Er wird viele Heiden besprengen

Predigt über Jesaja 52,13-53,1 zum Aschermittwoch

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Für viele Menschen sind Rituale wichtig. Viele Christen halten daran fest, in der vierzig­tägigen Fastenzeit kein Fleisch zu essen oder auf andere Dinge zu verzichten, an denen sie sich sonst erfreuen. Die ent­sprechende Aktion „sieben Wochen ohne“ ist nach wie vor sehr beliebt. Und wo man an alten Traditionen festhält, da machen sich Christen heute ein Aschekreuz an die Stirn – ein Zeichen dafür, dass man nun „in Sack und Asche geht“ und dass die heute beginnende Fastenzeit eine Bußzeit ist. Von daher heißt der heutige Tag „Ascher­mittwoch“. Für den Glauben sind solche Rituale und Traditionen allerdings nur dann hilfreich, wenn man sich bewusst macht, was dahinter steckt. Mit der Fastenzeit haben Christen schon seit vielen Jahr­hunderten ihren Heiland Jesus Christus in Gedanken auf seinem Leidensweg begleitet. Die Fastenzeit heißt deshalb auch Passions­zeit; „Passion“ bedeutet „Leiden“. Weil es die menschliche Sünde ist, die Jesu Leiden und Sterben verursacht hat, ist die Passionszeit zugleich eine Bußzeit, und Buße kann durchaus im Fasten und mit einem Aschekreuz ihren Ausdruck finden. Entscheidend wichtig bleibt dabei aber, dass wir unsern Herrn auf seinem Weg ans Kreuz in Gedanken begleiten – und dabei nicht beim Kreuz stehen­bleiben, sondern darüber hinaus bedenken, dass am Ziel dieses Weges der Sieg über Sünde und Tod steht, die fröhliche Auferstehung von den Toten, das Osterfest.

Um diesen Weg des Leidens, Sterbens und Auferstehens geht es im vierten Knecht-Gottes-Lied im Buch des Propheten Jesaja. In den Kapiteln 40 bis 55 finden wir insgesamt vier lyrische Abschnitte beziehungs­weise „Lieder“, die von Gottes „Knecht“ handeln. Es hat viele Speku­lationen darüber gegeben, wer denn mit diesem geheimnis­vollen „Knecht“ gemeint ist. Wenn wir ernst nehmen, wie das Neue Testament aus diesen Liedern zitiert, dann kann es nur eine Antwort geben: Der „Knecht Gottes“ ist niemand anderes als Jesus Christus, der lang erwartete Messias Israels. Der Prophet Jesaja hat mit den vier Knecht-Gottes-Liedern und mit vielen weiteren Worten von ihm geweissagt. Bemerkens­wert ist dabei, dass dies bereits im achten Jahrhundert vor Christus geschah, also mehr als sieben­hundert Jahre, bevor Jesus auf Erden lebte.

Da stellt sich zunächst die Frage: Warum nennt der Prophet den Messias hier „Gottes Knecht“? Was bedeutet das Wort „Knecht“ eigentlich? In der Bibel ist es keine Berufs­bezeichnung, sondern eine Verhältnis­bestimmung. Das heißt: Niemand ist „Knecht“ an sich, sondern stets „Knecht“ beziehungs­weise „Diener“ eines bestimmten Herrn. Er gehört zum Haushalt seines Herrn, er ordnet sich seinem Herrn unter, er gehorcht seinem Herrn, er führt den Willen seines Herrn aus. Dabei ist es egal, ob der Knecht als Landarbeiter dient oder als als ranghöchster Minister eines Königs. So ist es auch zu verstehen, wenn Personen der Bibel im höflichen Gespräch nicht einfach „ich“ sagen, sondern stattdessen „dein Knecht“. Wenn wir das Wort „Knecht“ nicht als Berufs­bezeichnung, sondern als Verhältnis­bestimmung erkennen, dann wird klar, warum Jesus in diesem Propheten­worten der „Knecht Gottes“ genannt wird: Er hat sich dem himmlischen Vater unter­geordnet und handelt treu nach seinem Willen – so wie es im Philipper­brief heißt: „Er entäußerte sich selbst und nahm Knechts­gestalt an… Er erniedrigte sich selbst und war gehorsam bis zum Tode, ja zu Tode am Kreuz“ (Phil. 2,7‑8).

Um den Weg ans Kreuz, also um Jesu Leidensweg, geht es nun also besonders in diesem vierten Knecht-Gottes-Lied. Wir wollen es in den diesjährigen Passions­andachten ausführlich betrachten. Wir werden dabei feststellen, dass auch diese Prophe­zeihung nicht beim Tod des Herrn stehen­bleibt, sondern auf seinen Ostersieg und seine Erhöhung hinzielt. Entsprechend heißt es im Philipper­brief weiter: „Darum hat ihn auch Gott erhöht…“ (Phil. 2,9). Kurz: Das vierte Knecht-Gottes-Lied spricht prophetisch von der Erniedrigung und Erhöhung unsers Heilands Jesus Christus. Beides ist bereits in den ersten Versen an­gesprochen, die wir heute als Predigttext gehört haben. Sie stellen eine zusammen­fassende Einleitung dar für das, was die folgenden Verse dann ausführlich entfalten.

Von Jesu Erniedrigung heißt es da, dass seine Gestalt hässlicher war als die anderer Leute und sein Aussehen hässlicher als das anderer Menschen­kinder. Wir denken an den gefolterten und dorn­gekrönten Heiland vor seinem Richter Pontius Pilatus. Und wir denken an Paul Gerhardts gewaltiges Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“. Da heißt es in der dritten Strophe: „Die Farbe deiner Wangen, / der roten Lippen Pracht / ist hin und ganz vergangen; / des blassen Todes Macht / hat alles hingenommen, / hat alles hingerafft, / und daher bist du kommen / von deines Leibe Kraft.“ Ja, am Karfreitag waren Gestalt und Aussehen Jesu tatsächlich derart geschunden und entstellt, dass man es sich am liebsten gar nicht vorstellen möchte. „Hässlicher als bei anderen“, so hat Jesaja es prophezeit. Genauer müssten wir übersetzen: „verzerrter“ oder „ent­stellter“ als bei anderen. Es ist hier nämlich nicht gemeint, dass Jesus grund­sätzlich ein hässliches Gesicht und eine hässliche Figur gehabt hatte, sondern vielmehr, dass sein guter menschlicher Körper unter den Qualen der Passion extrem entstellt war.

Von Jesu Erhöhung heißt es: „Er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein.“ Wörtlich: „Er wird emporkommen, erhöht werden, erhaben sein.“ Manche Ausleger erkennen hier eine genaue Weissagung von Jesu Auf­erstehung, Himmelfahrt und Sitzen zur Rechten Gottes. Das ist ja auch das Ziel von Jesu Leidensweg: Dass er danach alles Leid überwunden hat – nicht nur für sich selbst, sondern für die ganze Menschheit – und dass er dann, vom himmlischen Vater erhöht, als König über alles regiert. „Siehe, meinem Knecht wird’s gelingen“, so heißt es am Anfang dieses Knecht-Gottes-Liedes. Ja, das Heilswerk wird ihm gelingen, so prophezeiten die Propheten im Alten Testament. Ja, das Heilswerk ist ihm gelungen, so verkünden es die Apostel im Neuen Testament. Mit seiner Er­niedrigung, mit seinem Leiden und Sterben, und dann mit seiner Erhöhung, mit seiner Auferstehung und Himmelfahrt, hat er alle Sünde gesühnt, den Teufel besiegt und dem Tod seine Macht genommen.

Jesaja hat dieses Heilswerk nicht einfach als Sach­information prophezeit. Er hat es vielmehr in Beziehung zu uns Menschen gesetzt; gleich am Anfang dieses Knecht-Gottes-Liedes hat er es getan. Er weissagte, dass viele sich über ihn „entsetzen“ werden, dass er viele Heiden „besprengen“ wird und dass sogar Könige vor ihm verstummen werden. Mit den „Heiden“ sind auch wir gemeint, denn aus der Sicht des Volkes Israel bezeichnet dieses Wort einfach alle Nicht-Israeliten. Da erfahren wir zunächst, dass Menschen sich über Jesu Wirken „entsetzen“, dass es sie erstaunt, erschüttert, aufwühlt und sprachlos macht. Die neu­testament­lichen Evangelien greifen diesen Begriff häufig auf. Am Ende vieler Wunder­berichte und Jesus-Predigten heißt es da: „Das Volk entsetzte sich.“ Manche Ausleger wollen das Wort „besprengen“ ebenso verstehen, im Sinne von „auseinander­sprengen“, „wie eine Bombe ein­schlagen“. Wir können hier aber ebensogut eine Prophezeiung der christlichen Taufe erkennen. Wenn ein Mensch getauft wird, dann taucht er damit gewisser­maßen in Jesu Tod ein, um danach mit ihm auf­zuerstehen zu einem neuen Leben. So hat Jesus vielen Heiden und auch uns nach Jesajas Weissagung „besprengt“ mit dem Wasser der Taufe, hat uns die Frucht seiner Erhöhung und Erniedrigung zugeeignet, hat uns mit seinem Heilswerk beschenkt, mit seinem Leiden, Sterben und Auferstehen.

Es gibt wohl kaum einen Menschen, den das Heilswerk Jesu gleichgültig lässt, wenn es aufmerksam wahrnimmt. Dass Gottes Sohn aus Liebe zu uns Sündern sein Leben dahingibt, dass da einer von den Toten zurückkehrt und das ewige Leben verspricht, dass diese Botschaft schon zweitausend Jahre lang auf der ganzen Welt verkündigt wird, das muss eigentlich jeden erstaunen, erschüttern, aufwühlen und „entsetzen“. Die Frage ist nur, ob es bei diesem „Entsetzen“ bleibt oder ob daraus der selig­machende Glaube entsteht. Diese Frage stellte sich zu Jesu Zeiten, sie stellt sich noch heute und sie hat sich auch schon für Jesaja in seiner pro­phetischen Weitsicht gestellt. Jesaja hat diese Frage so formuliert: „Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des Herrn offenbart?“ Wer erkennt, dass hier Gott selbst am Werk ist mit der Erniedrigung und Erhöhung seines „Knechtes“ Jesus Christus, uns Sündern zugut? Jesaja gibt keine Antwort, er lässt die Frage offen. Und so muss jeder Hörer der Botschaft sich selbst seine Antwort geben. Auch ich als Prediger des Evangeliums kann diese Frage nicht stell­vertretend für euch beantworten. Ich kann diese Frage nur an euch weitergeben: „Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des Herrn offenbart?“ Aber ich kann auch jeden von euch von ganzen Herzen einladen, fröhlich und mutig ja zu sagen zum Knecht Gottes, zum Heiland Jesus Christus, der auch für dich gelitten hat, gestorben ist, auferstanden ist und zur Rechten des Vaters sitzt in seinem ewigen Reich. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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