Verfolgt, versucht, versöhnt

Predigt über 1. Samuel 24 zum 4. Sonntag nach Trinitatis

Verlesener Text: Vers 11

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Heute möchte ich euch eine Geschichte von zwei Königen erzählen: Saul und David. Saul war noch König in Israel, nach Gottes Willen zum ersten König über das auserwählte Volk gesalbt. David, eine Generation jünger, war noch nicht König in Israel, aber Gott hatte ihn bereits heimlich zum König salben lassen. Der Herr hatte nämlich beschlossen, dass niemand von Sauls Söhnen der nächste König über Israel werden soll, sondern David. Von diesen beiden Königen handelt also unsere Geschichte, vom Noch-König Saul und vom Noch-nicht-König David, den beiden „Gesalbten“. Aber eigentlich kommt noch ein dritter König vor, ein dritter Gesalbter: Jesus, der Sohn beziehungs­weise Nachkomme Davids, der nach Gottes Willen ewig regiert und der zugleich Gottes Sohn ist. „Gesalbter“ heißt auf Hebräisch „Messias“, auf Griechisch „Christus“. Auf welche Weise nun Jesus ein Gesalbter beziehungs­weise König ist, das hat sich bereits an seinem Vorvater David abgebildet – unter anderem hier in dieser Geschichte, die ich jetzt erzählen will.

Gott hatte Saul zu dieser Zeit bereits verworfen, denn Saul war ihm nicht treu geblieben. Saul hatte nämlich seinen eigenen Willen über Gottes Willen gestellt und Gottes Weisungen missachtet. Sauls Verwerfung äußerte sich unter anderem darin, dass immer wieder „ein böser Geist über ihn kam“ (so heißt es in der Bibel); wir würden auf Deutsch sagen: Immer wieder ritt ihn der Teufel. Saul ahnte, dass ihm und seiner Familie das Königtum weggenommen und einem anderen gegeben wird, einem würdigeren. Und er ahnte auch, wer dieser andere war: David, der fromme und mutige junge Mann aus dem Stamm Juda, der fröhliche Held, beim ganzen Volk beliebt. Darüber wurde Saul rasend eifer­süchtig. Mehr als einmal hatte er sich im Jähzorn dazu hinreißen lassen, David nach dem Leben zu trachten. Mit der Zeit entwickelte Saul einen regelrechten Verfolgungs­wahn und hatte nur noch dieses eine Ziel vor Augen: David als „Kon­kurrenten“ endgültig aus­zuschalten. Es wurde so schlimm, dass David fliehen musste. Mit ein paar Freunden lebte er versteckt in den Höhlen des judäischen Berglands. So lernte der zukünftige König David, was Demut heißt.

Wir stellen erstens fest: David, der Gesalbte, wurde verfolgt. Er musste fliehen, er hatte keine feste Bleibe mehr. Darin bildet sich etwas vom König Jesus Christus ab: Jesus verließ sein himmlisches Vaterhaus und lebte auf Erden wie ein Fremder. Es ging ihm in seinen Erdentagen kaum besser als den vielen Millionen Flücht­lingen, die in unseren Tagen ohne feste Bleibe in der Fremde leben. Als Jesus in Galiläa umherzog, sagte er einmal: „Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege“ (Lukas 9,58). Später hat man ihn dann auch richtig verfolgt: Die führenden Juden trachteten ihm nach dem Leben, so wie Saul David nach dem Leben trachtete. Etwas von diesem Flüchtlings­leben zeichnet sich in jedem Christen­leben ab. Wir gehören ja zu Jesus und sind nach seinem Namen genannt, und so leben auch wir in gewisser Hinsicht wie Flüchtlinge in dieser Welt. Wir sind hier „Gäste und Fremdlinge“, heißt es im Neuen Testament, denn unsere wahre Heimat ist im Himmel. Und wie David und später Jesus verfolgt wurden, so bleibt auch bei uns das Kreuz der Nachfolge nicht aus – wenn auch vielleicht in ganz anderer und viel milderer Form. Es braucht uns daher nicht zu beunruhigen, wenn wir uns als Christen in dieser Welt manchmal fremd fühlen. Lasst uns in solchen Situationen an David denken, wie er mit seinen Gefährten im judäischen Bergland in Höhlen lebte, und an Jesus, wie er heimatlos durch Palästina zog.

Saul erfuhr durch seinen Geheim­dienst, dass David sich in der Wüstenregion bei En-Gedi versteckt hält. Daraufhin stellte Saul eine Eingreif­truppe von dreitausend Elite-Soldaten zusammen und zog persönlich mit ihnen in die besagte Gegend. Systematisch durchkämmten sie die Landschaft, um David aufzustöbern und an Ort und Stelle zu töten. Aber David war listig und verstand es, den Verfolgern aus­zuweichen. Einmal wurde es sehr eng, und David musste sich mit seinen Gefährten in den hintersten Winkel einer Höhle zurück­ziehen. Als König Saul mit seinen Männern an dieser Höhle vorbeikam, da geschah es, dass ihn ein menschliches Bedürfnis überkam: Der König musste mal dahin ver­schwinden, wo der Kaiser zu Fuß hingeht. Für sein Geschäft wählte er sich ausgerechnet jene Höhle, in der weiter hinten David und seine Gefährten saßen. In der Bibel heißt es: „Saul ging hinein, um seine Füße zu decken.“ Da flüsterten Davids Leute: David, das ist die Gelegenheit! Jetzt kannst du deinen Verfolger töten; Saul ist allein und in einer hilflosen Position. Jetzt kannst du dich aus Lebensgefahr retten, deinem Flüchtlings-Elend ein Ende bereiten und als König herrschen, wie Gott es dir verheißen hat. Ja, das war wirklich eine verlockende Gelegenheit. Niemand würde David einen Vorwurf machen, wenn er Saul jetzt aus dem Weg räumte; es wäre praktisch Notwehr. Also schlich sich David ganz leise von hinten an seinen Feind heran, der im vorderen Teil der Höhle hockte. Wie in Zeitlupe zückte David seinen Dolch. Seine Freunde sahen mit angehaltenem Atem zu, jederzeit bereit, ihm zu Hilfe zu kommen. Aber dann trauten sie ihren Augen nicht: David zückte seinen Dolch nur, um damit vorsichtig ein Stück Stoff von Sauls Königsmantel abzu­schneiden; dann zog er sich wieder in den hinteren Teil der Höhle zurück. Die Freunde flüsterten: Bist du verrückt? Warum hast du ihn nicht getötet? Er will doch dich töten, und dazu uns alle! Sollen wir jetzt angreifen und über ihn herfallen? Nein, sagte David. Immerhin ist er der König, von Gott selbst zu diesem Amt gesalbt. Auch wenn er ein schlechter König ist und mir gefährlich wird, achte ich dieses Amt und will ihn nicht umbringen. So bewies David in Verbindung mit seiner Demut auch Mut.

Wir stellen zweitens fest: David wurde nicht nur verfolgt, er wurde auch versucht. Von innen und von außen wurde ihm zu­geflüstert: Räche dich an deinem Feind und töte ihn! Aber David widerstand dieser Versuchung und verschonte Saul. Auch Jesus wurde vom Teufel versucht, und auch er hat Satans Stimme eine klare Absage erteilt. Aus Gehorsam und Respekt vor seinem himmlischen Vater hat er nicht den Weg der Sicherheit und des persönlichen Triumphs gewählt, sondern ist den Leidensweg ans Kreuz gegangen. Aus Gehorsam und Respekt vor dem Davidssohn Jesus Christus sollen wir uns ebenso bewähren, wenn die Versuchung kommt: Weder Rachegefühle noch Ehrsucht, weder Ängstlich­keit noch der Widerstand anderer Menschen sollen uns dazu bewegen, die Gottesfurcht aufzugeben und Gottes Ratschluss gering zu achten. Lasst uns an David denken, wie er mitten zwischen dem feindlichen Saul und seinen verständnis­losen Freunden der Versuchung widerstand, den sicheren und bequemen Weg des Ungehorsams zu wählen. Und lasst uns an Jesus denken, wie er den Teufel wegschickte und seinem himmlischen Vater die Treue hielt.

Saul hatte nicht bemerkt, dass er nicht allein in der Höhle war und dass David ihm einen Zipfel vom Mantel ab­geschnitten hatte. Er verließ die Höhle und gesellte sich wieder zu seiner Truppe. Da tat David etwas Merkwürdiges – etwas, das ihm Gottes Geist eingegeben hatte: Auch er verließ die Höhle, lief hinter Saul her, schwenkte den Mantelzipfel in seiner Hand und rief: „Mein Herr und König!“ Saul sah sich um – und erblickte seinen vermeint­lichen Widersacher, den lange Gesuchten. David verneigte sich ehrfürchtig vor Saul und sagte zu ihm: „Warum hörst du auf das Geschwätz der Menschen, die da sagen: David sucht dein Unglück?“ Und dann machte er dem König klar, dass er ihn soeben in der Höhle hätte töten können. Zum Beweis zeigte er den ab­geschnitte­nen Mantel­zipfel. Aber er hatte ihn nicht getötet, weil er trotz aller Anfeindung den König respektierte und weil er sich auch nicht berufen fühlte, Richter zu spielen und Gottes Urteil über Saul vorweg­zunehmen. David machte Saul klar, dass er hier mit großem mili­tärischen Aufwand einen völlig harmlosen Menschen verfolgt. Er fragte: „Wem zieht der König von Israel nach? Wem jagst du nach? Einem toten Hund, einem einzelnen Floh! Der Herr sei Richter und richte zwischen mir und dir und sehe darein und führe meine Sache, dass er mir Recht schaffe wider dich!“ Diese Worte trafen König Saul tief, und er begann zu weinen. Beschämt erwiderte er: „Du bist gerechter als ich, du hast mir Gutes erwiesen; ich aber habe dir Böses erwiesen. Und du hast mir heute gezeigt, wie du Gutes an mir getan hast, als mich der Herr in deine Hände gegeben hatte und du mich doch nicht getötet hast. Wo ist jemand, der seinen Feind findet und lässt ihn mit Frieden seinen Weg gehen? Der Herr vergelte dir Gutes für das, was du heute an mir getan hast! Nun siehe, ich weiß, dass du König werden wirst und das Königtum über Israel durch deine Hand Bestand haben wird.“ Dann ließ Saul David schwören, dass er ihm auch in Zukunft nichts tun werde, auch nicht seinen Nachkommen. Bereitwillig legte David diesen Eid ab, und die beiden Männer trennten sich versöhnt – allerdings nur vorüber­gehend versöhnt, denn Saul wurde wieder rückfällig mit seiner Eifersucht und seinem Jähzorn. Aber das ist eine andere Geschichte. Was Bestand hatte, war allein Davids Edelmut, denn er hielt sich sein ganzes Leben lang an diese Zusage, die er Saul gegeben hatte. Zu Davids Demut und Mut trat also als Drittes sein Edelmut.

Wir stellen drittens fest: David wurde nicht nur verfolgt und versucht, sondern auch versöhnt. Dies ist etwas, das er sowohl in der Kraft des Heiligen Geistes selbst aktiv bewirkte als auch wie ein Geschenk von seinem bisherigen Widersacher Saul passiv erfahren hat. Damit sind wir bei der wichtigsten Sache, die den Davidssohn und Gesalbten Jesus auszeichnet: die Versöhnung. Jesus hat von sich aus alles drangegeben, um uns Sünder mit dem himmlischen Vater zu versöhnen. Aus Gehorsam zum Vater hat er es getan und in der Kraft des Heiligen Geistes. Und so, wie David den Zipfel des königlichen Gewandes als Beweisstück für seine vergebende Liebe schwenkte, so hat Jesus uns die Taufe und das Heilige Abendmahl eingesetzt. Mit diesen heiligen Zeichen will er allen Menschen zeigen: Seht her, ich bin euch nicht böse wegen eurer Sünde, und der himmlische Vater ist es auch nicht mehr wegen meines versöhnenden Opfers. So kommt es, dass wir heute über­glücklich erleben und immer wieder neu erkennen können: Wir sind mit dem Vater im Himmel versöhnt. Was für ein wunderbares Geschenk!

Verfolgt, versucht, versöhnt – das hat Davids damals erlebt, das hat sich an Jesus gezeigt, und das kennzeichnet auch unser Christen­leben. Der Heilige Geist schenke uns, dass wir diese Versöhnung nicht leichtfertig verspielen wie einst König Saul, sondern dass wir vertrauens­voll und beständig daran festhalten. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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