Gott erschafft die Woche

Predigt über 1. Mose 2,1-4a zum Sonntag Quasimodogeniti

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ich mag es nicht, wenn bei Konzerten in die letzten Klänge der Musik hinein applaudiert wird – nicht nur applaudiert, sondern oft sogar gejohlt und gepfiffen. Ich finde, zu einem guten Musikstük gehört die Stille danach. Erst wenn die Musik völlig verklungen ist, sowohl äußerlich als auch innerlich, sollte man ap­plaudieren. Die stille Pause am Ende einer wundervollen Musik ist wie der Schlusspunkt am Ende eines Satzes, und sie gehört zum vollkommenen Musikgenuss dazu.

Gottes Schöpfung kann man mit einer wundervollen Musik vergleichen. Gott selbst stellte fest: Was er in sechs Tagen erschaffen hatte, war alles sehr gut. Nun fehlte nur noch die stille Pause danach, der Schluss­punkt, der siebente Tag, der Ruhetag. Im Schöpfungs­bericht heißt es: „So vollendete Gott am siebenten Tag seine Werke…“ Die Pause danach bringt das Schöpfungs­werk zur Vollendung. Nicht, dass Gott danach untätig geblieben wäre. Sein Schöpfungs­werk geht ja weiter – mit jeder Blume, jedem Schmetter­ling und jedem Baby. Und doch ist der Schöpfer nach dem Ruhetag anders tätig als vor dem Ruhetag: Vor dem Ruhetag erschuf er die Welt aus dem Nichts, und zusammen mit ihr erschuf er die Natur­gesetze, nach denen alle Dinge zusammen­wirken sollten. Nach dem Ruhetag geht seine Schöpfung weiter durch diese Naturgesetze beziehungs­weise im Rahmen dieser Naturgesetze (wenn er nicht ausnahms­weise ein Wunder tut). Gottes Ruhetag stellt also einen Einschnitt dar in seinem Schaffen; das „Musikstück“ der Erst-Erschaffung ist jetzt verklungen. Freilich gehört diese Generalpause noch zum Rhythmus der Schöpfungs­musik hinzu, sie wird ja ausdrücklich als siebenter Tag gezählt. Natürlich hätte Gott die Welt auch viel langsamer erschaffen können oder auch viel schneller, mit einem Finger­schnippen. Aber er hat für unsere Welt und besonders für uns Menschen mit diesen sieben Tagen einen großartigen Rhythmus erschaffen: den Rhythmus der Woche.

Dieser Rhythmus ist nicht nur an sich wunderbar so wie ein geniales Musikstück, sondern er ist auch gut und nützlich für uns Menschen. Wenn es heißt, dass Gott nach sechs Schöpfungs­tagen am siebenten Tag „ruhte“, so steht da für „ruhen“ im Urtext das hebräische Wort „schabat“. Dieses Wort finden wir im Fremdwort „Sabbat“ wieder, denn „Sabbat“ bedeutet nichts anderes als „Ruhetag“ oder „Feiertag“ – ein Tag der Pause und des Ausruhens, des „Feierns“ im ur­sprünglichen Sinn des Wortes. Diese Art von feiern steckt übrigens auch im Wort „Feierabend“ drin; den hat Gott ebenfalls geschaffen: Mit dem Rhythmus von Tag und Nach schuf er eine Tageshälte zum Arbeiten und eine zum Ausruhen; im Zusammenhang damit hat er auch unser menschliches Schlaf­bedürfnis geschaffen. So wie der Mensch abends mit der Arbeit aufhören und ruhen soll, so soll er nun auch nach sechs Arbeitstagen einen Ruhetag einlegen, einen „Sabbat“.

Dieses Stück Schöpfungs­ordnung hat Gott später mit dem 3. Gebot bekräftigt. In Luthers Kurzfassung lautet es so: „Du sollst den Feiertag heiligen.“ Der Original­text, den Gott einst am Berg Sinai Mose übergab, ist länger und lautet: „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn.“ (2. Mose 20,8-11) Wir sehen: Auch im 3. Gebot geht es nicht um den Sabbat als solchen, sondern um den Rhythmus der Woche: Auf sechs Arbeitstage soll ein Ruhetag folgen. Gottes vorbildliche Ruhe am siebenten Schöpfungs­tag wird dabei als Begründung heran­gezogen, und auch die beiden Wörter „segnen“ und „heiligen“ fehlen nicht: „Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn.“ „Segnen“ bedeutet „be­schenken“. Der Ruhetag nach sieben Arbeitstagen ist Gottes Geschenk. Wir sind froh und dankbar, dass wir nicht pausenlos wie Maschinen rattern müssen, sondern dass wir die Ruhe des siebenten Tages genießen dürfen. Ebenso dankbar können wir für den täglichen Feierabend und den Nachtschlaf sein. Wenn Gott uns nicht mit dem Segen der Ruhe beschenkt hätte, dann würden viele strebsame Leute sich verpflichtet fühlen, sieben Tage durch­zuarbeiten, und Arbeitgeber würden nicht einsehen, warum sie ihren Angestellten am Wochenende frei geben sollten. Zu Gottes Geschenk tritt nun aber auch Gottes Gebot: Er hat den siebenten Tag nicht nur für uns gesegnet, sondern auch geheiligt, das heißt aus­gesondert. Er hat es zu dem Zweck getan, dass wir uns an seinen genialen Wochen­rhythmus erinnern und unsererseits den siebenten Tag heiligen, nämlich ihn aussondern und anders verbringen als die Werktage. Das Segnen und Heiligen gilt übrigens für alle Gebote: Weil Gottes Anweisungen segensreich für uns sind, erwartet er von uns, dass wir uns nach ihnen richten. Dasselbe gilt fürs Beten und für den Gebrauch der heiligen Sakramente: Auch das sind Geschenke Gottes, die wir nach seinem Gebot nicht verachten sollen; wir sollen uns vielmehr an sie erinnern und sie recht gebrauchen.

Zurück zum Sabbat: Was bedeutet das denn nun praktisch – den Ruhetag heiligen? Sollen wir da den ganzen Tag im Bett bleiben? Dürfen wir Ausflüge unternehmen und Sport treiben? Müssen wir unbedingt zur Kirche gehen? Darf man vielleicht leichte Arbeiten tun, wenn sie nicht dem Borterwerb dienen, sondern eher ein Hobby sind? Was hat denn eigentlich Gott selbst gemacht, als er mit der Schöpfung fertig war? Oder hat er tatsächlich gar nichts gemacht? Erwartet jetzt bitte keine vorgegebenen Antworten. Wir würden Gott und seinen Ruhetag völlig miss­verstehen, wenn wir meinten, es ginge dabei um die genaue Einhaltung bestimmter Sabbat-Vor­schriften. Worum es wirklich geht, hat Jesus auf den Punkt gebracht. Er sagte: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen“ (Markus 2,27). Wir sollten nicht fragen: Was darf man und was darf man nicht?, sondern wir sollten fragen: Was tut uns gut, was dient uns und unseren Mitmenschen zur Erholung an Leib und Seele? Es war den Gläubigen aller Zeiten klar, dass die Gemeinschaft unter Gottes Wort, Gebet und Lobpreis in heraus­ragender Weise der Erholung der Seele dient; deshalb sollte man nicht ohne ernsthaften Grund auf den Sonntags­gottesdienst verzichten – aber nicht nur, um Gott damit einen Gefallen zu tun oder dem Pfarrer, sondern vor allem, um sich selbst damit einen Gefallen zu tun! Gott segnete den Feiertag und heiligte ihn, und wir heiligen ihn nach Gottes Vorbild am besten so, dass wir von der Alltags­arbeit ausruhen und unserer Seele den größten Segen gönnen, den es gibt: Gottes Wort und Sakrament.

Die Juden und die Siebenten-Tags-Adventisten begehen ihren wöchent­lichen Ruhetag immer am Samstag. Dagegen ist nichts einzuwenden, denn so entspricht es der alten jüdischen Tradition. Traditionell werden unsere Wochentage ja auch entsprechend gezählt: Der Sonntag ist der erste Tag der Woche; der vierte Tag der Woche liegt genau in der Mitte und heißt deshalb Mittwoch; der Samstag ist der siebente beziehungs­weise letzte Tag der Woche und dient deshalb nach Gottes Vorbild bei der Schöpfung als Ruhetag. Weil aber die Woche einen Kreislauf darstellt, kann man ebensogut an jedem anderen Tag anfangen zu zählen. Wir könnten uns einigen und sagen: Lasst uns die Woche immer an Dienstag anfangen; dann wäre der Montag unser siebenter Tag oder Ruhetag oder Sabbat; Gott wäre das ebenso recht. Im Kolosser­brief heißt es aus­drücklich: „Lasst euch von niemandem ein schlechtes Gewissen machen wegen eines bestimmten Feiertags oder Sabbats“ (Kol. 2,16). Der moderne Mensch lässt die Woche mit dem ersten Arbeitstag am Montag anfangen, da ist dann eben der Sonntag der siebente Tag, unser christlicher Feiertag.

Allerdings ist die Sonntags-Tradition viel älter als die moderne Arbeits­woche. Es ist auch kein Zufall und keine willkürliche Ent­scheidung, dass sich in der Christenheit der Sonntag als Feiertag durchgesetzt hat. Bereits im vierten Jahrhundert hat der römische Kaiser Konstantin den Sonntag zum Staats­feiertag in seinem Reich erklärt, und bereits in neu­testament­licher Zeit sind die Christen sonntags zum Gottesdienst zusammen­gekommen – an dem Tag also, der nach jüdischer und traditio­neller Zählung der erste der Woche ist. Der Grund: Jesus ist an einem ersten Tag der Woche von den Toten auf­erstanden. Seither feiern Christen an jedem Sonntag dieses großartige Ereignis: Jesus, das Licht der Welt, hat die Macht des Todes überwunden und erleuchtet uns mit Gottes ewigen Licht. Genau eine Woche später ist er dem Apostel Thomas erschienen, also ebenfalls an einem Sonntag; wir haben heute in der Evangeliums­lesung davon gehört. Und genau sieben Wochen beziehungs­weise fünfzig Tage nach Christi Auferstehung ist der Heilige Geist über die Apostel gekommen, zu Pfingsten nämlich; auch das geschah an einem Sonntag. Wenn das alles kein Grund zum Feiern ist, zum wöchent­lichen Feiern des neuen Bundes, den Christus und gestiftet hat!

Damit komme ich zurück zum Schöpfungs­bericht. Da heißt es, wie gesagt, dass Gott am siebenten Tag ruhte. Da heißt es aber auch, dass Gott am ersten Tag sein Schöfpungs­werk begann und als erstes das Licht erschuf. Die Christenheit hat nun beides zusammen­gefasst und gesagt: Lasst uns doch einfach den traditionell ersten Tag der Woche als Ruhetag nehmen und dabei Gottes Neu-Schöpfung feiern sowie den Auf­erstandenen als Licht der Welt! Da schließt sich dann der Kreis der Woche, und aus dem Punkt am Ende der Woche wird der Doppelpunkt eines Neubeginns. So führt uns der Sonntag als Feiertag über die Kreisläufe der irdischen Schöpfung hinaus zu Gottes neuer Schöpfung – mit dem Ziel der ewigen Ruhe und des ewigen Gotteslobs. Jeder Sonntags­gottesdienst ist ein kleiner Vorgeschmack davon. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum