Wer hat was von der Taufe?

Predigt über Titus 3,4-6 zum Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Mit diesem Gottesdienst neigt sich die diesjährige Männerrüste unseres Kirchen­bezirks dem Ende zu. Sie steht unter dem Thema: „Refomation: anders als vorher – anders als heute“. Dieses Thema hat viele Gesichts­punkte, und es lässt sich auch auf die Taufe beziehen. Vor der Reformation hielten viele die Taufe für ein magisches Ritual, für eine Art religiöse Schutz­impfung, die vor Krankheiten und Unglücks­fällen aller Art bewahrt. Heute halten viele die Taufe für einen Bekenntnis­akt, mit dem jemand seinen christlichen Glauben und seinen Eintritt in die Christenheit bezeugt. Martin Luther und die Reformation sahen es anders – anders als die Mehrheit heute und auch anders als die Mehrheit im Mittelalter. Die Reformatoren wollten nämlich nur das über die Taufe glauben und lehren, was Jesus und die Bibel darüber sagen.

In einem Vorgespräch zum heutigen Gottesdienst ist der Leiter der Wochenend­rüste mit mir überein­gekommen, diesen Gesichts­punkt der Taufe in der Predigt zu behandeln. Vielleicht denkt jetzt der eine oder andere, dass das nicht zum Ende des Kirchen­jahres passt, an dem wir uns gerade befinden. Ich kann das nach­vollziehen: Die Taufe steht ja am Anfang eines Christen­lebens, der Jüngste Tag und Gottes Gericht aber am Ende. Doch wenn wir uns näher mit der Tauflehre der Bibel und dann auch der Reformation be­schäftigen, werden wir merken: Die Taufe ist mehr als der Startpunkt für ein Christen­leben; sie betrifft das ganze Christen­leben zwischen Start und Ziel. Insofern ist es am Ende des Kirchen­jahres doch nicht ganz unpassend, einmal diesen großen Bogen von Anfang bis Ende, vom Start bis zum Ziel zu spannen. Lasst uns das jetzt tun mit der Frage: Wer hat was von der Taufe?

Das Gotteswort aus dem Titusbrief, das wir in dieser Predigt besonders betrachten, gibt eine kurze und klare Antwort. Allerdings müssen wir diese Antwort erst einmal „aus­wickeln“, denn sie ist eingewickelt in einen längeren Satz, der auf den ersten Blick etwas kompliziert erscheint. Nach dem Auswickeln aus allerlei Nebensätzen bleibt ein kurzer Hauptsatz übrig: „Gott machte uns selig.“ Er tat das aus purer Barm­herzigkeit, und er tat es durch das „Bad der Wieder­geburt“, also durch die Taufe. „Gott machte uns selig“ – das ist die kurze und klare Antwort der Bibel auf die Frage: Wer hat was von der Taufe?

Auf das Fragewort „wer?“ antwortet das Wörtchen „uns“: Wir Christen, die wir getauft sind und an den Heiland Jesus Christus glauben, haben etwas von der Taufe. Daran sehen wir, dass die Taufe nicht magisch oder automatisch wirkt wie eine Schutz­impfung, sondern dass es nötig ist, sie im Glauben anzunehmen. Im Großen Katechismus Martin Luthers lesen wir: „Ohne Glauben nützt die Taufe nichts“, und: „Dadurch, dass du dich allein vom Taufwasser begießen lässt, hast du die Taufe noch nicht zu deinem Segen empfangen“.

Auf das Fragewort „was?“ antwortet die Aussage: „… machte selig.“ Daran sehen wir, dass die Taufe nicht in erster Linie ein menschlicher Bekenntnis­akt ist, sondern Gottes Handeln am Menschen. Im Großen Katechismus hat Martin Luther an Jesu Taufbefehl angeknüpft, wo es heißt, dass die Jünger „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ taufen sollen (Matth. 28,19), und hat geschrieben: „In Gottes Namen getauft werden heißt: nicht von Menschen, sondern von Gott selbst getauft werden. Auch wenn die Taufe durch die Hand eines Menschen vollzogen wird, so ist sie doch in Wahrheit Gottes eigenes Werk.“ So beantwortet die Bibel kurz und klar unsere Frage, wer was von der Taufe hat: „Gott machte uns selig durch das Bad der Wieder­geburt…“

Nun können wir weiter fragen: Was bedeutet denn „selig machen“? Im griechischen Urtext steht da ein Wort, das manchmal mit „retten“ übersetzt wird: „Gott rettete uns.“ Derselbe Wortstamm begegnet uns im Wort „Retter“, das manchmal auch mit „Heiland“ übersetzt wird. Da kommt nun die „Verpackung“ unseres Hauptsatzes ins Bild, also die Nebensätze davor und dahinter. Davor heißt es: „Als aber erschien die Freundlich­keit und Menschen­liebe Gottes, unseres Hei­landes…“ Da wird betont, dass der himmlische Vater unser „Heiland“ ist, also unser Retter und Seligmacher, denn er ließ in seinem eingeborenen Sohn seine Liebe und Freundlich­keit erscheinen und rettete uns auf diese Weise, heilte uns und machte uns selig. Hinter dem Hauptsatz heißt es: „… durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist, den er über uns ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland…“ Da kommt dasselbe Wort noch einmal, diesmal auf Christus bezogen: Der ist unser Retter, Heiland und Seligmacher; der hat den Heilsplan seines himmlischen Vaters ausgeführt. Wenn wir genau auf diesen Nachsatz achten, dann entdecken wir noch einen dritten Retter: Es ist der Heilige Geist, der mit der Taufe über uns ausgegossen wurde und der auf diese Weise die Rettung, die Jesus am Kreuz für die ganze Menschheit erwirkte, uns persönlich zugeeignet hat. Wir sehen: der dreieinige Gott rettete uns, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist; er ist unser Retter, Heiland und Seligmacher. Nun komme ich auf die Frage zurück: Was bedeutet dieses Seligmachen? Martin Luther hat es im Großen Katechismus so formuliert: „Selig werden heißt nichts anderes als von Sünde, Tod und Teufel erlöst sein, in das Reich Christi kommen und mit ihm ewig leben.“ Anders ausgedrückt: Gott rettet, heilt und schenkt die ewige Seligkeit. Gott ist, wie gesagt, unser Retter, Heiland und Seligmacher.

Ich möchte das mit einer kleinen Gleichnis­geschichte ver­anschau­lichen. Manche Menschen feiern zweimal im Jahr Geburtstag: erstens ihren richtigen Geburtstag und zweitens den Tag, an dem sie knapp dem Tod entronnen sind. Nehmen wir an, ein Mensch verunglückt mit seinem Auto. Er ist eingeklemmt und lebens­gefährlich verletzt. Die Feuerwehr kommt und schneidet ihn mit einer Rettungs­schere aus dem Wrack heraus. Rettungs­sanitäter kümmern sich um ihn, legen ihn behutsam auf eine Trage und trans­portieren ihn ins nächste Krankenhaus. Dort kämpfen Ärzte um sein Leben – und sie kämpfen nicht vergebens: Nach und nach heilen die Wunden dieses Menschen. Auf das Krankenhaus folgt die Reha-Klinik: Dort macht man geduldig Physio­therapie und andere Übungen mit ihm, damit seine Gesundheit „re­habili­tiert“, also wieder­hergestellt wird. Nach Wochen und Monaten ist er wieder ganz gesund. Er hat sein Leben neu geschenkt bekommen und feiert fortan den Tag seines Unfalls als zweiten Geburtstag. Dabei ist er den Leuten, die ihn gerettet und geheilt haben, sehr dankbar.

Diese Gleichnis­geschichte kann uns verstehen lehren, was es heißt, dass Gott uns selig machte durch das Bad der Wieder­geburt. Es beginnt mit der tödlichen Gefahr, in der sich jeder Mensch ohne Gott befindet. „Sünde“ nennen wir diese Gefahr. Niemand kann sich mit eigener Kraft aus ihr befreien. Von Natur aus ist jeder Mensch dem Tod geweiht und würde mit Leib und Seele verderben, wenn ihm nicht geholfen würde. Auch jeder neugeborene Säugling schwebt bereits in dieser tödlichen Gefahr und müsste ohne Hilfe in ihr umkommen. Aber da greift Gott ein mit seiner großen Freundlich­keit und Menschen­liebe. Er kommt als Retter wie die Feuerwehr und birgt den Menschen aus seiner Lebens­gefahr. Das geschieht durch die Taufe; sie ist gewisser­maßen Gottes Rettungs­schere. So wird die Taufe zu unserem zweiten Geburtstag, zu einer neuen Geburt, zu einer Wieder­geburt; deswegen nennt die Bibel sie auch „Bad der Wieder­geburt“.

Aber Gott hilft nicht nur als Retter und Feuerwehr, sondern auch als Heiland und Arzt. Das heißt: Vom Tag der Taufe an sorgt er dafür, dass unsere geistlichen Wunden behandelt werden und wir die nötige Medizin bekommen. Sein Wort und das Heilige Abendmahl sind diese Medizin. Zugleich sind sie auch die Physio­therapie, mit der wir lernen, als gesunde Menschen zu leben. Nach Gottes Wort leben, das kann manchmal anstrengend und schmerzhaft sein, aber es ist der einzige Wege, um zum guten Leben zurück­zufinden – so, wie Gott es uns ursprünglich zugedacht hat. Dies ist die fortdauernde Bedeutung und Folge unserer Taufe. Martin Luther hat es im Großen Katechismus so formuliert: „Jeder Christ hat sein Leben lang genug an der Taufe zu lernen und sich in sie einzuüben.“ Und: „Ein christliches Leben ist nichts anderes als eine tägliche Taufe, die einmal angefangen hat und in der immer fort­geschritten wird.“

Erst am Jüngsten Tag werden wir am Ziel dieses Genesungs­prozesses anlangen; erst dann werden wir aus Gottes Reha-Klinik entlassen werden. Und dann werden wir völlig erkennen, dass Gott nicht nur unser Retter und Heiland, sondern auch unser Seligmacher ist – also der, der uns in die ewige Seligkeit führt, in das vollkommen heile Leben seines ewigen Reiches.

Dieser Vergleich führt uns gut und umfassend vor Augen, was wir von der Taufe haben: Rettung aus einer tödlichen Gefahr, Heilung für unsere Seele und schließlich die ewige Seligkeit. Alles ist ganz und gar Gottes Werk. Er ist der Handelnde; wir sind passiv, Patienten. Zugleich führt uns dieser Vergleich vor Augen, dass nur Glaubende diesen Segen empfangen. Denn wer getauft wird und nicht glaubt, handelt wie ein schwer Verletzter, der von der Trage der Rettungs­sanitäter herunter­springt und davonläuft, weil er deren Hilfe nicht in Anspruch nehmen will. Und wer die Taufe zwar glaubend empfängt, aber später im Leben vom Glauben abfällt, der handelt wie ein frisch operierter Patient, der sich selbst auf eigenes Risiko und gegen den aus­drücklichen Rat des Arztes aus dem Krankenhaus entlässt. Dennoch haben in beiden Fällen Rettung und Hilfe statt­gefunden; der Unglaube macht die Taufe also nicht ungültig. Luther zitiert im Großen Katechismus dazu den Grundsatz: „Der Missbrauch hebt das Wesen einer Sache nicht auf…“ Solange ein getaufter Ungläubiger noch nicht tot ist, besteht auch Hoffnung für ihn: Er kann zu Gott zurückkommen und ihn bitten, dass er ihm wieder hilft und doch noch selig macht. Er kann gewisser­maßen auf die Trage des Retters und in die Klinik des Heilands zurückkehren – oder wie Luther es im Großen Katechismus von der Taufe als Schiff formuliert hat: „Wenn jemand herausfällt, der sehe zu, dass er wieder herzu­schwimmt und sich am Schiff festhält, bis er wieder hinein­kommt…“

Wir haben gefragt: Wer hat was von der Taufe? Und nun antworten wir mit Gottes Wort, wie es die Reformation wieder­entdeckt hat: Wer an den dreieinigen Gott glaubt als seinen Retter, Heiland und Seligmacher, der hat von der Taufe das Schönste und Wichtigste, das es gibt, nämlich die Rettung und Wiedergeburt aus der tödlichen Gefahr der Sünde, das Heilwerden in einem Leben der Jesus-Nachfolge und schließlich die ewige Seligkeit im Himmel. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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