Gott ist überall

Predigt über Jeremia 23,23-24 zum 1. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Viele Menschen möchten, dass Gott ihnen nahe ist, aber sie möchten nicht, dass er ihnen zu nahe tritt. Sie möchten zwar, dass Gott ihre Gebete hört und auch erhört, aber sie möchten keinesfalls auf ihn hören, ihm nicht gehorchen. Sie wünschen sich Gott als Diener, der ihnen das Leben schön einrichtet, aber als Herrn lehnen sie ihn ab.

Das war schon immer so, auch in Zeiten, in denen es äußerlich viel frömmer zuging als heute und hierzulande. Der Prophet Jeremia konnte ein Leid davon singen, und er hat es auch getan; seine Klagelieder stehen in der Bibel. Zu seiner Zeit gefielen sich viele Menschen darin, dass sie so taten, als hätten sie den anderen was im Namen Gottes zu sagen. Sie gaben vor, dass Gott ihnen große Erleuch­tungen geschickt hätte, aber in Wahrheit sagten sie nur ihre eigene Meinung – oder das, was gut ankam. Jeremia klagte darüber, dass diese falschen Propheten die Menschen eher von Gott wegbringen als zu ihm hin. Anstatt ihnen Gottes Gebote vorzuhalten und sie zur Umkehr aufzurufen, schmei­chelten sie ihnen und bestärkten sie auf ihren falschen Wegen. Dabei wiegten sie sich in falscher Sicherheit. Sie meinten, Gott würde das einfach so hinnehmen. Sie dachten, Gott wohnt im Tempel, und es ist ihm egal, wie es außerhalb des Tempels zugeht. Oder sie dachten, dass seine Reichweite begrenzt ist, so wie man damals annahm, dass die heidnischen Götzen immer nur für bestimmte Völker zuständig sind. Viele von Jeremias Zeitgenossen meinten, dass sie sich in sicherem Abstand zu Gottes Machtbereich befänden und er sie wegen ihrer Lügen nicht zur Rechenschaft ziehen würde. Sie dachten, im Notfall könnten sie vor Gott fliehen, so wie Jona versucht hatte, mit einem Schiffs-Ticket vor Gottes Auftrag zu fliehen. Aber da meldete sich Gott durch Jeremia, seinen wahren Propheten, zu Wort und sagte: „Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, und nicht auch ein Gott der, ferne ist? Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe? Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?“

Viele Menschen unserer Zeit wollen das ebensowenig wahrhaben wie die falschen Propheten zur Zeit Jeremias. Manche sind Atheisten und denken: Es gibt gar keinen Gott, der mich zur Rechenschaft ziehen könnte; solange ich vor den Leuten eine gute Figur mache, ist alles in Ordnung. Oder manche denken, dass Gott weit weg ist und sich nicht um uns kümmert. Manche meinen auch, dass es Gott egal ist, was wir glauben und wie wir leben; letztlich sei es ja sein „Beruf“, allen alles zu vergeben und alle selig zu machen. Nach diesem Muster sind viele falsche Propheten­worte unserer Zeit gestrickt. Manche bilden sich ein, man könne Gott mit ein bisschen Frömmigkeit und gutem Willen bei Laune halten: Ein kleine Geldspende, ein gelegent­licher Kirchgang, ein paar freundliche Worte zum Pastor, und schon ist der liebe Gott zufrieden. Was sie im Alltag machen, das ginge weder den Pastor noch den lieben Gott etwas an, finden sie, zum Beispiel wenn sie krumme Geschäfte machen, wenn sie den Staat betrügen und wenn sie ihren Mitmenschen gegenüber nachtragend oder lieblos sind. Sie lassen sich Gott zwar als Randfigur ihres Lebens gefallen, als fromme Verzierung für schöne Feste sowie als Notnagel in großer Ver­zweiflung, aber ansonsten soll er sich aus allen Privat­angelegen­heiten heraus­halten, meinen sie. Wie gesagt: Viele möchten, dass Gott ihnen nahe ist, aber sie möchten nicht, dass er ihnen zu nahe tritt. Aber da sagt Gott auch heute: „Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe? Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?“

Auch derjenige, der mit Ernst ein Christ sein will, muss sich das gesagt sein lassen. Prüfe dich, ob du nicht auch manch­mal versucht bist zu meinen, Gott sei ja im Moment weit weg, oder ihm sei egal, was du da gerade treibst. Hast du dich nicht schon mal in bestimmten Situationen dabei ertappt, dass du dir sagtest: Jetzt lieber nicht an Gott denken? Gab es nicht schon mal Augenblicke, wo es dir lieb gewesen wäre, wenn Gott dich nicht gesehen hätte, wenn er also nicht nahe gewesen wäre? Das sind vergebliche und sogar gefährliche Gedanken. Stattdessen müssen wir dem zustimmen, was David mit unheimlich starken Worten im 139. Psalm aussgedrückt hat: „Herr, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht schon wüsstest. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen. Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.“ Oder wie Gott selbst es durch Jeremia gesagt hat: „Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe? Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?“

Falsche Propheten schmeicheln den Menschen und bestärken sie auf ihren falschen Wegen. Oder aber sie fordern die Leute dazu auf, mit bestimmten guten Taten oder religiösen Ritualen Gott freundlich stimmen und auf diese Weise sich selbst zu retten. Jeremia aber und alle wahren Propheten sowie auch die Apostel und Christus selbst rufen zur Umkehr. Sie rufen dazu auf, Sünden zu bereuen, sich vor dem Allmächtigen zu demütigen und ihn um Hilfe zu bitten. Wenn dann jemand Gott um Hilfe bittet (sogar aus der tiefsten Tiefe der Verzweif­lung), kann er sicher sein, dass Gott ihn hört – und auch erhört. Denn Gott ist nicht nur im Tempel und in der Kirche, nicht nur bei den Reichen und Zufriedenen und Frommen, sondern auch und besonders bei denen da ganz unten, die keinen Ausweg mehr sehen. Wer in seiner inneren Not Gott nicht ausweicht, der tut das Gegenteil davon: Er sucht seine Nähe, er sehnt sich nach seiner heilsamen Gegenwart. Er spricht so, wie es im Monatsspruch heißt: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“ (1. Mose 32,27). Für ihn wird das mahnende Wort zu einem tröstenden Wort – dieses Wort, das Gott durch Jeremia ver­kündigen ließ: „Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, und nicht auch ein Gott der ferne ist? Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe? Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?“

Dass niemand vor Gott fliehen und niemand sich vor ihm verstecken kann, ist eine un­ausweichliche Tatsache. Wer sie abstreitet, macht es wie der Vogel Strauß: Er steckt seinen Kopf in den Sand und meint, nun sei nicht mehr da, was er nicht sehen will. Aber wenn wir uns dieser un­ausweich­lichen Tatsache stellen, Gott die Ehre geben und unsere Ver­antwortung vor ihm akzeptieren, dann werden wir feststellen: Gott kommt uns ja eigentlich nicht deshalb nahe, um uns zu richten und zu verdammen, sondern um uns zu helfen und zu retten. Er will nicht den Tod des Sünders, sondern dass der Sünder sich bekehrt und lebt. Er kommt uns nahe, um uns froh und selig zu machen. Das sagt er nicht nur, sondern das hat er auch getan – sogar auf ganz besondere Weise. Ja, der Gott, der Himmel und Erde erfüllt, hat in Jesus die Natur eines Menschen­geschöpfs angenommen, um uns ganz besonders nahe zu sein. Er kam aus der Ferne un­zugänglicher Welten auf unsere Erde und hat sich aufgeopfert, damit wir unter Gottes Gegenwart nicht vergehen müssen. Nach seinem Opfertod ist er auferstanden und in den Himmel gefahren, und nun will er allen Menschen an allen Orten mit seinem Geist nahe sein. Bevor er in den Himmel fuhr, hat er seinen Jüngern das Versprechen hinter­lassen: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matth. 28,20). Der Herr Jesus Christus ist bei dir am Sonntag und im Alltag, in der Kirche und zu Hause, an deinem Wohnort und auf Reisen. „Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?“, spricht der Herr. Das ist ungeheuer schön und tröstlich, denn wo der Herr ist, da ist Leben und Seligkeit. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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