Lebe, was du bist

Predigt über Römer 6,3-11 zum 6. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es ist schon über vierzig Jahre her, da arbeitete ich im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres in einem Heim für behinderte Kinder und Jugendliche. Unter­gebracht war ich im ersten Stockwerk eines Einfamilien­hauses; darunter befand sich eine Arzpraxis. Nach Feierabend war ich der einzige Bewohner dieses Hauses. Das war für mich eine neue Erfahrung: die Nacht über in einem Haus allein zu sein. Eines Nachts wachte ich von merkwürdigen Geräuschen auf. Irgendjemand machte sich unten an der Haustür zu schaffen. Dann hörte ich Schritte auf der Treppe. ich setzt mich im Bett auf und lauschte. Die Schritte kamen näher. Ich knipste die Nachttisch­lampe an. Da sah ich, wie sich meine Zimmertür langsam öffnete. Ich saß wie erstarrt. In der offenen Tür stand ein Mann, den ich noch nie gesehen hatte. Auch er war wie erstarrt. Ich sagte: „Hallo!“ Der Mann sagte nichts, dreht sich um, schloss die Tür hinter sich, stieg die Treppe hinunter und verließ das Haus. Später erfuhr ich, dass es der Vormieter war. Er besaß noch einen Haustür­schlüssel. Nach einer fröhlich durchzechten Nacht hatte er vergesen, dass er jetzt woanders wohnte, und war deshalb in meinem Zimmer gelandet. Er wird nicht schlecht gestaunt haben, dass da schon jemand in seinem Bett lag. Dann dämmerte es ihm, dass er inzwischen umgezogen war, und so verschwand er wieder.

Auch wir Christen vergessen manchmal, dass wir umgezogen sind. Wir wohnen ja nicht mehr im Haus der Sünde, sondern im Haus Gottes, aber wir verhalten uns immer wieder so, als lebten wir noch im Haus der Sünde. Der Umzug in Gottes Reich war unsere Taufe. Um die Taufe und ihre Folgen geht es in unserem Predigttext. Dieser Abschnitt des Römerbriefes gehört zu den schönsten, aber auch schwie­rigsten Texten in den Briefen des Neuen Testaments. Wir nähern uns ihm mit der Frage: Was macht die Taufe eigentlich mit einem Menschen? Zunächst einmal macht sie ihn nass. Zum Taufen gehört nun einmal Wasser, das hat Gott so angeordnet. Aber, wie Luther im Kleinen Katechismus treffend sagte: Die Taufe ist nicht einfach nur „schlichtes Wasser“, sonder sie ist Wasser „in Gottes Gebot gefasst und mit Gottes Wort verbunden“. Gottes Wort und Jesu Taufbefehl machen aus normalem Wasser das Sakrament der Heiligen Taufe. So wird die Taufe „ein gnaden­reiches Wasser des Lebens und ein Bad der neuen Geburt im Heiligen Geist“. Da haben wir unseren Umzug! Und die Taufe ist mehr als ein Umzug: Sie ist ein Neu-geboren-Werden, eine Neuschöpfung Gottes.

Nun sagt uns Paulus auch, woher diese enorme Kraft und Wirkung der Taufe kommt. Sie kommt von Jesus Christus her; genauer: von seinem Tod und von seiner Auf­erstehung. In der Taufe stirbt unser alter Mensch mit Christus und wird mit ihm begraben – jener alte Mensch, an dem die Sündenschuld wie eine un­erträgliche Last hängt, die ihn schließlich in den Abgrund zieht. Die Taufe wäscht diese Sündenschuld ab, vergibt sie, tötet sie, begräbt sie. Die Sündenschuld kann uns daher nicht mehr von Gott trennen, in Zeit und Ewigkeit nicht – es sei denn, dass wir dieses Gottes­geschenk ungläubig zurück­weisen. Ein für alle Mal sind wir mit der Taufe der Sünde gestorben; wir existieren nicht mehr für die Sünde, und die Sündenschuld existiert nicht mehr für uns. So wahr Christus wirklich tot war und begraben wurde, so wahr hat Gott uns mit der Taufe von der Sünde erlöst. Aber es geschieht noch mehr in der Taufe: Ein neuer Mensch wird geboren, ein Gotteskind, ein Heiliger, ein Jünger Jesu, ein Christ. Wie Gott in seiner großen Herrlichkeit den eingeborenen Sohn von den Toten auferweckt hat, so hat er uns in der Taufe zu geistlichem Leben und ewigem Leben auferweckt. Das ist durch den Heiligen Geist geschehen. Und wie Jesus nach seiner Auferstehung nicht mehr stirbt, sondern für immer mit dem himmlischen Vater lebt, so soll auch unser Leben nach der Taufe sein: ein ewiges Leben zur Ehre Gottes in der Gewissheit, dass uns nie mehr etwas von ihm scheiden kann, selbst der leibliche Tod nicht. Luther hat im Kleinen Katechismus vom täglichen Nutzen der Taufe geschrieben, es solle „täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinigkeit vor Gott ewiglich lebe“. Kurz: Die Heilige Taufe verbindet uns mit dem Tod und mit der Auferstehung des Herrn. Paulus wagt sogar zu sagen: Sie macht uns Christus gleich, denn wir sind nun Glieder an seinem Leib.

Paulus führt uns damit vor Augen: Unsere Taufe ist nicht nur ein einmaliges ein­schneidendes Ereignis in unserem Leben, sondern sie ist zugleich ein Neubeginn mit starken Auswirkungen auf unser ganzes darauf folgendes Leben, ein­schließlich Gegenwart und Zukunft. Damit ähnelt sie einem Umzug. Da ist einerseits das einmalige Ereignis mit Möbelwagen und Umzugs­kartons, und da sind andererseits die Aus­wirkungen, nämlich dass man jetzt woanders wohnt. Ja, die Taufe gleicht einem Umzug, mit dem man sich dramatisch verbessert hat: Wieviel heller und schöner ist unser Platz in Gottes Reich als ein Leben ohne Gott! Wir können aufatmen und uns immer wieder neu über unsere neue Umgebung freuen.

Aber, wie gesagt, wir vergessen das leider manchmal. Wir sind so zertreut, dass uns unsere Schritte immer wieder zur alten Wohnung führen. Wir schließen das Haus der Sünde auf, gehen hinein und stellen dann irgendwann erschrocken fest, dass wir hier gar nicht mehr zu Hause sind. Dann kehren wir um in Gottes Haus, bitten unsern Herrn um Verzeihung und merken, wieviel besser wir es doch hier haben. Das sind Lern­prozesse, die jeder Jünger Jesu durchmacht. Ein Jünger ist ja noch kein Meister, sondern einer, der lernt und dabei auch Fehler begeht. Deswegen hört er nicht auf, ein Jünger zu sein, nämlich ein getaufter Christ, der seine Wohnung in Gottes Reich hat. Wenn er allerdings überhaupt nicht mehr dorthin zurückkäme, dann hätte er nichts davon. Wenn wir beschreiben wollen, wer ein Christ ist, dann können wir das so tun: Ein Christ ist einer, der durch Christi Tod und Auferstehung in Gottes Reich ein neues Leben geschenkt bekommen hat.

Nun sagen manche jedoch: Ein Christ ist einer, der sich christlich benimmt; der Nächsten­liebe übt, der nicht flucht, der nicht lügt, der nicht stiehlt, der nicht mordet, der nicht die Ehe bricht, der nicht den Sonntag entheiligt und der auf niemanden neidisch ist. Das kann man durchaus so sehen – und doch ist es etwas andere als das, was ich eben gesagt habe. Man könnte es so ausdrücken: Die erste Beschreibung betrifft den ersten Teil der Taufe, nämlich dass wir mit Christus der Sünde gestorben sind und sie uns deshalb nicht mehr vor Gott verurteilt. Die zweite Beschreibung aber betrifft den zweiten Teil der Taufe, das neue Leben. Es ist das Leben, zu dem wir mit Christus auferstanden sind, ein Leben für Gott, ein Leben zu Gottes Ehre. Wir besitzen dieses neue Leben, aber zugleich sind wir noch damit beschäftigt, uns in dieses neue Leben einzuleben.

Damit haben wir nicht nur den Haupt­gedanken unseres Predigt­textes umrissen, sondern auch den Haupt­gedanken aller Paulus-Briefe. Immer wieder ruft Paulus den Christen zu, was sie durch Christi Opfertod am Kreuz ganz gewiss sind: Gottes­kinder, Heilige, Geliebte, Begnadigte, Gerecht­fertigte. Daran kann es keinen Zweifel geben, denn es geht hier nicht um mensch­liches, sondern um Gottes Handeln. Christus hat uns das alles am Kreuz erworben und mit der Taufe geschenkt. „Du bist ein Christ!“, sagt Paulus immer wieder mit vielen ver­schiedenen Worten und Bildern. Aber im selben Atemzug sagt er ebenfalls immer wieder: „Nun lebe auch wie ein Christ!“ Du bist heilig gemacht worden, nun lebe auch heilig! Du hast Gottes Liebe erfahren, nun liebe auch deinen Nächsten! Gott hat dich gerecht gemacht, nun bemühe dich auch um ein gerechtes Verhalten – also um das richtiges Verhalten nach Gottes Geboten! So lässt sich die ganze Botschaft des Paulus sowie auch unser gesamtes Christsein auf diese kurze Formel bringen: „Lebe, was du bist!“ Das wollen wir uns gesagt sein lassen. Der Heilige Geist helfe uns dazu. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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