Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Sicher kennt ihr das erste der zehn Gebote: „Ich bin der Herr dein Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir.“ Von diesem ersten Gebot möchte ich ein Gebot 1a ableiten. Es lautet: Du sollst dir keine Sorgen machen. Jesus hat das in der Bergpredigt gelehrt, und die Apostel haben es aufgegriffen. So heißt es zum Beispiel im heutigen Wochenspruch aus dem 1. Petrusbrief: „Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch“ (1. Petrus 5,7). Wer allein dem dreieinigen Gott vertraut, der hat auch gar keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Dieses Gebot 1a „Du sollst dir keine Sorgen machen“ führt uns die Bibel mit vielen Beispielen vor Augen. Ein gutes Vorbild ist da der Prophet Daniel in der Geschichte, die ich euch jetzt erzählen möchte.
Daniel lebte im 6. Jahrhundert vor Christus und stammte aus einer vornehmen jüdischen Familie. Als er noch halb Kind war, verschleppten ihn die Babylonier in ihr Land und machten ihn zum Sklaven. Wegen seiner Klugheit wurde er für den Verwaltungsdienst im babylonischen Großreich ausersehen und stieg die Karriereleiter empor, bis er Provinzstatthalter war. Es ging Daniel so ähnlich wie einst Josef bei den Ägyptern. Und ebenso wie Josef war Daniel voller Gottvertrauen: Er richtete sich nach Gottes Geboten und vertraute auch in schwierigen Situationen auf seine Hilfe.
Nach vielen Jahren erlebte Daniel eine politische Wende. Die Perser und Meder entmachteten die Babylonier und übernahmen die Führung im babylonischen Großreich. Dabei reformierte der Mederkönig Darius die Verwaltung des riesigen Landes. Allerdings beschäftigte er tüchtige Beamte aus der Babylonierzeit weiter, unter ihnen Daniel. Wieder fiel Daniel durch besondere Klugheit auf, und so wurde er unter Darius einer von drei Vizekönigen. Diese drei Vizekönige standen insgesamt einhundertzwanzig Provinzstatthaltern vor und waren ihrerseits nur Darius rechenschaftspflichtig. Die Verwaltungsreform bewährte sich; alles lief bestens – besonders in dem Teil des Landes, dem Daniel vorstand. Alle merkten das: sowohl die Provinzstatthalter als auch die anderen beiden Vizekönige als auch der Oberkönig Darius. Darum erwägte Darius, Daniel zum Generalbevollmächtigten für das ganze Reich zu machen – ebenso, wie es einst der ägyptischen Pharao mit Josef getan hatte.
Als die anderen beiden Vizekönige und die Statthalter das hörten, wurden sie neidisch auf Daniel. Das heißt: Sie machten sich Sorgen um ihre eigene politische Karriere. Wir kennen das ja bis heute, sogar innerhalb von politischen Parteien: Einer beneidet den anderen, einer will mächtiger sein als der andere, kaum einer will zurückstecken, kaum einer will auf der Karriereleiter stehenbleiben oder gar abwärts gehen. Es ist etwas ganz Menschliches: Viele sorgen sich um Macht, Anerkennung, Ehre und Reichtum. Sie tun es deshalb, weil es ihnen an Gottvertrauen mangelt. Denn wer Gott vertraut, der weiß ja: Gott stellt mich immer zur richtigen Zeit an den richtigen Platz im Leben, sei es als Kanzler oder als Kuhhirte, sei es als Professor oder als Putzfrau. In jedem Stand kann ich glücklich werden, wenn ich Gott und den Mitmenschen diene. Wer Gott vertraut, der befolgt fast automatisch das Gebot 1a: Du sollst dir keine Sorgen machen.
Der Neid und die Sorge um die Karriere verleiteten die Spitzenfunktionäre im persisch-medischen Reich zu einem gemeinen Plan. Sie überlegten, wie sie Daniel kaltstellen konnten, damit er ihren eigenen Karrieren nicht mehr im Weg stand. Am besten, sie würden irgendetwas Anstößiges oder Kriminelles an ihm finden, ein geheimes Laster zum Beispiel oder eine Bestechungsaffäre, dann wäre er gesellschaftlich erledigt, und Darius müsste ihn fallen lassen. (Auch solche Intrigen kennen wir aus unseren Tagen.) Das Problem war nur: Daniel lebte so untadelig, dass er keinerlei Angriffsfläche bot. Keiner der Spitzel und Agenten konnte irgendeinen schwarzen Fleck auf seiner weißen Weste finden, nicht einmal das kleinste Pünktchen. Allerdings gab es eine Besonderheit in Daniels Leben; aus der machte er allerdings kein Geheimnis, sondern die war allseits bekannt: Er hatte eine fremde Religion. Daniel diente nicht den landesüblichen Götzen, er erkannte auch den König nicht als Halbgott an, sondern er glaubte nur an einen einzigen unsichtbaren Gott, den Gott Israels.
So kamen die Spitzenfunktionäre schließlich überein, Daniel aus seiner Gottesverehrung einen Strick zu drehen. Sie fädelten es sehr geschickt ein. Sie machten König Darius einen Vorschlag, den er bestimmt nicht ablehnen würde, weil er ihm sehr schmeichelte: Darius sollte ein Gesetz erlassen, dass sämtliche Bürger des Großreiches einen Monat lang nur an ihn, den König, Bitten richten durften, an keinen anderen sonst – weder an irgendeinen Gott noch an irgendeinen Menschen. Wir müssen wissen: Damals war es die größte Ehre für einen Könige, wenn andere sich als Bittsteller an ihn wandten. Denn damit erkannten sie seine übergeordnete Position an; damit erwiesen sie Vertrauen in seine Macht; damit schmeichelten sie ihm auch als Wohltäter. Aus dieser Zeit stammt die Erkenntnis, dass man mit den Worten „Herr, erbarme dich“ einen Herrscher nicht nur um Hilfe bittet, sondern zugleich auch ehrt. Mit anderen Worten: Alle Bürger des persisch-medischen Großreichs sollten ihre Sorgen ausschließlich auf den König werfen und darauf vertrauen, dass er ihnen hilft. Um diesem Gesetz Nachdruck zu verleihen, schlugen die Spitzenfunktionäre außerdem vor, jegliche Übertretung mit dem Tod zu bestrafen. Wer in der Dreißig-Tage-Frist jemand anderen als den König bitten würde, der sollte hungrigen Löwen zum Fraß vorgeworfen werden. Darius fiel auf diese Intrige herein und setzte das Gesetz in Kraft. Damit galt es ohne Wenn und Aber; sogar der König selbst konnte es nach dem herrschenden Rechtssystem nicht wieder außer Kraft setzen und jemanden begnadigen. Das war das Besondere an den Gesetzen der Meder und Perser; deshalb nennen wir noch heute eine unumstößliche Regel redensartlich ein „Gesetz der Meder und Perser“.
Als Daniel von dem Gesetz erfuhr, wird er bestimmt die böse Absicht dahinter durchschaut haben. Aber das machte ihm keine Angst, und er hielt an seinem gewohnten Andachtsleben fest: Jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend betete er am offenen Fenster im Obergeschoss seines Hauses in Richtung Jerusalem zu Gott dem Herrn. Er bat, lobte und dankte, wie er es schon immer zu tun pflegte. Das ist das Beste, was man sich angewöhnen kann: täglich beten und Andacht halten. Da kann man dann alle Sorgen auf den Einen werfen, bei dem sie am besten aufgehoben sind: auf den himmlischen Vater. Er hat ja durch seinen lieben Sohn Jesus Christus versprochen, uns zu erhören und uns alles Gute zu geben, was wir brauchen. Weil Daniel es gewohnt war, alle Sorgen auf Gott zu werfen, darum machte er sich auch um das gemeine Gesetz keine Sorgen. Er hielt es nicht einmal für nötig, sein Gebetsleben in diesen dreißig Tagen zu verheimlichen, und betete weiterhin laut am offenen Fenster. Er schämte sich seines Gottes nicht, sondern er bezeugte vor allen Menschen: Ich lasse mich bei meinem Gottesdienst von keinem menschlichen Gebot einschüchtern; ich vertraue weiterhin am meisten dem Herrn und erbitte darum alles Gute erstrangig von ihm.
Daniel wird uns damit zum Vorbild. Wenn es um unsere Gemeinschaft mit Gott geht, sollten wir uns von nichts und niemandem einschüchtern lassen. Wir sollten uns nicht davon beeindrucken lassen, dass die meisten unserer Zeitgenossen das tägliche Beten und den sonntäglichen Kirchgang für übertrieben fromm halten. Wir sollten auch nicht denken, dass wir dafür keine Zeit haben, ebensowenig wie wir befürchten sollten, dass wir durch unsere finanzielle Unterstützung der Kirche zu arm werden könnten. Und selbst wenn es einmal so weit kommen sollte, dass uns wegen unseres Glaubens handfeste Nachteile odere sogar Gefahr für Leib und Leben drohen, gilt immer noch: Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. Wir haben einen allmächtigen Gott, der helfen kann, und einen lieben Heiland, der auch helfen will.
Wie gesagt: In solchem Vertrauen lebte Daniel und betete weiterhin öffentlich sichtbar zu seinem Gott. Da zeigten seine Feinde ihn beim König Darius an. Der wurde traurig, weil er ja große Stücke auf Daniel hielt, und versuchte, ihn irgendwie zu retten. Aber das ging nicht, denn ein Gesetz der Perser und Meder erlaubte keine Ausnahme, und die Feinde Daniels waren unerbittlich. Schweren Herzens musste Darius es zulassen, dass Daniel festgenommen und eines Abends in das Erdloch geworfen wurde, wo die hungrigen Löwen auf ihn warteten. Man verschloss die Öffnung mit einem großen Stein und versiegelte ihn – ganz so, wie man es später mit dem Grab unsers Herrn machte. Der König sorgte sich so sehr um Daniel, dass er in dieser Nacht weder essen noch schlafen konnte. Er hatte ja keinen Gott, auf den er alle seine Sorgen werfen konnte – noch nicht. Er hoffte aber, dass Daniels Gott seinem Knecht helfen würde.
Und er hoffte nicht vergeblich. Als die Grube am nächsten Morgen geöffnet wurde, war Darius persönlich zur Stelle und rief ängstlich nach Daniel. Wie froh wurde er, als Daniel antwortete und ihm mitteilte, dass die Löwen ihm nichts getan hätten; Gottes Engel hätte ihnen die Mäuler zugehalten. Wie Christus nach der Nacht des Todes lebendig aus seiner Grabeshöhle trat, konnte Daniel nach dieser Nacht lebendig aus der Löwengrube gezogen werden. Das überzeugte Darius davon, dass Daniels Gott der wahre Gott ist, und er befahl, dass dieser Gott in seinem ganzen Reich verehrt werden soll. „Denn“, so sprach er, „er ist der lebendige Gott, der ewig bleibt, und sein Reich ist unvergänglich, und seine Herrschaft hat kein Ende. Er ist ein Retter und Nothelfer, und er tut Zeichen und Wunder im Himmel und auf Erden.“
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, dies ist der dreieinige Gott, an den wir glauben. Sein Sohn Jesus Christus ist unser Retter und Nothelfer, dem wir alle unsere Sorgen anvertrauen können. Nicht einmal den Tod brauchen wir bei ihm zu fürchten. Denn wie der Engel die Mäuler der hungrigen Löwen zuhielt und Daniels Leben errettete, so wird Gott auch uns einmal aus der Macht des Todes befreien und ewig leben lassen. Der Teufel, der uns ängstigen will und der uns nach dem Leben trachtet, hat schon verloren. Wie heißt es doch im ersten Petrusbrief? „Euer Widersacher der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben…“ (1. Petrus 5,8‑9). Und unmittelbar vor diesem Satz steht unser Wochenspruch: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“ Wenn wir das beherzigen, wird es uns nicht schwer fallen, das Gebot 1a zu befolgen: Du sollst dir keine Sorgen machen. Amen.
PREDIGTKASTEN |