ganze Hohe Rat der Juden war gegen ihn – wenn auch einzelne darin durchaus Sympathien für ihn hegten. Und die ganze Volksmenge schrie aufgebracht: „Kreuzige ihn!“ – wenn sie auch nur von wenigen dazu aufgehetzt worden war.

So vielfältig wir die Feinde Jesu und auch Feinde im allgemeinen beschreiben können: Dahinter steckt eigentlich immer nur ein einziger Feind, der „altböse Feind“. So heißt es im 143. Psalm: „Der Feind verfolgt meine Seele.“ Und der Apostel Paulus hat fest­gestellt: „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel“ (Epheser 6,12). Der Teufel und sein Gefolge steckt hinter aller menschlichen Feindschaft. Das ist wichtig zu bedenken, wenn wir in den Psalmen oft von Hass‑ und Rache­gedanken gegenüber Feinden lesen: Eigentlich ist immer Satan gemeint. Der steckte auch hinter allen An­feindungen, die Jesus erlitt.

Jesus nannte den altbösen Feind einen Lügner und Mörder (Joh. 8,44). Er belügt uns Menschen, indem er den Anschein erweckt, dass es gut für uns ist, wenn wir uns über Gottes Gebote hinweg­setzen. Wenn wir das dann wirklich tun, besteht er darauf, dass Gott seine Drohung wahr macht und wir dann wirklich und endgültig sterben. So erweist sich der Teufel als Mörder: Er will uns in das tödliche Verderben ziehen, das ihm selbst bestimmt ist. Wir können das als tieferen Sinn aus unserem Predigttext heraushören: „Der Feind verfolgt meine Seele und schlägt mein Leben zu Boden, er legt mich ins Finstere wie die, die lange schon tot sind.“ Das „Finstere“ meint hier das Schatten­reich, das Reich der Toten, die Hölle. Auch der Psalmbeter weiß, dass dies das verdiente Strafgericht über jeden Sünder ist, und bittet Gott deshalb: „Geh nicht ins Gericht mit deinem Knecht; denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht.“

Nun stellt sich die Frage: Wie konnte denn der Satan Jesus angreifen? Er hatte mehrmals versucht, Jesus zur Sünde zu verführen, aber er hatte stets eine Abfuhr erhalten. Jesus ist der eine Gerechte geblieben und hat deshalb nicht Gottes Zorngericht verdient. Wie konnte es da geschehen, dass der Teufel mit seinen Mordplänen Jesus dennoch anfeindete – und dabei sogar Erfolg hatte? Es ist nur so zu erklären, dass Jesus, der Gerechte, stell­vertretend unsere Un­gerechtig­keit auf sich nahm und dadurch zum angreifbaren Ungerechten wurde. Der Apostel Paulus hat es so formuliert: „Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht“ (1. Kor. 5,21). So konnte der Teufel ihn verklagen und in Gottes Zorngericht geraten lassen. So hat die alte Schlange den Menschensohn „in die Ferse gestochen“. Da wurde es um das „Licht der Welt“ plötzlich ganz finster; zum Zeichen dafür zog tatsächlich eine Finsternis auf, als Jesus am Kreuz hing. Und so gelten die Worte des verfolgten Sünders nun für den Herrn selbst: „Der Feind verfolgt meine Seele und schlägt mein Leben zu Boden, er legt mich ins Finstere wie die, die lange schon tot sind. Und mein Geist ist in Ängsten, mein Herz ist erstarrt in meinem Leibe.“

Man könnte nun fragen: Ist der Teufel denn so dumm, dass er nicht gemerkt hat, wie er mit seiner Feindschaft gegen Jesus gerade das Gegenteil bewirkt? Gerade der Tod Jesu ist es doch, der uns vor den Nach­stellungen des Teufels errettet! Den Nachteil davon hat der Teufel selbst, wie es in der ältesten Weissagung heißt: Der Menschensohn „soll dir den Kopf zertreten, aber du wirst ihn in die Ferse stechen“ (1. Mose 3,15). An Satan bewahrheitet sich damit, was das bekannte biblische Sprichwort sagt: „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.“ Natürlich war dem Satan das bewusst. Satan weiß schon längst, dass er besiegt und von Gott gerichtet ist. Aber das ist das merkwürdige Verhalten aller, die in den Sog des Bösen geraten: Auch wenn sie wissen, dass sie verloren sind, hören sie nicht auf, sondern jagen desto verbissener dem Untergang zu und versuchen, möglichst viele andere mitzureißen. So war das 1945 bei Adolf Hitler gewesen, und so war das am Karfreitag bei Satan: Seine mörderische Feindschaft gegen Jesus wurde ihm selbst zum Untergang.

Wir aber, liebe Brüder und Schwestern, sind dabei die Gewinner. Wir haben Anteil an dem Sieg unsers Herrn Jesus Christus. Wenn wir beten: „Geh nicht ins Gericht mit deinem Knecht“, dann bekommen wir durch seinen Tod und seine Auferstehung die Gewissheißt, dass Gott uns erhört. Wenn der Teufel uns wegen unserer Sünde bei Gott verklagt, kommt er damit nicht durch, denn der Gerechte ist für uns zum Ungerechten geworden, damit wir Ungerechte gerecht werden. Der altböse Feind kann unser Leben nicht mehr zu Boden schlagen und uns nicht ins finstere Totenreich verbannen, denn Christus schenkt uns das ewige Leben. Damit ist die Hauptsorge und Hauptangst, die über jedem Menschen­leben schwebt, grundlos geworden; wir können aufatmen und unbelastet leben. Zwar mögen uns in dieser Welt dabei noch ein paar Feinde stören und ärgern, aber der eine Feind hinter allen Feinden hat keine Macht mehr über uns. Diese Erkenntnis gibt uns viel Grund zum Loben und Danken. Diese Erkenntnis schenkt uns zugleich Gelassenheit im Umgang mit unseren menschlichen Feinden – bis dahin, dass wir nach dem Vorbild unsers Herrn fähig werden, liebevoll an ihnen zu handeln. Und wenn wir mit Anfeindungen gelassen umgehen und unsere Feinde lieben, dann können wir Friedens­stifter sein, wie Jesus sagte: „Selig sind die Fried­fertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2018.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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