Schenken und beschenkt werden

Predigt über 1. Mose 18,1-15 zum 4. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Nicht nur eine Flüchtlings­welle rollt über Deutschland, sondern auch eine Welle der Hilfs­bereit­schaft. Bei uns und in allen anderen deutschen Städten gibt es viele Bürgerinnen und Bürger, die Flüchtlingen mit Essen, Trinken, Kleidung, Arzt­besuchen, Behörden­kontakten und Deutsch­unterricht helfen. Die meisten dieser Helfer tun das nicht zähne­knirschend, sondern es macht ihnen Spaß. Ich glaube, dass überhaupt die meisten Menschen Freude daran haben, anderen Freude zu machen. Deswegen ist auch das Schenken zu Weihnachten so beliebt. Wer Weihnachts­geschenke kauft oder bastelt – vielleicht erst in den nächsten Tagen, sozusagen in letzter Minute – , der malt sich dabei oft aus, wie sich die Beschenkten freuen werden. Überraschte Freuden­laute, strahlende Kinderaugen, dankbare Umarmungen, das ist das Glück der Schenkenden. Wer andere beschenkt oder ihnen hilft und sie auf diese Weise erfreut, der wird dabei selbst mit Freude beschenkt. Schon im Kindergarten habe ich folgenden Vers gelernt: „Willst du glücklich sein im Leben, / denke an der andern Glück, / denn die Freude, die wir geben, / kehrt ins eigne Herz zurück.“

Auch Abraham war jemand, der anderen gern behilflich war, der sie gern beschenkte, der sie gern bewirtete. Die Geschichte, die wir als Predigttext gehört haben, zeigt uns das sehr schön. Wir bekommen mit ihr zugleich einen Einblick in die uralte Tradition der über­schwäng­lichen orienta­lischen Gast­freund­schaft.

Abraham war ein reicher Nomade. Er hatte große Viehherden und zog mit ihnen umher, stets auf der Suche nach gutem Weideland. Abraham und seine Angehörigen lebten deshalb in Zelten. Eines Tages näherten sich drei Fremde seiner kleinen Zeltstadt. Es war um die Mittagszeit, und die Sonne brannte vom Himmel. Als Abraham die Männer sah, war er sofort bereit, sie willkommen zu heißen und zu bewirten. Er lief auf sie zu, verneigte sich vor ihnen und sagte: „Herr, hab ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so lass dich bei mir nieder.“

„Herr“ sagte er zu den drei Männern, so als wären sie nur einer und als wüsste er, dass Gott selbst ihn auf diese Weise besucht. Natürlich können wir heute, viertausend Jahre später, nicht mehr nach­vollziehen, was Abraham damals wirklich gewusst und gedacht hat. Wir dürfen aber annehmen: Auch wenn er die drei Männer für arme Flüchtlinge gehalten hätte, die gerade mit knapper Not mordenden Feinden entkommen waren, hätte er sie höflich und hilfsbereit willkommen geheißen. Und wir Heutigen dürfen nicht vergessen, dass wir unsern Herrn Jesus Christus selbst aufnehmen und ihm dienen mit jedem der geringsten Brüder und Schwestern, denen wir etwas Gutes tun.

Zurück zu Abraham. Er bot seinen Gästen schöne Sitzplätze unter einem Schattenbaum an. Er ließ seine Diener Wasser holen und den drei Männern die staubigen Füße waschen. Dann sagte er in fast über­triebener Bescheiden­heit zu ihnen: „Ich will euch einen Bissen Brot bringen, dass ihr euer Herz labt; danach mögt ihr weiter­ziehen.“ Wir können nur staunen, woraus dieser „Bissen Brot“ dann bestand: Abrahams Frau Sara musste sofort aus einer größeren Menge feinsten Weizenmehls einen Teig kneten und Fladenbrot backen. Abraham selbst kümmerte sich um das Fleisch: Das zarteste Kalb holte er von seiner Herde und schlachtete es. Sein Koch zerlegte es fachgerecht und bereitete die Stücke zum Grillen vor. Das Kalbfleisch wurde dann über dem offenen Kochfeuer gar gemacht. Bald duftete es im ganzen Zeltlager herrlich nach Rinder­braten. Unterdessen ließ Abraham den Tisch decken: Milch und Butter wurden aufgetragen – alles besondere Leckerbissen für orienta­lische Nomaden im zweiten Jahrtausend vor Christus. Dann wünschte Abraham seinen Gästen einen guten Appetit. Er selbst aß nicht mit, sondern stand daneben wie ein Kellner in einem vornehmen Restaurant, jederzeit bereit, auf einen Wink der Gäste zu reagieren und nach ihren Wünschen zu fragen. Zunächst sollten sich die Gäste ordentlich satt essen, danach erst würde er selbst zugreifen.

Ja, Abraham ist wirklich ein Muster­beispiel an orienta­lischer Gast­freundschaft und Hilfs­bereit­schaft. Es machte ihm Freude, seinen Gästen zu dienen und sie mit Gutem zu beschenken. Auch wenn wir heute in völlig anderen Verhält­nissen leben als Abraham damals, können wir uns doch grund­sätzlich an ihm ein Vorbild nehmen – jeder nach den Möglich­keiten und Gelegen­heiten, die er hat.

Aber nun ist die Geschichte ja noch nicht zuende. Wir können sogar sagen: Jetzt kommt erst das Ent­scheidende. Die göttlichen Gäste kündigten Abraham nämlich an, dass er mit seiner Frau einen Sohn bekommen würde. Das hatte Gott ihm schon früher mehrfach gesagt, und er hatte es auch geglaubt. Aber nun war er schon sehr alt, und Sara hatte ihre Wechseljahre bereits hinter sich. Während die Gäste so sprachen, befand Sara sich in einem der Zelte, aber sie hörte alles mit. Als sie die Prophezeiung vernahm, musste sie lachen, denn die Vorstellung einer so späten Schwanger­schaft erschien ihr sehr seltsam. Die drei Männer hörten das Lachen und wussten sofort, was es damit auf sich hatte. Sie bekräftigten ihre Zusage mit dem Satz: „Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein?“ und stellten dann noch einmal fest, dass Abraham und Sara binnen Jahresfrist einen Sohn haben würden. Da wurde sich Sara bewusst, dass ihr Lachen nicht angemessen war, und sie stritt ab, gelacht zu haben. Wenig später ver­abschiedeten sich die Gäste. Abraham ließ auch jetzt nicht mit seiner Gast­freundschaft nach, sondern begleitete sie noch ein Stück auf ihrem Weg.

Sicher habt ihr bemerkt, dass die Geschichte mit ihrem zweiten Teil eine Wende bringt. Im ersten Teil war Abraham der Dienende und Schenkende, denn er übte an den drei Männern vorbildlich Gast­freund­schaft. Im zweiten Teil dagegen werden die Männer zu Schenkenden, und Abraham wird der Beschenkte. Das kostbare göttliche Geschenk bestand aus der Verheißung eines Sohnes im vorgerückten Lebensalter, wenn es nach menschlichem Ermessen nicht mehr möglich ist, Kinder zu bekommen. Gottes Geschenk an Abraham war gewisser­maßen ein Gutschein, der in Kürze eingelöst werden würde. Und tatsächlich: Ein Jahr später bekamen Abraham und Sara den Isaak. Dieser war der Vater von Jakob, und dieser der Stammvater des Volkes Israel. Aus Jakobs Sohn Juda ging die Sippe Isai hervor, in der König David geboren wurde. David aber wurde mensch­licherseits zum Stammvater unsers Heilands Jesus Christus.

Wir sehen: Gottes Geschenk an Abraham ist zugleich sein Geschenk an uns und an alle Menschen. Darum steht diese Geschichte auch in der Bibel. Gott hatte von Anfang an im Sinn, uns durch Jesus zu beschenken, glücklich zu machen, selig zu machen, zur ewigen Seligkeit zu führen. Sein Besuch bei Abraham, die Verheißung eines Sohnes und die Erfüllung dieses Versprechens ist Teil seiner Heils­geschichte mit dem Volk Israel und mit allen Völkern.

Wir lernen aus dieser Geschichte: Abraham ist ein heraus­ragendes Beispiel an Hilfs­bereitschaft und Gast­freund­schaft. Das sind wichtige und gute Eigen­schaften im Umgang mit den Mitmenschen. In Gottes Gegenwart aber kehrt sich alles um. Da geht es letztlich nicht mehr darum, wie gut oder wie schlecht unsere Nächsten­liebe ist, sondern da geht es letztlich nur darum, dass Gott seinerseits uns beschenken und beglücken will durch seinen Sohn Jesus Christus. So ist auch alles weihnacht­liche Schenken und alle weihnacht­liche Nächsten­liebe nur ein Zeichen und Hinweis für die Hauptsache an diesem Fest: nämlich dass wir vor Gott in erster Linie nicht Schenkende, sondern Beschenkte sind, und dass uns gegen alle menschliche Vernunft ein Kind geboren wird, der Sohn der Jungfrau Maria, der Retter der Welt. „Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein?“ Nein und amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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