Gottes ver­lässlicher Trost

Predigt über Jesaja 49,14-15 zum Neujahrstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Gott ist nicht nur unser Vater, sondern Gott hat auch eine mütterliche Seite. Das lehrt uns besonders der Prophet Jesaja. Wir haben eben aus dem Propheten­buch Jesaja gehört, dass Gott uns ebensonwenig im Stich lässt wie eine Mutter ihr Kind. Und mit der neuen Jahreslosung sagt Gott uns durch Jesaja: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“ (Jesaja 66,13). Wir stellen uns dazu eine Marienfigur vor, die das Jesuskind fest im Arm hält und an ihre Brust drückt. Oder wir denken an unsere eigene Kindheit zurück. Vielleicht kannst du dich ja so weit zurück­erinnern: Du hast bei deiner Mutter auf dem Schoß gesessen und ihre Wärme gespürt. Ihre Arme haben sich um dich geschlungen, und du hast dich an sie gekuschelt. Das war Geborgen­heit! Und, wenn du traurig warst, dann war das der beste Trost.

Jeder Mensch braucht Geborgenheit und Trost, und das nicht nur als Kleinkind, sondern sein Leben lang. Wahre Geborgenheit und wahren Trost finden wir allerdings nur in persönlicher Zuwendung. Weder ein Kuscheltier noch der Alkohol bieten solchen Trost; man kann ihn sich auch nicht als Dienst­leistung kaufen. Wahre Zuwendung können wir nur von jemandem bekommen, dem wir nicht egal sind, der uns bedingungs­los liebt, der in allen Situationen zu uns hält, der uns nie im Stich lässt. Wahrer Trost kommt nur von so einem Menschen – oder von Gott, der uns verspricht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“

Nun wissen wir aber auch: Die Mutter kann das Kind nicht den ganzen Tag lang so halten, sie hat noch anderes zu tun. So kommt es, dass die Mutter sich auch mal von ihrem Kind entfernt – nicht mit ihrem Herzen, nur räumlich. Die Mutter verlässt manchmal das Zimmer, in dem sich das Kind befindet. Und wenn sie länger weg ist, dann gibt sie das Kind in die Obhut anderer Menschen. Da kann es dann passieren, dass das Kind laut weint. Denn ein kleines Kind begreift noch nicht, dass es die Mutter immer noch gibt, auch wenn sie nicht zu sehen ist. Eine gewisse Reife ist nötig, um zu wissen, dass die Liebe und Zuwendung der Mutter auch dann nicht aufhört, wenn von ihr weit und breit nichts zu sehen ist.

So ähnlich ist das mit unserem Verhältnis zu Gott und mit der Reife beziehungs­weise Unreife unseres Glaubens. Es gibt Phasen im Leben, wo wir von Gott nichts merken. Wir mögen uns dann nach seinem Trost sehnen, aber es hat den Anschein, als ob es ihn nicht gibt. Wir gleichen dem kleinen Kind: Es kann sich nicht vorstellen, dass sich die Mutter nur im Nebenzimmer oder in der Nachbar­schaft aufhält.

Solche Glaubens­zweifel sind uralt; wir finden sie bereits in alt­testament­licher Zeit beim Volk Israel. Lange Zeit hatte dieses Volk Gottes Zuwendung sichtbar und greifbar vor Augen gehabt, und zwar in Form des Jerusalemer Tempels. Gott selbst hatte mit diesem Gebäude sein Versprechen verbunden: Da könnt ihr mich finden; da bin ich euch gnädig; da bekommt ihr meine Trost. Aber dann war dieses äußere Zeichen von Gottes Gegenwart plötzlich nicht mehr da: Die Babylonier hatten den Tempel völlig zerstört, und darüber hinaus die ganze Stadt Jerusalem. Die Bevölkerung war entweder geflohen oder in babylonische Kriegs­gefangen­schaft geraten. Nun klagten sie wie kleine Kinder, dass der Gott ihres Trostes mit dem Tempel verschwunden sei. Auf diese Situation bezieht sich der erste Vers unseres Predigt­textes. „Zion sprach: Der Herr hat mich verlassen, der Her hat meiner vergessen.“

Vor gut siebzig Jahren hätte ein bestimmter Mann im Gefängnis ebenso sprechen können. Er hatte kein Verbrechen begangen, im Gegenteil, er hatte sich mit großem Eifer dafür eingesetzt, Verbrechen zu verhindern. Die National­sozialisten hatten ihn deswegen verfolgt, verhaftet und schließlich zum Tode verurteilt. Aber obwohl der Mann nun ab­geschnitten war von allem menschlichen Trost und obwohl er auch nicht mehr in die Kirche gehen konnte, war er dennoch gewiss, dass Gottes Gegenwart ihn weiterhin umgibt. Dieses Vertrauen fasste er in die Worte: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Der Mann hieß Dietrich Bonhoeffer. Sein Glaube war reif – so reif, dass Bonhoeffer auch noch in der Todeszelle wusste: Ich bin bei Gott geborgen wie ein kleines Kind, das bei seiner Mutter auf dem Schoß sitzt und von den Armen der Mutter umschlungen wird.

Wie kann Glaube so reif sein? Woher kommt solche getroste Gewissheit, die spricht: „Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag“? Gott selbst gibt uns die Antwort durch den Propheten Jesaja: „Kann auch eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen.“ Eine Mutter wird immer zu ihrem Kind halten und es beschützen. Allerdings kennen wir tragische Ausnahmen: Man liest manchmal in der Zeitung davon, dass Mütter ihre Kinder misshandeln oder ver­nach­lässigen. Gott aber sagt: Selbst wenn es bei menschlichen Mütter hin und wieder vorkommt, dass sie ihre Kinder im Stich lassen, bei mir kommt das niemals vor. Ihr könnt euch darauf verlassen, hundert­prozentig. Gott verspricht: „Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen.“ Es ist ein heiliges Versprechen, ja, ein heiliger Schwur Gottes, mit dem er seinem Volk Treue zusagt. Dieses Versprechen galt auch zu der Zeit, als der Tempel in Trümmern lag. Es gilt auch dann, wenn jemand in der Todeszelle sitzt. Es gilt auch für dich persönlich, egal wie viel oder wie wenig du gerade von Gott merkst. „Ob ich auch gar nichts fühle / von deiner Macht, / du führst mich doch zum Ziele, / auch durch die Nacht.“

Der reife Glaube tröstet sich nicht mit frommen Gefühlen, denn sie sind un­zuverlässig und schwankend. Der reife Glaube tröstet sich mit Gottes Wort, mit Gottes un­verbrüch­licher Zusage, mit Gottes heiligem Eid. Wir finden diese Zusage nicht nur in unserem Predigttext und nicht nur bei Jesaja, sondern in der ganzen Bibel, von vorne bis hinten. Schon im ersten Buch ist Gottes großes Versprechen an den Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob das Hauptthema. Und im Neuen Testament lässt Gott verkündigen, dass dieses Wort in Jesus Christus Fleisch geworden ist. Der Säugling, der Trost und Geborgenheit in Marias Armen fand, ist zugleich der Heiland, der seinerseits der ganzen Welt Trost und Geborgenheit spendet. Am achten Tag nach seiner Geburt hat Maria den Namen bekannt gemacht, den er nach Gottes Willen trägt: Jesus, auf Deutsch „Erlöser“. Mit ihm und seinem Erlösungs­werk hat Gott seinem Volk Israel und allen Menschen gezeigt: „Ich will dich nicht vergessen.“ Und mit der heiligen Taufe hat er das jedem Gotteskind persönlich zugesichert.

Gott will, dass alle Menschen durch seinen Sohn Jesus Christus Trost und Geborgenheit finden. Er will, dass jeder Mensch gewiss wird: Gott hält zu mir, und ich gehöre zu ihm. Er will, dass die Menschen sich nicht von ihm losreißen und in Trost­losigkeit umkommen, sondern dass sie in allen Lebenslagen auf die Zusage vertrauen: „Ich will trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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