Der Geburtstag der Predigt

Predigt über Apostelgeschichte 2,14‑36 zum Pfingstsonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Pfingstfest wird oft „Geburtstag der Kirche“ genannt. Das ist eine schöne und zutreffende Be­zeichnung: Als zehn Tage nach Christi Himmelfahrt der Heilige Geist über seine Jünger kam, entstand durch Predigt und Taufen die erste christliche Gemeinde. Aber Pfingsten kann auch „Geburtstag der Predigt“ genannt werden. Die Pfingst­predigt des Apostels Petrus, die wir eben gehört haben, war nämlich die erste christliche Predigt der Welt. Hier begann sich die Verheißung unsers Herrn zu erfüllen: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und meine Zeugen sein“ (Apostel­gesch. 1,8). Hier begann die Umsetzung des großen Auftrags Christi, der bis heute den wichtigsten Dienst der Kirche beschreibt: „Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ (Matth. 28,19). Hier erkennen wir, wie Gottes Heiliger Geist unter uns Menschen vor allem wirkt: durch Gottes Wort, gepredigt von be­auftragten und be­vollmächtig­ten Boten. Ja, das gibt uns Grund, das Pfingstfest auch als Geburtstag der Predigt zu feiern.

Diese allererste christliche Predigt setzt inhaltliche Maßbstäbe für alle Prediger der Kirche – und nicht allein für die Prediger, sondern auch für die Predigt­hörer. Denn wie der Prediger sorgfältig auf das Zeugnis der Apostel hören und dabei um Gottes Geist beten muss, so soll auch der Predigt­hörer um rechtes Verständnis beten und das Richtige von der Predigt erwarten. Der Predigt­hörer kommt ja nicht in den Gottes­dienst, um sich durch einen Vortrag über irgendein interes­santes Thema zu infor­mieren. Er kommt hoffentlich auch nicht, um christlich eingefärbte Kommentare zum Welt­geschehen zu hören oder um sich durch kurz­weiliges Geplauder unterhalten zu lassen. Nein, der rechte Predigt­hörer kommt in der Erwartung, dass der Heilige Geist durch das Wort in sein Herz einzieht und an ihm arbeitet. Wie der Geist arbeitet und was wir von ihm erwarten können, das zeigt uns muster­gültig die Pfingst­predigt des Simon Petrus. Wir können da vor allem drei Dinge erkennen, die der Heilige Geist durch das gepredigte Wort tut: Erstens klagt er an, zweitens macht er frei, drittens schenkt er Gewissheit.

Erstens klagt der Heilige Geist durch die Predigt an. Petrus sagte seinen Predigt­hörern im Blick auf Jesu Tod: „Diesen Mann, der durch Gottes Ratschluss und Vorsehung dahin­gegeben war, habt ihr durch die Hand der Heiden ans Kreuz geschlagen und um­gebracht.“ Das sind harte Worte, sieh gehen schwer ein. Und da erhebt sich die Frage: Warum, lieber Petrus, klagst du denn all diese Menschen so an? Sie kommen doch teilweise aus ganz anderen Ländern und sind nur zu Besuch in Jerusalem; was haben die mit dem Tod Jesu zu tun? Und wir können weiter fragen: Warum, lieber Heiliger Geist, ist denn diese Anklage in der Bibel fest­geschrie­ben? Und warum müssen wir sie uns bis heute gefallen lassen, zweitausend Jahre danach? Keiner hat diese Frage besser beantwortet als Paul Gerhardt in seinem Passions­choral „O Welt, sieh hier dein Leben“: „Ich, ich und meine Sünden, / die sich wie Körnlein finden / des Sandes an dem Meer, / die haben dir erreget / das Elend, das dich schläget, / und das betrübte Marter­heer.“ Am Kreuz auf Golgatha wurde Gottes Urteil über die Sünden aller Menschen voll­streckt, auch über meine und deine Sünden. So sind auch wir und unsere Sünde mit­verantwort­lich für Jesu Tod. Wir müssen es uns gefallen lassen, dass der Heilige Geist uns in der Predigt anklagt. Das geschieht immer dann, wenn Gottes Gesetz gepredigt wird, denn das Gesetz macht offenbar, wo wir Gottes be­rechtigten Anspruch an uns verfehlen. Erwartet also nicht von einer Predigt, dass euch der Heilige Geist schmeichelt und sagt: Bleib, wie du bist; du bist ein toller Kerl! Nein, es ist ein wichtiger Dienst des Geistes, unsere Schuld aufzudecken – und zwar nicht nur unsere harmlose, kleine, liebens­würdige Schwäche, sondern den hässlichen dunklen Fleck da in unserer Seele, aus dem so viel Böses aufsteigt: Hass, Neid, Habsucht, Herrsch­sucht, Hochmut und was es sonst noch alles an schreck­lichen Sünden gibt, die nicht weniger als Gottes Todesurteil nach sich ziehen. „Ihr habt Jesus ans Kreuz gebracht“, so klagt der Heilige Geist zu Recht auch uns an.

Zweitens macht der Heilige Geist durch die Predigt frei. Über diese frei und froh machende Botschaft müssen wir sehr staunen: Genau das Ereignis, mit dem uns der Geist wegen unserer Sünde anklagt, befreit uns auch vom Fluch der Sünde, nämlich der Tod Jesu am Kreuz. Das Kreuz von Golgatha sagt nicht nur: Eure Sünde hat Jesus umgebracht, sondern es sagt auch: Gottes gnädiger Ratschluss und weise Vorsehung haben Jesus auf diesen Weg geschickt, denn indem Gott die Sünden der Welt an seinem eigenen Sohn bestraft, sind sie ein für allemal gesühnt. Die befreiende Botschaft des Evan­geliums, die das Herzstück jeder christ­lichen Predigt darstellt, ist nichts anderes als die Geschichte von Jesu Er­niedrigung und Erhöhung, von seinem Leidensweg hin zum Kreuz und von seinem Siegeszug heraus aus dem Grab. Diese Geschichte durchzieht die Pfingst­predigt des Petrus wie ein roter Faden. Der Apostel redet von Jesu Wunder­taten, von seinem Kreuzestod, von seiner Auf­erstehung, von seiner Himmel­fahrt, von seiner Herrschaft an der Seite des himmlischen Vaters und von der Ausgießung des Heiligen Geistes. Der Apostel verheißt mit einem alt­testament­lichen Propheten­wort Rettung und Heil all denen, die in Jesus den ver­sprochenen Erlöser anerkennen und als Herrn anbeten: „Wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet werden“ (Joel 3,5). Wundert euch also nicht, liebe Brüder und Schwestern, wenn es in der Predigt letztlich immer wieder um dasselbe geht, auch wenn es auf immer neue Weise weiter­gesagt wird: um Christi Erlösungs­tat – und darum, dass jeder, der an ihn glaubt, von der Macht der Sünde frei wird und für immer mit Gott leben darf. Hier haben wir auch einen verläss­lichen Test dafür, ob eine kirchliche Ansprache wirklich eine Predigt ist: Achte darauf, ob Jesus Christus mit seinem Kreuz und seiner Auf­erstehung darin vorkommt und alles andere aus dieser Kraft lebt. Wenn nur allgemein von Gott oder von der Nächsten­liebe geredet wird, dann mag es wohl eine interes­sante und lehrreiche Rede sein, aber es ist nicht die Predigt des Heiligen Geistes nach dem Vorbild der Pfingst­predigt des Petrus.

Drittens schenkt der Heilige Geist durch die Predigt Gewissheit. Wenn er uns mit dem Gesetz anklagt und mit Christi Evangelium tröstet, dann fragen wir: Kann ich mich darauf verlassen? Verhält es sich wirklich so, wie es da verkündigt wird, oder sind das nur fromme Märchen? Gerade in der heutigen Zeit, wo der christliche Glaube vielfältig in Frage gestellt wird, haben wir solche Ver­gewisse­rung nötig. Und es gibt wohl kaum einen Christen, der nicht zeitweise angefochten ist und zu zweifeln beginnt. Aber auch hierbei schafft die Predigt Abhilfe, und auch hier haben wir mit der ersten christ­lichen Predigt der Welt ein schönes Vorbild. Petrus führte eine ganze Reihe von Bibel­stellen aus dem Alten Testament an, um zu belegen: Jesus von Nazareth ist tatsächlich derjenige, den Gott schon von Anfang an als Erlöser ausersehen und angekündigt hat. Petrus erklärte, dass Christus durch den Mund seines Stammvaters David seine Auf­erstehung prophe­zeite, indem er sagte: „Du wirst mich nicht dem Tod überlassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe.“ Petrus wies darauf hin, dass David seinerseits vom kommenden Erlöser weissagte: „Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache.“ Und gleich am Anfang seiner Predigt deutete Petrus das Pfingst­wunder mit Worten des Propheten Joel: „Es soll geschehen in den letzten Tage, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch.“ Das Neue, das Gott durch Jesus Christus und den neuen Bund schenkt, ist nicht etwas ganz unerwartet Neues, sondern etwas, das Gott schon seit Jahr­hunderten voraus­gesagt und von langer Hand in der Geschichte seines Volkes Israel vorbereitet hat. Wenn wir uns das vom Heiligen Geist vor Augen führen lassen, dann wird unser Glaube fest und gewiss: Alles läuft nach seinem Plan, alle Prophe­zeiungen erfüllen sich. Aber nicht nur die Propheten des Alten Testaments, sondern auch die Apostel des Neuen Testaments tragen zu dieser Gewissheit bei. Sie haben mit allem Ernst bezeugt und beteuert, dass es wahr ist, was sie von Jesus bezeugen. Sie sind Augen- und Ohrenzeugen seiner Heilstaten geworden und haben sogar unter tödlicher Folter nicht abgelassen, den Sieg des auf­erstandenen Herrn zu preisen. Petrus predigte zum ersten Pfingstfest im Namen aller Apostel: „Diesen Jesus hat Gott auferweckt; dessen sind wir Zeugen.“ Am Ende seiner Predigt bekräftigt er sein Zeugnis noch einmal mit einem starken Ver­gewisserungs­satz, der die Anklage und das Befreiungs­wort des Geistes zusammen­fasst. Es ist praktisch ein aus­geführtes „Amen“, ein „Ja, gewiss“: „So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat.“

Einige Anwesende hatten damals das Pfingst­wunder falsch gedeutet und gemeint, die Jünger seien betrunken. Nein, so sagte Petrus gleich am Anfang seiner Predigt, was ihr hier erlebt, ist keine Folge des Wein­geistes, sondern des Heiligen Geistes. Hier wirken nicht Spiritu­osen, sondern hier wirkt der Spiritus Sanctus. Derselbe Geist wirkt noch heute hier bei uns, liebe Brüder und Schwestern, durch diese Predigt und jede christliche Predigt, die in der Nachfolge der Pfingst­predigt des Petrus gehalten wird. Hier klagt der Geist an und ruft zur Umkehr, hier macht er frei durch den ge­kreuzigten und auf­erstanden Herrn Jesus Christus, hier verleiht er unserem Glauben Kraft und Gewissheit. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2015.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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