Sehnsucht nach Gottes Gnade

Predigt über Psalm 130,5-7a zum Aschermittwoch

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Titelbild unseres aktuellen Gemeinde­briefs zeigt eine junge Frau, die gerade ein Aschekreuz auf ihre Stirn gezeichnet bekommt. Dieses Symbol des Ascher­mittwochs, heißt es im Text, bezeichnet mit der Asche die Reue über Sünden und mit dem Kreuz das Vertrauen in den gekreuzigten Heiland, durch den sie vergeben werden. Reue und Vertrauen – das ist letztlich das Ent­scheidende am Ascher­mittwoch. Findet man unter Gottes Wort zu Reue und zum Vertrauen, dann kann man auf das äußere Symbol des Aschekreuzes auch verzichten.

Nun las ich gestern in der Zeitung von einem Angebot, bei dem es genau umkehrt ist: nicht Gottesdienst ohne Symbol wird da angeboten, sondern Symbol ohne Gottes­dienst. Die Notiz lautet: „Erstmals gibt es zum Beginn der Fastenzeit das Aschekreuz ‚to go‘. Ein City-Seelsorger verteilt es am Ascher­mittwoch an einem Stand am Dom in Essen an Gläubige, die keinen Gottesdienst besuchen können.“ Aschekreuz „to go“ – das passt in unsere schnell­lebige Zeit! Man hat keine Zeit, zur Kirche zu gehen, auf Gottes Wort zu hören und das eigene Leben im Spiegel von Gottes Wort zu betrachten, aber man möchte doch im Vorübergehen ein bisschen was von der Ascher­mittwochs-Einkehr mitnehmen, so wie man sich bei ver­schlafenem Frühstück doch wenigstens noch einen Kaffee „to go“ auf den Weg zur Abeit mitnimmt.

Liebe Brüder und Schwestern, es besteht die Gefahr, dass wir hier im heutigen Ascher­mittwochs­gottesdienst mit einer gewissen phari­säischen Genugtuung an das Aschekreuz „to go“ denken sowie an die Herzens­haltung derer, die von diesem Angebot Gebrauch machen. Deswegen habe ich die Zeitungs­notiz aber nicht vorgelesen. Es geht nämlich bei dieser Predigt wie immer ganz altmodisch darum, dass wir uns über unsere eigene Herzens­haltung Gedanken machen sollen. Hand aufs Herz: Ist die denn wirklich so ganz anders, nur weil wir uns hier im evangelisch-lutherischen Ascher­mittwochs­gottesdienst befinden, nicht an der Aschekreuz-„to go“-Bude in Essen? Finden wir einen Segen „to go“ nicht eigentlich auch ganz sympatisch? Also einen göttlichen Segen, den man ohne viel Umstände in das normal dahin­plätschernde Alltagsleben mitnehmen kann, gleichsam wie in einem Pappbecher? Einen Segen, wo sich nichts ändern muss in meinem Leben, wo man aber das gute Gefühl bekommt, dass Gott irgendwie mit von der Partie ist?

Wenn wir uns bei solchen Gedanken ertappen, dann sind wir beim Kern unserer eigenen Sünde angelangt. Denn solche Gedanken entlarven, dass wir nicht den einen wahren Gott und Herrn suchen, um ihn von ganzem Herzen und mit allen Kräften zu lieben und zu ehren, sondern dass wir einen Götzen haben wollen, einen Glücks­bringer, ein Maskottchen, der uns unser Leben nur ein bisschen schöner und glücklicher machen soll, oder wenigstens etwas leichter. Ja, hier sind wir beim Kern unserer Sünde angelangt, bei der tiefen Entfremdung zwischen Schöpfer und Geschöpf.

„Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“, so beginnt der sechste Bußpsalm, der 130. Psalm. Genau die Tiefe eines sünden­versuchten Herzens ist gemeint. „Wenn du, Herr, Sünden anrechnen willst – Herr, wer wird bestehen?“ Das ist der verzweifelte Hilfeschrei der Reue; das ist gewisser­maßen die Asche, die ich vor Gott über mein Haupt streue. Aber dann ändert sich etwas; die Verzweiflung weicht; Hoffnung keimt; auf der Asche zeichnet sich das Kreuz ab: „Bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte.“

Diese Wende und dieses hoffnungs­volle Vertrauen kommt in den folgenden Sätzen wunderbar zum Ausdruck, mit einem wunderbaren Bild: „Ich harre des Herrn, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort. Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen; mehr als die Wächter auf den Morgen hoffe Israel auf den Herrn!“ Den Nacht­wächtern auf Jerusalems Stadtmauer zur Zeit des Königs David ging es nicht anders als den vielen Menschen heute, die Nachtschicht haben und die sich über die schwierigen Stunden vor dem Morgengrauen hinwegquälen müssen. Die Altenpfleger und Kranken­schwestern wissen es, ebenso die Wachschutz­leute und die Bereitschaftspolizei: Der tote Punkt kommt gegen zwei oder drei Uhr morgens. Manchmal hilft dann nur ein Kaffee „to go“, um sich wach zu halten. Besonders schlimm ist der Wachdienst im Freien in der kalten Jahreszeit: Die Kälte dringt tief unter die Haut; der Minuten­zeiger will sich kaum vom Fleck bewegen. Ja, da harren die Wächter, da müssen sie beharrlich sein, da können sie nichts tun als warten – bis sich endlich die ersten Strahlen der Morgen­dämmerung am Osthimmel zeigen.

„Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen.“ Wer seine Sünde in ihrem wahren Ausmaß erkennt, hat keinen größeren Wunsch, als sie los zu werden. Beharrlich hält er an dieser Hoffnung fest. Diese Hoffnung ist kein ungewisser Wunschtraum, sondern eine gewisse Zuversicht. So wahr sich auch nach dunkelster Nacht irgendwann der Morgen zeigt, so wahr wird Gott meine Sünden vergeben und mein durch­frorenes Herz mit den Strahlen seiner Gnadensonne wärmen. Er tut es durch das Wort des Evangeliums und durch Jesus, das Fleisch gewordene Wort. Hoffen, harren und warten auf Gott und seine Hilfe ist darum gleich­bedeutend mit hoffen, harren und warten auf sein Wort. „Ich harre des Herrn, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort.“

Buße ist ein Wendepunkt, ein Neuanfang. Wer seine Sünde bereut und Gott vertraut, der schaut nach vorn – sehnsüchtig, beharrlich, wartend, hoffend – wie Nachtdienst­leistende auf den Anbruch des Morgens. Der Ascher­mittwoch gibt diesem Wendepunkt einen Platz im Kirchenjahr. Wir erkennen unsere Sünde und schauen sehnsüchtig nach vorn. Wir stehen am Anfang von sieben Wochen, in denen uns das Leiden und Sterben des Herrn Jesus Christus wieder besonders bewusst werden soll. Da hat er für unsere Sünden bezahlt, da hat er uns Anlass zum Hoffen und Harren gegeben. Seinetwegen haben wir die Gewissheit, dass die Nacht unserer Sünden nicht endlos ist, sondern dass uns Gottes Gnadensonne neu aufgehen wird. Und so können wir in die Passionszeit gehen mit dem getrosten Wissen, dass danach dann der strahlende Ostermorgen auf uns wartet. Ja, lasst uns diese Zuversicht mitnehmen in die vor uns liegenden Wochen der Passionszeit – gewisser­maßen als Hoffnung „to go“: als Hoffnung, die uns überallhin begleitet. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2018.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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