Warum wir an Maria denken

Predigt über 1. Timotheus 3,16 zum Tag der Heimsuchung Mariens

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Schon seit Jahr­hunderten feiert die christliche Kirche am 2. Juli den Gedenktag „Mariä Heim­suchung“. Wenn wir heute das Wort „Heim­suchung“ hören, dann stellen wir uns meistens etwas Negatives vor: Ein Geschäft wird von einer Diebesbande heimgesucht, oder ein Mensch wird von schlimmen Kopf­schmerzen heimgesucht. Dabei kann dieses Wort durchaus auch einen erfreulichen Besuch bezeichnen – in unserem Beispiel den Besuch der schwangeren Maria bei ihrer ebenfalls schwangeren Verwandten Elisabeth. Im neuen Kirchen­kalender der evan­gelischen Kirche heißt das Fest deshalb auch „Tag des Besuchs Marias bei Elisabeth“.

Nun mag es manche Leute verwundern, dass wir in der evan­gelischen Kirche überhaupt Marienfeste feiern. Viele denken, die gibt es doch nur in der katholischen Kirche. Aber wir dürfen nicht übersehen: Maria, die Mutter unsers Herrn Jesus Christus, spielt im Neuen Testament eine wichtige Rolle. Was das für eine Rolle ist, wird besonders an ihrem Besuch bei Elisabeth deutlich. Elisabeth empfing Maria mit den Worten: „Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes!“ (Lukas 1,42) Wir sehen: Maria wird zu Recht geehrt – aber nicht um ihrer selbst willen, sondern um ihrer Leibesfrucht willen, also wegen des noch ungeborenen Jesuskindes in ihrem Bauch. In Wahrheit wird also der Sohn Gottes geehrt sowie der himmlische Vater, der ihn Mensch werden ließ; Maria aber wird als Gefäß dieser kostbaren Leibesfrucht geehrt, als Trägerin des Gottessohns. Sie ist von Gott auserwählt worden, ihn buchstäblich zur Welt zu bringen. Marienfeste sind eigentlich Christus­feste; darauf weist heute der weiße Altarbehang hin. Aber auch in anderer Hinsicht ist Maria bemerkens­wert: Sie hat sich Gottes wunderbarem Plan gehorsam und demütig unter­geordnet und hat Gott für seine Gnade sogar mit einem besonderen Loblied gedankt: mit dem Magnifikat, das in der zweiten Hälfte der heutigen Evangeliums­lesung steht.

Beide Gesichts­punkte finden wir auch in der Epistel­lesung wieder, die wir in dieser Predigt bedenken: das Wunder des Mensch gewordenen Gottessohns sowie auch das Gotteslob angesichts dieses Wunders. Man kann diesen Vers aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an Timotheus so übersetzen:

„Zweifellos groß ist das Mysterium, das einem gott­gefälligen Leben zugrunde liegt:

der im Fleisch offenbart ist,
im Geist gerecht­fertigt,

Engeln erschienen,
Heiden verkündigt,

in der Welt vertrauens­voll angenommen,
in die Himmels­herrlichkeit auf­genommen.“

Ein „un­bestreitbar großes Geheimnis“ wird es genannt, ein „Mysterium“, dass der eingeborene Sohn vom Vater, der wahre Gott von Ewigkeit, in die Welt kam, um uns zu erlösen. Es ist freilich nicht so ein Geheimnis, dass man es niemandem weitersagen darf; im Gegenteil: die ganze Welt soll es wissen. Vielmehr wird es deswegen ein Geheimnis genannt, weil menschliche Vernunft es nicht ergründen kann, sondern es muss von Gottes Geist offenbart, von Gottes Boten verkündet und von Gottes Kindern geglaubt werden. Es ist ein Glaubens-Geheimnis – so wie ganz Vieles, was wir in der Bibel finden: Wir können es nicht verstehen, wir können es uns nur einfach von Gott gesagt sein lassen und glauben. Es ist das Geheimnis, das im Leib der Maria begann – das Geheimnis des Gottes­sohnes, „empfangen vom Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“.

Genau genommen schreibt Paulus aber nicht vom „Geheimnis des Glaubens“, sondern vom „Geheimnis der Frömmigkeit“ beziehungs­weise vom „Geheimnis des gott­gefälligen Lebens“. Er bringt damit zum Ausdruck, dass ein gutes und gott­gefälliges Leben nur gelingen kann, wenn es auf Jesus und seiner Erlösung beruht. Nicht unser guter Wille, nicht unsere Weisheit, nicht unsere Selbst­disziplin ermöglichen ein frommes Leben, sondern allein das Evangelium von Gottes Liebe, die in Jesus offenbar geworden ist. Ein gott­gefälliges Leben ist nämlich immer ein Leben in der Liebe; es schöpft seine Kraft aus der wunderbaren Erkenntnis: Gott hat mich zuerst geliebt und hat mich durch seinen Sohn von der Macht der Sünde und des Todes erlöst. Hier sind wir bei Marias Vorbild: Sie gehorchte Gott, diente ihm und lobte ihn, weil er ihre „Niedrigkeit angesehen“ und sie zur Mutter des Heilands gemacht hat. Ja, das war die Grundlage für Marias Frömmigkeit.

Paulus hat dieses Geheimnis in sechs Aussagen entfaltet. Es handelt sich eigentlich um einen einzigen langen Relativsatz, also einen Satz, der mit dem Wörtchen „der“ anknüpft an – ja an was eigentlich? „…der im Fleisch offenbart ist, im Geist gerecht­fertigt…“, heißt es da. Vielleicht knüpft dieser Satz an das Wort „Mysterium“ beziehungs­weise „Geheimnis“ an, aber dann müsste es eigentlich heißen: „das im Fleich offenbart ist, im Geist gerecht­fertigt“, und so weiter. Paulus hat jedoch ganz bewusst „der“ geschrieben, denn es geht bei der Grundlage des Glaubens nicht um ein abstraktes Geheimnis, einen theo­logischen Lehrsatz oder einen philo­sophischen Gedanken, sondern es geht um eine Person: um Jesus Christus, den eingeborenen Sohn vom Vater. Vielleicht sind diese sechs Aussagen sechs Zeilen aus einem alt­kirchlichen Hymnus, den Paulus zitiert hat. Dieser Hymnus könnte so ähnlich angefangen haben wie der Lobgesang der Maria: „Meine Seele erhebt den Herrn, und meine Geist freut sich über meinen Heiland, der im Fleisch offenbart ist, im Geist gerecht­fertigt“, und so weiter (vgl. Lukas 1,46). Eins aber ist sicher: Es geht um Jesus; er selbst ist das Glaubens-Geheimnis, auf dem alles gott­gefällige Leben gründet.

Die sechs Aussagen lassen sich in drei Paare gliedern. Wir kennen das von den Psalmen und von anderen biblischen Liedern: Ihre Zeilen kommen sehr oft paarweise mit parallelen Aussagen. Dreimal zwei Paare – schon allein die Form ist ein Bekenntnis zu Gott: Gott ist dreieinig, und der Erlöser hat zwei Naturen, nämlich eine göttliche und ein menschliche. Die beiden Naturen des Gottessohnes stehen sich im ersten Aussagen-Paar gegenüber: „…der im Fleisch offenbart ist, im Geist gerecht­fertigt ist.“ An Marias jung­fräulicher Schwanger­schaft wird das deutlich: Jesus ist ganz Mensch von Anfang an, aber sein Vater ist der allmächtige Gott, und so ist Jesus auch wahrer Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. In dieser Doppelnatur konnte er uns unsere Schuld abnehmen und sühnen. So ist Jesus selbst „gerecht­fertigt“ vor Gott, und wir durch ihn. Das zweite Aussagenpaar lautet: „Engeln erschienen, Heiden verkündigt“. Da haben wir die ganze Spanne der Kreaturen, denen Gott einen Geist gegeben hat – die Engel ganz nahe bei Gott, die Heiden jedoch, die urpsrünglich nicht zu Gottes Volk gehörten, ganz weit weg von ihm. Aber weil Jesus auch für sie Mensch geworden ist und weil das Wort des Evangeliums auch sie einlädt, können sie Gott so nahe kommen wie die Engel. Das dritte Aussagenpaar lautet: „in der Welt geglaubt bzw. vertrauens­voll angenommen, in die Himmels­herrlichkeit auf­genommen“. Da wird an Jesu Person die Herrlichkeit der Gotteskinder in Zeit und Ewigkeit deutlich. In dieser Welt drückt uns noch das Kreuz; wir haben es mit viel Leid und Anfechtung zu tun, und doch nehmen wir Jesus und seine Erlösung vertrauens­voll an. Wir tun es in der Hoffnung, dass wir ihm einst in die Himmels­herrlichkeit nachfolgen werden, in die er uns voran­gegangen ist.

Marienfeste sind Christus­feste. Mit Paulus rühmen wir Jesus Christus, der Mensch wurde, um uns zu erlösen. Zugleich denken wir dankbar an die Frau, die Gott erwählt hat, um seinen Sohn zur Welt kommen zu lassen. Mit Paulus bekennen wir uns zum Glaubens-Geheimnis des Evangeliums, das die Grundlage für ein wirklich gott­gefälliges Leben ist, ein Leben zu Gottes Ehre. Zugleich denken wir dankbar an die Frau, die uns vorgemacht hat, wie man Gottes Gnaden­geschenk dankbar annimmt und ihn dafür lobt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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