Der Apostel und Evangelist Johannes

Predigt über Johannes 21,24-25 zum Tag des Apostels und Evangelisten Johannes

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Der Tag des Apostels und Evangelisten Johannes droht fast ein wenig unterzugehen nach all den Weihnachts­gottes­diensten. Dabei ist gerade Johannes einer der be­deutendsten Männer der Bibel. Zusammen mit seinem Bruder Jakobus und mit Simon Petrus gehörte er zum engsten Jüngerkreis des Herrn; Jesus hat bei besonderen Gelegen­heiten nur diese drei mit sich genommen und die anderen Jünger zurück­gelassen. Und außer Johannes hat nur noch ein weiterer der zwölf Jünger eines der biblischen Evangelien geschrieben, nämlich Matthäus. Darüber hinaus hat Johannes aber auch noch weitere Schriften des Neuen Testaments verfasst: die drei Johannes­briefe und die Offenbarung des Johannes. Lasst uns darum heute unser Augenmerk besonders auf diesen großen Apostel richten und auf seine Botschaft.

Von Johannes wissen wir mehr als von den meisten anderen Aposteln. Er war der Sohn des Fischers Zebedäus und dessen Frau Salome. Er und sein Bruder Jakobus arbeiteten im väterlichen Betrieb mit und fingen Fische im See Genezareth. Aber Johannes interes­sierte sich schon in jungen Jahren mehr für Gottes Wort als für Fische. So folgte er seinem Namensvetter nach, dem großen Prediger Johannes dem Täufer. Als dieser erkannte, dass Jesus der verheißene Erlöser ist, wies er seine Jünger auf Jesus hin. Der Fischerssohn Johannes ließ sich das nicht zweimal sagen und ging künftig mit Jesus; er wurde einer seiner ersten Jünger. Auch sein Bruder Jakobus schloss sich Jesus an.

Die beiden erhielten im Zwölferkreis den Spitznamen „Donner­söhne“. Das lag wahr­scheinlich an ihrem auf­brausenden Temperament. Jesus musste sie deswegen mehrfach zurecht­weisen. Einmal ärgerten sich Johannes und Jakobus so sehr über ein abweisendes Dorf, dass sie am liebsten einen Feuerregen geschickt hätten. Jesus musste sie daran erinnern, dass Gotteskinder sanftmütig sind. Ein anderes Mal packte sie der Hochmut, und sie baten Jesus um Ehrenplätze im Himmel. Jesus machte ihnen klar, dass sie zunächst um ihres Glaubens willen würden leiden müssen; das mit den Ehrenplätzen ließ er offen. An diesen beiden Begeben­heiten erkennen wir, dass die Bibel den Johannes wie auch die anderen berühmten Heiligen nicht auf einen Denkmal­sockel hebt, sondern sie als ganz normale und schwache Menschen schildert, als Sünder wie ich und du. Da merken wir, dass Gottes Wort durch und durch wahrhaftig ist; nichts wird da beschönigt. Und wir merken, dass Gott selbst es ist, der sein Reich baut, nicht irgendwelche genialen oder superfrommen Menschen. Deswegen geht es heute am Johannestag und an den anderen Aposteltagen auch nicht darum, bestimmte Menschen zu vergöttern. Vielmehr geht es darum, dass wir Gott für den Apostel Johannes danken sowie auch für alles, was er uns durch ihn geschenkt hat.

Was hat Gott uns denn durch Johannes geschenkt? Das Schlusswort zum Johannes­evangelium, das wahr­scheinlich jemand anderes hinzugefügt hat, fasst es so zusammen: „Dies ist der Jünger, der dies alles bezeugt und auf­geschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist.“ Gott hat Johannes zu einem Augenzeugen gemacht für das, was Jesus nach seiner Taufe gesagt und getan hat, sowie auch für sein Leiden, Sterben und Auferstehen. Gott hat ihn nicht nur so zum Zeugen gemacht, dass er ihn das alles hat erleben lassen, sondern auch so, dass er ihn ausdrücklich für diesen Zeugendienst be­vollmächtigt und mit dem Heiligen Geist ausgerüstet hat. Johannes war ja dabei, als der auf­erstandene Jesus seine Jünger aussandte mit den Worten: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und werdet meine Zeugen sein“ (Apostel­gesch. 1,8). Alle Augenzeugen, die Jesus da aussandte, werden Abgesandte und Botschafter genannt, auf Griechisch „Apostel“. Es ist dieses Amt der Augen­zeugen­schaft, das uns die Gewissheit gibt: Wir erfahren hier Gottes hundert­prozentig verlässliche Wahrheit. Das Evangelium von Jesus Christus beruht auf Tatsachen, die uns aus erster Hand von Gottes autori­sierten Zeugen überliefert ist. Auf dieser Wahrheit ist die ganze Christenheit gegründet, die ganze apostolische Kirche. Und so schließen wir uns nicht nur im Blick auf Johannes, sondern auch im Blick auf alle Apostel diesem Bekenntnis an: „Wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist.“

Nun hat Johannes aber nicht nur mündlich Jesus bezeugt, sondern er hat dieses Zeugnis später auch auf­geschrieben. „Dies ist der Jünger, der dies alles bezeugt und aufgeschrie­ben hat.“ Er hat es als Apostel in vielen Predigten an vielen Orten mündlich bezeugt, und er hat es als Evangelist schließlich für die Nachwelt in seinem Evangelium fest­gehalten. Seinem Evangelium verdanken wir viele Einzelheiten und tiefer gehende Be­trachtungen, die in den ersten drei Evangelien fehlen. Besonders bei den Ereignissen um Jesu Passion merken wir, dass dieser Augenzeuge äußerlich und innerlich noch dichter dran war an unserm Heiland und seinem Erlösungs­werk. Johannes war der einzige der zwölf Jünger, der nich von Golgatha floh, sondern unterm Kreuz ausharrte, als Jesus starb. Und Johannes war der erste der zwölf Jünger, der am Ostermorgen das leere Grab erreichte.

Aber was finden wir im Johannes-Evangelium über Weihnachten? Mehr, als man nach dem ersten Eindruck denken könnte. Das Johannes-Evangelium beginnt mit einem sogenannten Prolog; ein größerer Abschnitt davon ist die Evangeliums­lesung vom zweiten Weihnachts­feiertag. Da ist zwar nicht von Maria und Josef die Rede, auch nicht von Bethlehem und der Krippe, aber da steht der bedeutungs­chwere Satz: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ (Joh. 1,14). Er ist zum Wochenspruch für die ganze Weihnachts­woche geworden, denn er erfasst das Wunder der Christgeburt ganz knapp und trotzdem ganz tief: Der Sohn des allmächtigen Schöpfers, der „das Wort“ heißt, nahm menschliche Gestalt an und lebte mit uns in unserer Welt. Er tat es, um uns Gottes Nähe spüren zu lassen. Weiter steht da nämlich: „Wir sahen seine Herrlich­keit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Da wird uns bewusst: Der Apostel und Evangelist geht keineswegs unter bei den vielen Weihnachts­gottes­diensten, sondern er prägt sogar die ganze Weihnachts­woche mit diesem großartigen Satz und mit seinem Evangeliums-Prolog.

Aber warum redet er so un­anschaulich über Gottes Mensch­werdung? Wo bleiben die Engel und die Hirten und die Weisen und all das, was sonst noch zu Jesu Geburt gehört? Johannes wollte das keineswegs abwerten oder gar abstreiten. Aber als er sein Evangelium zu schreiben begann, waren diese äußeren Dinge schon lange bekannt in den christlichen Gemeinden. Alle Apostel hatten immer wieder darüber gepredigt, und in den drei älteren Evangelien konnte man es bereits nachlesen. Johannes wollte mit seinem Evangelium nicht einfach Bekanntes wiederholen, sondern er wollte das bereits Bekannte ergänzen und vertiefen. Darum fasste er das Wunder der Heiligen Nacht in die herrlichen Worte seines Prologs. Auch im weiteren Verlauf des Johannes­evangeliums fällt auf, dass er nur von wenigen Wundern und wenigen Begeben­heiten aus dem Leben Jesu berichtet, diese dann aber sehr ausführlich und mit Tiefgang. Da lesen wir manches, was wir in den anderen Evangelien nicht finden. Vor allem der fort­geschrittene Christ wird das Johannes­evangelium deshalb besonders schätzen und Gott danken für die ewige Wahrheit hinter der geschicht­lichen Wirklich­keit, die dieser Evangelist offenbart hat.

Natürlich bringt das mit sich, dass man bei Johannes vieles vergeblich sucht, was die anderen drei Evangelisten berichtet haben. Der letzte Satz des Johannes­evangeliums klingt beinahe wie eine Ent­schuldigung dafür: „Es sind noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eins nach dem andern auf­geschrieben werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.“ Aber ist das nicht übertrieben? Jesus hat keine vierzig Jahre auf Erden gelebt, sollte es da nicht grund­sätzlich möglich sein, dieses Leben in einer mehrbändigen Biografie erschöpfend zu behandeln? Oder was ist damit gemeint, dass eine vollständige Jesus-Biografie so umfangreich sein müsste, dass auf der ganzen Welt nicht genug Platz für all ihre Bände wäre?

Womit müsste denn solche Biografie anfangen? Mit Weihnachten? Mit der Vor­geschichte von der Geburt Jesu und Johannes des Täufers, so wie das Lukas-Evangelium? Oder mit einer Liste der Vorfahren Jesu, so wie das Matthäus-Evangelium? Nein, eine vollständige Biografie des Gottessohnes müsste viel früher anfangen, noch vor der Schöpfung der Welt, in der Ewigkeit. Johannes hat das im Prolog seines Evangeliums angedeutet: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ (Joh. 1,1‑3) Eine vollständige Biografie dessen, der „das Wort“ heißt, müsste die Erschaffung der Welt mit all ihren Geschöpfen ausführlich behandeln, denn Jesus, der Gottessohn, war ja daran beteiligt. Und ebenso müsste die gesamte Welt­geschichte und der Lebensweg jedes einzelnen Menschen, der je gelebt hat, in dieser Biografie enthalten sein, denn all das ist ja Gottes Werk, all das hängt mit Gottes Plan und Wirken zusammen, und Jesus hat Anteil an dem allen. Lasst uns nun noch einmal den letzten Satz des Johannes­evangeliums hören: „Es sind noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eins nach dem andern auf­geschrieben werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.“ Dieser Satz macht in dem Moment Sinn, wo wir ihn mit dem Gedanken verbinden, dass alle Taten Gottes zugleich Taten Jesu sind. Damit ist dieser Abschluss des Johannes­evangeliums ebenso wie sein Anfang ein schönes Zeugnis dafür, dass Jesus nicht nur wirklich ein Mensch, sondern zugleich auch wahrer Gott ist. Diese Tatsache ist bis heute un­verzichtbar für unseren Glauben; darauf ruht unsere ganze Hoffnung und unser ganzes Heil: Ja, Jesus ist der Herr, nämlich der allmächtige Herr Zebaoth, der Schöpfer, der eingeborene Sohn des Vaters im Himmel. Wer Gott finden will, der muss Jesus kennenlernen – das ist das wichtigste, das ent­scheidende Zeugnis von Johannes und dann auch von allen anderen Aposteln. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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