Ineinander

Predigt über Johannes 14,11a zum Trinitatisfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Viele, die mit wachen Sinnen durchs Leben gehen, spüren: Es liegt etwas in der Luft. Die Verhältnisse sind nicht mehr so stabil wie vor einigen Jahren – in der Welt, in unserm Land und auch in der christlichen Kirche. Möglicher­weise stehen ein­schneidende Umbrüche bevor. Wir spüren: Es ist eine ernste Zeit.

Als Jesus zum letzten Mal vor seinem Tod mit seinen Jüngern zusammen war, spürten auch sie: Es liegt etwas in der Luft, es ist eine ernste Zeit, es wird sich bald etwas ändern. Jesus gab ihnen da noch viel mit auf den Weg; der Apostel Johannes hat es auf­geschrieben. Da finden wir auch den Satz, den wir in dieser Predigt bedenken wollen: „Glaubt mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir.“ Auf den ersten Blick scheinen diese Worte gar nicht in die Situation zu passen; sie klingen wie ein abgehobener theo­logischer Lehrsatz. Aber mit den Einleitungs­worten „glaubt mir“ zeigt Jesus, worum es ihm geht: um Glaubens­stärkung für seine Jünger in dieser ernsten Stunden und auch in Zukunft.

Wenn wir heute den Trinitatis-Sonntag begehen, das Fest der heiligen Drei­faltigkeit, dann könnte uns sein Thema ebenfalls wie ein abgehobener theo­logischer Lehrsatz vorkommen. Was nützt uns denn das Wissen, dass Gott aus drei Personen besteht, aus Vater, Sohn und Heiligem Geist,und dass alle drei zusammen ein einziges göttliches Wesen sind? Aber auch diese biblische Lehre will bei uns nichts anderes erreichen, als was Jesus damals bei seinen Jüngern erreichen wollte: dass unser Glaube gestärkt wird in dieser ernsten Zeit und auch in Zukunft.

Wir tun also gut daran, uns jetzt auf Jesu Wort über sein Verhältnis zum himmlischen Vater und auf die Lehre von der heiligen Drei­faltigkeit einzulassen. Am Ende werden wir dann erkennen, dass dieses Wissen hilfreich, tröstlich und glaubens­stärkend ist.

Zunächst aber mache ich einen großen Gedanken­sprung und stelle mir ein Auto vor. Ein Auto ist ein einziges Ding – oder aber ein System vieler ver­schiedener Dinge beziehungs­weise Teile. Ein wichtiges Teil im Auto ist der Motor. Auch den Motor können wir als ein einziges Ding betrachten – oder aber wieder als ein System vieler ver­schiedener Dinge beziehungs­weise Teile. Ein wichtiges Teil im Motor ist der Kolben, aber auch der lässt sich auseinander­nehmen: Wir finden im Kolben mehrere Kolbenringe, die dazu beitragen, dass der Kolben im Motor ohne großen Widerstand hin‑ und hergleiten kann. Wir sehen: Ein Auto ist ein Ding, das aus mehreren Dingen besteht, die ihrerseits aus mehreren Dingen bestehen.

Dasselbe Gedanken­spiel können wir mit allen Dingen und auch mit Lebewesen durchführen, oder zum Beispiel auch mit meinem Kopf. Mein Kopf ist ein einziger Körperteil, und doch stecken in ihm viele weitere Körperteile drin, unter anderem die Augen. Ein Auge seinerseits setzt sich wieder aus ver­schiedenen Teilen zusammen, darunter die Netzhaut. Und auf der Netzhaut befinden sich tausende von licht­empfind­lichen Zellen, die dazu beitragen, dass ich euch jetzt sehen kann.

Alle materiellen Dinge der Welt sind aus anderen, kleineren Dingen zusammen­gesetzt, angefangen vom Atom bis hin zur Galaxis. Unsere ganze Welt ist wunderbar ineinander ver­schachtelt; das ist das geniale Prinzip von Gottes Schöpfung. Dabei gilt das Gesetz: Jedes Ding kann nur aus kleineren Dingen zusammen­gesetzt sein, niemals aus größeren. Das gilt, wie gesagt, für materielle Dinge. Anders verhält es sich mit geistigen Dingen: Geistig passen in meinen Kopf Sachen rein, die viel größer sind als mein Kopf. Und wieder anders ist das mit Gott: Da passt alles grenzenlos ineinander, denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.

Nun kommen wir zu dem Satz zurück, den Jesus gesagt hat: „Glaubt mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir.“ Jesus ist im himmlischen Vater, er ist ein Teil von ihm; ohne Jesus wäre Gott nicht Gott. Und umgekehrt: Der himmlische Vater ist ein Teil von Jesus; ohne ihn wäre Jesus nicht Jesus. Wer Jesus gesehen hat, der hat den himmlischen Vater gesehen und auch den Heiligen Geist, den ganzen unteilbaren Gott. Und wer den einen wahren Gott richtig kennenlernen möchte, der muss an den Vater und an den Sohn und an den Heiligen Geist denken. Die Personen der Drei­faltigkeit bilden ein untrennbares göttliches Ineinander. Trotzdem können sie in eine Beziehung zueinander treten: Der Vater sendet den Sohn, der Sohn hört auf den Vater, der Vater erhöht den Sohn, der Sohn bittet den Vater, Vater und Sohn senden den Geist, und alle drei sind unter­einander in vollkommener göttlicher Liebe verbunden. Gott ist Einer, aber nicht einsam, denn Gott ist Liebe und Gemein­schaft. Ja, das sollen wir glauben, denn so entspricht es Gottes großer geheimnis­voller Wahrheit.

Nun gehen wir noch einen Schritt weiter. Das heißt, eigentlich führt Jesus uns diesen Schritt weiter, denn von uns aus dürften wir es kaum wagen, diesen Schritt auch nur zu denken. Jesus hat nicht nur gesagt: „Glaubt mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir“, sondern er hat auch gesagt: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm“ (Joh. 6,56). Jeder, der mit Glauben Jesus als Lebensbrot empfängt, wird ein Teil von Jesus, ebenso wie Jesus ein Teil vom himmlischen Vater ist. Und umgekehrt: Jesus wird ein Teil von ihm, und damit wird Gott ein Teil von ihm. So wie ein einziger menschlicher Leib viele Glieder hat, so sind wir Glieder am Leib Christi. Und so wie in einem menschlichen Leib das Herz und andere Organe stecken, so hat Jesus sich unsere Leiber als Wohnung erwählt; sie sind damit zugleich Tempel des Heiligen Geistes. Durch Jesus gehören wir zu Gott, und Gott gehört zu uns. So wie der Vater und der Sohn und der Heilige Geist ein untrennbares göttliches Ineinander bilden, so sind wir untrennbar mit Gott verbunden. Und so wie Vater, Sohn und Geist in einer liebevollen Beziehung zueinander stehen, so stehen wir in einer liebevollen Beziehung zu Gott. Kaum wagen wir es zu denken, aber Jesus hat es uns offenbart: Durch ihn sind wir in das liebevolle Ineinander der heiligen Dreieinig­keit integriert worden. Ja, auch das sollen wir glauben, denn so entspricht es Gottes großer geheimnis­voller Wahrheit.

Nun erkennen wir, wie uns Jesu Wort und die Lehre von der heiligen Dreifaltig­keit zum Glauben hilft und damit auch besonders auch in ernsten Zeiten stärkt. Denn wenn wir uns das gesagt sein lassen, dann ist damit das Wichtigste geklärt. Wenn wir ein Teil von Gott sind und wenn Gott ein Teil von uns ist, was kann uns dann noch scheiden von der Liebe Gottes? Nichts, absolut nichts, weder Gegen­wärtiges noch Zukünftiges.

Es handelt sich um eine unfassbar große Gabe Gottes. Wenn wir auch nur ein bisschen von der Größe dieser Gabe ahnen, muss uns klar sein: Niemand kann sich das erarbeiten, niemand kann sich mit menschlichen Methoden Gott annähern, niemand kann sich auf eigene Faust in das wunderbare Miteinander der Trinität hinein­drängen. Es ist Gottes eigenes Geschenk, seine Gabe, aus Liebe gegeben durch Jesus, seinen Sohn.

Aus dieser Gabe erwächst nun eine Aufgabe. Jesus sagte nämlich auch: „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht“ (Joh. 15,5) Die Aufgabe ist keine andere als die, Gott in uns und durch uns wirken zu lassen. Das liebevolle Ineinander von Vater, Sohn und Geist führt zu einem liebevollen Ineinander von Mensch und Gott und darüber hinaus zu einem liebevollen Ineinander von Mensch und Mensch. Die Liebe, die wir zu Gott und unter­einander haben, ist das, was Jesus „Frucht“ genannt hat.

All dies erfahren wir in ganz besonderer Weise durch das Heilige Abendmahl. Es ist kein Zufall, dass Jesus das Heilige Abendmahl eingesetzt hatte, kurz bevor er sagte: „Glaubt mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir.“ Das Heilige Abendmahl bezeugt nämlich jedem, der es im Glauben empfängt, dass er in diese göttliche Gemeinschaft hinein­genommen ist. Jesus sagte: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.“ Ja, so wird unser Glaube gestärkt, besonders auch in ernsten Zeiten: Wenn wir das Evangelium des dreieinigen Gottes hören und wenn wir sein heiliges Altar­sakrament schmecken. Denn dann werden wir gewiss, dass wir un­zertrennlich zu ihm gehören. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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