Die Freude der Umkehr

Predigt über Psalm 32 zum 5. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Vor drei Wochen hat unsere Kirche das 500. Reformations­jubiläum gefeiert unter dem Motto „Freude der Umkehr“. Höhepunkt war ein Beicht­gottesdienst in der Wittenberger Stadtkirche. Damit wurde öffentlich bezeugt: Die Beichte ist keineswegs etwas Überholtes und Mittel­alterliches, das nur noch in der katholischen Kirche praktiziert wird. Im Gegenteil: Die Reformatoren haben die Beichte hoch gepriesen als ein Kernelement christlicher Frömmigkeit. Zugleich wurde damit öffentlich bezeugt: Die Beichte ist nichts Schweres und Trauriges, sondern sie ist, recht verstanden, etwas überaus Tröstliches und Fröhliches. Ganz bewusst lautete das Motto „Freude der Umkehr“.

Von der Freude der Umkehr und von der Beichte als Kern­emelement christlicher Frömmigkeit handelt auch der 32. Psalm. Als erstes, gewisser­maßen als Überschrift, steht da eine herrliche Selig­preisung: „Wohl dem, dem die Über­tretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist! Wohl dem Menschen, dem der Herr die Schuld nicht zurechnet, in dessen Geist kein Trug ist!“ Man kann den letzten Satz „in dessen Geist kein Trug ist“ auch so ausdrücken: Wohl dem, der sich nichts vormacht über seinen Seelen­zustand, sondern der seine Sünde erkennt und Gottes Vergebung annimmt. Mit diesen Worten ist zusammen­gefasst, was die weiteren Psalmverse entfalten.

Wer im Konfirmanden­unterricht nach Luthers Kleinem Katechismus gelernt und nicht alles wieder vergessen hat, der weiß, dass die Beichte im Wesentlichen aus zwei Teilen besteht: erstens das Bekenntnis der Sünden, zweitens Gottes Vergebung. Auch der Hauptteil des 32. Psalms lässt sich so gliedern.

Vom ersten Teil, vom Bekenntnis, handeln folgende Verse: „Als ich es wollte ver­schweigen, ver­schmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Klagen. Denn deine Hand lag Tag und Nacht schwer auf mir, dass mein Saft ver­trocknete, wie es im Sommer dürre wird. Darum bekannte ich dir meine Sünde, und meine Schuld verhehlte ich nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Über­tretungen bekennen. Da vergabst du mir die Schuld meiner Sünde. Deshalb werden alle Heiligen zu dir beten zur Zeit der Angst.“

Es geht hier um die Angst des schlechten Gewissens. Es geht um die Angst, nicht gut genug zu sein in Gottes Augen. Es geht um die Angst, als Mensch und Christ zu versagen. Die lieblosen Worte, die unterlassene Hilfe, das unehrliche Verhalten, die Weh­leidigkeit in unbequemen Lebenslagen – all das kann unser Gewissen plagen. Solche Angst kann einem Menschen seelisch und auch körperlich schwer zu schaffen machen, sie kann ihn geradezu krank machen. Wir neigen heute dazu, dies herunter­zuspielen. Wenn jemand uns seine Gewissensnot anvertraut, dann wollen wir ihm am liebsten sagen: Das ist doch nicht so schlimm, das geht doch jedem so, du siehst das zu eng, und außerdem gelingt dir doch auch viel Gutes. Gott aber redet nicht so; in der Bibel werden wir solchen Trost vergeblich suchen. Die Bibel sagt vielmehr: Egal ob du von deinen Mitmenschen als Heiliger oder Halunke angesehen wirst, vor Gott bist du in jedem Fall ein Versager. Schon im ersten Buch Mose steht: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“ (1. Mose 8,21). Im Römerbrief lesen wir: „Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Wesen und alle Un­gerechtig­keit der Menschen“ (Römer 1,18). Und Luther meinte dazu in den Schmal­kaldischen Artikeln: „Das ist nun die Donneraxt Gottes, mit der er beide, die offen­sichtlichen Sünder und die falschen Heiligen, in einen Haufen schlägt und lässt keinen Recht haben“ (3. Teil, Von der Buße).

Das hört man nicht gern, vor allem nicht in der heutigen Zeit, und selbst in christlichen Kreisen nicht. Wahr­scheinlich ist das die Ursache dafür, dass die Beichte so stief­mütterlich behandelt wird. Dem modernen Menschen schwebt das Ideal einer vernünftigen und ver­antwortungs­vollen Persönlich­keit vor, die mit einem bisschen guten Willen und Optimismus Großes in Bewegung setzen kann. Das vernichtende Urteil von Gottes Gesetz passt dazu nicht. Und so kommt es, dass auch viele, die sich Christen nennen, letztlich zu stolz sind, um in die Knie zu gehen, den Kopf zu senken und zu bekennen: „Ich armer, elender, sündiger Mensch“.

Wenn du ehrlich selbst­kritisch bist und wenn du Gottes Maßstab für geheiligtes Leben ganz ernst nimmst, dann führt kein Weg vorbei an solcher Selbst­erniedri­gung. Wer die Freude der Umkehr erleben will, muss zuerst das Leid seiner Sünde bekennen. Nicht, dass man sich an alle Sünden erinnern und sie lückenlos aufzählen muss – das ist unmöglich, und darum geht es auch gar nicht, denn Gott ist kein Sünden­buchhalter. Es geht vielmehr um ehrliche Reue. Sie kostet freilich Überwindung. Diese Überwindung spürt man dem Psalmdichter ab, wenn er sagt: „Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Über­tretungen bekennen.“ Die Reue und die Angst vor den bösen Konsequenzen der Sünde sind es, die uns in die Beichte treiben – aber nicht nur sie, sondern auch das Vertrauen in Gottes Gnade und die Zuversicht, dass er vergeben wird. Reue ohne Vertrauen in Gottes Vergebung muss in der Verzweiflung enden. So ist das beim Judas Iskariot gewesen, beim Verräter des Herrn.

Vom zweiten Teil der Beichte, von der Vergebung, handeln dann die folgenden Verse: „Darum, wenn große Wasserfluten kommen, werden sie nicht an sie gelangen. Du bist mein Schirm, du wirst mich vor Angst behüten, dass ich errettet gar fröhlich rühmen kann. ‚Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst; ich will dich mit meinen Augen leiten.‘ Seid nicht wie Rosse und Maultiere, die ohne Verstand sind, denen man Zaum und Gebiss anlegen muss; sie werden sonst nicht zu dir kommen. Der Gottlose hat viel Plage; wer aber auf den Herrn hofft, den wird die Güte umfangen.“

Unsere Sündenschuld gleicht einer großen Wasserflut, die uns zu erfassen und zu vernichten droht. Unsere Sünde ist ebenso gefährlich wie der entsetzliche Sturm auf dem See Genezareth, in dem die Jünger unterzugehen drohten. Aber Jesus war mit im Boot und stillte den Sturm. So macht er es auch mit dem Tsunami unserer Sünde: Plötzlich ist der weg, eine friedlich Stille tritt ein, und die Güte des Herrn umfängt uns wie strahlender Sonnen­schein. Oder anders ausgedrückt: Gottes Gnade ist der Rettungs­schirm, der völlig über­schuldete Sünder vor dem totalen Bankrott rettet. So können wir mit dem Psalmdichter beten: „Du bist mein Schirm, du wirst mich vor Angst behüten, dass ich errettet gar fröhlich rühmen kann.“

Nun gehört zur Vergebung aber noch etwas Wichtiges hinzu, das wir nicht übersehen sollten. Gott entschuldet uns nicht deshalb, damit wir leichtfertig immer neue Schulden machen können. Jesus vergibt uns nicht deshalb, damit wir immer wieder neu in dieselben Sünden-Fettnäpfe tappen. Vielmehr soll es besser werden mit unserm Lebens­wandel. Wenn wir darauf vertrauen, dass Jesus uns die Sünden vergibt, dann sollten wir ebenfalls darauf vertrauen, dass wir mit Gottes Weisungen am besten fahren. Das ist eine natürliche Folge aus der Sünden­vergebung, nicht etwa eine Bedingung für die Vergebung. Das lutherische Bekenntnis weist ausdrücklich die Meinung zurück, dass bestimmte Werke der Wieder­gutmachung nötig sind, um die Vergebung gültig werden lassen. Leider wird das Wort „Buße“ oftmals so miss­verstanden – wenn man etwa von Bußgeldern oder Buß­leistungen spricht. Die wahre christliche Buße jedoch besteht nur aus diesen beiden Teilen: erstens das reumütige Bekenntnis der Sünde, zweitens Gottes Vergebung durch Christus. Wenn aus dieser fröhlichen Erfahrung dann die Kraft strömt, Versäumtes nachzuholen und Gutes zu tun, dann nennt die Bibel das nicht Buße, sondern dann nennt sie das Früchte der Buße, also Folge und Auswirkung der beglückenden Erfahrung, dass alle Schuld bei Gott getilgt ist.

Letztlich ist diese Erfahrung von Gottes Gnade der eigentlich Motor für alles gute Verhalten. Nicht Selbst­disziplin oder guter Wille, sondern Gottes barmherzige Liebe befähigt uns, dass wir unsererseits lieben. Dabei orientieren wir uns an Gottes Leitung und Weisung – wie er durch den Psalmbeter geredet hat: „Ich will dich mit meinen Augen leiten.“ Wer allerdings unwillig ist, sich nicht von Gott leiten lassen möchte und sich in der Beichte nur billige Gnade abholen will, der wird das früher oder später schmerzhaft zu spüren bekommen. Gott wird ihn dann nämlich mehr oder weniger unsanft darauf hinweisen, wer der Herr über sein Leben ist – so wie störrische Reittiere mit Zaumzeug und Trense in die richtige Richtung gezogen werden müssen. Unser Psalm warnt: „Seid nicht wie Rosse und Maultiere, die ohne Verstand sind, denen man Zaum und Gebiss anlegen muss; sie werden sonst nicht zu dir kommen. Der Gottlose hat viel Plage.“

Zwei Teile umfasst die Beichte, und mit diesen beiden Teilen ist das Wesen des Christseins beschrieben: Erstens geben wir unsere Sünde zu, bereuen sie, bekennen sie und bitten Gott um Hilfe. Zweitens erfahren wir die göttliche Hilfe im Zuspruch der Vergebung, nehmen die Absolution vertrauens­voll an und schöpfen aus ihr die Kraft, uns zu bessern. Alles in allem also eine schöne und fröhliche Sache, die Beichte! Wohl dem, der sie zu schätzen weiß! Denn er findet die Freude der Umkehr – so, wie es am Ende Psalms lobpreisend heißt: „Freuet euch des Herrn und seid fröhlich, ihr Gerechten, und jauchzet, alle ihr Frommen!“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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