Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
„In eines Mannes Herzen sind viele Pläne; aber zustande kommt der Ratschluss des Herrn.“ So sprach der weise König Salomo, und so spricht zugleich der Heilige Geist, denn dieses Wort finden wir im Alten Testament im Buch der Sprüche (Spr. 19,21). Es gehört zur menschlichen Natur, Pläne zu machen. Viele von euch haben Pläne für die bevorstehenden Feiertage, vielleicht Besuchspläne oder Ausflugspläne oder Pläne zur Gestaltung des Osterfests. Hoffentlich werden bei allem Planen die Gottesdienste nicht vergessen. Es gibt auch ganz andere Pläne: geheime Pläne und gemeine Pläne, die hinter verschlossenen Türen ausgeheckt werden; kämen sie ans Licht, dann wäre es aus mit ihnen. Was auch immer für Pläne Menschen vorbereiten oder aushecken: Viele dieser Pläne werden nie verwirklicht. Gott dagegen hat nur einen Plan und Ratschluss, und den zieht er ungehindert durch bis zum Ende. Das Leiden, Sterben und Auferstehen seines Sohnes Jesus Christus ist das Herzstück dieses Plans. So treten wir heute in eine ganz besondere Woche ein: die Karwoche, die uns dieses Leiden und Sterben des Heilands besonders nahe bringt und die dann in das Osterfest mündet, das Fest seiner Auferstehung von den Toten.
Von menschlichen Plänen und indirekt auch von Gottes Ratschluss handeln die beiden Verse, die die Passionsgeschichte im Markus-Evangelium einleiten. Sie führen uns ins Besprechungszimmer des jüdischen Hohenpriesters. Es ist Mittwoch, der 5. April, im Jahr 30 nach Christus. Eine Gruppe von Männern steckt ihre Köpfe zusammen. Den Vorsitz hat Kaiphas, der Hohepriester persönlich. Er bespricht sich mit seinen engstem Vertrauten im Priesterkollegium. Einige Schriftgelehrte hat er als theologische Fachberater hinzugebeten. Es geht um den Fall Jesus von Nazareth. Sie alle empfinden sein Auftreten als skandalös und halten ihn für einen Gotteslästerer. Sorge bereitet ihnen seine zunehmende Beliebtheit. Seit es heißt, dass er in Bethanien einen Toten zum Leben erweckt hat, sind immer mehr Menschen davon überzeugt, dass er der von Gott versprochene Erlöser ist. Schon seit längerem sind Kaiphas und seine Priesterkollegen der Meinung, dass man etwas gegen Jesus unternehmen muss.
Kaiphas sagt: „Es wird immer schlimmer. Vor drei Tagen ist er hier in Jerusalem wie ein König empfangen worden.“ Ein Schriftgelehrter ergänzt: „Auf einem jungen Esel ist er geritten, so wie es beim Propheten Sacharja vom Messias geschrieben steht. Dabei besitzt Jesus nicht mal einen eigenen Esel, er musste sich dafür einen leihen.“ Ein Priester gibt zu bedenken: „Die Lage ist explosiv – besonders jetzt, wo viele Juden von überall her zum Passafest nach Jerusalem kommen.“ Ein anderer mahnt: „Viele denken, es ist jetzt Zeit, den offenen Aufstand gegen die Römer zu wagen. Sie hoffen, dass Jesus sie anführt. Wir müssen unbedingt etwas unternehmen, sonst herrscht hier bald die Revolution.“ Kaiphas streicht besorgt seinen Bart. Dann wiederholt er, was er bereits in einer früheren Sitzung gesagt hat: „Dieser Jesus muss auf alle Fälle sterben – aber so, dass es keinen Aufstand gibt. Wir müssen ihn unauffällig festnehmen und beseitigen.“ Ein Schriftgelehrter ruft: „Aber bloß nicht auf dem Fest, sonst gibt es einen Aufruhr!“ Ein anderer hält dagegen: „Nach dem Fest könnte es zu spät sein.“ Kaiphas fasst zusammen: „Also gut: Lasst uns versuchen, Jesus noch vor dem Passa-Abend unauffällig festzunehmen, am besten gleich morgen. Dann berufe ich den Hohen Rat ein, und wir werden ihn im Schnellverfahren zum Tode verurteilen. Seht zu, dass ihr ein paar Zeugen findet, die ihn belasten. Dann ist die ganze Sache vor dem Fest erledigt.“
Wir wissen, wie es mit diesem geheimen Plan des hohepriesterlichen Kollegiums weitergegangen ist. Kurz darauf konnten sie einen V-Mann zur Jesus-Szene gewinnen, einen seiner Jünger, den Judas Iskariot. Er erklärte sich gegen Geld bereit, sie am Donnerstagabend an einem abgelegenen Ort zu Jesus zu bringen. Kaiphas war erleichtert, denn nun musste sein Plan gelingen. Eine Festnahme an einem abgelegenen Ort noch vor dem Fest – genau das wollte er. So kam es dazu, dass Jesus am späten Donnerstagabend von Judas mit einem Kuss verraten und von der Tempelwache des Hohenpriesters abgeführt wird.
In der vor uns liegenden Karwoche bedenkt die Christenheit dies alles in Echtzeit. Heute, am Palmsonntag, erinnern wir uns an Jesu triumphalen Einzug in Jerusalem; der geschah damals auch an einem Sonntag, am 2. April 30. An den drei folgenden Tagen predigte Jesus offen und ungehindert im Tempel. Viele Leute hörten ihm zu; er wurde immer bekannter. Am Mittwoch heckten Kaiphas und seine Berater ihren mörderischen Plan aus. Am Donnerstagabend feierte Jesus das Passamahl mit seinen Jüngern. Eigentlich war es ein vorgezogenes Passamahl, denn offiziell begann das Passafest erst am Freitagabend. Danach verließ Jesus Jerusalem in Richtung Betanien, wo er zu übernachten pflegte. Auf halbem Weg machte er nach seiner Gewohnheit Rast in einer Ölbaumplantage, die den Namen Gethsemane trug. Dort verriet ihn Judas, und dort wurde Jesus festgenommen. Man brachte ihn zurück in die Stadt und dort zum Palast des Hohenpriesters. Der hatte bereits den Hohen Rat zur Gerichtsverhandlung einberufen. Es klappte alles nach Plan. Nur die bestellten Zeugen widersprachen sich gegenseitig und brachten nichts Belastendes vor. Aber Jesus selbst stand dazu, dass er Gottes Sohn ist. In dieser Aussage fand Kaiphas genug Grund, um Jesus zum Tod zu verurteilen. In den frühen Morgenstunden des Freitag zog man weiter zum Palst des römischen Statthalters Pontius Pilatus, der sollte das Todesurteil bestätigen. Man musste sich nun beeilen, wollte man das Urteil noch vor dem Fest vollstreckt bekommen. Der Hohepriester und seine Kollegen setzten alle Hebel in Bewegung, um Pilatus zur Urteilsverkündigung zu bewegen. Pilatus zögerte lange, dann aber gab er widerwillig nach. Von den weiteren Ereignissen berichten die Evangelisten im Stundentakt: Wie Jesus nach Golgatha abgeführt und um die Mittagszeit ans Kreuz geschlagen wurde, wie er da drei Stunden lang mit dem Tod kämpfte und wie er schließlich gegen 15 Uhr verschied. Nichts ist in der Bibel so ausführlich berichtet wie das Leiden und Sterben des Gottessohns.
Der böse Plan des Hohenpriesters und seiner Kollegen scheint geglückt zu sein: Jesus war tot, bevor am Freitagabend das Passafest begann, und noch vor dem Samstag beziehungsweise Sabbat, der in diesem Jahr mit dem höchsten Feiertag des Passafests zusammenfiel. Aber die Vorbereitungen für die Festmähler liefen zur Todesstunde des Herrn bereits auf Hochtouren: Während Jesus auf Golgatha sein Leben aushauchte, wurden in Jerusalem überall die Passalämmer geschlachtet. Da erkennen wir nun hinter dem allen den Ratschluss des himmlischen Vaters: Er wollte deutlich machen, dass hier auf Golgatha das eine wahre Passalamm geschlachtet wird, das Lamm Gottes, für die Sünden der Welt. Überflüssig sind nun alle Tieropfer, mit denen die Menschen Gott gnädig stimmen wollen. Überflüssig sind nun alle Rituale, die Gott und die Menschen versöhnen sollen. Dieses eine Gotteslamm, am Stamm des Kreuzes geschlachtet, reicht aus, um die ganze Welt mit Gott zu versöhnen. Da ist auch meine Schuld gesühnt worden und auch deine Schuld.
„In eines Mannes Herzen sind viele Pläne; aber zustande kommt der Ratschluss des Herrn“, sprach der weise König Salomo. Mit Hinterlist wollten Kaiphas und seine Priesterkollegen Jesus noch vor Beginn der Passafeiern aus dem Weg schaffen. Sie sprachen: „Ja nicht bei dem Fest, damit es nicht einen Aufruhr im Volk gebe!“ Gott hat aus diesem bösen Plan nach seinem Ratschluss etwas Gutes gemacht: gerade bei dem Fest, gerade beim Schlachten der Passalämmer, damit alle Welt erfahre, dass Gott der Welt seinen eigenen Sohn zum Sündopfer gibt! Wer diesen Ratschluss des Herrn vertrauensvoll annimmt und ihm seine eigenen Pläne unterordnet, der findet Erlösung und Frieden. Ja, der dringt vom hohen Sabbat des Passafestes durch zu dem noch größeren Fest der Auferstehung, zum Osterfest, zum Siegesfest des Lebens über dem Tod. Heute in einer Woche ist es so weit. Amen.
PREDIGTKASTEN |